Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 13.06.2023, Az.: 13 A 1/22

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
13.06.2023
Aktenzeichen
13 A 1/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 46601
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2023:0613.13A1.22.00

Amtlicher Leitsatz

Der Minderheitenschutz des § 34 Abs. 2 Satz 2 BPersVG erstreckt sich nicht nur auf die konstituierenden Vorstands- sondern auch auf mögliche Nachwahlen für den Fall des Ausscheidens von Mitgliedern des erweiterten Vorstands.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Zusammensetzung des Vorstands des Beteiligten zu 1.

Am 2. April 2020 wurden beim Luftfahrt-Bundesamt (Beteiligte zu 2.) Wahlen zum Gesamtpersonalrat durchgeführt. Bei dieser Wahl traten die Antragsteller als Kandidaten sowohl für die Gruppe der Beamten als auch für die Gruppe der Arbeitnehmer an. Sie wurden auf den Wahlvorschlägen mit dem Kennwort VBOB Plus geführt. Bei den Wahlen wurden insgesamt 510 Stimmen abgegeben, wobei auf die Liste VBOB Plus insgesamt 182 Stimmen entfielen, davon 106 Stimmen aus der Gruppe der Arbeitnehmer und 76 Stimmen aus der Gruppe der Beamten. In der konstituierenden Sitzung des Beteiligten zu 1. am 20. April 2020 wurden zunächst sowohl der Vorstand als auch der erweiterte Vorstand gewählt, wobei von der Liste VBOB Plus Herr I. zum Vorsitzenden des Beteiligten zu 1. und Frau J. in den erweiterten Vorstand gewählt wurde.

Frau J. legte ihr Mandat im Juli 2021 nieder, Herr I. ist auf unabsehbare Zeit erkrankt. Daraufhin fand auf Antrag von mehr als einem Viertel der Mitglieder des Beteiligten zu 1. am 14. Oktober 2021 eine Sondersitzung statt, in der u. a. der erweiterte Vorstand neu gewählt werden sollte. Da diese Wahl - offenbar irrtümlich - nur durch die Gruppe der Beamten erfolgte, musste sie wiederholt werden, was in der hier streitgegenständlichen Sitzung des Beteiligten zu 1. am 3. November 2021 erfolgte. In diesem Termin ließen die Antragsteller durch Frau K., einem früheren, zwischenzeitlich ausgeschiedenen Mitglied der Liste VBOB Plus und vormaligen Antragstellerin zu 1., mitteilen, dass ihnen, also der Liste VBOB Plus, ein Sitz im erweiterten Vorstand zustehe. Herr A., der Antragsteller zu 1., der bei der Sitzung nicht anwesend war, stelle sich zur Wahl. Er habe bestätigt, mit der Wahl einverstanden zu sein. Daneben stellten sich Frau C. und Herr D., die Beteiligten zu 3. und 4., zur Wahl. Letztere wurden ausweislich des Sitzungsprotokolls mit 11 Ja-Stimmen (D.) und 10 Ja-Stimmen (C.) gewählt. Auf den Antragsteller zu 1. entfielen lediglich 4 Ja-Stimmen. Aus dem Sitzungsprotokoll geht hervor, dass Frau K. nach der Wahl darauf hinwies, dass der Vorstand nach ihrer Auffassung nicht rechtmäßig zusammengesetzt sei und kündigte eine mögliche gerichtliche Klärung an.

Nachdem sich zunächst mehrere Mitglieder von VBOB Plus, unter ihnen der Antragsteller, gegen die am 3. November 2021 durchgeführten Wahlen zum erweiterten Vorstand gewendet hatten, wurden die Anträge bis auf denjenigen des Antragstellers A. in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Der (verbliebene) Antragsteller macht geltend, die Liste VBOB Plus habe einen Anspruch auf Vertretung im erweiterten Vorstand, und zwar auch bei einer Nachwahl, insbesondere, da es sich hier um eine Nachwahl des gesamten Vorstands gehandelt habe. Anderenfalls werde der Schutz des § 34 Abs. 2 BPersVG unterlaufen.

Der Antragsteller beantragt,

  1. 1.

    dass die in der Sitzung des Beteiligten zu 1. am 3. November 2021 erfolgten Wahlen von Herrn D. und Frau C. als Ergänzungsmitglieder für den Vorstand ungültig sind,

  2. 2.

    festzustellen, dass bei der Neuwahl des erweiterten Vorstands des Beteiligten zu 1. ein Vertreter aus der Wahlvorschlagsliste "VBOB Plus" zu wählen ist.

Der Beteilige zu 1. beantragt,

die Anträge abzuweisen.

Die weiteren Beteiligten haben keine Anträge gestellt.

Der Beteiligte zu 1. macht geltend, der Antrag sei bereits unzulässig, sofern er als von der Liste VBOB Plus gestellt zu verstehen sei, da in einem personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren nur natürliche Personen oder Personengruppen beteiligtenfähig seien, denen eine eigene Rechtsposition zugeordnet werden könne. Eine solche stehe jedoch nur denjenigen Mitgliedern zu, die selbst in den erweiterten Vorstand hätten gewählt werden können (§ 10 ArbGG). Außerdem seien die (zunächst als Antragsteller aufgetretenen) Mitglieder nicht ordnungsgemäß benannt i. S. d. § 253 Abs. 2 ZPO worden. So seien Herr L. und Herr M. keine Mitglieder des Beteiligten zu 1. und könnten schon deshalb keine Rechtsverletzung geltend machen. Dasselbe gelte für Herrn A., sofern sich nach einer Entscheidung im Verfahren 13 A 1/21 ergebe, dass dieser aus dem Gesamtpersonalrat auszuschließen sei. An diesem Argument hielt der Beteiligte zu 1. jedoch nicht mehr fest, nachdem das Ausschlussverfahren gegen den Antragsteller zunächst ruhend gestellt wurde.

In der Sache ergebe sich aus der systematischen Auslegung der §§ 34, 35 und 36 BPersVG, dass die Regelung des § 34 Abs. 2 BPersVG, wonach alle gewählten Listen im Vorstand vertreten sei müssten, lediglich auf die konstituierende Sitzung nach § 36 Abs. 1 BPersVG beschränkt sei. Für die weiteren Sitzungen sei nach § 36 Abs. 2 BPersVG kein zwingender Inhalt mehr vorgegeben. Zudem habe Herr A. gar nicht in den erweiterten Vorstand gewählt werden können, weil dieser am 3. November 2021 nicht anwesend gewesen sei. Voraussetzung für die Wahl eines abwesenden Mitglieds sei, dass dieses schriftlich seine Bereitschaft zur Kandidatur erklärt habe. Dies sei hier ersichtlich nicht der Fall. Ausweislich des Protokolls sei lediglich von Frau K. mitgeteilt worden, Herr A. habe ihr gegenüber seine Bereitschaft zur Kandidatur erklärt. Es ergebe sich auch kein Informationsnachteil für die Liste VBOB Plus, da jedem Personalratsmitglied unabhängig von der Besetzung des erweiterten Vorstands ein Unterrichtungsrecht gegenüber dem Personalratsvorsitzenden zustehe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf sämtliche Verwaltungsvorgänge sowie den Vortrag aller Beteiligten in diesem Verfahren und in dem Verfahren 13 A 1/21 und das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

II.

1. Der Antrag, die am 3. November 2021 erfolgten Wahlen von Herrn D. und Frau C. als Ergänzungsmitglieder für den Vorstand für ungültig zu erklären, hat Erfolg.

a. Er ist zulässig. Insbesondere ist der - nach Rücknahme der Anträge für die weiteren Mitglieder der Liste VBOB Plus verbliebene - Antragsteller unstreitig beteiligtenfähig i. S. d. § 10 ArbGG, da er als aktives Mitglied des Beteiligten zu 1. in dessen Vorstand bzw. erweiterten Vorstand gewählt werden kann, ihm also ein entsprechendes subjektives Recht an der Überprüfung der Gültigkeit der Wahlen zukommt, welches zugleich sein Interesse an der Ungültigkeitsfeststellung begründet (vgl. die Antragsberechtigung im Beschlussverfahren nach § 108 Abs. 2 BPersVG i. V. m. ArbGG ausdrücklich bejahend: Gronimus, Bundespersonalvertretungsrecht, Praxiskommentar 2022, § 34 Rn. 21).

b. Der Antrag ist auch begründet. Die am 3. November 2021 erfolgten Wahlen von Herrn D. und Frau C. als Ergänzungsmitglieder für den Vorstand erweisen sich in der Sache als ungültig.

Dies folgt hier allerdings nicht schon daraus, dass der in der Sitzung am 3. November 2021 abwesende Antragsteller seine Bereitschaft zur Kandidatur zum erweiterten Vorstand nicht vor der Durchführung der Wahl schriftlich erklärt hat, sondern sich dies nur aus der protokollierten Erklärung von Frau K. in der Sitzung ergab. Zwar wird das Erfordernis einer solchen schriftlichen Einwilligungserklärung in der Literatur vertreten (vgl. Ilbertz/Widmaier, Bundespersonalvertretungsgesetz, 15. Aufl. 2023, § 34 Rn. 6 m. w. N.). Ein ausdrücklicher gesetzlicher Anknüpfungspunkt findet sich für diese Formalie jedoch nicht. Aber selbst wenn man eine vorherige schriftliche Einwilligung potentieller Kandidaten für grundsätzlich erforderlich hielte, erwiese sich dieser Mangel nach Ansicht der Kammer im vorliegenden Fall als ausnahmsweise wirkungslos. Denn der Antragsteller hat durch Frau K. nicht nur ausdrücklich mitteilen lassen, dass er zu einer Kandidatur bereit ist. Vielmehr ging offenbar auch der Beteiligte zu 1. von diesem erklärten Willen aus, da er den Antragsteller zur Wahl aufstellte und über dessen Kandidatur auch abstimmen ließ. Sinn und Zweck der Forderung nach einer vorher verbindlich erklärten Bereitschaft, sich zur Wahl zu stellen, kann indes nur sein, ohnehin Amtsunwillige von vornherein von einer Abstimmung auszuschließen, um spätere Ablehnungen eines möglicherweise gegen seinen Willen gewählten Vertreter zu vermeiden. Dies war hier ersichtlich nicht der Fall.

Auf die weitergehende Frage, ob sich ein eventueller Formmangel wegen des Ausgangs der Wahl überhaupt auf deren Gültigkeit auswirken konnte, kommt es für die hier zu treffende Entscheidung ebenfalls nicht (mehr) an. Denn die Ungültigkeit der Wahl ergibt sich aus dem Umstand, dass der Antragsteller gemäß § 34 Abs. 2 Satz 2 BPersVG bei der Bildung des erweiterten Vorstands im Rahmen der Nachwahl hätte berücksichtigt werden müssen, obgleich er weniger Stimmen als Herr D. und Frau C. auf sich vereinigt hatte.

Gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 PersVG wählt ein Personalrat, der - wie hier - elf oder mehr Mitglieder hat, aus seiner Mitte mit einfacher Stimmenmehrheit zwei weitere Mitglieder in den Vorstand. Sind Mitglieder des Personalrats aus Wahlvorschlagslisten mit verschiedenen Bezeichnungen gewählt worden und sind im Vorstand Mitglieder aus derjenigen Liste nicht vertreten, die die größte oder zweitgrößte Anzahl, mindestens jedoch ein Drittel aller von den Angehörigen der Dienststelle abgegeben Stimmen erhalten hat, so ist eines der weiteren Vorstandsmitglieder aus dieser Liste zu wählen (§ 34 Abs. 2 Satz 2 BPersVG).

Bei den Wahlen zum Beteiligten zu 1. im April 2020 entfielen von den insgesamt 510 abgegebenen Stimmen auf die Liste VBOB Plus, der der Antragsteller angehört, insgesamt 182 Stimmen, also mehr als ein Drittel. Die in der konstituierenden Sitzung des Beteiligten zu 1. zunächst in den Vorstand gewählten Mitglieder von VBOB Plus, Herr I. und Frau J. schieden in der Folge aus ihren Vorstandsämtern aus, weshalb im Zeitpunkt der Nachwahl am 14. Oktober 2021 weder im Vorstand noch dem erweiterten Vorstand noch ein Mitglied von VBOB Plus vertreten war. Dies widerspricht jedoch der in § 34 Abs. 2 Satz 2 BPersVG getroffenen Regelung zum "Minderheitenschutz", wonach in einem solchen Fall ein Listenmitglied in den erweiterten Vorstand zu wählen ist.

Soweit der Prozessbevollmächtigte des Beteiligten zu 1. meint, der Schutz des § 34 Abs. 2 Satz 2 BPersVG bestehe nur bei den ersten, in der konstituierenden Sitzung erfolgenden Vorstandswahlen, folgt die Kammer dem nicht. Zwar ist zutreffend, dass § 34 BPersVG im systematischen Zusammenhang mit § 36 BPersVG steht, der Einzelheiten in Bezug auf die konstituierende Sitzung regelt. Der Wortlaut des § 34 Abs. 2 Satz 2 BPersVG differenziert indes nicht zwischen der konstituierenden Vorstandswahl und möglichen Nachwahlen für den Fall des Ausscheidens von Mitgliedern des erweiterten Vorstands. Eine solche Einschränkung des Wortlauts wäre nach Ansicht der Kammer auch mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht vereinbar.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Eufach0000000030s zur wortgleichen Vorgängervorschrift gewährt § 33 Abs. 2 Satz 2 BPersVG a. F. nach seinem Wortlaut einen Minderheitenschutz für diejenige Liste, die mindestens ein Drittel der abgegebenen Stimmen erzielt hat, jedoch im Personalrat in der Minderheit ist, und zwar in der Weise, dass einer solchen starken Wahlminderheit eine Vertretung im erweiterten Personalratsvorstand zu sichern ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. März 2014 - 6 P 8/13 -, juris m. w. N.; BTDrucks 7/176 S. 29 zu § 32; sowie BVerwG, Beschlüsse vom 23. Februar 1979 a.a.O. S. 288 bzw. S. 2, vom 28. Februar 1979 - BVerwG 6 P 81.78 - Buchholz 238.3 A § 33 BPersVG Nr. 2 S. 7, vom 27. September 1990 - BVerwG 6 P 23.88 - Buchholz 250 § 33 BPersVG Nr. 4 S. 4 und vom 19. August 2010 - BVerwG 6 PB 10.10 - Buchholz 251.7 § 29 NWPersVG Nr. 1 Rn. 12). Danach hat die in der Minderheit gebliebene stärkste Wahlvorschlagsliste mit mindestens einem Drittel Stimmenanteil einen Anspruch darauf, dass eines ihrer Mitglieder als Ergänzungsmitglied in den Personalratsvorstand gewählt wird, falls sie nicht bereits bei der Wahl der Gruppensprecher zum Zuge gekommen ist (vgl. BVerwG, Leitsatz zum Beschluss vom 17. März 2014, a. a. O.).

Zwar ist dem Beteiligten zu 1. zuzugeben, dass entsprechende Entscheidungen in der Rechtsprechung bisher lediglich für Fälle existieren, in denen eine Liste schon in den konstituierenden Vorstandswahlen nicht berücksichtigt wurde. Es ist jedoch kein sachlicher Grund erkennbar, weshalb der von § 34 Abs. 2 Satz 2 BPersVG beabsichtigte Minderheitenschutz im Falle einer erforderlich werdenden Nachwahl von Ergänzungsmitgliedern entfallen sollte. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt vielmehr sogar für den Fall, in dem alle Mitglieder der in Betracht kommenden Liste mit Ausnahme eines Mitglieds das Amt des Vorstandsmitgliedes ablehnen, eine Verpflichtung des Personalrats an, dieses Mitglied in den erweiterten Vorstand aufzunehmen. Die "Wahl" beschränkt sich in diesem Fall auf die Pflicht der Aufnahme dieses einen Mitglieds in den erweiterten Vorstand, ohne dass es dazu einer Mehrheitsentscheidung des Personalrats bedarf. Es sei, so der Senat, insbesondere nicht sachwidrig, wenn die Minderheit, die geschützt werden soll, einen gewissen Einfluss habe und dadurch ein Personalratsmitglied ihres Vertrauens in den Vorstand bringen kann. Der Minderheitenschutz sei effektiv, so der Senat, wenn die Minderheitenliste den einen ihr zustehenden Vorstandsposten mit einem Kandidaten besetzen könne, den sie in besonderem Maße für geeignet halte, ihre dienststellenbezogenen und verbandspolitischen Vorstellungen in die Vorstandsarbeit einzubringen (vgl. Beschluss vom 17. März 2014, a. a. O., m. w. N.). Dies zugrunde gelegt, ist nicht ersichtlich, weshalb der Minderheitenschutz auf den in der konstituierenden Sitzung (erstmals) gewählten Vorstand bzw. erweiterten Vorstand beschränkt sein sollte. Denn die Vorstandsarbeit erfolgt nicht nur punktuell in bzw. nach der konstituierenden Sitzung, sondern erstreckt sich vielmehr über die gesamte Amtszeit des Personalrats und wird dabei auch durch die im Rahmen von - etwa wegen des Ausscheidens primärer Vorstandsmitglieder notwendig gewordenen - Nachwahlen "nachgerückten" Ergänzungsmitglieder des Vorstands bzw. erweiterten Vorstands wahrgenommen.

Einer Kostenentscheidung bedarf es im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren nicht.