Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.09.2015, Az.: 2 W 193/15

Anrechnung der Verfahrensgebühr des selbständigen Beweisverfahrens auf Gebühren im Hauptsacheverfahren

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
08.09.2015
Aktenzeichen
2 W 193/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 25580
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2015:0908.2W193.15.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 14.07.2015

Fundstellen

  • AGS 2015, 445-446
  • BauR 2016, 546-548
  • JurBüro 2016, 18-19

Amtlicher Leitsatz

Eine Anrechnung der Verfahrensgebühr des selbständigen Beweisverfahrens auf die Verfahrensgebühr des Hauptsacheverfahrens gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 5 VV RVG hat auch dann zu erfolgen, wenn die Antragstellerin des selbständigen Beweisverfahrens im Hauptsacheverfahren des Antragsgegners, in dem dieser seinen Werklohnanspruch einklagt, als Nebenintervenientin die im selbständigen Beweisverfahren festgestellten Mängel einwendet.

Tenor:

Die am 22. Juli 2015 bei dem Landgericht Lüneburg eingegangene sofortige Beschwerde des Nebenintervenienten gegen den am 17.07.2015 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 14.07.2015 wird zurückgewiesen.

Der Nebenintervenient hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf bis zu 500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die gemäß § 11 Abs. 1 RPflG i. V. m. §§ 104 Abs. 3 S. 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 569 ZPO zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Nebenintervenienten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14.07.2015 hat in der Sache keinen Erfolg.

Zu Recht hat die Rechtspflegerin des Landgerichts auf der Grundlage der Kostenentscheidung des Einzelrichters der 1. Zivilkammer vom 25.03.2015 bzgl. des Nebenintervenienten die im selbstständigen Beweisverfahren entstandene Verfahrensgebühr auf die des Hauptsacheverfahrens angerechnet.

1. Die Rechtspflegerin hätte mit ihrem Nichtabhilfebeschluss vom 24.08.2015 die sofortige Beschwerde allerdings nicht als unzulässig verwerfen dürfen, sie hätte vielmehr in der Sache entscheiden müssen.

Die sofortige Beschwerde genügte insbesondere der Form des § 569 ZPO. Eine Beschwerdeschrift muss als Prozesserklärung einem bestimmten oder zumindest einem ohne weiteres eindeutig bestimmbaren Rechtsmittelführer zuzuordnen sein, ansonsten ist sie formwidrig (vgl. BGH NJW-RR 2004, 862 f. [BGH 20.01.2004 - VI ZB 68/03][BGH 20.01.2004 - VI ZB 68/03]). Im vorliegenden Fall war in diesem Sinne klar, wer die sofortige Beschwerde eingelegt hatte; dies war der beschwerte und damit beschwerdeberechtigte Nebenintervenient und nicht etwa sein Prozessbevollmächtigter im eigenen Namen, wovon die Rechtspflegerin im Nichtabhilfebeschluss vom 24.08.2015 ausgegangen ist.

Wäre Letzteres anzunehmen, wäre die sofortige Beschwerde in der Tat unzulässig, weil ein Prozessbevollmächtigter im Kostenfestsetzungsverfahren niemals beschwert ist, es sei denn, er ist im Prozesskostenhilfeverfahren beigeordnet worden und hat damit ein eigenes Beitreibungsrecht (vgl. § 126 Abs. 1 ZPO), was vorliegend jedoch nicht der Fall ist.

Der sofortigen Beschwerde ist zwar nicht ausdrücklich zu entnehmen, für wen sie eingelegt worden ist. Der Wortlaut mit der verwendeten Ich-Form (" lege ich ... sofortige Beschwerde ... ein") könnte auch für ein Rechtsmittel des Prozessbevollmächtigten des Nebenintervenienten selbst sprechen. Dieser hat keine klarstellende Formulierung wie "namens und im Auftrag" des Nebenintervenienten oder "für" diesen verwendet.

Bei der vorzunehmenden Auslegung hat die Rechtspflegerin die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urt. v. 05.10.2010 - VI ZR 257/08 = NJW 2010, 1482 f.) nicht berücksichtigt, der der Senat bereits mit Beschluss vom 22.06.2015 - 2 W 150/15 - gefolgt ist (der von ihr zitierte Beschluss des Senates vom 11.06.2009 - 2 W 148/09 - ist überholt). Danach gilt der Grundsatz, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht, wobei nicht unter allen Umständen am buchstäblichen Sinn einer Wortwahl - wie floskelhafter Formulierungen eines Rechtsanwalts in der "Ich-Form" bzw. "Wir-Form" - festzuhalten ist. In der Regel ist davon auszugehen, dass ein Rechtsanwalt richtige Prozesserklärungen abgeben will.

Damit gilt auch im vorliegenden Fall die Zweifelsregel, dass der Prozessbevollmächtigte des Nebenintervenienten als rechtskundiger Rechtsanwalt im Zweifel im Bewusstsein der ihm selbst fehlenden Beschwerdeberechtigung ein zulässiges Rechtsmittel einlegen wollte, so dass trotz der verwendeten "Ich-Form" bei verständiger Auslegung davon ausgegangen werden muss, dass er die sofortige Beschwerde im Namen des Nebenintervenienten eingelegt hat. Dies gilt um so mehr, als der Hinweis auf die Vorsteuerabzugsberechtigung des Nebenintervenienten im Kostenausgleichungsantrag vom 30.04.2015 (Bl. 364 d. A.) darauf schließen lässt, dass die Kostenfestsetzung namens und in Vollmacht des Nebenintervenienten beantragt und entsprechend auch für diesen die sofortige Beschwerde eingelegt worden ist (vgl. OLG Koblenz JurBüro 2002, 199 f.).

Nicht zuletzt hätte die Rechtspflegerin den Prozessbevollmächtigten des Nebenintervenienten um Klarstellung ersuchen müssen, wenn aus ihrer Sicht die Person des Beschwerdeführers zweifelhaft war (vgl. OLG Rostock MDR 2006, 418; OLG Brandenburg FamRZ 1999, 1218 f.; Zöller-Geimer, ZPO, 30. Aufl., § 126 Rz. 8), zumal bereits den Schriftsätzen im Festsetzungsverfahren nicht ausdrücklich zu entnehmen war, in wessen Namen die Kostenfestsetzung begehrt worden ist. So ist kein rechtliches Gehör gewährt und im Abhilfeverfahren eine Überraschungsentscheidung getroffen worden.

2. Die sofortige Beschwerde hat dennoch keinen Erfolg, sie ist unbegründet und mithin zurückzuweisen. Entsprechend § 538 Abs. 1 ZPO kann der Senat in der Sache selbst entscheiden.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hat eine Anrechnung der Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens auf die Verfahrensgebühr des Hauptsacheverfahrens zu erfolgen, wie sie die Rechtspflegerin im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14.07.2015 vorgenommen hat.

Die Anrechnungsvorschrift Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG bestimmt, dass die Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens auf die Verfahrensgebühr des Rechtszugs angerechnet wird, soweit der Gegenstand eines selbstständigen Beweisverfahrens auch Gegenstand des Rechtsstreits ist oder wird. Voraussetzung hierfür ist demnach, dass die Parteien und der Streitgegenstand des selbststän-digen Beweisverfahrens und des Hauptprozesses identisch sind (std. Rspr., vgl. BGH NJW 2013, 648 f.; NJW-RR 2006, 810 f. [BGH 09.02.2006 - VII ZB 59/05][BGH 09.02.2006 - VII ZB 59/05]; jeweils m. w. N.).

Vorliegend sind zunächst die Parteien identisch, weil die Antragstellerin des selbstständigen Beweisverfahrens die Beklagte, der Antragsgegner zu 1. der Kläger und der Antragsgegner zu 2. der Nebenintervenient des Hauptsacheverfahrens sind. Dass der Nebenintervenient grundsätzlich lediglich Gehilfe der unterstützten Partei ist, ohne selbst Partei des Verfahrens zu sein (vgl. BGH NJW 2013, 648 f.), ist unschädlich, weil der durch Beschluss vom 20.03.2015 gem. § 278 Abs. 6 ZPO festgestellte Vergleich unter seiner Beteiligung zustande gekommen ist und die gem. Ziff. 4 des Vergleichs auf der Grundlage von § 91 a ZPO getroffenen Kostenentscheidung vom 24.03.2015 eine anteilige Kostentragung bzgl. Rechtsstreit, selbstständigem Beweisverfahren und Vergleich auch durch den Nebenintervenienten vorsieht. Die Parteiidentität stellt der Beschwerdeführer auch nicht in Frage.

Doch auch der Gegenstand von selbstständigem Beweisverfahren und Hauptsacheverfahren ist entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers derselbe. Erfasst wird nicht nur der Fall, dass der Antragsteller eines selbstständigen Beweisverfahrens die in diesem Verfahren festgestellten Mängel bzw. einen Teil hiervon (vgl. BGH NJW-RR 2006, 810 f. [BGH 09.02.2006 - VII ZB 59/05][BGH 09.02.2006 - VII ZB 59/05]) zum Gegenstand einer Schadensersatzklage macht. Eine Identität der Streitgegenstände im Sinne der Anrechnungsvorschrift der Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG liegt auch vor, wenn sich das selbstständige Beweisverfahren auf die Rechtsverteidigung bezieht; eine derartige Konstellation lag bereits den Beschlüssen des Senats vom 30.01.2009 - 2 W 32/09 - (BauR 2009, 1180 f.) sowie vom 03.11.2009 - 2 W 310/09 - zugrunde (ebenso OLG Nürnberg JurBüro 1996, 35; OLG München JurBüro 2009, 475 f.; Zöller-Herget, ZPO, 30. Aufl., § 91 Rz. 13 Stichwort: "Selbstständiges Beweisverfahren"; grundsätzlich ebenso: OLG Hamburg JurBüro 1989, 976). Eine Anrechnung hat also auch dann zu erfolgen, wenn wie im vorliegenden Fall die Antragstellerin des selbstständigen Beweisverfahrens im Hauptsacheverfahren des Antragsgegners, in dem dieser seinen Werklohnanspruch einklagt, als Nebenintervenientin die im selbstständigen Beweisverfahren festgestellten Mängel einwendet (zunächst hilfsweise zur geltend gemachten mangelnden Fälligkeit, nach Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht unbedingt im Wege der Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch wegen der Mängel).

Insoweit ist nicht auf den Begriff des Streitgegenstands im engeren zivilprozessualen Sinne (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., Rz. 60 ff.) abzustellen. Das selbstständige Beweisverfahren dient ganz allgemein der Beweissicherung für einen Rechtsstreit, an dem Antragsteller und Antragsgegner jeweils auf Kläger- oder Beklagtenseite beteiligt sein können; es ist sowohl dann zulässig, wenn es Grundlage für Ansprüche des Antragstellers ist, als auch dann, wenn damit Ansprüche des Antragsgegners abgewehrt werden sollen (vgl. Zöller-Herget, ZPO, 30. Auflage, § 485 Rz. 1). Auch dann, wenn ein Hauptsacheverfahren mit umgekehrten Parteirollen gegenüber dem selbständigen Beweisverfahren geführt wird, können in diesem die gesicherten Beweise in gleicher Weise verwertet werden. Auch wenn also - wie hier - die Beweiserhebung im selbstständigen Beweisverfahren nur die Grundlage für Einwendungen oder Einreden bildet, ist der Anwendungsbereich der Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG eröffnet.

Dies entspricht dem Sinn und Zweck der Norm, die dem Rechnung trägt, dass der Rechtsanwalt über die Vertretung der Partei im selbstständigen Beweisverfahren derart eingearbeitet ist, dass die mit der Verfahrensgebühr im Hauptsacheverfahren abzugeltenden Tätigkeiten bereits abgegolten sind (OLG Koblenz JurBüro 2012, 76 f.). Dann ist es aber unerheblich, ob die Parteirollen im Hauptsacheverfahren dieselben wie im selbstständigen Beweisverfahren sind oder ob sie umgekehrt sind, solange das Beweisergebnis für den Angriff oder auch für die Verteidigung im Hauptsacheverfahren von Belang ist.

Nach allem hat die Rechtspflegerin im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14.07.2015 zu Recht in Anwendung der Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG eine Anrechnung der Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens auf diejenige des Hauptsacheverfahrens vorgenommen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO i. V. m. Nr. 1812 des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde war nicht veranlasst, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens ergibt sich aus der Höhe der zu Lasten des Nebenintervenienten angerechneten Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens.