Sozialgericht Hildesheim
v. 07.04.2008, Az.: S 11 U 131/03
Bibliographie
- Gericht
- SG Hildesheim
- Datum
- 07.04.2008
- Aktenzeichen
- S 11 U 131/03
- Entscheidungsform
- Gerichtsbescheid
- Referenz
- WKRS 2008, 44810
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGHILDE:2008:0407.S11U131.03.0A
In dem Rechtsstreit
...
hat das Sozialgericht Hildesheim - 11, Kammer -
am 7. April 2008 durch den Vorsitzenden,
Richter am Sozialgericht E., für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Streitig ist, ob eine Schwerhörigkeit auf dem linken Ohr mit Tinnitius sowie Gleichgewichtsstörungen Folgen eines im Juli 1984 erlittenen Arbeitsunfalls sind, die von der Beklagten zu entschädigen wären.
Der 1931 geborene Kläger wurde am 23. Juli 1984 auf versichertem Weg als Fahrer eines Pkw bei der Kollision mit einem anderen Pkw erheblich verletzt. Mit der Diagnose: Schädelprellung, Thoraxprellung mit Rippenserienfraktur rechts, Prellung des rechten Ellenbogens mit Schürfwunden, partiellem Abriss am linken Ohr, Beckenprellung, befand er sich vorn Unfalltag bis zum 30. Juli 1984 in stationärer Behandlung und danach in weitere ambulante Behandlung.
Mit Bescheiden vom 14. Januar 1988/14. April 1993 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Verletztenrente als Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. ab 12. September 1984 und erkannte als Folgen des Arbeitsunfalls an: "Schädigung des Sehnerves und der Netzhaut des rechten Auges mit Herabsetzung der Sehschärfe und Gesichtsfeldausfall nach Augenverletzung rechts. Folgenlos ausgeheilte Kopfverletzung, Rippenbrüche rechts, Knochenabsprengung an der rechten Elle."
Anfang Oktober 2002 machte der Kläger geltend, dass die bei ihm stark herabgesetzte Hörleistung Folgen von erheblichen Einwirkungen gewesen seien, denn er habe ein Schädelhirn und HWS - Schleudertrauma bei dem Unfall erlitten. Mit Bescheid vom 6. November 2002 verneinte die Beklagte den Zusammenhang zwischen dem Unfall und den angegebenen Hörstörungen. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2003 als unbegründet zurück und führt u.a. aus: Bei dem Wegeunfall habe der Kläger u.a. eine Schädelprellung ohne knöcherne Verletzungen sowie einen teilweisen Abriss des linken Ohrmuschelrandes erlitten. Beide Verletzungen seien ohne verbliebene Funktionseinschränkungen ausgeheilt. Ein Zusammenhang mit den später festgestellten Beschwerden (Schwerhörigkeit sowie Tinnitus links, Gleichgewichtsstörungen) lasse sich nicht herstellen.
Der Kläger hat am 28. August 2003 Klage erhoben. Er ist der Ansicht, dass der Zusammenhang zwischen seinen Beschwerden auf hno - ärztlichem Gebiet und dem Unfall hinreichend wahrscheinlich sei. Dies ergebe sich vor allem auch aus dem von ihm eingeholten Gutachten des F. vom 18. Juli 2005. Nach weiterem ausführlichen Vorbringen beantragt der Kläger,
- 1.
den Bescheid der Beklagten vom 6. November 2002 und den Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2003 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, als weitere Folgen des Arbeitsunfalls vom 23. Juli 1984 anzuerkennen Schwerhörigkeit auf dem linken Ohr mit Tinnitus sowie Gleichgewichtsstörungen.
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Unfallfolgen Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer MdE von mindestens 10 v.H. zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung insbesondere aus den Gründen des Widerspruchsbescheides nach wie vor für zutreffend. Ergänzend verweist sie die Stellungnahmen ihrer ärztlichen Berater auf hno - ärztlichem, neurologischem und orthopädischem Fachgebiet (Anlage V).
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen hat und Gegenstand der gerichtlichen Entscheidungsfindung gewesen ist.
II.
Nach Anhörung der Beteiligten entscheidet das Gericht gem. § 105 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid vom 6. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2003 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung weiterer Unfallfolgen über den bereits bisher anerkannten Umfang hinaus.
Nach § 8 SGB VII besteht ein Anspruch auf Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung, insbesondere auf Heilbehandlung und/oder Verletztenrente, nur nach Eintritt eines Versicherungsfalles. Dessen Eintritt setzt in der gesetzlichen Unfallversicherung eine bestimmte Abfolge ursächlich miteinander verknüpfter Umstände und Ereignisse voraus. Erforderlich ist insoweit, dass es infolge der versicherten Tätigkeit zu einem Arbeitsunfall kommt, d.h., zu einem plötzlich auf den Körper einwirkenden Ereignis, das seinerseits zu einem unmittelbaren Gesundheitsschaden, dem so genannten Primärschaden, führt (haftungsbegründende Kausalität). Bleibt das Ereignis im Rechtssinne folgenlos, so liegt schon kein Unfall vor (vgl. im Einzelnen: Ricke, Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Band 2, § 8 SGB VII, Rn. 19 ff.). Sind hingegen die genannten Voraussetzungen für einen Versicherungsfall erfüllt, so sind unter den weiteren Erfordernissen der einzelnen Leistungsfälle als Folgeschäden auch solche Unfallfolgen zu entschädigen, die ihrerseits ursächlich auf die eingetretenen Primärschäden zurückzuführen sind (haftungsausfüllende Kausalität). Um einen Versicherungsfall feststellen und dem Versicherten darüber hinaus bestimmte Leistungen zusprechen zu können, muss das Gericht die anspruchsbegründenden Umstände und Ereignisse zur vollen Überzeugung, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, als zutreffend betrachten. Dies setzt eine so hohe Wahrscheinlichkeit voraus, dass kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überblickender Mensch noch Zweifel hat ( BSGE 6, 142, 144; 32, 203, 209; 45, 285, 286 ) und gilt insbesondere auch hinsichtlich des Unfallereignisses und seiner für die Beurteilung der Schadensursächlichkeit bedeutsamen Einzelheiten. Es bedarf insoweit des Vollbeweises, bei dem der Versicherte die materielle Beweislast trägt.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens müssen die Gesundheitsstörungen mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf das angeschuldigte Unfallereignis zurückführen sein. Im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität ist insoweit erforderlich, dass das Unfallgeschehen wesentliche Bedingung (zumindest Mit- oder Teilursache) für den Körperschaden ist. Die gesetzliche Unfallversicherung unterscheidet sich insofern von anderen Versicherungen unter anderem dadurch, dass sie als Unfallfolge nur solche Körperschäden anerkennen und entschädigen kann, für deren Entstehung ein Arbeitsunfall mit Wahrscheinlichkeit die rechtlich wesentliche Ursache gewesen ist. Das ist nicht schon immer dann der Fall, wenn der Unfall eine von mehreren mitwirkenden Ursachen gewesen ist, die zu einem Körperschaden geführt haben, sondern nur dann, wenn dem Unfall wegen seiner Beziehung zu diesem Schaden unter den Ursachen eine wesentliche Bedeutung zukommt ( BSGE 1, 254, 256; 12, 242, 245 ) . Ob ein solcher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Körperschaden besteht, lässt sich zwar nicht immer mit letzter Sicherheit feststellen.
Es genügt jedoch nicht, dass ein solcher Zusammenhang nur möglicherweise bestehen könnte, Erforderlich ist vielmehr, dass er hinreichend wahrscheinlich gemacht wird. Das bedeutet, dass bei Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände die dafür sprechenden so stark überwiegen müssen, dass sich vernünftigerweise Zweifel nicht mehr begründen lassen, Hierfür reicht ein bloßer zeitlicher Zusammenhang nicht aus.
Nach diesen Maßstäben ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den beim Kläger festgestellten Beeinträchtigungen auf hno - ärztlichen Fachgebiet und dem Arbeitsunfall vom 23. Juli 1984 nicht hinreichend wahrscheinlich. Soweit sich aus dem vom Kläger vorgelegten Gutachten des F. vom 18. Juli 2005 hingegen die Annahme des Zusammenhangs ergibt, vermag dies nicht zu überzeugen. Mit der Beklagten geht auch das Gericht nach eigener Überzeugungsbildung davon aus, dass F. sein Ergebnis auf der Grundlage einer nicht voll bewiesenen Schädigung durch ein HWS - Schleudertrauma und eine Hirnstammschädigung erarbeitet hat. Der Arzt bezieht sich auf das Gutachten des G. vom 4. September 1984 und des H. vom 13. August 2001. G. hat aber keineswegs eine unfallbedingte Irritation der Wurzel C 3 im Bereich der HWS als sicher angenommen, sondern nur als wahrscheinlich, wie auch die als diskret beschriebene Halsmarkkontusion nach angenommenem atypischen HWS - Schleudertrauma. Aus dem Gutachten des I. vom 1. Februar 1985 ergeben sich unfallunabhängige degenerative Veränderungen an der unteren HWS und auch aus dem nervenärztlichen Gutachten des J. vom 17. Oktober 1985 werden die vom Kläger angegebenen cervico - cephalen Beschwerden im Wesentlichen als unabhängig vom dem Unfallereignis als auf dem Boden degenerativer HWS - Veränderungen entstanden angesehen. Ferner hat auch H. in seinem Gutachten ausgeführt, dass ein über die bloße Möglichkeit hinausgehender Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und einer Verschlechterung der linksseitigen Hörminderung bzw der Entstehung der linksseitigen Vestibularisläsion nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit herzustellen sei.
Gegen das Ergebnis des Gutachtens des F. sprechen im Übrigen die Ausführungen der arztlichen Berater der Beklagten auf hno - ärztlichem Gebiet (HNO - Arzt K.), auf neurologischem Gebiet (L.) und auf orthopädisch - traumatologischem Gebiet (M.), wie sie der Anlage V zu entnehmen sind und wie sie die Beklagte im Schriftsatz vom 22. Januar 2007 zusammengefasst hat.
Dem ist nichts hinzu zu fügen, denn im Gegensatz zu F. setzen sich diese Ärzte mit den anerkannten Grundlagen der Beurteilung von Zusammenhangsfragen im Rahmen der gesetzliche Unfallversicherung auseinander.
Ferner hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass nicht aufgrund der Art und Schwere der zum Unfallzeitpunkt auf den Körper des Klägers einwirkenden Kräfte zugleich auch geschlossen werden kann, welche Verletzungen bei dem Unfallgeschehen tatsächlich eingetreten sind. Dass theoretisch eine sogenannte Beschleunigungsverletzung oder ein Schleudertrauma mit Verletzung des Hirnstamms und strukturelle Verletzung der HWS erfolgen kann, ist durchaus denkbar und möglich. Vorliegend kommt es aber darauf an, ob diese Verletzungen beim Kläger zweifelsfrei vorgelegen haben. Da es an einer strukturellen Erstschädigung des Klägers im Bereich des Kopfes, Hirnstamms, zervikalen Rückenmarks, der Kopf - Hals - Gelenke und der HWS fehlte, ist der Zusammenhang zwischen dem Unfall und den geklagten Gesundheitsstörungen auf hno - ärztlichem bzw. neurologischem Fachgebiet nicht hinreichend wahrscheinlich.
Das Gericht folgt der zutreffenden Begründung des Widerspruchsbescheides und macht sie sich zu Eigen. Gem. §§ 105 Abs. 1 Satz 3, 136 Abs. 3 SGG sieht es insoweit von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Nach dem Ergebnis des gerichtlichen Verfahrens ist eine Entscheidung zu Gunsten des Klägers nicht zu rechtfertigen. Ergänzend ist noch auf den Schriftsatz der Beklagten vom 15. Februar 2008 zum Maßstab der herrschenden medizinischen Lehrmeinung bei der Frage der Kausalität und insbesondere zur Stellung der Neurootologie - die F, vertritt - zu verweisen, deren Untersuchungsmethoden noch auf keiner allgemein anerkannten Grundlage stünde. Auch diesen Darlegungen schließt sich das Gericht an.
Vor diesem Hintergrund kann die Klage keinen Erfolg haben und ist mit der auf § 193 Abs. 1 SGG beruhenden Kostenentscheidung abzuweisen.