Sozialgericht Hildesheim
Urt. v. 07.04.2008, Az.: S 34 SO 68/06
Gewährung einer Blindenhilfe zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen unter dem Vorbehalt des Nichtüberschreitens der Einkommensgrenzen
Bibliographie
- Gericht
- SG Hildesheim
- Datum
- 07.04.2008
- Aktenzeichen
- S 34 SO 68/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 33983
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGHILDE:2008:0407.S34SO68.06.0A
Rechtsgrundlagen
- § 72 Abs. 1 S. 1 SGB XII
- § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII
- § 90 Abs. 3 S. 1, 2 SGB XII
Tenor:
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides der Stadt E. vom 04.02.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 20.02.2006 verpflichtet, dem Kläger ab dem 03.01.2005 Blindenhilfe in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Tatbestand
Der am xx.xx.xxxx geborene Kläger hatte zunächst Blindenhilfe bezogen. Nachdem der Landesgesetzgeber zum Ende des Jahres 2004 diese Sozialleistung abgeschafft hatte, begehrte er von der namens und im Auftrag des Beklagten handelnden Stadt E. mit dort am 03.01.2005 eingegangenem Antrag die Gewährung von Blindenhilfe.
Die Vermögensüberprüfung ergab, dass die mit dem Kläger in Bedarfsgemeinschaft lebende Ehefrau Eigentümerin ein PKW Citroen C 3 ist, der im August 2004 von ihr für ca. 16.000,00 EUR angeschafft worden war. Das von der Stadt E. eingeschaltete Gesundheitsamt kam nach amtsärztlicher Begutachtung der Ehefrau des Klägers zu dem Ergebnis, dass bei ihr keine schwerwiegenden Einschränkungen der Gehstrecke vorlägen, sie öffentliche Verkehrsmittel nutzen und auf ein Fahrzeug mit Automatikgetriebe nicht angewiesen sei.
Daraufhin lehnte die Stadt E. mit Bescheid vom 04.02.2005 den Antrag ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der PKW einzusetzendes Vermögen sie und sein Wert deutlich über dem bei der Gewährung von Blindenhilfe zu berücksichtigenden Schonvermögen in Höhe von 3.214,00 EUR liege. Die Verwertung des Fahrzeugs führe auch zu keiner besonderen Härte, da es sich hier um keinen atypischen Einzelfall handele. Auch die Erkrankung der Ehefrau des Klägers ändere an dieser Beurteilung nichts, da der Kläger und seine Ehefrau, die in E. auf dem L. leben, auf den ÖPNV zurückgreifen könnten. Der dagegen am 21.02.2005 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 20.02.2006 zurückgewiesen.
Am 20.03.2006 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt im Wesentlichen vor, dass er und seine ebenfalls schwerbehinderte Ehefrau auf den PKW, dessen Verwertung wirtschaftlich unzumutbar sei, angewiesen seien und für ihn die Benutzung des ÖPNV unzumutbar sei. Für ihn gelte daher die Härtefallregelung.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Stadt E. vom 04.02.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 20.02.2006 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, an den Kläger monatliche Blindenhilfe in Höhe von mindestens 396,67 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt die angefochtenen Bescheide und nimmt auf sie Bezug.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen; diese war Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat ab Antragstellung Anspruch auf Bewilligung von Blindenhilfe in gesetzlicher Höhe.
Nach § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB XII wird blinden Menschen zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen Blindenhilfe gewährt, soweit sie keine gleichartigen Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erhalten. Der Kläger erhält keine entsprechende Hilfe von anderer Seite.
Die Gewährung der Hilfeleistung steht unter dem Vorbehalt des Nichtüberschreitens der Einkommensgrenzen nach §§ 85 ff. SGB XII bzw. der Wahrung der Vermögensfreigrenze nach §§ 90, 91 in Verbindung mit der Verordnung zur Durchführung des § 90 SGB XII.
Unzutreffend sind im vorliegenden Fall die Stadt E. bzw. der Beklagte davon ausgegangen, dass das Vermögen der mit dem Kläger in Bedarfsgemeinschaft lebenden Ehefrau die Freibetragsgrenze nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b und Nr. 2 der Verordnung zur Durchführung des § 90 SGB XII von 3.214,00 EUR (2.600,00 EUR für den Kläger und 614,00 EUR für seine Ehefrau) überschritten hatte. Zwar hatte der im Eigentum der Ehefrau des Klägers stehende PKW Citroen C 3 im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides - und darauf kommt es an - noch einen Wert (=Händlereinkaufswert) von ca. 8.600,00 EUR. Dieser Betrag ergibt sich nach der Aussage des sachverständigen Zeugen M. im Verhandlungstermin, an deren Richtigkeit keinerlei Zweifel bestehen und auch von den Beteiligten nicht geäußert wurden. Jedoch stellt das Fahrzeug für den Kläger - der die Blindenhilfe als Anspruchsteller begehrt - kein verwertbares Vermögen dar, da nicht er, sondern seine Ehefrau dessen Eigentümerin ist. Gegenstände, die im Eigentum eines Dritten stehen, sind regelmäßig für einen Leistungsempfänger unverwertbar, es sei denn, es liegt ein Scheinerwerb bzw. sittenwidriges Verfügungsgeschäft dem zugrunde (vgl. Brühl/Geiger in LPK-SGB XII, Rn. 16 zu § 90). Da das Kraftfahrzeug der Ehefrau des Klägers lange vor der Beantragung von Blindenhilfe angeschafft wurde, hat das Gericht keinen Grund zur Annahme, dass hier in rechtsmissbräuchlicher Weise vorgegangen wäre, um sich eine Sozialleistung zu erschleichen.
Aber selbst dann, wenn man mit dem Beklagten davon ausgehen würde, die mit dem Kläger in Bedarfsgemeinschaft lebende Ehefrau sei von Rechts wegen gezwungen, den Pkw als nicht geschütztes Eigentum zu veräußern, ist das Gericht der Auffassung, dass die Verwertung des Fahrzeugs hier nicht gefordert werden dürfte, weil dies eine Härte i. S. des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII für den Kläger und seine Ehefrau darstellen würde. Nach dieser Vorschrift darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden kann, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Dies ist nach § 90 Abs. 3 Satz 2 bei der Leistung nach dem Fünften bis Neunten Kapitel, wozu die Blindenhilfe zählt, insbesondere dann der Fall, soweit eine angemessene Lebensführung wesentlich erschwert wird. Eine Härte i. S. des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII nur dann angenommen werden, wenn atypische, also ungewöhnliche Umstände vorliegen, bei denen aufgrund einer besonderen Gestaltung des Einzelfalles eine an sich typische Vermögenslage hier die soziale Stellung des Hilfesuchenden nachhaltig beeinträchtigt. Eben hiervon ist vorliegend auszugehen. Die Veräußerung des Pkws würde - unter Berücksichtigung des Lebensschicksals und der Bedürfnisse des Klägers und seiner Ehefrau (vgl. Brühl/Geiger, a.a.O., Rn. 86 m.w.N.) - zu einer ungerechtfertigten Verschlechterung ihrer bisherigen Lebensverhältnisse führen. Aufgrund der Blindheit des Kläger hat dieser spezielle Mobilitätsbedürfnisse. Da er ohne Hilfspersonen, hier im Wesentlichen seiner Ehefrau, nahezu immobil ist, darf nicht generell auf die Benutzung des ÖPNV verwiesen werden. Die grundsätzliche Möglichkeit, mittels eines Stadtbusses das Wohngebiet "L." in E. verlassen zu können, stellt keinen ausreichenden Ersatz für die zeitlich und räumlich vielfältigen Fortbewegungsmöglichkeiten mittels eines Pkws dar. Das Gericht hält es, um die behinderungs-bedingten Nachteile so weit wie möglich auszugleichen, für erforderlich, dass der Kläger die gewonnene Mobilität weiter nutzen kann. Daher ist es aus Rechtsgründen nicht notwendig, weitere Überlegungen dazu anzustellen, ob die körperlichen Einschränkungen seiner Ehefrau, die vom Gesundheitsamt als nicht erheblich eingestuft wurden, ebenfalls den Verlust des Fahrzeugs als ungerechtfertigte Verschlechterung ihrer Lebensqualität kennzeichnen würden.
Haben somit der Kläger und seine Ehefrau den Pkw Citroen C 3 nicht als Vermögen einzusetzen, ist dem Kläger ab Antragstellung (=03.01.2005) in gesetzlicher Höhe Blindenhilfe zu bewilligen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.