Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 13.04.2000, Az.: 6 A 179/00

Cannabis; Fahreignung; Fahrerlaubnisentziehung; Haschischkonsum; med.-psychologisches Gutachten

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
13.04.2000
Aktenzeichen
6 A 179/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 41233
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Entziehung der Fahreignung ohne weitere Gutachten, wenn die Regelmäßigkeit des Konsums feststeht.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann eine Vollstreckung durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festgesetzten Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Der Antrag des Klägers, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären, wird abgelehnt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8.000,-- DM festgesetzt.

Tatbestand:

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Der Kläger erhielt im Juni 1994 eine Fahrerlaubnis der Klasse 1b, die im August 1998 auf die Klasse 3 erweitert wurde. Durch eine Mitteilung der Polizeiinspektion Goslar vom 26. Juli 1999 erhielt der Beklagte davon Kenntnis, dass gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz eingeleitet worden war. Der Kläger hatte angegeben, seit Ende 1998 Drogen konsumiert zu haben. Eine Einsichtnahme in die Ermittlungsakte ergab, dass bei einer Durchsuchung der Wohnräume des Klägers Rauchsiebe gefunden worden waren. Außerdem war der Kläger von mehreren Personen belastet worden, an sie Drogen verkauft zu haben. Anlässlich einer polizeilichen Vernehmung vom 27. April 1999 hatte der Kläger schließlich eingeräumt, seit etwa einem halben Jahr mit dem Haschischkonsum begonnen zu haben. Auf verschiedenen Partys in Hannover habe er wiederholt kostenlos Haschisch erhalten. Die Drogen, die er zum Eigenkonsum gekauft habe, habe er zu 10 v.H. geraucht und im übrigen im Kakao getrunken.

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Durch Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 06. Dezember 1999 wurde der Kläger wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40,-- DM verurteilt.

3

Mit Verfügung vom 17. November 1999 hatte der Beklagte dem Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis entzogen. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2000 als unbegründet zurück. Zur Begründung seines Rechtsbehelfs hatte der Kläger vorgetragen:

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Er habe zu keinem Zeitpunkt regelmäßig Haschisch konsumiert, sondern nur zweimal jeweils 50 g Cannabis gekauft. Bei seiner polizeilichen Vernehmung habe er lediglich deshalb einen Drogenkonsum eingeräumt, um sich den weiteren Fragen der Polizeibeamten zu entziehen. Er habe geglaubt, bei gleichzeitigem Eigenkonsum milder beurteilt zu werden. Die erworbenen Drogen habe er weiterverkauft. Es sei deshalb denkbar, dass er keinerlei Haschisch konsumiert habe. Es könne weder von einem regelmäßigen noch von einem gewohnheitsmäßigen Betäubungsmittelkonsum ausgegangen werden.

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Am 21. Februar 2000 (Montag) hat der Kläger vor dem Verwaltungsgericht Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor:

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Eine Entziehung der Fahrerlaubnis wegen des Konsums von Drogen sei nur dann statthaft, wenn ein regelmäßiger oder gewohnheitsmäßiger Cannabiskonsum vorliege. Er habe jedoch nicht regelmäßig, sondern gelegentlich Cannabis konsumiert. Soweit er bei seiner polizeilichen Vernehmung einen Drogenkonsum eingeräumt habe, seien seine Angaben nicht zutreffend gewesen; er habe sich damit lediglich aus der für ihn unangenehmen Vernehmungssituation befreien wollen. Es treffe insbesondere nicht zu, dass er auf verschiedenen Partys in Hannover von ihm unbekannten Personen wiederholt Haschisch erhalten habe. Er habe sich zeit seines Lebens in Clausthal-Zellerfeld aufgehalten und sei in Hannover noch niemals auf einer Party gewesen. Hannover liege mehr als eine Stunde von seinem Wohnort entfernt. Sofern die ermittelnden Beamten zu dieser Aussage nähere Angaben erfragt hätten, wäre ihnen der mit diesen Angaben verfolgte Zweck aufgefallen. Tatsächlich habe er nämlich lediglich Handel mit Drogen betrieben. Ein solches Verhalten könne jedoch für das Fahrerlaubnisverfahren nicht berücksichtigt werden.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 17. November 1999 i.d.F. des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Braunschweig vom 19. Januar 2000 aufzuheben

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sowie die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er entgegnet:

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Dem Kläger sei die Fahrerlaubnis entzogen worden, nachdem er bei seiner polizeilichen Vernehmung selbst einen regelmäßigen Konsum eingeräumt habe. Es sei nicht nachvollziehbar, dass sich der Kläger bei der polizeilichen Vernehmung nur deshalb selbst erheblich belastet habe, um sich aus der für ihn unangenehmen Vernehmungssituation zu befreien, wenn tatsächlich kein Eigenkonsum vorgelegen habe. Bei dieser Vernehmung habe er im Einzelnen dargelegt, Ende 1998 mit dem Rauchen von Haschisch begonnen und auf verschiedenen Partys in Hannover von ihm unbekannten Personen wiederholt Cannabis erhalten zu haben. Er habe außerdem einen zweimaligen Erwerb von Haschisch zum Eigenkonsum eingeräumt und angegeben, dieses zu einem Teil geraucht und im Übrigen im Kakao getrunken zu haben. Diese protokollierten Aussagen habe der Kläger gelesen, genehmigt und unterschrieben. Die Angaben seien deshalb auch nicht anzuzweifeln. Der vom Kläger eingeräumte Handel mit Cannabis sei von mehreren Zeugen bestätigt worden. Allerdings sei das Strafgericht über die vom Kläger zunächst nur eingeräumten Mengen von jeweils 10 g Haschisch hinausgegangen und habe den Kläger wegen zweimaligen Handeltreibens mit jeweils 50 g Haschisch verurteilt. Auch das Strafgericht sei hierbei davon ausgegangen, dass der Kläger lediglich Teile der von ihm erworbenen Drogen weiterveräußert habe.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Der Kammer haben außerdem die Strafakten 32 Ds 62 Js 7003/99-766/99 der Staatsanwaltschaft Göttingen vorgelegen. Diese Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet.

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Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG hat die Straßenverkehrsbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber dieser Fahrerlaubnis als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erwiesen hat. Von einer fehlenden Fahreignung ist insbesondere dann auszugehen, wenn ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) vorliegt, durch den die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird. Ein solcher Mangel ist die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11 ff. FeV) sowie eine regelmäßige Einnahme von Cannabis (Nr. 9.2.1 der Anlage 4), ohne dass bereits eine Abhängigkeit von diesen Stoffen bestehen muss. Im Anschluss an den Nachweis der Einnahme von Betäubungsmitteln der genannten Art ist in aller Regel eine Abstinenz von einem Jahr nachzuweisen, bevor von einer Dauerhaftigkeit der Entwöhnung oder Abkehr vom Drogenkonsum ausgegangen werden kann. Diese in den §§ 11 Abs. 1 und 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Anlage 4 normierten Eignungskriterien entsprechen den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den Auswirkungen eines Drogengenusses auf die Fahreignung, wie sie in das vom Bundesminister für Verkehr herausgegebene Gutachten "Krankheit und Kraftverkehr" Eingang gefunden haben. Die angefochtene Verfügung des Beklagten berücksichtigt diese Vorgaben.

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Es entspricht wissenschaftlicher Erkenntnis, dass ein akuter Cannabisrausch die Fahrtauglichkeit beeinträchtigt (BVerfG, Beschl. vom 09.03.1994, BVerfGE 90, 145; VGH München, Urt. vom 29.06.1999, 11 B 98.1093 m.w.N.). Ein Konsum von Cannabis kann zu einer starken Müdigkeit, Störung der Motorik, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwäche, zu einer Ausrichtung der Wahrnehmung auf irrelevante Nebenreize sowie zu einer Beeinträchtigung der Kritikfähigkeit und zur Selbstüberschätzung führen. Wegen solcher Auswirkungen auf die Verhaltenssteuerung eines Kraftfahrzeugführers begründet jedenfalls ein regel- oder gewohnheitsmäßiger Cannabiskonsum die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen. Ein regelmäßiger Gebrauch in diesem Sinne liegt vor, wenn Cannabisprodukte in bestimmten Zeitabständen wiederholt konsumiert werden, wobei eine im Sinne von Abhängigkeit verfestigte Gewohnheit nicht vorliegen muss.

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Von einem solchermaßen regelmäßigen Konsum von Cannabis ist beim Kläger auszugehen. Dies belegen seine bei der polizeilichen Vernehmung gemachten detaillierten Angaben zum Konsumverhalten sowie die im Rahmen des Strafverfahrens getroffenen Feststellungen. Der Kläger hatte bei seiner polizeilichen Vernehmung eingeräumt, über einen Zeitraum von nahezu einem halben Jahr wiederholt Drogen erworben und auch außerhalb eines selbst getätigten entgeltlichen Erwerbs Cannabis zum eigenen Verbrauch entgegengenommen zu haben. Die von ihm zunächst eingeräumten Ankaufmengen wurden allerdings im Strafurteil des Amtsgerichts Göttingen vom 06. Dezember 1999 um das mehrfache höher angenommen, als der Kläger zunächst zugegeben hatte. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger erhebliche Mengen der von ihm seit Januar 1999 käuflich erworbenen Drogen selbst konsumiert hat. Hiervon ist offenkundig auch das Amtsgericht Göttingen ausgegangen, wie die Urteilsbegründung erkennen lässt. Die im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren polizeilich vernommene Zeugin Schmidt, die eingeräumt hatte, seit Januar 1999 regelmäßig Haschisch konsumiert zu haben, hatte angegeben, diese Drogen bis Ende Februar 1999 in Mengen von drei bis vier Gramm wöchentlich vom Kläger erworben zu haben. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Göttingen diese Mengenangaben bestätigt ("pro Woche ca. drei Gramm, meistens am Wochenende"). Auf die ihm in der Verhandlung gestellte Frage, ob er selbst Drogen konsumiert habe, hat der Kläger keine Angaben machen wollen. Gleichwohl geht das Verwaltungsgericht in Anbetracht des Fehlens von Hinweisen auf die Veräußerung von weiteren Drogenmengen davon aus, dass der Kläger jedenfalls einen erheblichen Teil der ihm nach den Weiterverkäufen an die Zeugin Schmidt (ca. 25 bis 30 g) verbliebenen Restmenge (ca. 70 bis 75 g) innerhalb des Zeitraums bis Anfang März 1999 selbst konsumiert hat, wie er dies bei seiner polizeilichen Vernehmung zunächst eingeräumt hatte. Bei der nicht unbeträchtlichen Gesamtmenge von konsumierten Drogen kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass auch in dem Zeitraum ab Anfang 1999 lediglich eine gelegentliche Cannabiseinnahme durch den Kläger vorgelegen hatte. Dass der Kläger für die Drogenbeschaffung jeweils Fahrten von Clausthal-Zellerfeld auf sich genommen hatte, zeigt außerdem eine bereits eingetretene Verfestigung im Umgang mit dieser Droge. Es bedurfte deshalb keines weiteren Nachweises - insbesondere mit der Anforderung eines Drogenscreenings oder einer Haaranalyse - über das Ausmaß des Cannabiskonsums. Der Beklagte ist nach alledem zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger bereits das Stadium einer regel- bzw. gewohnheitsmäßigen Einnahme von Cannabis erreicht hatte, so dass infolgedessen die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr gegeben war. Zur Wiedererlangung der Fahreignung bedarf es in einem solchen Fall des Nachweises, dass sich der Betreffende dauerhaft und in seiner Einstellung gefestigt von der Drogeneinnahme gelöst hat. Hierzu ist in aller Regel ein Abstinenzzeitraum von regelmäßig einem Jahr nachzuweisen und die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erforderlich. Allein die Durchführung einer Urinuntersuchung ist schon im Hinblick auf die zeitlich begrenzte Nachweisdauer von Drogen im Urin - im Gegensatz zu einer Haaranalyse - in der Regel eine nur bedingt geeignete Untersuchungsmethode.

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Da in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung von einer Ungeeignetheit des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen war, sind die angefochtenen Bescheide zu bestätigen und ist die Klage mit der dem Kläger nachteiligen Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

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Der Antrag, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 162 Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg, weil nach dem Ausgang des Klageverfahrens der Kläger die Verfahrenskosten zu tragen hat und eine Kostenerstattung durch den Beklagten nicht in Betracht kommt. Die Nebenentscheidungen im Übrigen beruhen auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 GKG.