Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.11.1997, Az.: VII 376/97

Berichtigung eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids wegen offenbarer Unrichtigkeit; Versehen des Steuerpflichtigen; Unrichtigkeit der Steuererklärung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
11.11.1997
Aktenzeichen
VII 376/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 17940
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1997:1111.VII376.97.0A

Fundstelle

  • NWB DokSt 1999, 189

Verfahrensgegenstand

Unterlassene Geltendmachung des erweiterten Schuldzinsenabzugs in der Steuererklärung führt nicht zu offenbarer Unrichtigkeit des Steuerbescheids

Ablehnung des Antrages auf Änderung des Einkommensteuerbescheides 1994 nach § 129 AO

Redaktioneller Leitsatz

Eine offenbare Unrichtigkeit i.S.d. § 129 S. 1 Abgabenordnung (AO) liegt nicht vor, wenn die Möglichkeit besteht, dass die Unvollständigkeit der Steuererklärung, die zur Fehlerhaftigkeit des Steuerbescheides geführt hat, auf einem Rechtsirrtum des Steuerpflichtigen beruht.

In dem Rechtsstreit hat
der VII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
mit Einverständnis der Beteiligten
ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 11. November 1997
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird auf Kosten der Kläger abgewiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob die Voraussetzungen für die Berichtigung eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids wegen offenbarer Unrichtigkeit vorliegen.

2

Die Kl. sind Eheleute, die für das Streitjahr 1994 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Sie sind Eigentümer des Grundstücks ... in A., auf dem sie aufgrund eines am 2. Oktober 1991 gestellten Bauantrages ein Einfamilienhaus errichteten. Die Fertigstellung erfolgte am 20. November 1992. Seit diesem Zeitpunkt wird das Gebäude von den Kl. zum größten Teil zu eigenen Wohnzwecken genutzt. Daneben unterhält der Ehemann, der als Lehrer Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt, darin ein steuerlich anerkanntes häusliches Arbeitszimmer, auf das 7,45 v.H. der Wohnfläche entfallen. Seit 1992 nehmen die Kl. für dieses Objekt Abzugsbeträge nach § 10 e Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Anspruch. Daneben machten sie für die Jahre 1992 und 1993 die mit dem Objekt in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Schuldzinsen, soweit sie auf den zu eigenen Wohnzwecken genutzten Teil der Wohnfläche entfielen nach § 10 e Abs. 6 a EStG wie Sonderausgaben geltend. Den auf das häusliche Arbeitszimmer entfallenden Teilbetrag der Schuldzinsen zogen sie als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Kl. ab.

3

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kl. bei der Ermittlung der als Werbungskosten abziehbaren Kosten des häuslichen Arbeitszimmers Schuldzinsen i.H.v. 19.635,06 DM geltend. Auf die entsprechende Anlage zur Einkommensteuererklärung (Bl. 6 der Einkommensteuerakte 1994 zu St.-Nr.: ...) wird Bezug genommen.

4

Mit der Anlage FW machten die Kl. einen Abzugsbetrag nach § 10 e Abs. 1 EStG sowie die Steuerermäßigung nach § 34 f Abs. 2 und 3 EStG für ihre drei Kinder geltend. Angaben zum erweiterten Schuldzinsenabzug nach § 10 e Abs. 6 a EStG machten sie in der dafür vorgesehenen Zeile 57 der Anlage FW (Bl. 12 Rs der Einkommensteuerakte) nicht. Der Beklagte (das Finanzamt - FA -) kürzte den geltend gemachten Abzugsbetrag nach § 10 e Abs. 1 EStG im Hinblick darauf, daß die Wohnung nur zu 92,55 v.H. zu eigenen Wohnzwecken genutzt wurde. Im Gegenzug berücksichtigte er bei der Ermittlung der Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer von den Kl. selbst nicht geltend gemachte Absetzungen für Abnutzung (AfA) i.H.v. 1.174 DM. Der entsprechende Einkommensteuerbescheid vom 26. Juni 1995 wurde bestandskräftig.

5

Auch in der Einkommensteuererklärung 1995 machten die Kl. in der Anlage FW keinen erweiterten Schuldzinsenabzug geltend. Durch Einkommensteuerbescheid vom 4. November 1996 berücksichtigte das FA von Amts wegen einen im Jahr 1992 nicht ausgenutzten Betrag von 11.520 DM.

6

Mit einem am 11. Dezember 1996 bei dem FA eingegangenen Schreiben ihres steuerlichen Beraters beantragten die Kl., den Einkommensteuerbescheid 1994 nach § 129 AO zu berichtigen und Schuldzinsen i.H.v. 12.000 DM wie Sonderausgaben abzuziehen. Sie trugen vor, die entsprechende Eintragung in der Anlage FW aufgrund eines Versehens versäumt zu haben. Durch Verwaltungsakt vom 27. Januar 1997 lehnte das FA diesen Antrag ab. Den dagegen eingelegten Einspruch wies es durch Einspruchsbescheid vom 12. Juni 1997 als unbegründet zurück.

7

Hiergegen richtet sich die Klage. Die Kl. halten an der Auffassung fest, daß es sich bei der unterlassenen Geltendmachung der Schuldzinsen in der Anlage FW um eine offenbare Unrichtigkeit der Steuererklärung handele, die für das FA auch als solche erkennbar gewesen und von ihm übernommen worden sei. Die Möglichkeit eines Rechtsanwendungsfehlers scheide aus. Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des erweiterten Schuldzinsenabzuges hätten zweifelsfrei vorgelegen. Dementsprechend sei dieser auch für die Jahre 1992 und 1993 gewährt worden. Die Höhe der für das Streitjahr 1994 entstandenen Schuldzinsen sei von den Kl. bei der Ermittlung der Kosten des häuslichen Arbeitszimmers angegeben und durch entsprechende Bankbescheinigungen belegt worden. Auch ein Irrtum des FA über den zeitlichen Umfang des erweiterten Schuldzinsenabzugs (3 bzw. 4 Jahre) sei ausgeschlossen, weil dieser von den Finanzbehörden durch Überwachungsbögen fortlaufend kontrolliert werde.

8

Im übrigen komme auch eine Änderung des Einkommensteuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO in Betracht. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, daß das FA es unter Verletzung der ihm nach § 89 AO obliegenden Hinweispflicht unterlassen habe, sie - die Kl. - auf das ihnen bei der Anfertigung der Einkommensteuererklärung unterlaufene Versehen hinzuweisen.

9

Die Kl. beantragen sinngemäß,

den Beklagten unter Aufhebung seines ablehnenden Bescheids vom 27. Januar 1997 und des dazu ergangenen Einspruchsbescheids vom 12. Juni 1997 zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid 1994 vom 28. Juni 1995 zu berichtigen und dabei Schuldzinsen i.H.v. 12.000 DM wie Sonderausgaben abzuziehen.

10

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11

Er ist der Ansicht, daß die unterlassene Berücksichtigung des erweiterten Schuldzinsenabzugs nach § 10 e Abs. 6 a EStG keine offenbare Unrichtigkeit des Steuerbescheids i.S.v. § 129 AO darstelle. Unter ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten i.S. dieser Vorschrift seien nur solche zu verstehen, die einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlich seien, d.h. auf einem mechanischen Versehen beruhten, das ebenso mechanisch, d.h. ohne weitere Prüfung, erkannt und berichtigt werden könne. Diese Voraussetzungen lägen im Streitfall nicht vor. Der Sachbearbeiter habe nicht einen von den Kl. gestellten Antrag übersehen. Vielmehr hätten diese überhaupt keinen Antrag gestellt. Daß diese Unterlassung auf einem Versehen beruht habe, sei für den Bearbeiter allenfalls unter Heranziehung der Steuererklärungen der Vorjahre 1992 und 1993 erkennbar gewesen. Sobald das FA aber auf Vorakten zurückgreifen müsse, um den Fehler zu erkennen, liege grundsätzlich keine offenbare Unrichtigkeit vor.

12

Auch eine Änderung des Bescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO komme nicht in Betracht. Der Sachverhalt, an dessen Verwirklichung die Steuervergünstigung geknüpft sei - in Streitfall also die Zahlung der Zinsen - sei dem FA im Zeitpunkt der erstmaligen Veranlagung bereits bekannt gewesen.

Entscheidungsgründe

13

Die Klage ist unbegründet.

14

Das FA hat es zu Recht abgelehnt, den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid 1994 zugunsten der Kl. zu ändern.

15

1.

Die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 129 Satz 1 AO liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. "Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" müssen einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlich sein, d.h. es muß sich um mechanische Fehler handeln, die ebenso "mechanisch", d.h. ohne weitere Prüfung, erkannt und berichtigt werden können; eine Berichtigung nach § 129 Satz 1 AO ist hingegen ausgeschlossen, wenn die nicht lediglich theoretische Möglichkeit eines Rechtsirrtums, eines Denkfehlers, unvollständiger Sachaufklärung bzw. fehlerhafter Tatsachenwürdigung besteht (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH -: Urteile vom 29. März 1985 VI R 140/81, BFHE 144, 118, BStBl II 1985, 569; vom 31. März 1987 VIII R 46/83, BFHE 149, 478, BStBl II 1987, 588; vom 16. August 1988 V R 194/83, BFHE 154, 274, BStBl II 1988, 932).

16

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist dem FA beim Erlaß des Steuerbescheids keine offenbare Unrichtigkeit unterlaufen. Aufgrund der Angaben des Kl. zu den Kosten des häuslichen Arbeitszimmers war dem Veranlagungssachbearbeiter zwar bekannt, daß im Zusammenhang mit der Finanzierung des Einfamilienhauses Schuldzinsen angefallen waren. Da sich aus dem Inhalt der Steuerakten auch ergab, daß die Voraussetzungen für den erweiterten Schuldzinsenabzug nach § 10 e Abs. 6 a EStG jedenfalls bis einschließlich 1994 vorlagen, und die Inanspruchnahme dieser Vergünstigung nicht antragsgebunden ist, hätte der Bearbeiter daher von sich aus diese Vergünstigung gewähren können und müssen, wenn er den Inhalt der Akten unter diesem Gesichtspunkt geprüft und die erforderlichen rechtlichen Schlußfolgerungen gezogen hätte. Daß er dies - im Hinblick auf die fehlenden Angaben in der dafür vorgesehenen Zeile 57 der Anlage FW - unterlassen hat, stellt aber kein mechanisches Versehen, sondern einen Rechtsanwendungsfehler dar.

17

Die Fehlerhaftigkeit des Steuerbescheids 1994 beruht auch nicht deshalb auf einer offenbaren Unrichtigkeit, weil das FA die - im Fehlen entsprechender Angaben zum Schuldzinsenabzug in der Anlage FW liegende - Unrichtigkeit der Steuererklärung ungeprüft übernommen hat. § 129 AO gilt nur für offenbare Unrichtigkeiten, die "beim Erlaß eines Verwaltungsaktes" unterlaufen sind, also für Fehler der Behörde, nicht jedoch für Versehen des Steuerpflichtigen. Nur dann, wenn die Fehlerhaftigkeit der Angaben für das FA als offenbare Unrichtigkeit erkennbar war, das FA also eine offenbare Unrichtigkeit der Steuererklärung als eigene übernommen hat, kommt eine Berichtigung nach § 129 AO in Betracht (BFH, Urteile vom 25. Februar 1972 VIII R 141/71, BFHE 105, 234, BStBl II 1972, 550; vom 24. Juli 1984 VIII R 304/81, BFHE 141, 485, BStBl II 1984, 785). So kann es sich verhalten, wenn sich aus der Steuererklärung beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, daß eine darin enthaltene Angabe auf einem Rechenfehler des Steuerpflichtigen beruht (BFHE 105, 234, BStBl II 1972, 550). Eine offenbare Unrichtigkeit liegt hingegen nicht vor, wenn die Möglichkeit besteht, daß die Unvollständigkeit der Erklärung ihrerseits auf einem Rechtsirrtum des Steuerpflichtigen beruht (Urteil des Senats vom 15. April 1997 VII 473/96, EFG 1997, 1218, rechtskräftig).

18

So verhält es sich im Streitfall. Der Senat vermag nicht auszuschließen, daß die unterlassene Geltendmachung der Schuldzinsen in der dafür vorgesehenen Zeile 57 der Anlage FW auf einem Rechtsirrtum - z.B. einer unrichtigen Vorstellung über den zeitlichen Umfang des erweiterten Schuldzinsenabzuges nach § 10 e Abs. 6 a EStG - beruhte. Für eine solche Möglichkeit spricht zum einen der Umstand, daß den Kl. auch nach Erteilung des Steuerbescheides das ihnen angeblich unterlaufene Versehen nicht sofort aufgefallen ist, obwohl der Schuldzinsenabzug - wie ihnen aus den Steuerbescheiden für die Jahre 1992 und 1993 hätte bekannt sein müssen - unter den Besteuerungsgrundlagen gesondert ausgewiesen wird. Für die Möglichkeit eines Irrtums spricht zum anderen, daß die Kl. auch in der Einkommensteuererklärung 1995 keine Angaben zum erweiterten Schuldzinsenabzug gemacht haben, obwohl dieser in Höhe des 1992 nicht ausgeschöpften Teilbetrages von 11.592 DM möglich war.

19

2.

Auch eine Änderung des bestandskräftigen Bescheides nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO kommt nicht in Betracht. Die Tatsachen, die zu einer niedrigeren Steuer führen - d.h. die Zahlung der Schuldzinsen, der Zeitpunkt des Bauantrages für das Haus, der Zeitpunkt seiner Fertigstellung sowie die Selbstnutzung durch die Kl. - ergeben sich aus den dem Veranlagungssachbearbeiter im Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung des Steuerbescheides vorliegenden Unterlagen. Sie sind dem FA deshalb nicht nachträglich bekanntgeworden (vgl. BFH, Urteil vom 20. Juni 1985 IV R 114/82, BFHE 143, 520, BStBl II 1985, 492, m.w.N.).

20

3.

Die Klage war daher abzuweisen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung.

21

Die Revision ist nicht zugelassen worden.