Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 07.09.2015, Az.: 2 W 194/15
Erstattungsfähigkeit der Mehrkosten infolge Anwaltswechsel nach Zurückverweisung der Sache
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 07.09.2015
- Aktenzeichen
- 2 W 194/15
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 25579
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2015:0907.2W194.15.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Lüneburg - 14.07.2015
Rechtsgrundlagen
- VV-RVG Vorbem. 3 Abs. 6
- ZPO § 91 Abs. 2 S. 2
Fundstellen
- AGS 2015, 492-493
- BauR 2016, 157
- BauR 2016, 545-546
- NJW-Spezial 2015, 668
- PAK 2016, 29
- RVG prof 2015, 200
- RVGreport 2015, 467-468
Amtlicher Leitsatz
Obgleich der von einer eine Partei nach der Zurückverweisung der Sache an ein untergeordnetes Gericht neu beauftragte Rechtsanwalt die Verfahrensgebühr erhält, ohne dass eine Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 6 VV RVG stattfindet, ist der Prozessgegner zur Erstattung der dadurch verursachten Mehrkosten nur verpflichtet, wenn der Anwaltswechsel notwendig war.
Tenor:
Die am 20. Juli 2015 bei dem Landgericht Lüneburg eingegangene sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 14.07.2015 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf bis zu 1.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14.07.2015 ist gemäß § 11 Abs. 1 RPflG i. V. m. §§ 104 Abs. 3 S. 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 569 ZPO zulässig, insbesondere form- und jedenfalls auch fristgerecht, auch wenn das Datum der Zustellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses mangels eines zu den Akten gelangten Empfangsbekenntnisses nicht feststellbar ist. Die sofortige Beschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, da sie unbegründet und mithin zurückzuweisen ist.
Zu Recht hat die Rechtspflegerin des Landgerichts auf der Grundlage der Kostenentscheidung des Einzelrichters der 1. Zivilkammer vom 24.03.2015 bzgl. des Klägers die erstinstanzlich im Hauptsacheverfahren vor bzw. nach der Zurückverweisung entstandenen Verfahrensgebühren nach Nr. 3100 VV RVG einerseits für die zunächst tätig gewordenen Rechtsanwälte ...Dr. D. pp., andererseits für die späteren Rechtsanwälte S. nur einmal berücksichtigt. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass im Nichtabhilfebeschluss vom 24.08.2015 irrtümlich von einer Anrechnung der Verfahrensgebühr des selbständigen Beweisverfahrens auf die des nachfolgenden Hauptsacheverfahrens gem. Vorbem. 3 Abs. 6 VV RVG ausgegangen wird statt richtigerweise von einem Fall der Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG (Anrechnung der Verfahrensgebühr vor Zurückverweisung auf die nach Zurückverweisung).
1. Vorauszuschicken ist, dass im Falle der Zurückverweisung eines Rechtsstreits das weitere Verfahren gem. § 21 Abs. 1 RVG gebührenrechtlich als neuer Rechtszug gilt, so dass auch eine neue Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG entsteht.
2. Eine Anrechnung der vor Zurückverweisung entstandenen Verfahrensgebühr gem. Vorbem. 3 Abs. 6 VV RVG auf die nach Zurückverweisung angefallene Verfahrensgebühr kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht.
Die Anrechnungsvorschrift Vorbem. 3 Abs. 6 VV RVG bestimmt zwar, dass, soweit eine Sache an ein untergeordnetes Gericht zurückverwiesen wird, das mit der Sache bereits befasst war, die vor diesem Gericht bereits entstandene Verfahrensgebühr auf die Verfahrensgebühr für das erneute Verfahren anzurechnen ist.
Vorausgesetzt ist hier wie bei weiteren vergleichbaren Anrechnungsvorschriften (vgl. Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG: selbstständiges Beweisverfahren/Rechtsstreit, Anm. zu Nr. 3100 VV RVG, Abs. 2: Urkunden-/Nachverfahren) allerdings, dass ein- und derselbe Rechtsanwalt die Gebühren verdient hat (BGH, Beschl. v. 27.08.2014 - VII ZB 8/14 = NJW 2014, 795 ff.). Hat eine Partei - wie hier der Kläger - im Berufungsverfahren bzw. nach Zurückverweisung einen neuen Rechtsanwalt beauftragt, erhält dieser die für ihn entstandene Verfahrensgebühr ohne Anrechnung (vgl. BGH, Beschl. v. 10.12.2009 - VII ZB 41/09 = JurBüro 2010, 1890 f.).
Sinn und Zweck der Anrechnungsvorschriften ist es nämlich, dass der Rechtsanwalt in den einschlägigen Fällen beim Übergang in das neue gerichtliche Verfahren bereits mit der Sache vertraut ist. Demgegenüber muss sich ein neuer Rechtsanwalt erst einarbeiten. Diese Mehrarbeit rechtfertigt die Geltendmachung beider Verfahrensgebühren in voller Höhe (BGH aaO.).
3. Davon zu trennen ist die Frage, ob der Prozessgegner die durch den Anwaltswechsel entstandenen Mehrkosten erstatten muss; diese Frage ist im vorliegenden Fall zu verneinen.
Im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff. ZPO kann die nach der Kostengrundentscheidung erstattungs- oder ausgleichsberechtigte Partei Erstattung ihrer Auslagen verlangen, wenn und soweit diese zu den Kosten des Rechtsstreits gehören und zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren, § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Zu den Mehrkosten bei einem Anwaltswechsel bestimmt § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO, dass diese nur erstattungsfähig sind, wenn der Anwaltswechsel notwendig war. In diesen Regelungen kommt der Rechtsgedanke zum Ausdruck, dass es den Prozessparteien obliegt, die Kosten ihrer Prozessführung so niedrig zu halten, wie sich dies mit der vollen Wahrung der berechtigten Belange einer wirtschaftlich und verständig denkenden Partei vereinbaren lässt. Diese Verpflichtung folgt aus dem Prozessrechtsverhältnis und beherrscht als Ausfluss von Treu und Glauben das gesamte Kostenrecht (BGH NJW 2007, 2257 f. [BGH 02.05.2007 - XII ZB 156/06][BGH 02.05.2007 - XII ZB 156/06] m. w. N.; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29.07.2015 - 9 W 14/15, zit. aus juris).
Da der Kläger trotz mehrfachen Hinweises auf die Regelung des § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO nichts dazu dargetan hat, dass er sich im Berufungsverfahren und nach Zurückverweisung von einem anderen Anwalt vertreten lassen musste, kommt eine Erstattungsfähigkeit der durch den Anwaltswechsel entstandenen Mehrkosten nicht in Betracht.
Der Kläger beruft sich auch ohne Erfolg auf den Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 10.12.2009 - VII ZB 41/09 (JurBüro 2010, 1890 f.). Der Bundesgerichtshof hat hier zwar entschieden, dass eine Partei trotz der Verpflichtung, die Kosten niedrig zu halten, nach dem Abschluss der vorgerichtlichen Tätigkeit den Anwalt wechseln kann, ohne dass sie sich die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anrechnen lassen muss. Dies hat seine Ursache jedoch darin, dass in diesem Fall - anders als vorliegend - der Anwendungsbereich des § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO gar nicht eröffnet war, weil die vorprozessual angefallenen Anwaltsgebühren nicht zu den Kosten des Rechtsstreits zählen und daher auch nicht Gegenstand einer Kostenfestsetzung gem. §§ 103 ff. ZPO sein können; § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO gilt nur für einen Anwaltswechsel innerhalb eines gerichtlichen Verfahrens und nicht für einen Anwaltswechsel vor dem Übergang in ein solches (vgl. BGH aaO.).
In seiner weiteren Entscheidung vom 27.08.2014 - VII ZB 8/14 - zu einem Anwaltswechsel zwischen selbstständigem Beweisverfahren und Hauptsacheverfahren hat sich der Bundesgerichtshof demgegenüber nicht zu der Frage festlegen müssen, ob § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO in einem solchen Fall die Prüfung erfordere, dass dieser Anwaltswechsel notwendig gewesen sei, was jedoch in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ganz überwiegend vertreten werde (vgl. BGH NJW 2014, 3518 ff. [BGH 27.08.2014 - VII ZB 8/14][BGH 27.08.2014 - VII ZB 8/14] m. w. N.; weiterhin OLG Köln JurBüro 2013, 590 f.; OLG Hamburg MDR 2007, 559 [OLG Hamburg 22.11.2006 - 8 W 202/06]).
Nach allem kann der Kläger somit die Verfahrensgebühr für das erstinstanzliche Verfahren vor bzw. nach Zurückverweisung nur für einen Rechtsanwalt erstattet verlangen. Er hat die durch den Anwaltswechsel entstandenen Mehrkosten selbst zu tragen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO i. V. m. Nr. 1812 des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde war nicht veranlasst, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens ergibt sich aus der Höhe der zu Lasten des Klägers angerechneten Verfahrensgebühr der Rechtsanwälte Dr. D. pp.