Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 13.03.2024, Az.: 5 A 700/24
Asyl; Bescheidung; Sudan; Untätigkeitsklage; vorübergehend ungewisse Lage (verneint); Untätigkeitsklage Asyl Sudan; Voraussetzungen eines Aufschubs der Entscheidung nach § 24 Abs. 5 AsylG (verneint)
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 13.03.2024
- Aktenzeichen
- 5 A 700/24
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 12923
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2024:0313.5A700.24.00
Amtlicher Leitsatz
Im Sudan besteht keine vorübergehend ungewisse Lage, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zum Aufschub einer Entscheidung nach § 24 Abs. 5 AsylG berechtigt.
Tenor:
Die Beklagte wird verpflichtet, den Asylantrag der Klägerin binnen drei Monaten ab Zustellung der Entscheidung zu bescheiden.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt eine Entscheidung der Beklagten über ihren Asylantrag.
Die 1978 geborene Klägerin ist sudanesische Staatsangehörige. Sie reiste nach eigenen Angaben am 6. Mai 2023 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie am 10. Juli 2023 einen Asylantrag stellte. Sie wurde am 19. Juli 2023 persönlich angehört.
Unter dem 31. Juli 2023 forderte die Klägerin die Beklagte zur Entscheidung über ihren Asylantrag auf. Das Bundesamt hat über den Asylantrag in der Folge nicht entschieden.
Daraufhin hat die Klägerin am 16. Februar 2024 Klage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt, seit Antragstellung seien bereits mehr als drei Monate verstrichen, in denen die Beklagte ohne zureichenden Grund nicht über ihren Antrag entschieden habe, so dass die Klage als (Bescheidungs-) Untätigkeitsklage zulässig sei. Entsprechend § 24 Abs. 4 Satz 1 des Asylgesetzes (AsylG) sei über ihren Antrag binnen sechs Monaten zu entscheiden, ein Ausnahmefall nach den Sätzen 2 und 3 liege nicht vor. Auch die Voraussetzungen eines Aufschubs der Entscheidung nach § 24 Abs. 5 AsylG seien nicht gegeben. Die Lage im Sudan sei nicht vorübergehend ungewiss. Selbst die Beklagte habe eingeräumt, dass sich die dort herrschenden Auseinandersetzungen ausdehnten. Sie sei auf eine schnelle Entscheidung angewiesen, weil sie schwer krank sei und zu ihrer Tochter nach E. ziehen wolle. Zudem würden die Verwaltungsgerichte die Beklagte derzeit im Hinblick auf den Sudan nahezu ausnahmslos zur Zuerkennung subsidiären Schutzes verpflichten.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
die Beklagte zu verurteilen über ihren Asylantrag im nationalen Verfahren innerhalb einer Frist von drei Monaten seit Urteil des Verwaltungsgerichts,
hilfsweise
binnen einer vom Gericht zu bestimmenden angemessenen Frist zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, aufgrund der seit dem 15. April 2023 anhaltenden und sich ausdehnenden militärischen Auseinandersetzungen zwischen dem sudanesischen Militär (SAF) und der Miliz Rapid Support Forces (RSF) in dem Bundesstaat al-Khartum und den Dafurregionen bestehe im Sudan derzeit eine vorübergehende ungewisse Lage. Eine Entscheidung über den Asylantrag könne deswegen vernünftigerweise nicht erwartet werden könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht durch die Einzelrichterin, der die Kammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 12. März 2024 gem. § 76 Abs. 1 AsylG übertragen hat, und im erklärten Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klage ist als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig. Nachdem die Klage nach mehr als 7 Monaten nach Stellung des Asylantrags der Klägerin am 10. Juli 2023 erhoben worden ist, ist die Frist von drei Monaten nach § 75 Satz 2 VwGO, die im Allgemeinen als angemessene Frist für die Entscheidung über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts anzusehen ist, verstrichen. Die Drei-Monats-Frist in § 75 Satz 2 VwGO wird nicht durch die Fristenregelungen in § 24 Abs. 4 bis 8 AsylG verdrängt oder modifiziert; ob das C. (Bundesamt) für eine verspätete Entscheidung einen zureichenden Grund hatte, ist eine Frage der Spruchreife als Teil der Begründetheit der Klage (Dickten in: BeckOK AuslR, 39. Ed., Rn. 14 zu § 24 AsylG). Darüber hinaus ist die Klage als sog. "Untätigkeitsbescheidungsklage" unter dem Gesichtspunkt der Besonderheiten des behördlichen Asylverfahrens und seinen spezifischen Verfahrensgarantien, insbesondere mit Blick auf die besondere Bedeutung der persönlichen Anhörung durch das Bundesamt zulässig (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.7.2018 - BVerwG 1 C 18.17 -, beck online). Dies gilt unabhängig davon, ob bereits - wie hier - eine Anhörung nach § 25 AsylG stattgefunden hat (vgl. VG Bremen, Urteil vom 22.9.2023 - 7 K 152/23 -, juris Rn. 28; VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 30.9.2022 - A 10 K 2893/21 -, juris Rn. 23; VG Minden, Urteil vom 14.2.2022 - 1 K 6191/21.A -, juris Rn. 41). Auch wenn der Anhörung vor dem Bundesamt eine herausragende Stellung im Asylverfahren zukommt, lässt sich der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht entnehmen, dass bei bereits durchgeführter Anhörung kein Rechtsschutzinteresse für eine reine Bescheidung mehr bestünde (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.7.2018 - BVerwG 1 C 18.17 -, beck online).
Die Klage ist auch begründet.
Die Unterlassung, über den Asylantrag der Klägerin zu entscheiden, ist rechtswidrig und verletzt diese in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO. Sie hat den geltend gemachten Anspruch auf eine Entscheidung über ihren Asylantrag aus §§ 3 ff. AsylG in Verbindung mit § 31 AsylG.
Das Verfahren war nicht gemäß § 75 Satz 3 VwGO unter Bestimmung einer angemessenen Frist auszusetzen, weil ein zureichender Grund dafür, dass über den bereits am 10. Juli 2023 gestellten Asylantrag der Klägerin noch nicht entschieden wurde, nicht (mehr) vorliegt.
Die Klägerin ist zur Person und zur Sache angehört worden und die tatsächliche Lage im Sudan ist hinreichend geklärt.
Unstreitig herrscht im Sudan gegenwärtig ein gewaltsamer Konflikt, der sich auf die humanitäre Lage und die Sicherheit der Zivilbevölkerung erheblich auswirkt. Das Gericht hat bereits im Sommer 2023 in ähnlich gelagerten Fällen den Klägern internationalen subsidiären Schutz zuerkannt und dabei insbesondere darauf abgestellt, dass schon eine Rückkehr über die Hauptstadt Khartum aufgrund der dort herrschenden Auseinandersetzung nicht in Betracht kommt.
Die Beklagte beruft sich vorliegend auf einen Aufschub der Entscheidung nach § 24 Abs. 5 AsylG und macht geltend, dass im Sudan aufgrund der anhaltenden und sich ausdehnenden militärischen Auseinandersetzungen zwischen SAF und RSF in dem Bundesstaat al-Khartum und den Dafurregionen eine vorübergehende ungewisse Lage bestehe, infolge derer eine Entscheidung vernünftigerweise nicht erwartet werden kann.
Schon eine vorübergehend ungewisse Lage ist nach mehreren Monaten sich intensivierender Kämpfe allerdings nicht mehr anzunehmen. Das Bundesamt geht offenbar selbst davon aus, dass es sich bei den Konflikten im Sudan um eine anhaltende und damit nicht bloß vorübergehende Situation handelt. Insofern liegt zwar eine weiterhin hochdynamische Lage vor, deren weitere Entwicklung in Einzelheiten im Sine von § 24 Abs. 5 AsylG ungewiss sein mag. Aus dieser Ungewissheit folgt indes nicht, dass eine Entscheidung in der Sache vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, denn der innerstaatliche bewaffnete Konflikt hat längst ein Ausmaß erreicht, das den Anspruch auf internationalen subsidiären Schutz unabhängig von einzelnen Ereignissen trägt.
Die Kampfhandlungen haben bereits vor über zehn Monaten begonnen und sind nach Einschätzung landeskundlicher Experten aufgrund ihrer ethnischen Dimension und zyklischen Gewaltmuster nicht schnell zu lösen. Insgesamt sind weder die SAF noch die RSF an der Niederlegung der Waffen interessiert. Beide Gruppen streben eine strategisch-militärische Eroberung des jeweils anderen an (C., Briefing Notes vom 17.7.23 https://www.ecoi.net/de/dokument/2095217.html; Zugriff am 16.8.23, S.13). Ernsthafte Gespräche über einen Waffenstillstand zwischen Machthaber Al Burhan und RSF-Führer Hemeti gibt es bereits seit Monaten nicht mehr, obwohl Nachbarländer wie Kenia, Ägypten oder Äthiopien immer wieder Verhandlungen angekündigt hatten. Stattdessen war zuletzt eine Intensivierung der Kämpfe zu beobachten, die in den vergangenen Jahren hochgerüsteten Truppen der beiden Generäle bekriegen sich immer kompromissloser (Tagesspiegel, Hunger, Flucht und Gewalt im Sudan: Warum Afrikas blutigster Machtkampf nicht endet, Hunger, Flucht und Gewalt im Sudan: Warum Afrikas blutigster Machtkampf nicht endet (tagesspiegel.de); Zugriff am 29.2.2024).
Nach alledem kann angesichts der tatsächlichen Lage nur eine den subsidiären Schutz ablehnende Entscheidung vernünftigerweise nicht erwartet werden. Die Aussetzung der Entscheidung wegen vorübergehender ungewisser Lage im Herkunftsstaat dient jedoch nicht dazu, die Realisierung absehbar bestehender Anerkennungsansprüche zu verhindern (vgl. Fränkel in: NK-AuslR, 3. Auflage 2023, Rn. 33 zu § 24 AsylG).
Die vom Gericht ausgesprochene Frist zur Entscheidung von drei Monaten erscheint vor diesem Hintergrund angemessen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.