Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.11.1997, Az.: VII 383/97

Abzug eines nach Doppelbesteuerungsabkommen steuerfreien Lohnbestandteils von dem bereits verminderten Arbeitslohn; Korrektur eines bei Erlass des ursprünglichen Steuerbescheids unterlaufenen Fehlers durch das Finanzamt; Korrektur offenbarer Unrichtigkeiten; Doppelte Berücksichtigung eines Freibetrages als offenbare Unrichtigkeit

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
11.11.1997
Aktenzeichen
VII 383/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 15382
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1997:1111.VII383.97.0A

Fundstelle

  • NWB DokSt 1999, 189

Verfahrensgegenstand

Einkommensteuer 1991

Amtlicher Leitsatz

Abzug eines nach DBA steuerfreien Lohnbestandteils von dem bereits verminderten Arbeitslohn keine offenbare Unrichtigkeit.

In dem Rechtsstreit
hat der VII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 11. November 1997,
...
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 1991 vom 7. Januar 1994 und des dazu ergangenen Einspruchsbescheids vom 10. Juni 1997 wird die Einkommensteuer auf den Betrag herabgesetzt, der sich unter Ansatz eines Bruttoarbeitslohns des Klägers in Höhe von 360.928 DM ergibt.

  2. 2.

    Die Steuerberechnung wird dem Beklagten übertragen.

  3. 3.

    Der Beklagte trägt die Kosten.

  4. 4.

    Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Hohe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor entsprechende Sicherheit leisten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob ein Steuerbescheid wegen offenbarer Unrichtigkeit zu andern ist.

2

Die Kl. sind Eheleute, die für das Streitjahr 1991 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kl. erzielte als GmbH-Geschäftsführer Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. An 19 von insgesamt 223 Arbeitstagen war er in Italien tätig. Sein Bruttoarbeitslohn belief sich auf insgesamt 394.543,57 DM. Wegen eines Arbeitgeberwechsels zum 1. Juni 1991 wurden für das Streitjahr 2 Lohnsteuerbescheinigungen erteilt. Auf der ersten (für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Mai) war ein Betrag von 238.285 DM, auf dar zweiten (für die Zeit vom 1. Juni bis 31. Dezember) ein Betrag von 156.258,75 DM bescheinigt.

3

In der Einkommensteuer-Erklärung beantragten die Kl., den auf die Tätigkeit in Italien entfallenden Teil des Arbeitslohnes steuerfrei zu belassen. In einer Anlage zur Anlage N. (Bl. 13 der Einkommensteuerakte 1991 zur St.-Nr.: ...) ermittelten sie den steuerfreien Teil das Bruttoarbeitslohns wie folgt:

4

394.544 DM: 223 × 19 = 33.616 DM.

5

In der Anlage N (Bl. 24 der Einkommensteuerakte) trug der Kl. in Zeile 2 ("Bruttoarbeitslohn") den nach Abzug von 33.616 DM verbleibenden Betrag von 360.928 DM ein. Links neben der Eintragung dieses Betrages befindet sich ein Fragezeichen, das in der salben Farbe wie die übrigen Eintragungen in der Steuererklärung geschrieben worden ist. Der Veranlagungssachbearbeiter des Beklagten (des Finanzamts - FA -) strich die Zahl "360.928" durch, vermerkte links daneben "Bl. 13 Italien: 33.616,-" und trug in dem grün unterlegten Feld zur Kennziffer 10 den nach Abzug dieses Betrages vom 360.928 DM verbleibenden Restbetrag von 327.312 DM ein. Durch Einkommensteuerbescheid vom 8. Juli 1992 setzte das FA die Einkommensteuer unter Ansatz eines Bruttoarbeitslohnes in dieser Höhe auf 84.156 DM fest.

6

Nach dem - teilweise rückwirkenden - Inkrafttreten des Abkommens vom 18. Oktober 1989 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Verhinderung der Steuerverkürzung (DBA-Italien 1989) erteilte das FA unter dem 7. Januar 1994 einen Änderungsbescheid, durch den es die Einkommensteuer unter Ansatz eines Bruttoarbeitslohnes von 394.544 DM auf 119.702 DM festsetzte. Soweit es sich um die Rückgängigmachung der teilweisen Steuerfreiheit des Arbeitslohnes nach dem Abkommen zwischen dem Deutschen Reiche und Italien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung anderer Fragen auf dem Gebiete der direkten Steuern vom 31. Oktober 1925 (DBA-Italien 1925) handelte, stützte das FA dieÄnderung auf § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d der Abgabenordnung (AO) i.V.m. Art. 2 des Gesetzes zum DBA-Italien 1989 vom 10. August 1990 (BStBl I 1990, 396). Hinsichtlich des zweiten Teilbetrages von 33.616 DM berief es sich auf§ 129 AO. Es vertrat die Ansicht, daß es sich bei dem versehentlich erfolgten zweimaligen Abzug dieses Betrages um eine offenbare Unrichtigkeit i.S. dieser Vorschrift gehandelt habe.

7

Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage wenden sich die Kl. gegen die zweifache Hinzurechnung des zunächst als steuerfrei behandelten Teilbetrages von 33.616 DM. Sie sind der Ansicht, daß das dem FA bei der erstmaligen Veranlagung unterlaufene Versehen nicht nach § 129 AO berichtigt werden könne. Nach dieser Vorschrift sei nur die Korrektur offenbarer Unrichtigkeiten möglich. Darunter seien nur mechanische Fehler zu verstehen. Um einen solchen handele es sich bei der doppelten Berücksichtigung des steuerfreien Teilbetrages nicht. Der Veranlagungssachbearbeiter sei gehalten gewesen, die Eintragungen in der Anlage IM anhand der Lohnsteuerkarte zu überprüfen. Nur weil er dies offensichtlich unterlassen habe, habe er nicht bemerkt, daß der von den Kl. angegebene Bruttoarbeitslohn bereits um den auf die Tätigkeit in Italien entfallenden Teilbetrag gekürzt gewesen sei.

8

Die Kl. beantragen sinngemäß,

unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 1991 vom 7. Januar 1994 und des dazu ergangenen Einspruchsbescheids vom 10. Juni 1997 die Einkommensteuer auf den Betrag herabzusetzen, der sich unter Ansatz eines Bruttoarbeitslohnes des Klägers in Höhe von 360.928 DM ergibt.

9

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Er vertritt unter Bezugnahme auf seinen Einspruchsbescheid die Ansicht, daß es sich bei dem doppelten Abzug des auf die Italien-Tätigkeit entfallenden Teils des Bruttoarbeitslohnes um eine offenbare Unrichtigkeit des ursprünglichen Steuerbescheids gehandelt habe, die nach § 129 AO habe berichtigt werden können. Nach Aktenlage stehe fest, daß der Veranlagungssachbearbeiter die in Italien erzielten Einkünfte nur in einfacher Höhe habe steuerfrei stellen wollen. Die doppelte Berücksichtigung beruhe ausschließlich darauf, daß er sich von dem in unzutreffender Höhe erklärten Brutto-Arbeitslohn habe leiten lassen. Dies sei ebenso zu werten wie die doppelte Berücksichtigung eines Freibetrages, die nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine offenbare Unrichtigkeit darstelle.

Entscheidungsgründe

11

Die Klage ist begründet. Das FA war nicht berechtigt, den bei dem Erlaß des ursprünglichen Steuerbescheids unterlaufenen Fehler zu korrigieren.

12

1.

Die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach§ 129 Satz 1 AO liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. "Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" müssen einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlich sein, d.h. es muß sich um mechanische Fehler handeln, die ebenso "mechanisch", d.h. ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können. Die Berichtigung nach § 129 Satz 1 AO ist ausgeschlossen, wenn die nicht lediglich theoretische Möglichkeit eines Rechtsirrtums, eines Denkfehlers, unvollständiger Sachverhaltsaufklärung oder fehlerhafter Tatsachenwürdigung besteht (ständige Rechtsprechung des BFH: Urteile vom 29. März 1985 VI R 140/81, BFHE 144, 118, 120, BStBl II 1985, 569; vom 31. März 1987 VIII R 46/83, BFHE 149, 478, BStBl II 1987, 588; vom 18. August 1988 V R 194/83, BFHE 154, 274, BStBl II 1988, 932).

13

Im Streitfall ist der bei dem Erlaß des ursprünglichen Steuerbescheids unterlaufene Fehler auf die irrtümliche Annahme des Veranlagungssachbearbeiters zurückzuführen, bei dem in Zeile 2 der Anlage N eingetragenen Betrag von 360.928 DM handele es sich um den gesamten - d.h. auch den auf die Tätigkeit in Italien entfallenden Teilbetrag enthaltenden - Bruttoarbeitslohn des Kl. Dieser Irrtum konnte nur dadurch entstehen, daß der Bearbeiter die Angaben in dem Erläuterungsblatt zur Anlage N falsch gewürdigt und es unterlassen hat, den in der Zeile 2 der Anlage N eingetragenen Betrag mit dem Inhalt der Lohnsteuerbescheinigungen zu vergleichen. Der Fehler des ursprünglichen Steuerbescheids beruht damit nicht auf einem mechanischen Versehen, sondern auf der unzutreffenden Würdigung feststehender Tatsachen und mangelnder Sachverhaltsaufklärung.

14

Auch der Hinweis des FA auf das Urteil des BFH vom 8. März 1989 X R 116/87 (BFHE 156, 59, BStBl II 1989, 531) kann nicht zu einer anderen Beurteilung führen. Darin hat der BFH zwar entschieden, daß die doppelte Berücksichtigung eines Freibetrages nach § 16 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in der Regel eine offenbare Unrichtigkeit i.S.d. § 129 AO darstelle. Im Streitfall beruht der Fehler des ursprünglichen Steuerbescheids jedoch nicht darauf, daß der Veranlagungssachbearbeiter den auf die Italien-Tätigkeit entfallenden Teilbetrag zweimal von dem Bruttoarbeitslohn des Kl. abgezogen hat, sondern darauf, daß er beim einmaligen Abzug dieses Betrages die Bedeutung der in der Einkommensteuererklärung enthaltenen Ausgangsgröße falsch gewürdigt hat.

15

2.

Eine Änderung des ursprünglichen Bescheids nach§ 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist ebenfalls ausgeschlossen. Die richtige Höhe des Bruttoarbeitslohns stellt keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache i.S. dieser Vorschrift dar, weil sie sich bereits aus den dem FA im Zeitpunkt der ursprünglichen Veranlagung vorliegenden Unterlagen ergab (vgl. BFH, Urteil vom 20. Juni 1985 IV R im/82, BFHE 143, 520, BStBl II 1985, 492 [BFH 20.06.1985 - IV R 114/82], m.w.N.).

16

3.

Schließlich kann die Korrektur des angefochtenen Bescheids im Streitpunkt auch nicht auf Art. 2 Satz 2 des Gesetzes zum DBA-Italien 1989 vom 10. August 1990 (BStBl I 1990, 396) gestützt werden. Die dort getroffene Anordnung, daß bereits ergangene Steuerfestsetzungen aufzuheben oder zu ändern sind, bezieht sich auf die Regelung des Art. 2 Satz 1 des Gesetzes, wonach die Protokollbestimmung Nr. 22 Buchst. b i.V.m. der Protokollbestimmung Nr. 16 Buchst. e ab 1. Januar 1990 anzuwenden ist. Nach diesen Vorschriften können Einkünfte aus unselbständiger Arbeit i.S.d. Art. 15 Abs. 2 des Abkommens, die eine in einem der Vertragsstaaten ansässige Person zwischen dem 1. Januar 1989 und dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkommens bezieht, ungeachtet der Art. 7 und 11 das DBA-Italien 1925 auch in diesem Staat besteuert werden. Art. 2 Satz 2 des Gesetzes vom 10. August 1990 erlaubt die Änderung oder Aufhebung bereits ergangener Steuerfestsetzungen daher nur insoweit, als sich durch die rückwirkende Inkraftsetzung das Abkommens vom 18. Oktober 1989 eineÄnderung der Rechtslage ergeben hat. Diese Voraussetzung ist nur hinsichtlich des nach Art. 7 und 11 des Abkommens vom 31. Oktober 1925 ursprünglich steuerfrei gewesenen Teilbetrags von 33.616 DM erfüllt, nicht jedoch hinsichtlich des Teilbetrages, den das FA irrtümlich von dem bereits gekürzten Bruttoarbeitslohns abgezogen hat.

17

4.

Die Steuer war daher entsprechend dem Klageantrag herabzusetzen (§ 100 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Steuerberechnung konnte dem FA übertragen werden (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO). Die Kostenentscheidung beruht auf§ 135 Abs. 1 FGO, die sonstigen Nebenentscheidungen ergeben sich aus den § 708 Nr. 10 und 711 der Zivilprozeßordnung i.V.m. § 151 Abs. 1 und 3 FGO.