Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 07.10.2015, Az.: 5 B 3440/15

Anerkennung der Gleichwertigkeit ausländischer Schulleistungen; Auslandsschulbesuch; Beschluss der Kultusministerkonferenz; Drammen Videregaende Skole in Norwegen; Einführungsphase; einstweilige Anordnung; gymnasiale Oberstufe; Merkblatt Auslandsschulbesuch; norwegische Sekundarschule; Qualifikationsphase; Überspringen der Jahrgangsstufe 10; vorläufiger Schulbesuch; zwölfjähriger Schulbesuch

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
07.10.2015
Aktenzeichen
5 B 3440/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 44850
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Antragsteller sind die Eltern ihres am 4. Mai 1998 geborenen Sohnes J., der nach Besuch des 9. Schuljahrgangs im Schuljahr 2013/2014 an dem Mariengymnasium J. das ganze folgende Schuljahr 2014/2015 in der D. V. S. in N. verbrachte und dort das Zeugnis vom 18. Juni 2015 (Bl. 14 BA) erlangte. Ihr sinngemäßer Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihrem Sohn J. im laufenden Schuljahr 2015/2016 zumindest vorläufig den Besuch des Unterrichts der 11. Jahrgangsstufe (Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe - Q 1 - des zwölfjährigen Bildungsgangs) des Mariengymnasiums J. (statt der dortigen 10. Jahrgangsstufe als Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe) zu gestatten, hat keinen Erfolg.

Der Antrag ist hinsichtlich einer vorläufigen Unterrichtsteilnahme zulässig, insbesondere gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO statthaft, jedoch unbegründet.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO sind dabei sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet, glaubhaft zu machen. Das Gericht kann dabei grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur für beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte. Eine Ausnahme von dem o.g. Grundsatz für die teilweise Vorwegnahme der Hauptsache - hier bei einer vorläufigen Zulassung zum begehrten Unterricht - gilt dann, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 123 Rn. 14 ff.).

Hiervon ausgehend bleiben die Antragsteller mit ihrem Antrag ohne Erfolg.

Jedenfalls fehlt es an einem Anordnungsanspruch.

Bei der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Prüfung ergibt sich kein Anspruch der Antragsteller, dass ihr Sohn J. vorläufig eine Klasse der 11. Jahrgangsstufe (Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe - Q 1 - des zwölfjährigen Bildungsgangs) des Mariengymnasiums J. besuchen darf. Weder können sie ein Überspringen der dortigen Jahrgangsstufe 10 (als Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe) verlangen noch sich auf andere schulrechtliche Bestimmungen mit Erfolg berufen. Insoweit sind die äußerst geringen Aussichten eines eventuellen Hauptsacheverfahrens in Rechnung zu stellen.

Das Begehren der Antragsteller ist nach den niedersächsischen schulrechtlichen Be-stimmungen zu beurteilen. Auch bei Regelungen zu einem Auslandsschulbesuch, der die Besuchszeiten der gymnasialen Oberstufe (vgl. § 11 Abs. 2 - 9 des Niedersächsischen Schulgesetzes vom 3. März 1998 (Nds. GVBl. S. 137) in der vom 1. August 2011 bis zum 31. Juli 2015 gültigen Fassung, die den zwölfjährigen Bildungsgangs an Gymnasien berücksichtigte, - NSchG a.F. -) berührt, und speziell den Möglichkeiten, im Ausland erbrachte Leistungen gleichzeitig auf einen zwölfjährigen Schulbesuch anzurechnen, ist maßgeblich auf Landesrecht abzustellen. Entgegen der Auffassung der Antragsteller ergeben sich diesbezüglich keine Ansprüche aus dem Beschluss der Kultusministerkonferenz - KMK - vom Juli 1972 in der Fassung vom 6. Juni 2013 „Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II“ (http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/1972/1972_07_07-Vereinbarung-Gestaltung-Sek2.pdf). Aus dessen Vorgaben können Schülerinnen und Schüler bzw. ihre Eltern unmittelbar keine Rechte herleiten. Die hier von den Antragstellern benannte Empfehlung, dass Auslandsaufenthalte während der Schulzeit in der Oberstufe bis zur Dauer eines Jahres auch bei einem Abitur in zwölf Jahren anerkannt werden können, unterliegt der spezifischen Ausgestaltung der einzelnen Bundesländer. So sind etwa die hier einschlägigen Vorgaben in Nr. 6.1 Satz 2 des KMK-Beschlusses („Ein Auslandsaufenthalt wird auf die Verweildauer nicht zu Lasten der Schülerinnen/des Schülers angerechnet.“) oder in Nr. 6.4 („Ein Auslandsaufenthalt bis zur Gesamtdauer eines Jahres kann auf den Bildungsgang angerechnet werden, wenn entsprechende Leistungen nachgewiesen werden und die erfolgreiche Fortsetzung des Bildungsganges erwartet werden kann.“) nicht abschließend konkret, sondern offen für länderspezifische Umsetzungen gefasst. Auch die Vorgabe in Nr. 5.3 des KMK-Beschlusses zum Zugang zur Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe deutet auf einen Umsetzungsspielraum der Länder und das Erfordernis einer positiven Leistungsprognose hin. Dort heißt es:

5.3 Der Unterricht in der Qualifikationsphase bereitet auf die Prüfung zum Erwerb der Allgemeinen Hochschulreife vor. Die Länder stellen sicher, dass nur solche Schülerinnen und Schüler in die Qualifikationsphase aufgenommen werden, die aufgrund ihrer Leistungen einen erfolgreichen Durchgang durch die Qualifikationsphase erwarten lassen und einen Leistungsstand nachweisen, der einem erfolgreichen Durchgang durch die Einführungsphase entspricht.

Entgegen der Auffassung der Antragsteller hat eine - möglicherweise weiterreichende - Umsetzung des genannten KMK-Beschlusses in anderen Bundesländern (etwa in Hamburg, Hessen, Bayern oder Sachsen) für die Verhältnisse in Niedersachsen keine Bedeutung. Einen Anspruch auf verfahrensmäßige Gleichbehandlung können die Antragsteller allenfalls innerhalb Niedersachsens haben, nicht aber im Hinblick auf Entscheidungen der Schulen oder Schulbehörden anderer Bundesländer, denen eine abweichende länderspezifische Umsetzung zu Grunde liegt. Auf eine gleichheitswidrige Schlechterstellung innerhalb Niedersachsens berufen sie sich nicht.

Die Umsetzungen der genannten Vorgaben der KMK in Niedersachsen finden sich in verschiedenen landesschulrechtlichen Bestimmungen. Dabei sind in erster Linie die aufgrund § 11 Abs. 9 und des § 60 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 6 NSchG a.F. ergangenen Regelungen der Verordnung über die gymnasiale Oberstufe - VO-GO - vom 17. Februar 2005 (Nds. GVBl. S. 51), zuletzt geändert durch Verordnung vom 16. Dezember 2011 (Nds. GVBl. S. 505) i. V. m. deren Ergänzenden Bestimmungen zur Verordnung über die gymnasiale Oberstufe - EB-VO-GO - gemäß RdErl. des MK vom 17. Februar 2005 (SVBl. S. 177), zuletzt geändert durch RdErl. des MK vom 4. Februar 2014 (SVBl. S. 116) maßgeblich. Das Merkblatt des Niedersächsischen Kultusministeriums - Nds. MK - „Auslandsschulbesuch - Möglichkeiten und Verfahren in Niedersachsen“ (im Folgenden: Merkblatt „Auslandsschulbesuch“) (http://www.mk.niedersachsen.de/servlets/download?C=43709902&L=20) versucht eine systematische Darstellung der unterschiedlich verorteten Einzelbestimmungen, ist aber nicht vollständig kongruent mit den gesetzlichen Vorgaben.

Ein Überspringen der 10. Jahrgangsstufe des Mariengymnasiums Jever können die Antragsteller für ihren Sohn J. nicht verlangen. Nach § 2 Abs. 3 VO-GO ist zum Besuch der gymnasialen Oberstufe und zum unmittelbaren Eintritt in die dortige Qualifikationsphase berechtigt, wer nach § 6 der - aufgrund von § 60 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 NSchG ergangenen - Verordnung über die Durchlässigkeit sowie über Versetzungen und über Weisungen an den allgemeinen bildenden Schulen (Durchlässigkeits- und Versetzungsverordnung - DVVO) vom 19. Juni 1995 (Nds. GVBl. S. 184, 440), zuletzt geändert durch Verordnung vom 11. August 2014 (Nds. GVBl. S. 241), die Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe übersprungen hat (vgl. Merkblatt „Auslandsschulbesuch“ Nr. 3 lit. b zweiter Punkt). Nach § 6 DVVO kann auf Beschluss der Klassenkonferenz und mit Einverständnis der Erziehungsberechtigten ein Schuljahrgang überspringen, wer nach den gezeigten Leistungen und bei Würdigung der gesamten Persönlichkeit fähig erscheint, nach einer Übergangszeit in dem künftigen Schuljahrgang erfolgreich mitzuarbeiten. Den entsprechenden Antrag der Antragsteller vom 27. Mai 2014 lehnte der Antragsgegner durch Bescheid vom 2. Juni 2014 ab. Der nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Bescheid wurde nicht binnen der Jahresfrist angefochten und ist daher bestandskräftig. Seine Rechtmäßigkeit ist daher verwaltungsgerichtlich nicht mehr zu überprüfen. Der Antragsgegner hatte sich im Übrigen maßgeblich an J. Halbjahreszeugnis der 9. Jahrgangstufe im Schuljahr 2013/2014 vom 29. Januar 2014 sowie den ergänzenden Einschätzungen der Fachlehrer orientiert (vgl. Stellungnahme des Schulleiters T. vom 14. September 2015, Bl. 18 BA) und das Vorliegen von guten oder besseren Leistungen verneint. Wie im Bescheid kurz angedeutet, wurde auch die Argumentation der Antragsteller gewürdigt, die auf schulische Schwierigkeiten ihres Sohnes J. im 7. Schuljahrgang, eine bestehende Legasthenie und den Bedarf an weiterem Nachteilsausgleich hingewiesen hatten. Das Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid vom 2. Juni 2014 bewirkte nur, dass sich die Anfechtungsfrist von einem Monat auf ein Jahr verlängerte.

Weitergehende Belehrungs- oder Hinweispflichten oblagen dem Antragsgegner nicht. Selbst wenn man solche Hinweispflichten im konkreten Einzelfall annehmen würde, ergäbe sich hieraus kein Herstellungsanspruch dahingehend, ungeachtet der Bestandskraft des Bescheides erneut in eine Prüfung nach § 6 DVVO einzutreten oder gar unmittelbar ein Überspringen des 10. Schuljahrgangs am Mariengymnasium zuzulassen. Auch sonst drängt sich ein Wiederaufgreifen des Verfahrens von Amts wegen diesbezüglich nicht auf. J. Jahreszeugnis des Schuljahres 2013/2014 vom 30. Juli 2014 zeigt insgesamt mittelmäßige Leistungen und im Französisch ein schwaches „ausreichend“ (vgl. Stellungnahme des Schulleiters T. vom 14. September 2015, Bl. 19 BA), wobei wegen der Legasthenie in den Fächern Deutsch, Englisch und Französisch von den allgemeinen Bewertungsmaßstäben abgewichen worden war. Zutreffend weist der Antragsgegner in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Gewährung eines von den Antragstellern geforderten zusätzlichen Nachteilsausgleichs bei der Überspringens-Entscheidung (der hier der Sache nach ein kaum zu beanspruchender Notenschutz wäre) die Chancengleichheit der Mitschülerschaft verletzen würde.

Eine unmittelbare Aufnahme J. in die Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe können die Antragsteller nicht aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 1. Alternative VO-GO verlangen. Danach ist zwar zum Besuch der gymnasialen Oberstufe berechtigt, wer an einer Schule in einem anderen Land (erfasst wird auch das Ausland, wie sich aus der 2. und 3. Alternative erschließt) ein Zeugnis erworben hat, das der Berechtigung nach § 2 Nr. 1 lit. b VO-GO (Berechtigung zum Besuch der Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe bzw. zum Besuch jeder Schule im Sekundarbereich II) gleichwertig ist. Die Voraussetzungen berechtigen aber nur zum Besuch der gymnasialen Oberstufe (die auch J. in Form der Einführungsphase zur gymnasialen Oberstufe angeboten wird), nicht aber unmittelbar zum begehrten Eintritt in die dortige Qualifikationsphase. Dies folgt aus dem Wortlaut der Vorschrift und ihrer Systematik, zumal § 2 Abs. 3 und StV  Abs. 2 Satz 1 VO-GO Spezialvorschriften für den Zugang zur Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe regeln.

Ebenso wenig können die Antragsteller für ihren Sohn J. im Hinblick auf dessen schulische Leistungen in Norwegen gemäß dem Zeugnis der D. vom 18. Juni 2015 (Bl. 14 BA), die sie als gleichwertig erachten, den vorläufigen Eintritt in die Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe verlangen. Genauso unzureichend ist nach rechtlichen Maßstäben ihre unstreitig gewonnene Einschätzung, dass J. nach seinem Auslandsschuljahr sehr motiviert sei, möglichst schnell sein Abitur machen wolle und an Verantwortungsbewusstsein sowie Selbstständigkeit gewonnen habe.

§ 4 Abs. 1 VO-GO regelt keine konkreten Ansprüche auf unmittelbaren Zugang zur Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe. Die Vorschrift betrifft lediglich allgemein die Anrechnung von Zeiten eines regelmäßigen und gleichwertigen Schulbesuchs im Ausland auf die Verweildauer in der gymnasialen Oberstufe zu Gunsten einer Schülerin oder eines Schülers.

Den unmittelbaren Eintritt in die Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe können die Antragsteller auch nicht aus § 4 Abs. 2 VO-GO für ihren Sohn J. verlangen.

Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 VO-GO können bei einem - wie hier - zwölfjährigen Bildungsgang bei einem Schulbesuch im Ausland erbrachte Leistungen auf die in der Einführungs- oder der Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe zu erbringenden Leistungen im Regelfall nicht angerechnet werden (vgl. auch Nr. 2 und Nr. 3 lit. b dritter 3 Punkt Satz 1 des Merkblatts „Auslandsschulbesuch“).

Die Schule kann nach § 4 Abs. 2 Satz 2 VO-GO auf Antrag Unterrichtsleistungen, die an einer anerkannten Deutschen Auslandsschule oder an einer Europäischen Schule erbracht worden sind, anrechnen (vgl. auch Nr. 3 lit. b dritter 3 Punkt Satz 2 und 3 des Merkblatts „Auslandsschulbesuch“). Diese Voraussetzungen erfüllt J. mit dem vorgelegten Zeugnis vom 18. Juni 2015 nicht, weil die D. in Norwegen unstreitig keine solche Schule ist.

Nach § 4 Abs. 2 Satz 3 VO-GO kann die Schule ferner ausnahmsweise auf Antrag Unterrichtsleistungen, die an einer sonstigen ausländischen Schule erbracht worden sind, auf die im zweiten Schulhalbjahr der Einführungsphase und/oder im ersten Schulhalbjahr der Qualifikationsphase zu erbringenden Leistungen anrechnen, wenn der Nachweis der Gleichwertigkeit erbracht ist. Die ergänzenden Bestimmungen in Nr. 4.2 und Nr. 4.4. EB-VO-GO betonen die Zuständigkeit der Schule, die ggf. intern die Entscheidung der Schulbehörde einzuholen hat, geben aber keine für diesen vorliegenden speziellen Ausnahmefall einschlägigen Vorgaben. Bei Besuch einer sonstigen ausländischen Schule kann wegen generell gesehener großer Unterschiede zu einer Schule im Inland (vgl. Merkblatt „Auslandsschulbesuch“ Nr. 3 lit. b dritter 3 Punkt Satz 3) allenfalls im Einzelfall eine Gleichwertigkeit erbrachter Auslandsschulleistungen festgestellt werden. Nach Wortlaut des § 4 Abs. 2 Satz 3 VO-GO und seiner Systematik betrifft diese Anrechnungsvorschrift ausschließlich die Anrechnung von Unterrichtsleistungen für Schulhalbjahre (entweder zweites Schulhalbjahr der Einführungsphase oder erstes Schulhalbjahr der Qualifikationsphase, die in verschiedenen Schuljahren liegen), nicht aber die Anrechnung eines vollen Auslandsschuljahres auf beide Schulhalbjahre der Einführungsphase zur gymnasialen Oberstufe. Mithin fehlt es bereits an einer gesetzlichen Grundlage für die Anrechnung ganzjähriger Auslandsschulleistungen auf beide Schulhalbjahre der Einführungsphase zur gymnasialen Oberstufe. Möglich gewesen wäre allenfalls die Teilanrechnung von Unterrichtsleistungen eines Schulhalbjahres, etwa wenn J. im Schuljahr 2014/2015 lediglich das erste Halbjahr des für ihn 10. Schuljahrgangs in einer Auslandsschule verbracht und das zweite Halbjahr wieder am Mariengymnasium J. erfolgreich absolviert hätte. Dann hätten ausländische Schulleistungen nach § 4 Abs. 2 Satz 3 VO-GO (vgl. auch Nr. 3 lit. b erster Punkt des Merkblattes „Auslandsschulbesuch“) angerechnet und ihm eine Versetzung erteilt werden können, die ihm gemäß § 59 Abs. 4 Satz 1 NSchG a.F. i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 VO-GO die Berechtigung zum Besuch der Qualifikationsphase verliehen hätte, zumal der 10. Schuljahrgang zugleich die Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe ist (§ 11 Abs. 3 Satz 1 NSchG a.F.). Tatsächlich hat J. aber nach Besuch des 9. Schuljahrgangs im Schuljahr 2013/2014 das ganze folgende Schuljahr 2014/2015 in der D. in Norwegen verbracht. Für diesen Fall fehlt es an einer gesetzlichen Anrechnungsbestimmung.

Soweit diesbezüglich in Nr. 3 lit. b dritter Punkt Satz 5 des Merkblattes „Auslandsschulbesuch“ eine weitergehende individuelle Anerkennung der im Ausland erbrachten Schulleistungen im besonders gelagerten Einzelfall erwähnt wird (und gesetzlich so nicht vorgesehene Voraussetzungen genannt werden), ist schon fraglich, ob die Antragsteller hieraus Rechte für ihren Sohn J. ableiten können. Jedenfalls teilt die Kammer in der Sache die Einschätzung des Antragsgegners und der hierzu von der als Bevollmächtigten auftretenden Landesschulbehörde getroffenen Entscheidung vom 1. September 2015, wonach es an der Gleichwertigkeit der gemäß Zeugnis vom 18. Juni 2015 erbrachten Leistungen mit einem in Niedersachsen anerkannten schulischen Abschluss einschließlich der Berechtigung zum Besuch der Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe fehlt.

Nach J. Rückkehr aus Norwegen legte der Antragsgegner dessen norwegisches Zeugnis vom 18. Juni 2015 mit dem Antrag seiner Eltern per Fax dem schulfachlichen Dezernenten Märkl vor (vgl. Stellungnahme des Schulleiters T. vom 14. September 2015, Bl. 19 BA). Nachdem dieser eine Gleichwertigkeit verneint hatte, sah der Schulleiter auch angesichts der nahenden Sommerferien zunächst keinen weiteren Handlungsbedarf. Im Zuge der gegen Ende der Sommerferien fortgesetzten Diskussion leitete er der Landesschulbehörde das Zeugnis zusammen mit den übrigen Unterlagen erneut zu. Nach seiner Darstellung teilte er die hier gebotene fachliche Unterstützung durch die Schulaufsicht den Antragstellern rechtzeitig mit und übermittelte diesen auch vor Erlass des Bescheides vom 1. September 2015 mündlich deren Ablehnung (vgl. Stellungnahme des Schulleiters T. vom 14. September 2015, Bl. 19 BA). Zudem erläuterte der Schulleiter J. im Beisein der Beratungslehrerin in der ersten Schulwoche im September 2015 nochmals die schulische Einschätzung.

In der nachfolgend eingeholten Stellungnahme des Nds. MK vom 15. September 2015 (Bl. 20 f. BA) wird nochmals ausführlich und unter Erläuterung der methodischen Prüfschritte dargestellt, dass es an einer systematischen und individuellen Gleichwertigkeit des norwegisches Zeugnis vom 18. Juni 2015 mit einem deutschen Gymnasialzeugnis der 10. Jahrgangsstufe, das den erweiterten Sekundarabschluss I einschließt, fehlt. Auch wenn die Ausführungen sich nicht auf gesetzlich vorgesehene Ausnahmevorschriften beziehen, begegnen sie jedenfalls in der Sache keinen Bedenken.

Systematisch sind die Struktur der norwegischen Sekundarschulen und der erreichbare Abschluss als Hochschulzugangsberechtigung nicht den Strukturen und Abschlusszielen der niedersächsischen gymnasialen Oberstufe (schulischer Teil der Fachholschulreife, allgemeine Hochschulreife) gleichwertig. Außerdem hat J. in Norwegen auch die zweite Pflichtfremdsprache nicht fortgeführt, die für eine Erteilung des erweiterten Sekundarabschlusses I und den späteren Erwerb der allgemeinen Hochschulreife an einem Gymnasium zwingende Voraussetzung ist. Hierzu wird u.a. ausgeführt (Bl. 20 f. BA):

„Zwar führt Norwegen seit 1997 ein dreizehnjähriges Schulsystem bis zum Erwerb der dortigen Studienberechtigung und ist für die Sekundarstufe dreijährig angelegt (vgl. Anlage Schulsystem). Gleichwohl bedarf die grundsätzliche Klassifikation für den direkten Hochschulzugang für alle Fachrichtungen für bestimmte Studienfachrichtungen wie u.a. Medizin, technische und mathematische-naturwissenschaftliche Studienfachrichtungen (vgl. Mindestvoraussetzungen zum BV (Bewertungsvorschlag Norwegens, Anmerkung des Gerichts)) besonderer fachspezifischer Zulassungsanforderungen. Dadurch ergibt sich aber in der Frage der systematischen Gleichwertigkeit, dass das norwegische Sekundarschulsystem zum Erwerb eines Vitnemal für den Hochschulzugang nicht der Systematik der gymnasialen Oberstufe mit dem Abschlussziel der allgemeinen Hochschulreife gleichwertig ist. Denn die deutsche allgemeine Hochschulreife eröffnet ohne besondere Fachauflagen den direkten Hochschulzugang für alle Fachrichtungen, und zwar unabhängig vom gewählten Schwerpunkt nach § 10 Abs. 2 VO-GO. In Norwegen dagegen kann man in den „Mindestvoraussetzungen“ genannten Fächern nur das Studium aufgenommen werden, wenn die fachspezifischen Auflagen erfüllt worden sind. Von daher ist (sind, Anmerkung des Gerichts) die norwegische Hochschulzugangsberechtigung und der zugehörige Bildungsweg eher mit einer fachorientierten (fachgebundenen) Hochschulreife und nicht mit der allgemeinen Hochschulreife vergleichbar. Dieses ist durchaus als wesentlicher Unterschied zu werten, da in Niedersachsen der Erwerb einer fachgebundenen Hochschulreife nicht an einem Gymnasium möglich ist und an den Besuch der Berufsoberschule im berufsbildenden Schulsystem gebunden ist und auch nicht den Nachweis bestimmter Unterrichtsleistungen in mindestens zwei Fremdsprachen voraussetzt. Dagegen müssen zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife neben muttersprachlichen Fachleistungen auch Fachleistungen in mindestens zwei Fremdsprachen nach den KMK-Bestimmungen erbracht werden (vgl. Ziffer 7.3 der KMK-Vorgaben für die Gestaltung der Gymnasialen Oberstufe …..).„

Individuell fehlt die Gleichwertigkeit, weil das norwegische Zeugnis im Hinblick auf die vom Mitarbeiter des Nds. MK genannten Einzelaspekte keine außergewöhnlichen Leistungen ausweist. Vielmehr entspricht der Fächerkanon der besuchten Unterrichtsfächer nicht den VO-GO-Bestimmungen zur Fächerbreite und Versetzungsrelevanz. Hierzu wird u.a. ausgeführt (Bl. 21 BA):

„… ausweislich des Zeugnisses (Certificate of Competence for upper secondary Education and Training) vom 18.06.2015 der D. hat der Schüler die Teilnahme Unterricht in Klasse 1 der Sekundarschule (vgl. Vermerk in „Absence Year 1“) in den fünf Kernpflichtfächern gem. Merkblatt S. 3 Nr. 4.3 nachgewiesen. Allerdings ist festzustellen, dass an ausländischen Schulen (…..) das Fach „Deutsch/German“ fremdsprachlich und nicht muttersprachlich wie im innerdeutschen Schulsystem unterrichtet wird. Dies hat didaktisch-methodische Unterschiede zur Folge. Und es ist auch nicht außergewöhnlich, dass muttersprachlich sozialisierte Schülerinnen und Schüler in „German“ an ausländischen Schulen Bestnoten erreichen. Von daher ist die Note 6 (norwegisch) in „German II“ als Fremdsprache (hier zu werten: wie DaF; Deutsch als Fremdsprache) deutlich zu relativieren und der bisherigen Sozialisation zuzubilligen. Dieses wird bestätigt dadurch, dass in „History“ mit norwegisch 2 nur die unterste Bestehensnote (in Deutschland 4.0/ausreichend) erreicht worden ist. Hier konnte offensichtlich nicht auf bisherige Sach- und Sprachkenntnisse zurückgegriffen werden. Darüber hinaus ist dieses Fach nur halbjährlich unterrichtet worden. Auch in „Mathematics 2 P“ ist mit norwegisch 3 (im deutschen System umgerechnet: 3,25) ein eher unterdurchschnittlicher Leistungswert erreicht worden.

Wesentlich für den individuellen Vergleich ist allerdings der Umstand, dass in den Kernfächern 2. Fremdsprache (hier: Norwegian) und Naturwissenschaft (hier: Physics 1) nur die Teilnahme bescheinigt werden konnte („Particip“), aber eine Leistungsbewertung nach norwegischen Kriterien offensichtlich nicht möglich gewesen ist; es kann nachvollzogen werden, dass für den Schüler die Teilnahme am Unterricht in „Norwegisch“ mit besonderen Schwierigkeiten verbunden gewesen ist. Gleichwohl sollte dieses vor Beginn des Auslandsschulbesuchs bewusst gewesen sein. Es ist kein Kriterium von bundesweit geltenden Regelungen zu Äquivalenzen abzuweichen (…). So gab es nach den Zeugnisbemerkungen zu diesen Fächern „no basis for assesment“ oder „exemptedt from assesment“ keine Bewertungsgrundlagen bzw. fanden Befreiungstatbestände Anwendung. Dieses wäre beim erfolgreichen Besuch einer niedersächsischen Einführungsphase nicht möglich. In der in Niedersachsen geführten Einführungsphase sind insbesondere die Leistungen in mindestens zwei Naturwissenschaftlichen Fächern, in zwei Fremdsprachen (gem. des bisher betriebenen Bildungsganges), im muttersprachlichen Deutschunterricht und in Mathematik sowie in gesellschaftskundlichen Fächern versetzungsrelevant für die Fortsetzung des Bildungsweges in der Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe (vgl. § 9 Abs. 1 VO-GO i.V.m. Anlage 1 VO-GO).“

Schließlich kommt wegen der fehlenden Schriftform die Annahme einer nach § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG i.V.m. § 1 Abs.1 Nds. VwVfG wirksamen Zusicherung des Überspringens bzw. einer späteren ausnahmsweisen Aufnahme in die Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe nicht ansatzweise in Betracht. Insoweit ist zudem bereits der Inhalt der von den Antragstellern behaupteten Zusicherung streitig. Denn der Antragsgegner erwidert glaubhaft, schon anlässlich eines frühen Info-Abends zur Behandlung von Auslandsaufenthalten und Auslandsschulzeiten sei deutlich gemacht worden, dass es im zwölfjährigen Schulsystem ganz schwierig sei, ein Auslandsschuljahr ohne Zeitverlust durchzuführen und das Überspringen des 10. Schuljahrgangs nur extrem leistungsfähigen Schülerinnen oder Schülern gelinge. An der Tendenz dieser Belehrung - die im Übrigen mit dem Inhalt des Merkblatts „Auslandsschulbesuch“ übereinstimmt - ändert sich auch nichts durch die Behauptung der Antragsteller, nicht die Schule, sondern der private Trägerverein YfU, in dem sie engagiert seien, habe den Abend maßgeblich veranstaltet, der Schulleitung aber die Teilnahme sowie Hinweise zur Vereinbarung eines Auslandsaufenthalts mit der Schule ermöglicht. Im Schriftsatz vom 27. September 2015 räumen die Antragsteller zudem ein, dass ihnen aus der langjährigen Arbeit im Jugendaustausch die Einschränkungen nach Einführung des zwölfjährigen Bildungsganges G8 bekannt seien und sie sich - jetzt - eine individuelle Lösung erhoffen. Vieles spricht daher dafür, dass sie trotz aufgezeigter Schwierigkeiten bewusst die Risiken eines ganzjährigen Auslandsaufenthalts im Sekundarbereich I in Kauf genommen haben.

Die Aussage der Antragsteller, der Oberstufenkoordinator des Mariengymnasiums Dr. L. habe J. im Sommer 2014 „einen unmittelbaren Eintritt in die 11. Jahrgangsstufe in Aussicht gestellt“, bestreitet der Antragsgegner nicht. Er wendet aber glaubhaft ein, J. und die Antragsteller hätten ihn missverstanden. Denn Dr. L. habe nur eine weitere Ausnahmemöglichkeit über die Anerkennung des norwegischen Zeugnisses erwähnt, die indessen eine weitergehende Überprüfung erfordere, keinesfalls aber eine abschließende Zusage der späteren Aufnahme in die Qualifizierungsphase erteilt oder eine erneute Entscheidung über das Überspringen der Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe versprochen. Für eine rechtliche Verbindlichkeit fehlt es aber in jedem Fall an der in § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG vorgeschriebenen schriftlichen Form einer Zusicherung, so dass es keiner weiteren Aufklärung bedarf.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Der Regelstreitwert von 5.000,00 EUR war hier für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht zu halbieren, weil der Antrag auf Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet war (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, NVwZ-Beilage Heft 2/ 2013, S. 57).