Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 06.04.2000, Az.: 4 A 4170/98

Flugblätter; Gruppenverfolgung; Kommunistische Partei; Kurden; Rechtsanwalt; Syrien

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
06.04.2000
Aktenzeichen
4 A 4170/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 41890
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Keine Gruppenverfolgung der syrischen Kurden. Verteilung von Flugblättern für Kommunistische Partei und Verfolgungsgefahr. Inhaltlich falsches Schreiben eines Rechtsanwalts.

Gründe

1

Aus den Gründen:

2

Der Kläger hat nicht glaubhaft machen können, dass er als Kurde bei einer Rückkehr nach Syrien mit politischer Verfolgung zu rechnen hat.

3

Bezüglich der Kurden liegen in Syrien nicht die Vorraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung vor. Dieses bestätigt auch das Nieders. Oberverwaltungsgericht, z.B. durch Beschluss vom 19.03.1997 - 2 L 4960/95 -. Ergänzend weist das erkennende Gericht darauf hin, dass auch nach den neuesten der Kammer vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln, nämlich z.B. der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 17.07.1996, der Auskunft des Orient-Institutes vom 20.07.1996 und der Auskunft des Seminars für Orientkunde der Universität Mainz vom Juli 1996, jeweils an das VG Braunschweig, Kurden in Syrien allenfalls dann vom Staat verfolgt werden, wenn sie sich regimekritisch politisch betätigen, nicht aber als solche oder wenn sie sich lediglich kulturell betätigen. Schließlich hebt das Gericht hervor, dass Kurden auch nicht wegen ihrer Eigenschaft als Kurden Verfolgungsmaßnahmen des syrischen Staates ausgesetzt sind oder - bei Wiedereinreise nach Syrien - wären. Nach der Auskunftslage ist davon auszugehen, dass die ethnische Minderheit der Kurden als solche in Syrien einer staatlichen Verfolgung nicht unterworfen ist. Fälle politischer Verfolgung allein wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden sind nicht bekannt. Die in den 60er Jahren von der damals regierenden syrischen Führung begonnene und von Präsident Assad bis 1976 zunächst noch fortgeführte Politik der "Arabisierung" der kurdischen Siedlungsgebiete Syriens ist noch im Jahre 1976 von der Assad-Regierung eingestellt worden (vgl. etwa die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 10.1.1990). Zwar betont die Ideologie der Baath-Partei den arabischen Charakter Syriens. Seit Ende der 70er Jahre sind jedoch Bestrebungen zur Zwangsarabisierung ethnischer Minderheiten oder staatliche Repressionen gegen nichtarabische Minderheiten allein aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit nicht mehr feststellbar (vgl. den o. g. Lagebericht des Auswärtigen Amtes).

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Eine somit allein in Betracht kommende politisch-oppositionelle Betätigung als Kurde hat der Kläger nicht glaubhaft machen können.

5

Um eine politische Verfolgung feststellen zu können, müssen die das Verfolgungsschicksal begründenden Tatsachen zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden. Dafür genügt es, dass diese Gründe glaubhaft gemacht werden. Dieses geschieht dadurch, dass ein zusammenhängender, im wesentlichen widerspruchsfreier Sachverhalt mit genauen Einzelheiten vorgetragen wird (vgl. zu den Anforderungen an die Schilderung der Verfolgungsgründe: BVerwG, Urt. vom 23.02.1988 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 79). Ist die Schilderung, die der Asylbewerber von seinem persönlichen Verfolgungsschicksal gibt, in wesentlichen Punkten unzutreffend oder in nicht auflösbarer Weise widersprüchlich, unzusammenhängend, sich beträchtlich steigernd oder verschwommen, so ist das Gericht nicht in der Lage, von einem bestimmten Sachverhalt auszugehen und ein Verfolgungsschicksal als glaubhaft gemacht zu bejahen.

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Der Kläger hat hiernach asylbegründenden Tatsachen nicht glaubhaft machen können.

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Der Kläger hat nicht glaubhaft machen können, dass er in Syrien wegen illegalen Verlassens seines Arbeitsplatzes zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt worden ist und dieses im Zusammenhang mit dem Auffinden von Unterlagen der kommunistischen Partei bei einer Hausdurchsuchung stand. Die diesbezüglichen Angaben des Klägers sind sehr oberflächlich und auch widersprüchlich. So gab er bei der Anhörung beim Bundesamt an, dass er am 11. Dezember 1997 eine Zeitung der kommunistischen Partei nicht habe zurückgeben können, während er in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, dass bei ihm zu Hause eine Zeitung, ein Flugblatt und normale Bücher über den Kommunismus vorhanden gewesen seien. Diese Widersprüche konnte er auch in der mündlichen Verhandlung nicht aufklären. Hinzu kommt, dass die vom Kläger aufgrund der behaupteten Beauftragung eines Rechtsanwaltes in Syrien erhaltenen und eingereichten Unterlagen nicht geeignet sind zu belegen, dass er wegen der Kontakte zu einem Mitglied der kommunistischen Partei von der Schule verwiesen wurde bzw. wegen illegalen Verlassens seines Arbeitsplatzes zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt wurde und deswegen weiterhin gesucht wird. Eine Abschrift bzw. Kopie dieses Urteils hat der Kläger nicht vorgelegt. Dieses ist bereits überraschend, da sein Rechtsanwalt in Syrien ein Protokoll über eine vermeintliche Hausdurchsuchung bei den Eltern des Klägers zu seiner Ergreifung vorgelegt hat, aber nicht eine Abschrift oder Kopie des zugrundeliegenden Urteils, obwohl dieses öffentlich verkündet worden sein soll. Stattdessen legte der Kläger nur ein Mitteilungsschreiben seines Rechtsanwaltes vor, wonach er seine Arbeit illegal verlassen habe und "nach dem Gesetz § 183 von 1998 (...) Personen, die ihre Arbeit illegal verlassen haben, zu einer 3-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt" werden und ein solches Urteil am 10.03.1998 ausgesprochen worden sei. Dieses Mitteilungsschreiben des Rechtsanwaltes ist bereit inhaltlich derart widersprüchlich, dass es nicht geeignet ist, die behauptete Verurteilung zu belegen und es fehlt deshalb bereits an der Grundlage für die hilfsweise begehrte Beweiserhebung zur Echtheit des eingereichten Briefes des Rechtsanwaltes aus Syrien und des nur in Kopie eingereichten Protokolls der behaupteten Hausdurchsuchung. In "dem Gesetz § 183 von 1998" ist nämlich nicht die Strafbarkeit wegen unerlaubten Fernbleibens vom Dienst geregelt. § 183 ist vielmehr eine Vorschrift der Strafprozessordnung, die lediglich Verfahrensregelungen zum Ablauf eines Strafverfahrens enthält. Die strafrechtlichen Folgen eines unerlaubten Fernbleibens vom Dienst ergeben sich vielmehr aus Art. 364 a StGB, der eine Strafe von 1 bis 5 Jahren Gefängnis und Geldstrafe vorsieht (vgl. hierzu Auskunft des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht vom 29.11.1993, Deutsches Orient-Institut vom 08.05.1996, Auswärtiges Amt vom 20.10.1993 und vom 12.01.1999). Vor diesem Hintergrund kann das Schreiben des Rechtsanwaltes aus Syrien bereits inhaltlich nicht als Beleg für die behauptete Verurteilung dienen.

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2. Die Voraussetzungen für einen vom Bundesamt nach § 51 Abs. 2 Satz 2 AuslG festzustellenden Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG liegen ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung gegenwärtig oder in absehbarer Zukunft bedroht ist. Der Anwendungsbereich des § 51 Abs. 1 AuslG betrifft neben den in § 51 Abs. 2 Satz 1 AuslG genannten Fällen (politische Verfolgung i.S.d. Art. 16 a Abs. 1 GG sowie anerkannte Flüchtlingseigenschaft) insbesondere die Fälle, in denen eine Anerkennung als Asylberechtigter aus den in §§ 26 a und 27 AsylVfG (bei Einreise aus Drittstaaten) genannten Gründen ausgeschlossen ist oder wegen selbst geschaffener (subjektiver) Nachfluchtgründe im Sinne des § 28 AsylVfG scheitert. Er knüpft am gleichen Begriff der politische Verfolgung an, den auch das Grundrecht auf Asyl zugrunde legt (BVerwG, Urt.v. 18.1.1994 - 9 C 48.92 -, NVwZ 1994, 497; Urt.v. 22.3.1994 - 9 C 443.93 -, NVwZ 1994, 1112). Die auch insoweit vorausgesetzte beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine derartige politische Verfolgung lässt sich im Falle des Klägers aus den bereits erwähnten Gründen nicht bejahen; sonstige, nicht bereits im Rahmen des grundrechtlichen Asylanspruchs berücksichtigte Umstände sind nicht ersichtlich.

9

Auch im Übrigen ist nicht erkennbar, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit politischer Verfolgung zu rechnen hätte. Es entspricht ständiger Rechtsprechung der Kammer, dass weder allein der Auslandsaufenthalt noch die Asylantragstellung zu einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit für eine politische Verfolgung bei einer Rückkehr nach Syrien führen, sofern die Betroffenen - wie hier - sich nicht politisch betätigt haben. Aus den Lageberichten des Auswärtigen Amtes, z. B. vom 13.01.1999, ergibt sich nämlich, dass die Einreise abgeschobener Antragsteller ohne Anhaltspunkte für eine politische Betätigung weitgehend unbehelligt verläuft und die Asylantragstellung als solche oder längerer Auslandsaufenthalt für sich in der Regel keine Anknüpfungspunkte für ein erhöhtes Interesse der Geheimdienste sind. Aus den der Kammer vorliegenden Auskünften von amnesty international, zuletzt vom 20.6.1996 an das VG Koblenz, ergibt sich im Ergebnis nichts anderes. Darin wird nämlich insoweit übereinstimmend mit den Angaben des Auswärtigen Amtes ausgeführt, dass mit zielgerichteter politischer Verfolgung in der Regel dann gerechnet werden muss, wenn sich jemand aktiv politisch oppositionell oder anderweitig regimekritisch verhält. Darüber hinaus wird zwar auch angeführt, dass syrische Asylantragsteller bei der Abschiebung gefährdet seien, von staatlichen Stellen verfolgt zu werden, da sie einem eingehenden Verhör durch die Einwanderungs- und Sicherheitsbehörden unterzogen werden. Weitergehend wird dann aber angeführt, dass die abgeschobenen Asylantragsteller dann in ein Haft- und Verhörzentrum in Damaskus gebracht werden, wo sie spätestens gefährdet sind, gefoltert zu werden, wenn sich bei der Überprüfung der Verdacht auf eine regimekritische Haltung oder frühere oppositionelle Betätigung ergibt. Bei der Befragung am Flughafen sei es hingegen nur nicht ausgeschlossen, dass es zu Misshandlungen durch Schläge oder zu anderen Maßnahmen komme. Auch aus dieser Stellungnahme kann daher nicht die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine politisch motivierte Verfolgung bei einer Rückkehr nach Syrien für diejenigen entnommen werden, die nicht in den Verdacht einer regimekritischen Haltung kommen könne. Übereinstimmend hiermit gibt das Deutsche Orient Institut, z. B. in der Auskunft an das VG Ansbach vom 8.5.1995, an, dass auch staatenlose Kurden aus Syrien allein wegen ihrer Asylantragstellung keine Bestrafung zu erwarten haben, da die staatlichen Organe Syriens die Bedeutung eines Asylverfahrens durchaus realistisch einschätzen können und das Asylverfahren in den Augen der syrischen Staatsorgane für nicht bereits in ihrem Heimatland politisch Verfolgte eben dieselbe Bedeutung hat wie in den Augen der Asylbewerber, nämlich die einer Formalie.

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Es besteht beim Kläger keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass er bei einer Rückkehr nach Syrien aus Sicht des syrischen Staates in den Verdacht einer regimekritischen Haltung geraten könnte. Nach den obigen Ausführungen kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger wegen unerlaubten Fernbleibens vom Dienst verurteilt worden ist, deshalb gesucht wird und darum bei einer Ankunft auf dem Flughafen Damaskus verhaftet werden würde. Für den diesbezüglichen Hilfsbeweisantrag fehlt es deshalb bereits an der erforderlichen Grundlage.

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3. Ferner liegen auch Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 AuslG nicht vor. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dem Kläger drohten die in § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 (BGBl. II, S. 68 - EMRK -) genannten Gefahren. Nach diesen Vorschriften darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter (§ 53 Abs. 1 AuslG) bzw. der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (§ 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK) unterworfen zu werden. Voraussetzung für die Annahme eines Abschiebungshindernisses ist, dass konkrete und ernsthafte Gründe bzw. begründete Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, der konkret Betroffene werde mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Zielstaat der Abschiebung unmenschlich behandelt werden; die bloße theoretische Möglichkeit genügt nicht (vgl. dazu EGMR, Urt.v. 30.10.1991 - 45/1990/236/302-306 -, NVwZ 1992, 869; BVerwG, Urt. v. 5.7.1994 - 9 C 1.94 -, S. 11 f., unter Hinweis auf sein Urteil vom 5.11.1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 8.4.1992 - A 16 S 1765/91 -, S. 2 f. des Abdrucks m.w.N.)

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Hinreichende Anhaltspunkte für eine beachtliche Gefährdung seiner durch § 53 AuslG geschützten Rechtsgüter hat der Kläger indessen weder vorgetragen, noch sind sie sonst ersichtlich.

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Im Übrigen stellt das Gericht fest, dass es der Begründung des angefochtenen Bescheides vom 22. April 1998 folgt, so dass eine weitere Darstellung entbehrlich erscheint (§ 77 Abs. 2 AsylVfG).

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4. Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in dem angegriffenen Bescheid entsprechen den Maßgaben der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylVfG.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b Abs. 1 AsylVfG.

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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.