Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 06.06.2023, Az.: 4 A 469/17

Einbürgerung; Identitätsfeststellung; Maktumin; Staatenlos; Staatenlose; Staatsangehörigkeit; Gestufte Prüfung der Identität von Einbürgerungsbewerbern: Staatenlose Maktumin aus Syrien

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
06.06.2023
Aktenzeichen
4 A 469/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 33349
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2023:0606.4A469.17.00

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Nach syrischem Recht staatenlose Maktumin, die sich seit 20 Jahren nicht mehr in Syrien aufhalten, ist die Möglichkeit der Erlangung der syrischen Staatsangehörigkeit verwehrt. Weitergehende Urkunden, Personalpapiere oder Personenstandsurkunden kann dieser Personenkreis aus Syrien nicht erhalten.

  2. 2.

    Die Anwendung der gestuften Prüfung zur Identitätsfeststellung auch auf die Feststellung der Staatsangehörigkeit folgt der systematisch gleichwertigen Stellung von Identität und Staatsangehörigkeit in § 10 Abs. 1 StAG.

Tatbestand

Die Kläger begehren ihre Einbürgerung.

Die Klägerin zu 1), nach eigenen Angaben jesidisch-kurdische Volkszugehörige und geboren am O. 1977 in P., Syrien, reiste im Jahr 2000 über die Türkei nach Deutschland ein. Sie sowie ihre am Q. 2001 (Kläger zu 3), am R. 2003 (Klägerin zu 4) und am S. 2009 (Klägerin zu 2) in C-Stadt geborenen Kinder sowie der Ehemann der Klägerin zu 1) und ihr gemeinsamer in Syrien geborener Sohn T. (Kläger des Verfahrens 4 A 470/17) erhielten mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 11. September 2014 die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuerkannt. Sie erhielten sodann Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 2 AufenthG. Seit Januar 2020 sind die Kläger im Besitz unbefristeter Niederlassungserlaubnisse nach § 26 Abs. 3 S. 1 AufenthG.

Am 10. Juni 2016 beantragte die Klägerin zu 1) für sich und ihre minderjährigen Kinder die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Zum Nachweis ihrer Identität legten sie ihre Reiseausweise für Flüchtlinge und für die Kinder Auszüge aus dem Geburtenregister vor. Weiterhin legte die Klägerin zu 1) ein Zertifikat des Bundesamtes über einen am 6. Juni 2015 absolvierten Test "Deutsch für Zuwanderer" mit dem Ergebnis "B1", eine Bescheinigung über die Teilnahme am erfolgreichen Test "Leben in Deutschland" vom 19. Dezember 2014 sowie einen handschriftlichen Lebenslauf vor.

Zudem legte die Klägerin zu 1) eine durch den vor dem Landgericht Hannover vereidigten Dolmetscher U. C. aus Braunschweig am 17. November 2004 aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzte undatierte "Identitätsbescheinigung zur Erlangung einer Personalkarte" des "Ortsvorstehers V., Militärdirektor des Bezirkes Ras Al-Ain" vor.

Mit Bescheid vom 28. November 2017 lehnte der Beklagte die Anträge der Kläger auf Einbürgerung ab. Zur Begründung führte er aus, dass die vorliegende "Bürgermeisterbescheinigung" nach herrschender Rechtsprechung kein ausreichender Identitätsnachweis sei. Die Prüfung der Identität von Einbürgerungsbewerbern sei notwendige Voraussetzung und unverzichtbarer Bestandteil der vorgeschriebenen Status- und Sicherheitsprüfungen. Die völlig ungeprüfte Übernahme der Identitätsangaben von Flüchtlingen würde erhebliche Missbrauchsgefahren nach sich ziehen. Selbst bei anerkannten Flüchtlingen könne daher den typischerweise bestehenden Beweisschwierigkeiten in Bezug auf ihre Identität nur durch Erleichterungen in der Beweisführung, nicht aber durch einen generellen Verzicht auf die Identitätsprüfung Rechnung getragen werden. In Syrien bestehe ein funktionierendes Urkundswesen, jegliche Urkunden seien über das Zentralarchiv in Damaskus zu bekommen. Die Anforderung müsse nicht durch den Antragsteller selbst erfolgen. Eine Beschaffung über einen Bevollmächtigten sei möglich. Auch zur Staatsangehörigkeit der Kinder könne keine Aussage getroffen werden. Auch wenn entsprechende deutsche Geburtsurkunden vorlägen, seien diesen keine Aussage zur Staatsangehörigkeit zu entnehmen. Für die Kinder seien daher die Anträge auf Einbürgerung ebenfalls abzulehnen. In einem Erörterungsgespräch am 28. September 2017 sei der Sachverhalt mit der Klägerin zu 1) erörtert worden. Sie habe angegeben, nicht registriert und damit staatenlos zu sein. Daraufhin sei ihr von Seiten der Behörde erklärt worden, dass sie zunächst eine Anerkennung als Staatenlose anstreben müsse, damit dieser Umstand im Einbürgerungsverfahren berücksichtigt werden könne. Daraufhin habe die Klägerin zu 1) entgegnet, dass dies unmöglich sei und ihr Einbürgerungsantrag daher direkt abgelehnt werden solle, um die Angelegenheit gerichtlich klären zu können. Der Bescheid wurde der Klägerin zu 1) am 30. November 2017 zugestellt.

Am 18. Dezember 2017 haben die Kläger Klage erhoben und Prozesskostenhilfe beantragt. Zur Begründung führen sie aus, sie hätten in Syrien staatenlos als sogenannte Maktumi (= unregistrierte Ausländer) gelebt. Verwandte des Ehemannes der Klägerin zu 1) und Vaters der Kläger zu 2) - 4) besäßen die syrische Staatsangehörigkeit. In den 1960er Jahren hätten sich Staatenlose in Syrien für Geld einbürgern lassen können. Von dieser Möglichkeit habe der Onkel väterlicherseits des Ehemannes und Vaters Gebrauch gemacht. Dessen Enkelkinder und eine Tochter lebten ebenfalls in C-Stadt. Der Vater des Ehemannes und Vaters hingegen habe keine finanziellen Mittel gehabt, um sich damals die syrische Staatsangehörigkeit zu erkaufen. Zur Identitätsfeststellung hätten die Kläger bereits einen Vertrauensanwalt in Syrien eingeschaltet, um ihre Identität zu ermitteln. Dies sei erfolglos geblieben und habe keine weiteren Erkenntnisse gebracht. Sie seien in den syrischen Zivilregistern nicht erfasst, weil sie staatenlos seien. Deshalb stellten die Behörden auch keinerlei Identitätsdokumente aus. Auch an die Botschaft der Republik Syrien in Berlin hätten sie sich diverse Male gewandt. Die Botschaft habe nicht einmal auf ihre Anfrage reagiert. Selbst eine Anfrage des Beklagten vom 8. Januar 2010 an die syrische Botschaft sei ebenfalls unbeantwortet geblieben. Auch die Beauftragung eines Vertrauensanwalts in Syrien durch den Beklagten sei erfolglos verlaufen. Nach der neuesten Rechtsprechung des Eufach0000000030s hätten sie sich hinreichend um eine Identitätsklärung bemüht.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten zu verpflichten, über ihre Anträge auf Einbürgerung unter Aufhebung des Bescheides vom 28.11.2017 unter Beachtung der Rechtsaufassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Kläger seien nicht als Staatenlose anerkannt. Gegen die Eintragungen als syrische Staatsangehörige in ihren Reiseausweisen für Flüchtlinge hätten sie weder Klage erhoben, noch dem widersprochen. Bestätigungen oder Negativbescheinigungen der offiziellen syrischen Behörden lägen nicht vor. Die Versuche der Kläger solche zu erlangen seien trotz Aufforderung nicht nachgewiesen worden. Somit sei ihre Identität nicht nachgewiesen.

Den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat die Kammer mit Beschluss vom 18. Juni 2020 abgelehnt. Mit Beschluss vom 3. August 2020 hat das Nds. OVG den Klägern für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt (13 PA 273/20).

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die auf Neubescheidung gerichtete, als Verpflichtungsklage zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 28. November 2017, mit dem die Einbürgerung der Kläger aufgrund fehlender Nachweise von Identität und Staatsangehörigkeit (§ 10 Abs. 1 S.1 StAG) abgelehnt wurde, ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Der Beklagte ist zur erneuten Bescheidung der Einbürgerungsanträge verpflichtet (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO).

Nach § 10 StAG ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 StAG (mithin 16 Jahre alt) oder gesetzlich vertreten ist, auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und die weiteren Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 1-7 StAG vorliegen.

Die Kläger verfügen seit Januar 2014 über Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 2 AufenthG und seit Januar 2020 über unbefristete Niederlassungserlaubnisse. Zuvor hielten sie sich während ihrer Asylverfahren gestattet im Bundesgebiet auf. Die Klägerin zu 1) lebt seit ihrer Einreise nach Deutschland im Jahr 2000 in C-Stadt, die Kläger zu 2), 3) und 4) sind in C-Stadt geboren und aufgewachsen.

Die Kläger haben zur Überzeugung der Kammer ihre Identität den Anforderungen des § 10 Abs. 1 bzw. § 8 Abs. 1 StAG unter Maßgabe einer gestuften Prüfung entsprechend der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung nachgewiesen.

Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG und § 8 Abs. 1 StAG setzt die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband voraus, dass die Identität des Ausländers geklärt ist. Das Merkmal der Identitätsklärung dient gewichtigen sicherheitsrechtlichen Belangen der Bundesrepublik Deutschland und ist Ausgangspunkt für die Prüfung weiterer Einbürgerungsmerkmale. Mit dem Wirksamwerden der Einbürgerung (vgl. § 16 S. 1 StAG) wird einer bestimmten Person mit einer in der Einbürgerungsurkunde festgehaltenen Identität konstitutiv eine neue Staatsangehörigkeit verliehen. Das öffentliche Interesse daran, zu verhindern, dass einer Person eine vollkommen neue Identität oder eine zusätzliche C.as-Identität verschafft und ihr dadurch die Möglichkeit eröffnet wird, im Rechtsverkehr mit mehreren unterschiedlichen Identitäten und amtlichen Ausweispapieren aufzutreten, gebietet es, die identitätsrelevanten Personalien einer sorgfältigen Überprüfung mit dem Ziel einer Richtigkeitsgewähr zu unterziehen (vgl. BVerwG, Urteil v. 01.09. 2011 - 5 C 27.10 - juris).

Die Voraussetzungen für die Klärung der Identität müssen so ausgestaltet sein, dass es bis zur Grenze der objektiven Möglichkeit und subjektiven Zumutbarkeit mitwirkenden Einbürgerungsbewerbern auch dann möglich bleibt, ihre Identität nachzuweisen, wenn sie sich in einer Beweisnot befinden, etwa weil deren Herkunftsländer nicht über ein funktionierendes Personenstandswesen verfügen oder ihre Mitwirkung aus Gründen versagen, die der Einbürgerungsbewerber nicht zu vertreten hat, oder weil dieser als schutzberechtigter Flüchtling besorgen muss, dass eine auch nur gleichsam technische Kontaktaufnahme mit Behörden des Herkunftslandes Repressalien für Dritte zur Folge hätte. Die dem § 10 Abs. 1 S. 1 StAG und dem § 8 Abs. 1 StAG zugrundeliegenden sicherheitsrechtlichen Belange der Bundesrepublik Deutschland und das grundrechtlich geschützte Recht des Einbürgerungsbewerbers, eine Klärung seiner Identität bewirken zu können, sind im Rahmen einer gestuften Prüfung einem angemessenen Ausgleich zuzuführen (vgl. BVerwG, Urteil v. 23.09.2020 - 1 C 36/19 - juris). Den Nachweis seiner Identität hat der Einbürgerungsbewerber zuvörderst und in der Regel durch Vorlage eines Passes, hilfsweise auch durch einen anerkannten Passersatz oder ein anderes amtliches Identitätsdokument mit Lichtbild (z.B. Personalausweis oder Identitätskarte) zu führen. Ist er nicht im Besitz eines solchen amtlichen Identitätsdokuments und ist ihm dessen Erlangung objektiv nicht möglich oder subjektiv nicht zumutbar, so kann er seine Identität auch mittels anderer geeigneter amtlicher Urkunden nachweisen, bei deren Ausstellung Gegenstand der Überprüfung auch die Richtigkeit der Verbindung von Person und Name ist, sei es, dass diese mit einem Lichtbild versehen sind (z.B. Führerschein, Dienstausweis oder Wehrpass), sei es, dass sie ohne ein solches ausgestellt werden (z.B. Geburtsurkunden, Melde-, Tauf- oder Schulbescheinigungen). Dokumenten mit biometrischen Merkmalen kommt insoweit ein höherer Beweiswert zu als solchen ohne diese Merkmale. Ist der Einbürgerungsbewerber auch nicht im Besitz solcher sonstigen amtlichen Dokumente und ist ihm deren Erlangung objektiv nicht möglich oder subjektiv nicht zumutbar, so kann sich der Ausländer zum Nachweis seiner Identität sonstiger nach § 26 Abs. 1 S. 1 und 2 VwVfG zugelassener Beweismittel bedienen. Hierzu zählen insbesondere nichtamtliche Urkunden oder Dokumente, die geeignet sind, die Angaben zu seiner Person zu belegen, gegebenenfalls auch Zeugenaussagen. Ist dem Einbürgerungsbewerber auch ein Rückgriff auf sonstige Beweismittel im Sinne des § 26 Abs. 1 S. 1 und 2 VwVfG objektiv nicht möglich oder subjektiv nicht zumutbar, so kann die Identität des Einbürgerungsbewerbers ausnahmsweise allein auf der Grundlage seines Vorbringens als nachgewiesen anzusehen sein, sofern die Angaben zur Person auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalles und des gesamten Vorbringens des Einbürgerungsbewerbers zur Überzeugung der Einbürgerungsbehörde feststehen. Nur durch eine solche abgestufte Zulassung der Nachweisarten und umfassende Tatsachenwürdigung kann erheblichen Missbrauchsgefahren effektiv begegnet werden. Ein Übergang von einer Stufe zu einer nachgelagerten Stufe ist nur zulässig, wenn es dem Einbürgerungsbewerber trotz hinreichender Mitwirkung nicht gelingt, den Nachweis seiner Identität zu führen. Gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 VwVfG beziehungsweise - im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - § 86 Abs. 1 S. 1 VwGO gilt auch in Bezug auf das Erfordernis der Klärung der Identität der Untersuchungsgrundsatz. Dieser wird indes infolge des Umstands, dass die Identität die Sphäre des Einbürgerungsbewerbers unmittelbar berührt, durch dessen verfahrensrechtliche Mitwirkungslast eingeschränkt. Während die Einbürgerungsbehörde insoweit primär eine Hinweis- und Anstoßpflicht trifft, unterliegt der Einbürgerungsbewerber gemäß § 37 Abs. 1 S. 2 StAG i.V.m. § 82 Abs. 1 AufenthG im Hinblick auf die Klärung seiner Identität einer umfassenden, bis zur Grenze der objektiven Möglichkeit und subjektiven Zumutbarkeit reichenden Initiativ- und Mitwirkungsobliegenheit. Er ist gehalten, eigenständig die Initiative zu ergreifen, um seine Identität nachzuweisen, und alles ihm Mögliche und Zumutbare zu unternehmen, um die hierfür erforderlichen Beweismittel beizubringen. Genügt er dieser Pflicht nicht oder nicht in dem geschuldeten Umfang, so ist dem im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 26 VwVfG beziehungsweise - im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - nach § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO Rechnung zu tragen. Erweisen sich von ihm eingereichte Beweismittel als gefälscht oder zwar als echt, aber als inhaltlich unrichtig, so ist auch dies im Rahmen der Beweiswürdigung mit Gewicht zu seinen Lasten zu berücksichtigen. Können verbleibende Zweifel an der Richtigkeit der angegebenen Personalien nicht ausgeräumt werden, so trägt der Einbürgerungsbewerber die diesbezügliche Feststellungslast (BVerwG, Urteil v. 23.09 2020 - 1 C 36/19 - juris Rn. 21). Unzumutbar sind in dem Zusammenhang insbesondere jedoch offensichtlich aussichtslose Bemühungen. Sie darf die Behörde von dem Ausländer auch mit Blick auf seine Mitwirkungspflichten nicht fordern (vgl. OVG Saarland, Urteil v. 10.06.2010 - 2 A 13/10 - juris Rn. 38 zu einem Reiseausweis für Staatenlose).

Der Beklagte geht zur Überzeugung der erkennenden Kammer zu Unrecht nach wie vor von einer ungeklärten und (weiter) aufzuklärenden Identität und Staatsangehörigkeit der Kläger aus. Dabei ist ihm zunächst einzuräumen, dass die in den die Asylverfahren der Klägerin zu 1) und des Vaters der übrigen Kläger abschließenden rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Urteilen (6 A 54/01 und 6 A 53/01) aus dem Jahre 2001 enthaltene Überzeugung des dort erkennenden Gerichts, dass es sich bei ihnen um staatenlose Kurden aus Syrien handele, dem Beklagten gegenüber schon deswegen keine Bindungswirkung entfaltet, weil er in diesem Rechtsstreit nicht beteiligt gewesen ist (§ 121 Satz 1 VwGO).

Die Kläger zu 1), 3) und 4) sowie die gesetzlichen Vertreter der Klägerin zu 2) haben vor dem Hintergrund der genannten Maßstäbe zunächst alles ihnen Mögliche und Zumutbare unternommen, um den Nachweis ihrer Identität und Staatsangehörigkeit durch amtliche Identitätsdokumente (1. Stufe) und weiterhin durch andere geeignete amtliche Urkunden (2. Stufe) zu führen.

Die Klägerin zu 1) hat mit dem Antrag auf Einbürgerung eine Identitätsbescheinigung eines Dorfvorstehers, sog. "Bürgermeisterbescheinigung" vorgelegt, die laut Übersetzung mit der Eintragung versehen ist, dass es sich bei der Klägerin zu 1) um eine Angehörige der sogenannten Maktumin (staatenlose Kurden in Syrien) handelt. Der gesetzliche Vertreter der Klägerin zu 2) und Vater der Kläger zu 2), 3) und 4), von dem sich nach syrischem Recht die Staatsangehörigkeit für Kinder grundsätzlich allein ableitet, hat eine solche Bescheinigung ebenfalls zur Ausländerakte beim Beklagten eingereicht. Diese vorgelegten "Bürgermeisterbescheinigungen" allein vermögen weder die Identität der Kläger, noch ihre Staatenlosigkeit nachzuweisen. Derartige Bescheinigungen, die einzigen Papiere, die "Nichtregistrierte" in Syrien erhalten können, haben nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes keinen Beweiswert hinsichtlich der Zugehörigkeit zur Gruppe der Maktumin, weil die Papiere quasi gegen Geld von jedermann bei vielen Ortsvorstehern "auf Zuruf" oder "nach Bedarf" erworben werden können (vgl. OVG Saarland, Urteil v. 10.06.2010 - 2 A 13/10 - juris Rn.47; OVG NRW, Beschluss v. 19.11.2017 - 17 E 544/07 - juris Rn.9; Nds. OVG, Beschluss v. 08.07.2010 - 2 LA 278/09 - juris Rn.28).

Für den syrischen Staat existiert die Gruppe der Maktumin nicht. Sie haben keinerlei Rechte, werden behördlich nicht erfasst und erhalten keinerlei staatliche Dokumente. Nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Stand: März 2023) entstanden in Syrien nach einer Volkszählung 1962 hinsichtlich der in Syrien lebenden jesidischen Kurden zwei Gruppen: Die als staatenlose "Ausländer" registrierten Ajanib (Ausländer - Stand 2011: ca. 350.000 Personen), und die nicht-registrierten Maktumin ("versteckt" - Stand 2011: ca. 170.000 Personen). Ajanib erhalten standesamtliche Identitätsdokumente, Maktumin nur in Ausnahmefällen. Maktumin konnten bisher keine Pässe beantragen, ihre Kinder nicht registrieren und einschulen lassen und nicht legal heiraten. Außerdem ist ihnen der Zugang zu Wahlen und staatlichen Arbeitsplätzen verwehrt. Zu Beginn der Aufstände in Syrien hat das Assad-Regime im April 2011 bekannt gegeben (Dekret Nr. 49 vom 7. April 2011), dass in Syrien lebende staatenlose Kurden und Kurdinnen die syrische Staatsangehörigkeit erhalten sollten. Bis Mai 2018 sollen laut eines Berichts der Menschenrechtsorganisation Syrians for Truth and Justice ca. 320.000 Ajanib die syrische Staatsangehörigkeit erhalten haben. Ca. 50.000 Maktumin sollen ihren Rechtsstatus legalisiert haben und in der Folge dann als Ajanib die syrische Staatsangehörigkeit erhalten haben. Betroffenen, die sich nicht mehr in Syrien aufhalten, ist die Möglichkeit der Erlangung der syrischen Staatsangehörigkeit verwehrt. Weitergehende Urkunden kann dieser Personenkreis nicht erlangen (Lagebericht AA v. 29. März 2023, S. 32). Da die Kläger sich seit dem Jahr 2000 nicht mehr in Syrien, sondern in Deutschland aufhalten und nicht über Verwandte in Syrien verfügen, ist der Erhalt von Personalpapieren oder Personenstandsurkunden objektiv nicht möglich.

Bereits im aus den beigezogenen Akten des Beklagten dokumentierten Verwaltungsverfahren um die Anträge der Klägerin zu 1) und des Vaters der Kläger zu 2), 3) und 4) auf Ausstellung von Reiseausweisen für Staatenlose haben sich die Kläger auf weiteren Wegen bemüht, geeignete amtliche Urkunden oder Bescheinigungen zu erhalten. In der Beiakte 011 ist dokumentiert, dass sich die Kläger unter Austausch mit dem Beklagten im Zeitraum 2009-2010 selbst an die syrische Botschaft in Berlin sowie auch an die türkische Botschaft in Deutschland und an die deutsche Botschaft in der Türkei wandten, um ihre Abstammung bestätigen zu lassen bzw. eine ihnen als möglich unterstellte türkische Staatsangehörigkeit ausschließen zu können. Die Kläger beauftragten über ihren Prozess- und Verfahrensbevollmächtigten im Jahr 2009 einen Rechtsanwalt in Syrien mit Recherchen in den syrischen Zivilregistern, um eine eventuelle syrische Staatsangehörigkeit zu klären. Dessen Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass der Vater der Kläger zu 2), 3) und 4) sowie Ehemann der Klägerin zu 1) mit seiner Familie weder im syrischen Zivilregister noch im Register der Provinz W. über die dort lebenden "Ajaneb" registriert war. Auch der Beklagte wandte sich an die syrische Botschaft in Berlin; das Schreiben blieb jedoch auch auf Nachfrage unbeantwortet.

Im Verfahren um einen Reiseausweis für den Ehemann und Vater der Kläger wurde darüber hinaus ein Zivilregisterauszug aus Syrien über einen weiteren Rechtsanwalt in Syrien seitens der Ausländerbehörde eingeholt (vgl. Schriftsatz des Beklagten vom 18. Februar 2015 mit Anlagen zum Verfahren 4 A 140/13; Beiakte 007). Dieser Auszug weist einen Treffer mit dem Namen "X. C." aus, allerdings stimmen die dortigen Angaben insbesondere hinsichtlich des Namens der Ehefrau, der Religion und der Herkunftsregion nicht mit den Angaben der Familie überein, so dass auch diese Untersuchung aus Sicht der Ausländerbehörde nicht zu einer Klärung der Identität der Kläger oder ihrer Staatsangehörigkeit selbst führte und damit ergebnislos blieb.

Im Übrigen ist weder durch die Beteiligten aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich, in welcher Weise hier weitergehende Aufklärungsmaßnahmen möglich und erfolgversprechend sein könnten. Die Einholung einer Auskunft der syrischen Behörden ist nach der Auskunftslage aussichtslos. Für "Maktumin" existiert kein Register, aus dem um Auskunftserteilung ersucht werden könnte (vgl. Lagebericht Syrien des Auswärtigen Amtes vom 17. März 2006, S. 13 f.). Selbst für staatenlose Kurden, die als Inhaber orange-roter Ausweiskarten in das syrische Ausländerregister eingetragen sind, wird seit Anfang 2001 die Auskunft verweigert (vgl. Lagebericht Syrien des Auswärtigen Amtes vom 17. März 2006, S. 13 f., 28).

Danach hat die Kammer auf der Dritten Stufe der Möglichkeit einer Identitätsklärung Beweis erhoben durch Vernehmung der von den Klägern benannten Zeugen Herrn A., einem Cousin des Ehemannes der Klägerin zu 1) und Vaters der Kläger zu 2), 3) und 4) mütterlicherseits sowie Herrn B., einem Kindheitsfreund des Ehemannes und Vaters im Dorf P. in Nordsyrien.

Die Zeugen haben übereinstimmend mit den Angaben der Klägerin zu 1) und des gesetzlichen Vertreters der Klägerin zu 2) ihr Zusammenleben als Nachbarn in dem kleinen Dorf P. vor ihrer jeweiligen Ausreise beschrieben. Beide - inzwischen in Deutschland eingebürgerte, ehemals syrische Staatsangehörige - konnten sich noch an die Vornamen der Eltern der Klägerin zu 1) erinnern und berichteten auch, dass der Großvater der Kläger zu 2), 3) und 4) väterlicherseits gestorben sei, als sein Sohn, ihr Vater, noch ein Baby gewesen sei. Sie berichteten im Rahmen ihrer Erinnerungen über 30 Jahre nach der Ausreise aus Syrien übereinstimmend und widerspruchsfrei, wie die Familie C. sich ihren Lebensunterhalt durch Arbeit auf Feldern von arabischen bzw. christlichen Eignern sicherte, da sie als staatenlose Maktumin kein eigenes Land hätten besitzen können. Sie selbst seien jeweils beide syrische Staatsangehörige gewesen, die Familie C. habe hingegen zu den unregistrierten Maktumin gehört. Das Dorf sei anfangs sehr klein gewesen; Herr B. gab an, nach und nach seien durch Heranwachsen weiterer Generationen etwa 30 Familien in dem Dorf ansässig gewesen. Es habe überwiegend Araber gegeben und ein paar Unregistrierte, wie die Familie C., auch Christen anfangs, aber die seien über die Jahre von den Arabern verdrängt worden. Das Gericht hat keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit der auch auf Nachfragen der Kammer sowie der Prozessbeteiligten spontanen, in sich schlüssigen und widerspruchsfreien Einlassungen der Zeugen B. und A.. Insbesondere stimmten die Aussagen mit den zuvor in ihrer Abwesenheit abgegebenen Erklärungen der Klägerin zu 1) und des gesetzlichen Vertreters der Klägerin zu 2) überein. Soweit der Zeuge B. zunächst angab, die Familie C. habe damals in P. ausschließlich Land von Arabern bewirtschaftet und Christen habe es im Dorf eigentlich keine gegeben, während die Klägerseite zuvor erklärt hatte, auf Ländereien von Christen gearbeitet zu haben, löste sich dieser Widerspruch zum Randgeschehen dahingehend auf, dass er auf Nachfrage erklärte, sich zu erinnern, dass sie jedenfalls Land bewirtschaftet hätten, das ein Christ von einem Kurden gepachtet hatte. Die Christen seien nach und nach weggegangen, später habe es dort keine mehr gegeben und von ihren eigenen Nachbarn und Verwandten lebe dort heute keiner mehr. Auch die auf Nachfrage von den Zeugen genannten Namen der Großeltern der Kläger zu 2), 3) und 4) mütterlicherseits stimmten mit den Namen auf der ebenfalls vorgelegten "Ehebescheinigung" (dazu sogleich) überein.

Die zur Überzeugung der Kammer glaubhafte Bestätigung der Identität der Kläger durch die Zeugen wird auch nicht durch die im aufenthaltsrechtlichen Verwaltungsverfahren vorgelegte "Ehebescheinigung" des örtlichen Dorfvorstehers in Zweifel gezogen, die vom Beklagten als widersprüchlich und die Glaubhaftigkeit des Vorbringens der Kläger hinsichtlich ihrer Identität und Staatenlosigkeit erschütternd angesehen wird.

Die in Kopie auf Arabisch vorgelegte "Ehebescheinigung" ist nach der sich in der Verwaltungsakte des Beklagten (Beiakte 005) befindlichen Übersetzung vom 5. September 1997 und ausweislich des Stempels am 30. Mai 1999 ausgestellt worden. Es wird die Eheschließung der Klägerin zu 1) mit dem Vater der Kläger zu 2), 3) und 4) bestätigt. In der Mitte dieser Bescheinigung wird auch die Geburt des ältesten Sohne T., Kläger des Verfahrens 4 A 470/17 mit dem Datum 14. Juli 1999 aufgeführt. Dieses Geburtsdatum von T. C. weicht somit von dem in den asyl- und ausländerrechtlichen Akten ebenso wie in den bislang ausgestellten Aufenthaltserlaubnissen und Reiseausweisen angegeben Geburtsdatum T. s "14. Juni 1999" ab. Hierzu haben die Klägerin zu 1) und der gesetzliche Vertreter der Klägerin zu 2) jedoch glaubhaft erklärt, dass der "14. Juni" bei ihrer Ankunft als Asylsuchende im Jahr 2000 im Rahmen der Niederschrift ihrer Angaben zu den Personaldaten falsch vom Bundesamt aufgenommen worden sei. In ihrer damaligen Situation mit erheblichen Sprachbarrieren und Unsicherheiten hätten sie keine Berichtigung von den Behörden verlangt und dies auch in der Folge dann nicht berichtigen lassen, weil sie es als für sie nicht so wichtig angesehen hätten, da sie ohnehin keine Papiere des syrischen Staates gehabt hätten und die Abweichung nur einen Monat betreffe. Diesen Widerspruch haben die Beteiligten nach dem Gesamteindruck der Kammer in der mündlichen Verhandlung unter der Berücksichtigung der bestehenden kulturellen Unterschiede bei der Beurteilung der Wichtigkeit korrekter Geburtsdaten nachvollziehbar aufgelöst. Zudem spricht mehr für als gegen die Glaubhaftigkeit sowohl der Angaben der Beteiligten in ihrer Befragung als auch der Zeugenaussagen, dass die Beteiligten die Widersprüchlichkeit der aufgedruckten Ausstellung der Bescheinigung im September 1997 und gleichzeitiger Berücksichtigung des erst im Juni 1999 geborenen Sohnes T. selbst eingeräumt haben, als die nicht der arabischen Schriftsprache mächtige Kammer die arabische Version der Ehebescheinigung mit ihnen erörterte. Die Beteiligten konnten sich diesen offen eingeräumten Widerspruch nur so erklären, dass sie nach der Geburt von T. eine neue solche Bescheinigung ausstellen ließen und die dem Gericht aus den beigezogenen Akten der Ausländerbehörde vermutlich diese zweite Version aus 1999 mit nachträglichen Eintragungen sei.

Soweit sich der Beklagte darauf beruft, dass der Vater der Kläger 2), 3) und 4) als Staatsangehörigkeit auf dem Antragsformular bezüglich seines Reiseausweises "SYR" angegeben hat und diese Staatsangehörigkeitsangabe auch im Reiseausweis steht, führt dies nicht zu einer anderen Bewertung oder gar konstitutiven Begründung einer syrischen Staatsangehörigkeit der Kläger. Die Angaben in den Antragsformularen divergieren, auch bei den Klägern. Im gleichen Formular 2014 gab der Ehemann und Vater der Kläger z.B. "staatenlos" an. Durchgehend durch die Ausländerakten ist in den Antragsformularen wechselnd entweder "syrisch" oder "staatenlos aus Syrien" eingetragen. In den Aufenthaltserlaubnissen bzw. Reiseausweisen steht überwiegend "SYR". Im Einbürgerungsantrag hat die Klägerin zu 1) für die Kläger zu 2) - 4) und für ihren Ehemann (der keinen Antrag gestellt hat) als Staatsangehörigkeit "syrisch" angegeben. Hierzu haben die Kläger für die Kammer glaubhaft und nachvollziehbar erklärt, dass der für sie zuständige Mitarbeiter des Beklagten ihnen aufgegeben habe, die entsprechenden Felder bei "Staatsangehörigkeit" mit "SYR" auszufüllen, da sie aus Syrien gekommen seien.

Die Kläger haben damit sowohl ihre Identität als auch ihre Staatsangehörigkeit den Anforderungen des § 10 Abs. 1 bzw. § 8 Abs. 1 StAG entsprechend unter Maßgabe der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung angewandten gestuften Prüfung nachgewiesen.

Die Anwendung der gestuften Prüfung zur Identitätsfeststellung auf die Feststellung der Staatsangehörigkeit folgt der systematisch gleichwertigen Stellung von Identität und Staatsangehörigkeit in § 10 Abs. 1 StAG. Denn die geklärte Staatsangehörigkeit ist in der maßgeblichen aktuellen Fassung vom 21. Dezember 2022 (BGBl. I, S.2847) nicht mehr nur für die Statusprüfung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 4 StAG relevant, sondern in der Einleitung des § 10 Abs. 1 StAG neben der geklärten Identität eine allgemeine Voraussetzung für die Einbürgerung. Nach § 10 Abs. 1 StAG ist ein Ausländer einzubürgern, "wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind". Diese allgemeinen Voraussetzungen wurden in Reaktion auf die Rechtsprechung des Eufach0000000030s zur Identitätsfeststellung eingeführt (BT-Drs. 19/11083, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat, S. 11, 12; siehe auch BVerwG, Urteil v. 23.09.2020 a.a.O., Rn. 10). Dabei wurde bewusst auch die geklärte Staatsangehörigkeit als zwingende Einbürgerungsvoraussetzung aufgenommen, weil ihr eine vergleichbare Bedeutung wie der geklärten Identität zukomme (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat a.a.O.). Außerdem beeinflussen die Staatsangehörigkeit und die Identität einander wechselseitig. Denn die identitätsbildenden Kriterien wie etwa die Namensvergabe (vgl. zur Namensführung Art. 10 EGBGB), Familienstand oder Titel hängen vom anwendbaren Recht desjenigen Staates ab, dem der Betroffene angehört (VGH Hessen, Beschluss v. 30.12.2021 - 5 A 692/21.Z - juris Rn.6).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. § 709 ZPO.