Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 11.12.2013, Az.: 11 A 101/13

Ausschreibung; Beurteilungsspielraum; Ermessen; Krankentransport; Nachholung; qualifizierter Krankentransport; Verträglichkeitsprüfung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
11.12.2013
Aktenzeichen
11 A 101/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64419
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zu den Anforderungen des § 114 Satz 2 VwGO im Falle der Nachbesserung der Funktionsbeeinträchtigungsprüfung und der Ermessensausübung nach § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG im gerichtlichen Verfahren.

Maßgeblicher Entscheidungzeitpunkt bei Verfahren betreffend die Genehmigung zum qualifizierten Krankentransport ist derjenige der gerichtlichen Entscheidung.

Im Hinblick auf § 136 Abs. 3 Nr. 2 NKomVG dürfen die Rettungsdienstträger im qualifizierten Krankentransport im Verhältnis zu Privatunternehmen nicht nur subsidiär tätig werden.

Hat der Rettungsdiensträger seinen Rettungsdienst erst während des Antragsverfahrens verändert , so dass der bisherige Bedarf an privaten Krankentransportleistungen entfallen ist, sind an die Prüfung der Frage, ob zur Vermeidung der Unverträglichkeit eine (erneute) Umstrukturierung des Rettungsdienstes möglich ist, höhere Anforderungen zu stellen. Der bloße Verweis auf das Mehrzweckfahrzeugsystem ist insoweit nicht ausreichend.

Hat der private Krankentransportunternehmer durch eine Umstrukturierung des öffentlichen Rettungsdienstes erhebliche wirtschaftliche Nachteile erlitten, ist dies bei der Ermessensentscheidung nach § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG in Rechnung zu stellen.

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat und die Beteiligten den Rechtstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.

Der Beklagte wird verpflichtet, den Antrag zu 1 a der Klägerin vom 5. Juni 2012 auf Genehmigung des qualifizierten Krankentransports für ein drittes Fahrzeug erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. Der Bescheid des Beklagten vom 26. November/4. Dezember 2012 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Beteiligten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der andere Beteiligte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin besaß bisher eine Genehmigung für den qualifizierten Krankentransport mit zwei Fahrzeugen. Die Abfahrt oder Ankunft musste dabei im südlichen Bereich des Gebietes der Beklagten, nämlich in den Gemeinden …, …und …, liegen.  Die Genehmigung wurde der Klägerin in Verlängerung eines am 9. Mai 2003 zwischen den Beteiligten geschlossenen Vergleichs im Verfahren vor dem erkennenden Gericht 2 A 1566/01 erteilt.

Im Gebiet des Beklagten ist für die Rettungswachen …, …, …, … und … die Rettungsdienst …, von denen der Beklagte 2/3 der Anteile hält, als Beauftragte tätig. Die Rettungswache … wurde bis zum Jahr 2012 während der Ferienzeit (1. April bis 30. September) von der … im Auftrag des Beklagten betrieben.

Mit Schreiben vom 31. Mai 2012, bei dem Beklagten eingegangen am 5. Juni 2012, beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Genehmigung nach § 19 NRettDG für einen weiteren Krankentransportwagen mit Standort in … im gesamten Bereich des Beklagten (Antrag zu 1 a). Hilfsweise beantragte die Klägerin die räumlichen Beschränkungen der bisherigen Genehmigung für die zwei schon betriebenen Fahrzeuge aufzuheben (Antrag 1 b). Schließlich äußerte die Klägerin ihr Interesse an einer Vergabe der Beauftragung für den Bereich einer Rettungswache im nördlichen Gebiet des Beklagten. Die Klägerin wies darauf hin, dass der Beklagte im nördlichen Teil des Gebietes einen neuen Standort für die Notfallrettung und den Krankentransport zu etablieren beabsichtige. Im Jahre 2010 seien von 423 Krankentransporten, die an sie vergeben worden seien, 370 aus dem Norden gewesen, im Jahre 2011 von 558 Krankentransporten 506 aus dem Norden und im ersten Quartal 2012 von 152 Fahrten 130 aus dem Norden. Es seien zwischen 38 und 48 % der Einsätze über die Leitstelle aus dem Nordkreis vermittelt worden.

Am 11. Juli 2012 beschloss der Rat des Beklagten einen neuen Rettungsdienstbedarfsplan. Dieser sah vor, ab 1. Oktober 2012 statt der nur saisonal besetzten Rettungswache in … in der Gemeinde …, Ortsteil …, eine ganzjährig besetzte Rettungswache einzurichten. Erstere habe aufgrund der hohen Zahl an Feriengästen in diesem Gebiet nicht mehr ausgereicht. Beauftragt hiermit wurde die „Kommunaler Rettungsdienst …“, deren Anteile zu 100 % dem Beklagten gehören. Der Kreistag hat der Errichtung dieser Gesellschaft ebenfalls am 11. Juli 2012 zugestimmt. Am 19. Oktober 2012 ist die Rettungswache … in Betrieb gegangen.

Mit Bescheid vom 24. August 2012 verlängerte der Beklagte die Entscheidungsfrist betreffend die Anträge der Klägerin bis zum 5. Dezember 2012.

Nach Anhörung der Kostenträger erteilte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 26. November/4. Dezember 2012 die Genehmigung zum qualifizierten Krankentransport für zwei Fahrzeuge und erweiterte den räumlichen Geltungsbereich auf das gesamte Festlandsgebiet des Beklagten. Nach der Nebenbestimmung Nr. 4 sollte dabei ein Fahrzeug in … und ein Wagen in …. im Nordkreis stationiert werden. Wegen der Ablehnung der Genehmigung für den weiteren dritten Krankentransportwagen wurde ausgeführt, dass dieser nicht genehmigungsfähig sei, „weil sowohl die entsprechenden Bedarfszahlen für den qualifizierten Krankentransport erwarten ließen, dass ein weiterer Krankentransportwagen das öffentliche Interesse an einem auch in wirtschaftlicher Hinsicht tragfähigen Rettungsdienst ernstlich und schwerwiegend beeinträchtigen würden (§ 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG) und zum anderen auch der im Jahre 2003 vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg unter dem Az.: 2 A 1566/01 geschlossene Vergleich zwischen Ihrer Mandantschaft und dem Landkreis Friesland der Erteilung der weiteren Genehmigung entgegensteht“, weil insoweit keine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 60 Abs. 1 VwVfG festzustellen sei. Der Bescheid wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 4. bis 6. Dezember 2012 mehrfach per Fax, per E-Mail und mit der Post übermittelt.

Am 6. Dezember 2012 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten u.a. die Ausstellung einer Genehmigungsurkunde für den dritten Krankentransportwagen mit Standort in ….

Am 4. Januar 2013 hat die Klägerin Klage erhoben. Mit ihrem gleichzeitig anhängig gemachten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (11 B 102/13) begehrte sie eine einstweilige Anordnung auf Verpflichtung des Beklagten, ihr die Genehmigungsurkunde für ein drittes Fahrzeug auszuhändigen. Dies ist mit Beschluss der Kammer vom 17. Januar 2013 abgelehnt worden. Den diesbezüglichen Klageantrag hat die Klägerin am 20. November 2013 zurückgenommen.

Mit Schreiben vom 5. August 2013 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten, ihr eine Genehmigungsurkunde entsprechend der von dem Beklagten mit Bescheid vom 26. November /4. Dezember 2012 erteilten Genehmigung zu erteilen. Mit Schreiben vom 20. August 2013 und Bescheid vom 25. Oktober 2013 lehnte der Beklagte dies ab. Die Klägerin hat daraufhin ihre Klage am 20. November 2013 erweitert und sich sinngemäß auch gegen die Nebenbestimmung Nr. 4 der erteilten Genehmigung gewandt. Der Beklagte hat die Genehmigung vom 26. November /4. Dezember 2012 am 4. Dezember 2013 geändert und als Standort für beide Fahrzeuge … bestimmt. In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte zudem u.a. zugesagt, der Klägerin entsprechende Genehmigungsurkunden auszustellen. Die Beteiligten haben deshalb den Rechtsstreit hinsichtlich der mit Schriftsatz vom 20. November 2013 gestellten Anträge übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Der Beklagte hat während des gerichtlichen Verfahrens eine Expertise der Fa. … über eine Verträglichkeit des dritten Krankentransportwagens in Auftrag gegeben, welche am 2. Mai 2013 fertiggestellt worden ist.

Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Klage im Wesentlichen vor: Es sei unerheblich, dass der Beklagte den Bedarf im Nordkreis inzwischen gedeckt habe. Maßgeblich sei nach § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG allein, ob das Hinzukommen eines dritten Fahrzeugs unverträglich sei. Nach Äußerungen, die sich aus den Verwaltungsvorgängen ergäben, sei nachzuvollziehen, dass selbst der Beklagte für eine Antragsablehnung keinen rechtmäßigen Weg gesehen habe. Maßgeblich sei zudem, ob ihre Tätigkeit im qualifizierten Krankentransport vor Errichtung der Rettungswache … unverträglich gewesen sei. Denn der Beklagte habe durch die Einrichtung dieser Rettungswache und die Beauftragung der Eigengesellschaft „Kommunaler Rettungsdienst …“ zielgerichtet versucht, sie vom Markt zu verdrängen. Die bis zum 1. Oktober 2012 vorgehaltenen Rettungsmittel hätten den Bedarf an qualifizierten Krankentransporten offenbar nicht decken können, weil sie, die Klägerin, von der Leitstelle häufig mit solchen Leistungen beauftragt worden sei. Die Bedarfsdeckung durch den Beklagten sei auch durch rechtsfehlerhafte Maßnahmen zustande gekommen. § 136 KomVG sehe vor, dass sich die Kommunen bei der wirtschaftlichen Betätigung zurückhalten müssten. Dieses Gebot habe nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung drittschützende Wirkung. Der Rettungsdienstträger sei im Hinblick auf § 19 NRettDG lediglich nachrangig zur Durchführung des Rettungsdienstes verpflichtet. Die Ausnahme für Tätigkeiten im Gesundheitswesen sei nur auf Bereiche bezogen, die klassisch von der öffentlichen Hand übernommen würden. Dazu gehöre der Krankentransport aber nicht. Es sei auch darauf hinzuweisen, dass das Mehrzweckfahrzeugsystem des Beklagten dazu führe, dass wegen der Durchführung der Krankentransporte eine ordnungsmäße Notfallrettung erschwert werde. Sie wolle lediglich Chancengleichheit mit dem Beklagten erreichen. Das Nebeneinander von öffentlichem Rettungsdienst und privatem Krankentransport belege, dass es auch keine gesetzliche Verpflichtung des Beklagten zum Krankentransport gebe. Es sei ferner zu berücksichtigen, dass der Beklagte erst nach Stellung ihres Antrages den Rettungsdienstbedarfsplan geändert habe. Den Kreistagsmitgliedern sei bei dessen Verabschiedung und der Zustimmung zur Gründung der Eigengesellschaft verschwiegen worden, dass ihr Begehren bereits vorgelegen habe. Damit sei die „Kommunaler Rettungsdienst …“ rechtswidrig errichtet worden. Bei der Ermittlung der Einsätze in Ziffer 1.5 des Bedarfsplanes sei auch nur berücksichtigt worden, welche Fahrzeuge wie häufig eingesetzt würden. Es sei keine Aussage darüber gemacht worden, ob es sich um Notfallrettung oder Krankentransport handele. Nach statistischen Erhebungen seien ungefähr 65 % der Beförderungen Krankentransporte. Die unzureichende Einhaltung der Hilfsfristen im Nordkreis sei daher nicht belegt worden. Die Gründung der Gesellschaft verstoße auch gegen §§ 97 ff. GWB. Sie sei allein gegründet worden, um eine Ausschreibung der Beauftragung zu umgehen. Dies sei auch mit § 5 Abs. 2 NRettDG nicht vereinbar, weil nunmehr im Gebiet des Beklagten keine einheitliche Vergabe mehr bestehe. In einem Gebiet sei die nicht allein dem Landkreis gehörende Gesellschaft, die „Rettungsdienst …“ und im Nordkreis nunmehr die Eigengesellschaft „Kommunaler Rettungsdienst …“ beauftragt. Sie, die Klägerin, habe durch die Umstrukturierungen im Nordkreis bereits 40 % ihres Umsatzes verloren. Dieser sei durch die Aufträge erlöst worden, die ihr bisher von der Rettungsleitstelle übertragen worden seien. Ihr Unternehmen sei nunmehr in seiner Existenz gefährdet. Im vierten Quartal 2012 habe sie lediglich noch 39 Aufträge erhalten, während es im Vorjahreszeitraum 195 gewesen seien. Das nunmehr eingereichte Gutachten von der Firma … vom 2. Mai 2013 sei nicht nachvollziehbar. Ihre Einsatzstatistik belege, dass sie mit ihren zwei Fahrzeugen zwischen Oktober 2012 und Mai 2013 unter Berücksichtigung der Sonntage je Tag durchschnittlich zwischen 3,39 und 5,84 Einsätze gefahren habe. Der Gutachter habe aber doppelt so viele Fahrten zu Grunde gelegt. Selbst bei Herausnahme der Sonntage verbliebe es bei weniger als drei Einsätzen pro Tag und Fahrzeug. Würde noch ein drittes Fahrzeug hinzukommen, gingen der Beklagten mithin lediglich 565 Einsätze pro Jahr verloren. Dies sei bei 13 000 Einsätzen pro Jahr geringfügig. Der Gutachter gehe davon aus, dass in den Jahren 2009 bis 2012 etwa doppelt so viele Notfalleinsätze wie Krankentransporte angefallen seien. Dagegen hätten Erhebungen in Rheinland-Pfalz ein Verhältnis von einem Notfalleinsatz zu drei Krankentransporten ergeben. Nach einer Veröffentlichung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sei das bundesweite Verhältnis immerhin noch etwa 1: 1,5. Nach einer weiteren statistischen Erhebung betrage das Verhältnis 1: 1,89. Es sei auch nicht plausibel, dass entgegen dem Bundestrend die Zahl der Krankentransporte im Bereich des Beklagten sinke. Es sei anzunehmen, dass Einsätze mit Mehrzweckfahrzeugen unzutreffend als Notfallrettungsmaßnahmen deklariert worden seien. Das Gutachten mache keine Angaben zu den Eintreffzeiten, zur Entwicklung der Gesamtkosten und zur Einsatzdauer. Es sei auch zu berücksichtigen, dass eine Begründung nicht im Bescheid selbst, sondern erst nachträglich gegeben worden sei. Eine Heilung durch ein erst nach Klageerhebung in Auftrag gegebenes Gutachten sei nicht möglich.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, ihr eine Genehmigung zum qualifizierten Krankentransport für ein weiteres Fahrzeug gemäß Antrag 1 a vom 5. Juni 2012 zu erteilen und den Bescheid des Beklagten vom 26. November/4. Dezember 2012 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht,

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er erwidert im Wesentlichen: Die Regelung in § 136 KomVG sei hier nicht verletzt, weil die Vorschrift nicht für wirtschaftliche Tätigkeiten gelte, zu denen die Kommune gesetzlich verpflichtet sei. Die Regelung solle lediglich verhindern, dass Behörden außerhalb ihrer öffentlichen Aufgaben am Wirtschaftsleben teilnehmen. Bezugnehmend auf das Gutachten von … vom 2. Mai 2013 würden die Erwägungen des Bescheides vom 26. November/4. Dezember 2012 ergänzt. Dies sei in entsprechender Anwendung des § 114 Satz 2 VwGO zulässig. Eine Begründung könne nämlich gemäß § 45 Abs. 2 VwVfG auch noch im gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden. Außerdem lasse bereits der streitgegenständliche Bescheid im Ansatz Erwägungen, den nach § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG bestehenden Beurteilungsspielraum auszufüllen, erkennen. Aus dem Gutachten ergebe sich, dass die Auslastung des öffentlichen Rettungsdienstes bei einem dritten Fahrzeug im Südkreis lediglich noch 20,5 % und im Nordkreis 22,1 % betrage und damit grenzwertig gering sei. Dies habe erhebliche Auswirkungen auf die Motivation des Personals. Das Einsatzaufkommen würde bei einem dritten Fahrzeug der Klägerin um 57 % reduziert. Dies bedeute einen Verlust von 569.000,-- Euro an Einnahmen. Damit seien Kostensteigerungen im zweistelligen Bereich zu erwarten. Diese sei regelmäßig ein Indiz dafür, dass die Verträglichkeitsgrenze überschritten sei. Bereits durch die erteilte Genehmigung sei eine Kostensteigerung von 9,72 % zu erwarten. Bei einem dritten Fahrzeug sei mit einer Erhöhung um 14,94 % zu rechnen. Eine Umstrukturierung des Rettungsdienstes sei nicht möglich, weil in seinem Gebiet das Mehrzweckfahrzeugsystem gelte, welches erheblich zur Wirtschaftlichkeit des Rettungsdienstes beitrage. Die Verträglichkeitsgrenze sei daher mit der Zulassung von zwei Krankentransportwagen für den gesamten Landkreis erreicht. Außerdem würden die Ermessenserwägungen ergänzt. Die finanzierbare Sicherstellung des Rettungsdienstes wäre mit der beantragten Genehmigung nicht mehr gewährleistet. Der Schutz der Gesundheit der Kreisbewohner aus Art. 2 Abs. 2 GG überwiege die nach Art. 12 GG geschützten Belange der Klägerin. Der Rettungsdienst wäre bei Zulassung eines dritten Fahrzeuges nicht ausreichend ausgelastet, so dass die Motivation der Mitarbeiter verloren gehen könne. Dies habe negative Auswirkungen auf die Qualität der Ein-sätze. Die Zahl der Einsatzfahrzeuge könne nicht reduziert werden, weil sonst die Notfallrettung nicht mehr innerhalb der vorgesehenen Eintreffzeiten möglich sei.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Das Verfahren war gem. bzw. entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat bzw. die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.

Die verbliebene Klage ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet. Der Beklagte ist verpflichtet, über den Antrag der Klägerin zu 1 a vom 5. Juni 2012 auf Genehmigung eines dritten Fahrzeuges für den qualifizierten Krankentransport im gesamten Gebiet des Beklagten erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Genehmigung hat die Klägerin jedoch nicht.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG kann die Genehmigung zum qualifizierten Krankentransport versagt werden, wenn zu erwarten ist, dass sie zu einer Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem funktionsfähigen, bedarfsgerechten, flächendeckenden und wirtschaftlichen Rettungsdienst führt. Zu berücksichtigen sind hierbei insbesondere die Auslastung und die Abstimmung des Einsatzes der Rettungsmittel, die Dauer der Einsätze, die Eintreffzeiten und die Entwicklung der Gesamtkosten im Rettungsdienstbereich.

Nach ständiger Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts (vgl. Beschluss vom 17. September 2013 – 13 LA 259/12 – juris; Beschluss vom 17. Januar 2012 – 13 LA 65/11 – juris; Beschluss vom 17. Februar 2003 - 11 LA 323/02 - Nds. VBl. 2003, 242; Urteil vom 24. Juni 1999, a.a.O.; Beschluss vom 17. Juni 1994 - 7 M 3231/94 - Nds. VBl. 2005, 41) erlaubt § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG keine Bedarfs-, sondern nur eine Beeinträchtigungsprüfung. Nicht schon der Umstand, dass der öffentliche Rettungsdienst bedarfsgerecht ausgestaltet ist und daher kein Bedürfnis für weitere Krankentransportkapazitäten besteht, rechtfertigt die Versagung der Genehmigung, sondern erst die begründete Erwartung, dass die Genehmigung zu einer Beeinträchtigung des öffentlichen Rettungsdienstes führt. Denn der niedersächsische Gesetzgeber hat sich in §§ 19 ff. NRettDG dafür entschieden, privaten Unternehmen grundsätzlich den Zugang zum qualifizierten Krankentransport zu eröffnen.  Allein der Verlust an Einnahmen des öffentlichen Rettungsdienstes oder die Minderauslastung vorhandener Kapazitäten führt daher noch nicht in jedem Fall dazu, eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes annehmen zu können. Gerade weil es sich hier um eine objektive Berufszulassungssperre handelt, sind die Genehmigungsvoraussetzungen nur dann nicht erfüllt, wenn der öffentliche Rettungsdienst nicht mehr gesichert ist. Erst wenn diese Verträglichkeitsgrenze überschritten wird und mit einer ernstlichen und schwerwiegenden Beeinträchtigung des öffentlichen Rettungsdienstes an einem auch in wirtschaftlicher Hinsicht tragfähigen Rettungsdienst zu rechnen ist, kann die Genehmigung verweigert werden. Mithin hat die zuständige Behörde zunächst zu prüfen, ob im Bereich des Krankentransports eine Lücke besteht, die der private Unternehmer schließen will. Ist dies nicht der Fall, ist in einem zweiten Schritt zu untersuchen, ob zusätzliche Krankentransportfahrzeuge insbesondere aus wirtschaftlichen Gründen für den öffentlichen Rettungsdienst unverträglich sind. Ist auch hiervon auszugehen, muss eine Umstrukturierung des Rettungsdienstes auch unter Einschluss der nach § 5 NRettDG Beauftragten in Erwägung gezogen werden. Wird danach eine Beeinträchtigung des Rettungsdienstes festgestellt, steht die Entscheidung, ob die Genehmigung dennoch erteilt oder versagt wird, im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde ("kann").

Ob die Erteilung einer Genehmigung für ein privates Krankentransportunternehmen den öffentlichen Rettungsdienst beeinträchtigen würde, bedarf einer komplexen behördlichen Prognose, die der zuständigen Behörde einen vom Gericht nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum eröffnet (st. Rspr. vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 24. Juni 1999 - 11 L 719/98 - <juris Rn. 29>; Beschluss vom 19. Juni 2000 - 11 M 1026/00 - Nds. VBl. 2000, 274). Es ist danach lediglich zu überprüfen, ob der Beklagte diesen Spielraum erkannt hat und in seiner Entscheidung alle maßgeblichen Gesichtspunkte zutreffend und mit dem ihnen jeweils zukommenden Gewicht berücksichtigt hat; entsprechendes gilt für die gerichtliche Untersuchung der Ermessensentscheidung.

Der Beklagte hat den ihm danach zustehenden Beurteilungsspielraum bei Erteilung des Bescheides vom 26. November/4. Dezember 2012 nicht wahrgenommen (vgl. auch bereits das obiter dictum im Beschluss der Kammer vom 17. Januar 2013 – 11 B 102/13 -).

Der Beklagte hat den Bescheid im Hinblick auf den bevorstehenden Ablauf der Entscheidungsfrist nach  §§ 21 Abs. 1 NRettDG, 15 Abs. 1 PBefG am 5. Dezember 2012 (vgl. dazu den Beschluss im Eilverfahren vom 17. Januar 2013 a.a.O.) unter äußersten Zeitdruck erstellt. So ist etwa die Anhörung der Klägerin und der Kostenträger erst Ende November 2012 durchgeführt worden. Er hat den Bescheid – wie den Verwaltungsvorgängen zu entnehmen ist - dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin in den Abendstunden des 4. und 5. Dezember 2012 mehrfach übermittelt. Außerdem ist ein faktischer Druck des Geschäftsführers der „Rettungsdienst …“ und „Kommunaler Rettungsdienst Friesland … festzustellen, welcher offenbar in die Entscheidungsfindung eingebunden war, und mit E-Mail vom 4. Dezember 2012, 10:05 Uhr u.a. ausgeführt hat, es sei „Ganz wichtig […], dass wir das dritte Fahrzeug nicht zulassen“. Die Sachbearbeiterin des Beklagten hat dagegen in einer E-Mail vom 5. Dezember 2012, 12:02 Uhr die Auffassung vertreten, dass im Hinblick auf die Funktionsbeeinträchtigungsprüfung nach § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG kein belastbares Zahlenmaterial vorliege (vgl. auch die E-Mail vom 20. November 2012, 20:30 Uhr). Zur Begründung findet sich dann in dem Bescheid vom 26. November/4. Dezember 2012 auch lediglich ein Halbsatz, in welchem im Wesentlichen der Wortlaut des § 22 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz NRettDG wiedergegeben worden ist. Hieraus ergibt sich mithin, dass der Beklagte keine solide Verträglichkeitsprüfung durchgeführt hat. Demensprechend ist die sachverständige Firma … erst während des gerichtlichen Verfahrens mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden.

Die Verträglichkeitsprüfung war auch nicht entbehrlich, weil die Beteiligten am 9. Mai 2003 im Verfahren 2 A 1566/01 einen gerichtlichen Vergleich geschlossen haben (vgl. auch insoweit das obiter dictum im Beschluss der Kammer vom 17. Januar 2013 a.a.O.). Danach sollte der Klägerin befristet bis zum 1. September 2006 eine Genehmigung für zwei Fahrzeuge, die nur im Südkreis tätig sind, erteilt werden. Mithin entfaltete der Vergleich in zeitlicher Hinsicht allenfalls bis zu diesem Datum rechtliche Bindungskraft. Wenngleich sich die Beteiligten auch nach Ablauf der Frist weiter an diesem Vergleich orientiert haben, beruhte dies aber auf einer neuen Willensentschließung und nicht mehr unmittelbar auf der früheren Vereinbarung. Der Beklagte geht auch offenbar selbst von einer fehlenden Bindungswirkung des Vergleichs aus, weil er in dem Bescheid vom 26. November/ 4. Dezember 2012 über diesen hinausgehend auf den Hilfsantrag der Klägerin die Nutzung von zwei Fahrzeugen im gesamten Gebiet des Landkreises genehmigt hat.

Der Beklagte konnte die Erwägungen in seinem Bescheid nicht in entsprechender Anwendung (vgl. dazu Kopp/Schenke, VwGO, Rn. 3 zu § 114) des § 114 Satz 2 VwGO während des gerichtlichen Verfahrens zulässigerweise ergänzen (vgl. insoweit den Schriftsatz vom 4. Juni 2013), so dass er seinen Beurteilungsspielraum auch nicht nachträglich durch die Bezugnahme auf die wesentlichen Ergebnisse des Gutachtens von forplan vom 2. Mai 2013 ausfüllen durfte.

§ 114 Satz 2 VwGO ermöglicht nämlich entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift lediglich die Ergänzung von Erwägungen, nicht ihre vollständige Nachholung. Auch darf die Behörde die Gründe nicht komplett oder ihrem Wesensgehalt nach auswechseln (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2011 - 1 C 14.10 – BVerwGE 141, 253, Rn. 9; Beschluss vom 30. April 2010 - 9 B 42.10 - juris, Rn. 4; Urteil vom 5. September 2006 - 1 C 20.05 – NVwZ 2007, 470 [BVerwG 05.09.2006 - BVerwG 1 C-(3) 20/05], Rn. 22; Urteil vom 23. Oktober 2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367, Rn. 30; Beschluss vom 14. Januar 1999 - 6 B 133/98 - juris, Rn. 10; Urteil vom 5. Mai 1998 - 1 C 17.97- NVwZ 1999, 425, 428). Hinsichtlich der ergänzenden Erwägungen muss die Behörde klar und deutlich zu erkennen geben, mit welcher neuen Begründung der Bescheid letztlich aufrecht erhalten bleibt. Die Erwägungen müssen erkennbar von den Ausführungen, mit welchen der Beklagte die Entscheidung als Prozesspartei verteidigt, getrennt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2011, a.a.O., Rn. 18).

Aus den Regelungen in § 45 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, wonach die Nachholung der in § 39 VwVfG vorgesehenen Begründung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz möglich ist, ergibt sich keine andere Beurteilung. Die Bestimmungen in § 45 VwVfG und § 114 Satz 2 VwGO stehen nebeneinander und müssen deshalb kumulativ erfüllt sein. § 114 Satz 2 VwGO bezieht sich auf die prozessrechtliche Zulässigkeit des Nachschiebens von Begründungserwägungen. Daneben ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob dies mit dem einschlägigen materiellen Recht und dem Verwaltungsverfahrensrecht (hier also § 45 VwVfG) vereinbar ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Mai 1998, a.a.O.; Beschluss vom 30. April 2010 a.a.O.; vgl. auch Beschluss vom 6. September 2012 - 4 B 28.12 - juris, Rn. 3 f.).

Die Regelung in § 114 Satz 2 VwGO kann danach hier nicht zur Anwendung kommen. Der Beklagte hat – wie oben ausgeführt - seinen Beurteilungsspielraum bei Erteilung des Bescheides vom 26. November/4. Dezember 2012 zunächst praktisch gar nicht wahrgenommen. Erst nach Klageerhebung hat er unter Bezugnahme auf das verfahrensbegleitend eingeholte Sachverständigengutachtens letztlich erstmals einen substanziellen Vortrag zur Frage der Funktionsbeeinträchtigung des Rettungsdienstes durch Zulassung eines dritten Fahrzeugs der Klägerin erbracht.

Darüber hinaus ist das Ermessen, welches § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG – wie ausgeführt – dem Beklagten auch im Falle einer Funktionsbeeinträchtigung des Rettungsdienstes noch zustand, im ursprünglichen Bescheid nicht einmal angesprochen worden. Die erstmaligen Erwägungen im Schriftsatz vom 12. September 2013 genügen daher nach den obigen Ausführungen nicht den Anforderungen nach § 114 Satz 2 VwGO.

Der nach § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG bestehende Beurteilungsspielraum und das Ermessen sind nicht zu Gunsten eines der Beteiligten reduziert.

Die Entscheidung muss nicht zwingend zu Gunsten der Klägerin ausfallen. Der Beklagte hat nunmehr ein Sachverständigengutachten vorgelegt, wonach ein dritter Krankentransportwagen unverträglich sein soll. Auch wenn diese Beurteilung – wie im Folgenden noch näher ausgeführt ist - nicht fehlerfrei ist, erscheint es der Kammer nicht völlig ausgeschlossen, dass ein Gutachten auch bei richtiger Betrachtung zu demselben Ergebnis kommt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das Ermessen des Beklagten bei Unverträglichkeit eines dritten Fahrzeugs nur zu Gunsten der Klägerin ausgeübt werden könnte.

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht der Zeitpunkt der Antragstellung bei der Behörde oder des Erlasses des Bescheides. Da das Gericht eine Behörde nicht zu einer rechtswidrigen Handlung verurteilen kann, ist – wie regelmäßig bei Verpflichtungsklagen - der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgeblich (vgl. Ufer/Schwind, NRettDG, Anm. 4 zu § 22). Dass hier das letztlich maßgebliche materielle Recht (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 – 1 C 45.06BVerwGE 130, 20, Rn. 13) zwingend eine andere Beurteilung erfordert, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Mithin ist die Verträglichkeit im Ansatz an der aktuellen Ausgestaltung des Rettungsdienstes des Beklagten zu messen, d.h. es ist zu berücksichtigen, dass im Nordkreis die „Kommunaler Rettungsdienst …“ von der Rettungswache … aus mit Mehrzweckfahrzeugen den Bedarf im Nordkreis sowohl in Bezug auf die Notfallrettung als auch im Hinblick auf den qualifizierten Krankentransport offenbar deckt. Die bis zur Installierung der Rettungswache … im Oktober 2012 bestehende Lage als die Klägerin noch in erheblichem Umfang von der Rettungsleitstelle mit Krankentransportaufträgen versorgt worden ist, ist dagegen für die rechtliche Beurteilung nicht unmittelbar maßgeblich.

Dass die Klägerin durch die geringere Vergabe von Aufträgen über die Rettungsleitstelle erhebliche Einkommenseinbußen erlitten hat, zwingt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Die Klägerin steht nach den §§ 19 ff. NRettDG außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes und hat deshalb keinen Rechtsanspruch auf Erhalt von Aufträgen durch die Rettungsleitstelle (vgl. dazu auch Urteil der Kammer vom 7. Dezember 2011 – 11 A 625/11 – juris). Dementsprechend kann sie nicht ohne weiteres die Fortführung der bisherigen Praxis verlangen, zumal die Klägerin offenbar nicht nur in Einzelfällen Aufträge erhalten hat, die mit der räumlichen Beschränkung der Genehmigung auf den Südkreis nicht im Einklang standen. Nichtsdestotrotz ist die frühere Situation allerdings hier – wie im Folgenden noch näher ausgeführt werden wird - im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung und insbesondere auch bei der Ermessenausübung von dem Beklagten angemessen zu berücksichtigen.

Der Beklagte war – entgegen der Auffassung der Klägerin - auch rechtlich nicht gehindert nach der Antragstellung am 5. Juni 2012 seinen Rettungsdienstbedarfsplan zu ändern und in … eine neue ganzjährig betriebene Rettungswache einzurichten sowie eine neu gegründete kreiseigene Gesellschaft mit der Durchführung des Rettungsdienstes in seinem nördlichen Gebiet zu beauftragen.

Die Gründung der „Kommunaler Rettungsdienst …“ verstieß nicht gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 NKomVG, wonach Kommunen ein Unternehmen nur errichten dürfen, wenn - von bestimmten Versorgungsleistungen abgesehen - der öffentliche Zweck nicht ebenso gut und wirtschaftlich durch private Dritte erfüllt wird oder werden kann. Insoweit hat die Vorschrift auch drittschützende Wirkung (§ 136 Abs. 1 Satz 3 NKomVG). Nach § 136 Abs. 3 Nr. 2 NKomVG sind Unternehmen in diesem Sinne aber nicht Einrichtungen des Unterrichts-, Erziehungs- und Bildungswesens, des Sports und der Erholung, des Gesundheits – und Sozialwesens, des Umweltschutzes sowie solche ähnlicher Art. Als Einrichtung des Gesundheitswesens ist ersichtlich der öffentliche Rettungsdienst anzusehen. Dieser soll in Notfällen oder bei schweren Erkrankungen einen zügigen Transport der Patienten in ein Krankenhaus oder zu einem behandelnden Arzt gewährleisten. Die Rechtsauffassung der Klägerin, dass als Einrichtungen des Gesundheitswesens nur solche anzusehen seien, die nach überkommender Praxis von der öffentlichen Hand betrieben werden, findet im Wortlaut der Vorschrift keine Stütze. Darin sind zudem insgesamt sehr weitreichende Ausnahmen für eine Vielzahl von Aufgabenbereichen vorgesehen, die durch die Erwähnung von Einrichtungen „ähnlicher Art“ auch noch generalklauselartig erweitert sind. Darunter fällt nach der Rechtsprechung etwa auch der Betrieb einer kommunalen Sauna (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 14. August 2008 – 10 ME 280/08 – NVwZ 2009, 258). Hier ist auch darauf hinzuweisen, dass der niedersächsische Landesgesetzgeber den Landkreisen in § 3 Abs. 2 NRettDG den Rettungsdienst als Aufgabe des eigenen Wirkungskreises übertragen hat. Eine Auslegung des § 136 NKomVG, die die Tätigkeit der kommunalen Träger in diesem Bereich nur subsidiär zulassen würde, wäre mit dieser Spezialregelung nicht vereinbar. Auch die §§ 19 ff. NRettDG ergeben keinen Vorrang der gewerblichen Unternehmer, sondern in Bezug auf qualifizierte Krankentransporte ein Nebeneinander des privaten und des öffentlichen Rettungsdienstes. Ob der Rettungsdienst darüber hinaus auch eine Einrichtung ist, zu der die Kommune im Hinblick auf §§ 3 f. NRettDG gesetzlich verpflichtet ist (vgl. § 136 Abs. 3 Nr. 1 NKomVG), bedarf danach hier keiner gerichtlichen Beurteilung.

Auch verstößt die Beauftragung der „Kommunaler Rettungsdienst …“ für den Bereich des Nordkreises nicht gegen § 5 NRettDG. Nach Abs. 1 der Vorschrift ist ausdrücklich auch eine räumlich auf einen Teil des Landkreises beschränkte Beauftragung möglich („ganz oder teilweise“; vgl. auch Ufer/Schwind, a.a.O. Anm. 1 zu § 5). Auch § 5 Abs. 2 NRettDG, welcher innerhalb des Rettungsdienstbereichs eine einheitliche Vergabe vorsieht, steht der Beauftragung für ein Teilgebiet nicht entgegen. Der Absatz ist durch das Änderungsgesetz vom 22. Februar 2012 (Nds. GVBl. S. 18) eingefügt worden. Die Vorschrift regelt lediglich, dass die Beauftragungen entweder als Dienstleistungsauftrag oder als Dienstleistungskonzession ausgeschrieben werden sollen. Innerhalb eines Landkreises ist auch bei mehreren Beauftragungen insoweit lediglich eine dieser Formen zulässig (vgl. LT-Drs. 16/3826. S. 8). Die Regelung verbietet mithin unterschiedliche Beauftragungen für Teilbereiche des Gebiets des Rettungsdienstträgers nicht. Eine andere Beurteilung würde auch im Hinblick auf den bereits angeführten Wortlaut des § 5 Abs. 1 NRettDG keinen Sinn machen.

Die Beauftragung der „Kommunaler Rettungsdienst …“ verstößt auch nicht gegen die §§ 97 ff. GWB, musste also nicht ausgeschrieben werden.  Es liegt hier nämlich eine sogenannte Inhouse-Vergabe vor, weil die Gesellschaft zu 100 % dem Beklagten gehört. Mithin ist insoweit kein öffentlicher Auftrag im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB erteilt worden (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2008 - 1 ZR 145/05 - juris, Rn. 22 ff.).

Soweit die Klägerin vorträgt, dass die Verwaltung des Beklagten die Zustimmung des Kreistages zu dem Rettungsdienstbedarfsplan und der Einrichtung der „Kommunaler Rettungsdienst …“ am 11. Juli 2012 durch Vorspiegelung falscher Tatsachen erschlichen insbesondere nicht angegeben habe, dass sie, die Klägerin, bereits einen Antrag auf Genehmigung nach § 19 NRettDG gestellt habe, vermag die Kammer eine Rechtsverletzung der Klägerin (§ 42 Abs. 2 VwGO) nicht zu erkennen. Der Rettungsdienstbedarfsplan ist nicht – wie es möglich wäre – als Satzung beschlossen worden und entfaltet daher keine unmittelbare Rechtswirkung (vgl. Ufer/Schwind, a.a.O., Anm. 8 zu § 4). In Bezug auf die Eigengesellschaft des Beklagten hat erst deren Errichtung selbst Außenwirkung.

Der dem Beklagten nach § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG eingeräumte Beurteilungsspielraum und das ihm zustehende Ermessen sind auch nicht zwingend zu seinen Gunsten auszuüben.

Dagegen spricht schon, dass der Beklagte – wie ausgeführt - seine Erwägungen erst nachträglich im gerichtlichen Verfahren nach Einholung eines Sachverständigengutachtens dargelegt hat. Die mit dem Hauptantrag vom 5. Juni 2012 erstrebte Nutzung lediglich eines Fahrzeuges im gesamten Landkreis bei zwei Krankentransportwagen, die weiterhin nur im Südkreis fahren, erscheint bei überschlägiger Betrachtung für den öffentlichen Rettungsdienst zudem nicht wesentlich belastender als die genehmigte Nutzung von zwei Fahrzeugen im gesamten Gebiet des Beklagten. Außerdem übt die Klägerin bereits seit längerem im Gebiet des Beklagten qualifizierten Krankentransport aus und musste, wie sie nachvollziehbar vorgetragen hat, durch die Neustrukturierung des Rettungsdienstes im Nordkreis bereits erhebliche finanzielle Verluste erleiden.

Hinzu kommt, dass das Gutachten von … vom 2. Mai 2013 nicht in jeder Hinsicht fehlerfrei erscheint.

In der Expertise ist zwar – wie auch die Klägerin nicht in Zweifel zieht - im Ansatz eine geeignete Verträglichkeitsprüfung durchgeführt worden. Darin ist zunächst aus dem Einsatzaufkommen in den Jahren 2009 bis 2012 die Zahl der für das Jahr 2015 prognostizierten Krankentransporte und Notfallrettungseinsätze hochgerechnet worden. Anschließend ist mangels diesbezüglicher Angaben der Klägerin geschätzt worden, dass je Fahrzeug, welches im gesamten Gebiet des Beklagten eingesetzt wird, pro Werktag 4 – 5 qualifizierte Krankentransporte durchgeführt würden. Die Zahl der Fahrten der Klägerin sind dann ins Verhältnis zu den insgesamt im Gebiet des Beklagten durchgeführten Rettungsdienstfahrten gestellt worden. Der Auslastungsgrad der Rettungsmittel des Beklagten würde nach dem Gutachten von 28 bzw. 29 % bei zwei Fahrzeugen auf 23,2 bzw. 24,5 % und bei drei Fahrzeugen auf 20,5 bzw. 22 % sinken. Es sei anhand des Verlustes von Fahrten mit Kostensteigerungen von 9,72 % (bei zwei Fahrzeugen) bzw. 14,94 % (bei drei Fahrzeugen) zu rechnen. Der Beklagte hat nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass die geringe Auslastung seiner Fahrzeuge Probleme bei der Motivation des Personals verursachen würde. Auch ist grds. nachvollziehbar dargelegt, dass eine Reduktionsmöglichkeit wegen des Mehrzweckfahrzeugsystems nicht besteht, weil anderenfalls die Eintreffzeiten in Notfällen nicht eingehalten werden können.

Die Begutachtung geht aber unzutreffend davon aus, dass zu der am 26. November/4. Dezember 2012 erteilten Genehmigung für zwei Fahrzeuge, die im gesamten Landkreis genutzt werden dürfen, noch ein drittes Fahrzeug hinzukäme. Dessen prognostizierte Fahrten sind den erwarteten Fahrten mit zwei Fahrzeugen einfach hinzuaddiert worden (vgl. S. 7, 10 und 12 des Gutachtens). Dies entspricht jedoch nicht dem hier zu beurteilenden Antrag der Klägerin. Der Hauptantrag bezieht sich – wie ausgeführt - allein darauf, ein Fahrzeug im gesamten Bereich des Landkreises zu betreiben; die Genehmigung für die zwei bisherigen Fahrzeuge bliebe dann auf den Südkreis beschränkt. Dass zwei Fahrzeuge im gesamten Landkreis tätig werden, hat die Klägerin nur hilfsweise beantragt, d. h. für den Fall, dass der Hauptantrag abgelehnt wird. Dementsprechend ist die am 4. Dezember 2013 modifizierte Genehmigung in der mündlichen Verhandlung unter die auflösende Bedingung der Erteilung der mit dem Hauptantrag verfolgten Genehmigung gestellt worden.

Die Klägerin hat inzwischen mit Schriftsatz vom 20. November 2013 ihre Einsatzzahlen für die Zeit von Oktober 2012 bis Mai 2013, in der sie lediglich im Südkreis tätig gewesen ist, angegeben. Danach wurden in diesem Zeitraum pro Tag und Fahrzeug nur etwa drei Einsätze im qualifizierten Krankentransport durchgeführt, während das Gutachten von geschätzten fünf Fahrten pro Tag und Fahrzeug ausgeht.

Der Beklagte wird bei der Neubescheidung zudem noch Folgendes zu beachten haben:

Er muss in Bezug auf das Verhältnis zwischen Notfalleinsätzen und qualifiziertem Krankentransport noch einmal näher darlegen, weshalb dieses so erheblich anders ist als im Bundesdurchschnitt. In dem Gutachten von … (S. 8) wird von etwa doppelt so vielen Notfalleinsätzen wie Krankentransporten ausgegangen. Dagegen hat die Klägerin unter Bezugnahme auf verschiedene Veröffentlichungen dargelegt, dass in Rheinland-Pfalz auf drei Krankentransporte lediglich ein Notfalleinsatz komme und im Bundesdurchschnitt das Verhältnis etwa zwischen 1,5 und 1,9:1 betrage.

Die – wie oben dargelegt – im Ansatz zutreffenden Ausführungen zu der zu prüfenden Umstrukturierung des Rettungsdienstes, sind nicht ausreichend. Insoweit ist hier wegen der Besonderheiten des Einzelfalles eine umfassendere Begründung notwendig. Denn der Beklagte hat erst im Laufe des vergangenen Jahres durch die Herstellung der Wache … und die Gründung und Beauftragung der „Kommunaler Rettungsdienst …“ weitere Kapazitäten geschaffen. Der Beklagte muss deshalb über den allgemeinen Hinweis auf das von ihm favorisierte Mehrzweckfahrzeugsystem hinaus noch einmal genauer unter Verwendung von belastbarem Zahlenmaterial darlegen, weshalb eine andere Strukturierung im Nordkreis nicht möglich ist.

Bei der Ermessensentscheidung wird der Beklagte zu berücksichtigen haben, dass die Erträge der Klägerin durch die Umgestaltung des Rettungsdienstes im Nordkreis bereits erheblich gemindert worden ist. Aufgrund der früher erheblich stärkeren Auftragserteilung durch die Rettungsleitstelle des Beklagten ist bei der Klägerin ein gewisses Vertrauen am Fortbestand der früheren Einnahmesituation entstanden. Der Klägerin darf insoweit allerdings auch entgegengehalten werden, dass offenbar ein nicht geringer Teil der durch die Rettungsleitstelle vermittelten Fahrten über die bisher erteilte Genehmigung für den Südkreis hinausging.

Nach der Rechtsprechung der Kammer (Urteil vom 8. Dezember 2010 – 11 A 1879/10 - S. 9; Urteil vom 6. Februar 2013 – 11 A 4199/12 – S. 18) muss der Beklagte in entsprechender Anwendung der §§ 21 Abs. 1 NRettDG, 15 Abs. 1 PBefG innerhalb der dort genannten Frist von drei bis maximal sechs Monaten nach Rechtskraft des Urteils eine neue Entscheidung treffen.