Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 25.05.2012, Az.: L 11 AS 296/12 B

Statthaftigkeit der Beschwerde gegen die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
25.05.2012
Aktenzeichen
L 11 AS 296/12 B
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 17190
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2012:0525.L11AS296.12B.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 01.02.2012 - AZ: S 17 AS 578/11

Fundstellen

  • AGS 2012, 413-415
  • NZS 2012, 799

Redaktioneller Leitsatz

1. Die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 124 Nr. 2 ZPO fällt nicht unter den Beschwerdeausschluss nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG.

2. Prozesskostenhilfe ist zu versagen, wenn der Kläger als Mitglied eines Verbandes Anspruch auf kostenfreien Rechtsschutz hat. Dies gilt auch, wenn die Prozessvertretung durch den Verband die Zahlung einer Eigenbeteiligung voraussetzt (hier: 50,- Euro).

3. Ob hinsichtlich der an den Verband zu zahlenden Eigenbeteiligung Anspruch auf Prozesskostenhilfe besteht, ist nur dann entscheidungserheblich, wenn auch tatsächlich ein Verbandsvertreter beauftragt wird, nicht dagegen bei Beauftragung eines Rechtsanwaltes. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 1. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Braunschweig vom 1. Februar 2012, mit dem die mit Beschluss vom 8. Juni 2011 erfolgte Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) nachträglich wieder aufgehoben worden ist.

2

Die Klägerin hat vor dem SG Braunschweig das Klageverfahren S 17 AS 578/11, geführt, in dem um höhere Leistungen nach demSozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) gestritten worden ist. Dieses Klageverfahren ist durch Urteil des SG Braunschweig vom 15. November 2011 abgeschlossen worden. Hiergegen führt die Klägerin das Berufungsverfahren L 11 AS 106/12 vor dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen.

3

Nachdem der Klägerin für das erstinstanzliche Klageverfahren PKH unter Beiordnung von Rechtsanwältin H. bewilligt worden war (Beschluss vom 8. Juni 2011), hat das SG mit dem vorliegend angefochtenen Beschluss vom 1. Februar 2012 die PKH-Bewilligung wieder aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin bereits seit dem 1. Juli 2010 Mitglied des Sozialverbandes Deutschland (SoVD) sei, so dass sie bei Zahlung einer Eigenbeteiligung von 50 EUR Anspruch auf im Übrigen kostenfreien Rechtsschutz durch den SoVD habe. Sie habe auch nicht glaubhaft gemacht, dass ihr die Inanspruchnahme des SoVD unzumutbar gewesen sei oder dieser eine Rechtsschutzgewährung abgelehnt habe. Da die Klägerin die Frage "Trägt eine Rechtsschutzversicherung oder eine andere Stelle/Person (z.B. Gewerkschaft, Arbeitgeber, Mieterverein) die Kosten ihrer Prozessführung?" wahrheitswidrig mit "Nein" beantwortet habe (Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 24. März 2011), habe sie zumindest grob nachlässig gehandelt.

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Gegen diesen ihr am 7. Februar 2012 zugestellten Beschluss richtet sich ihre am 7. März 2012 eingelegte Beschwerde. Sie macht geltend, dass ihr eine Vertretung durch den SoVD nicht zumutbar gewesen sei. Seit 2006 würden die Angelegenheiten mit dem beklagten Jobcenter durchgängig von Rechtsanwältin H. bearbeitet. Pro Jahr seien mindestens zwei Widerspruchs- sowie sich anschließende Klageverfahren zu finanzieren gewesen. Die Kosten, die die Klägerin beim SoVD hierfür hätte entrichten müssen, hätte die Klägerin nicht aufbringen können. Sie sei wegen der "langjährigen Zusammenarbeit mit Rechtsanwältin H." auch "überhaupt nicht auf den Gedanken gekommen, vorliegend den Sozialverband einzuschalten".

5

II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Sie ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen, da diese Norm lediglich bei Ablehnung von PKH ausschließlich wegen Verneinung der persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen Anwendung findet. Vorliegend hat das SG zwar auch die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse für die Gewährung von PKH verneint, indem es den Anspruch auf kostengünstigen Rechtsschutz durch den SoVD als eine die Gewährung von PKH ausschließende vermögenswerte Rechtsposition angesehen hat (vgl. S. 2 des angefochtenen Beschlusses). Allerdings ist bei der vorliegend angefochtenen nachträglichen Aufhebung einer PKH-Bewilligung nach § 73a SGG i.V.m. § 124 Nr. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) zusätzlich zu prüfen, ob der PKH-Antragsteller absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat. Wegen dieses weitergehenden Prüfungsumfangs fällt die vorliegende Beschwerde nicht unter den Beschwerdeausschluss nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG (so ebenfalls: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 9. Juni 2011 - L 13 AS 120/11 B, NZS 2011, 880; Beschluss vom 4. Juli 2011 - L 7 AS 5381/09 B; LSG Bayern, Beschluss vom 22. November 2010 - L 7 AS 486/10 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom27. August 2008 - L 19 B 23/08 AL; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16. Juni 2008 - L 5 B 163/08 AS, NZS 2009, 64; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, Rdnr. 6h). Der Gegenauffassung (etwa: LSG Sachsen, Beschluss vom 31. August 2011 - L 7 AS 553/11 B; Burkiczak NJW 2010, 407, 408; Roller NZS 2009, 252, 258) folgt der Senat nicht. Zwar weist diese Auffassung zutreffend darauf hin, dass auch bei einer Aufhebung der PKH-Bewilligung nach § 124 ZPO letztlich die fehlenden persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen und nicht etwa fehlende Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung Grund für die PKH-Aufhebung sind. Dabei wird jedoch nicht hinreichend berücksichtigt, dass im Rahmen des§ 124 Nr. 1 und 2 ZPO neben den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen auch noch weitere Tatbestandsvoraussetzungen zu prüfen sind (hier: absichtliche oder aus grober Nachlässigkeit erfolgte unrichtige Angaben, vgl. § 124 Nr. 2 ZPO). Damit entspricht die Aufhebung einer PKH-Bewilligung gem. § 124 ZPO nicht dem in § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG geregelten Fall der PKH-Ablehnung ausschließlich wegen Verneinung der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen. Dies ergibt sich auch aus dem der Grundsatz der Rechtsmittelklarheit, wonach Rechtsmittelbeschränkungen generell restriktiv und am Wortlaut orientiert auszulegen sind. Lediglich dann, wenn die Interessenlage, wie sie vom Gesetzgeber in der Rechtsmittelbeschränkung bewertet worden ist, der des nicht geregelten Falles "ähnlich" ist, kommt eine analoge Anwendung in Betracht. Ist es dagegen auch nur zweifelhaft, ob der Unterschied zwischen den verglichenen Sachverhalten nicht doch so groß ist, dass durch eine Gleichstellung die gesetzliche Wertung in Frage gestellt sein könnte, ist für eine Analogie kein Raum (BSG, Urteil vom 29. Januar 1998 - B 12 KR 18/97 R, SozR 3-1500 § 144 Nr. 13, Rn 18 m.w.N. - zum Berufungsausschluss nach § 144 Abs. 4 SGG).

6

Die nach alledem zulässige Beschwerde ist jedoch unbegründet.

7

Das SG hat zutreffend und nicht ergänzungsbedürftig dargelegt, dass die Klägerin gegenüber dem SoVD einen vermögenswerten Anspruch auf kostengünstigen Rechtsschutz hat. Mitglieder eines Verbandes, der kostenfreien Rechtsschutz bietet, haben keinen Anspruch auf PKH (BSG, Beschluss vom 12. März 1996 - 9 RV 24/94, SozR 3-1500 § 73a Nr 4; Beschluss vom 8. Oktober 2009 - B 8 SO 35/09 B). Gewährt der Verband seinen Mitgliedern - wie im Falle der Klägerin - Rechtsschutz lediglich gegen Zahlung einer Eigenbeteiligung (hier: 50,- Euro pro Klageverfahren), stellt diese kostengünstige Rechtsschutzmöglichkeit ebenfalls einen Bestandteil des einzusetzenden Vermögens dar, der der Gewährung von PKH für die Beauftragung eines Rechtsanwaltes entgegensteht (ebenso: LSG Hamburg, Beschluss vom 21. Januar 2008 - L 5 B 256/06 PKH B; LSG Bayern, Beschluss vom 22. November 2010 - L 7 AS 486/10 B PKH).

8

Ob dem SG auch insoweit zuzustimmen ist, dass die Klägerin im Falle der Prozessvertretung durch den SoVD die Eigenbeteiligung selbst zu tragen und deshalb auch insoweit keinen Anspruch auf PKH hätte (so ebenfalls: LSG Hamburg, Beschluss vom 21. Januar 2008 - L 5 B 256/06 PKH B; LSG Bayern, Beschluss vom 22. November 2010 - L 7 AS 486/10 B PKH), lässt der Senat offen. Gegen diese Auffassung spricht, dass das BSG in der vergleichbaren Konstellation einer Rechtsschutzversicherung mit Eigenbeteiligung einen auf Übernahme dieser Eigenbeteiligung gerichteten PKH-Anspruch bejaht hat (BSG, Beschluss vom 14. Juni 2006 - B 7b AS 22/06 B). Diese Rechtsfrage ist im vorliegenden Verfahren jedoch nicht entscheidungserheblich, da mangels Tätigwerden des SoVD eine Eigenbeteiligung von 50,- Euro zu keinem Zeitpunkt angefallen ist. Ebenso wenig hat die Klägerin hierfür (d.h. in Höhe der zu leistenden Eigenbeteiligung von 50,- Euro) PKH beantragt (vgl. zu dieser Beschränkung bzw. Konkretisierung des PKH-Antrags: BSG, Beschluss vom 14. Juni 2006, aaO.). Stattdessen hat die Klägerin ausdrücklich und ausschließlich die Übernahme der Kosten für eine Beauftragung von RAin H. beantragt.

9

Des Weiteren hat das SG zutreffend dargelegt, dass keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass der Klägerin eine Vertretung durch den SoVD unzumutbar sein könnte (vgl. zu den Voraussetzungen einer Unzumutbarkeit der Prozessvertretung durch einen vom Verband gestellten Bevollmächtigten: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 24. Oktober 2003 - 2 a 215/03, NZA-RR 2004,104) oder dass der SoVD der Klägerin die Rechtsschutzgewährung verweigert hätte. Hiergegen spricht auch bereits, dass die Klägerin im Rahmen ihres Antrags auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente vom SoVD vertreten wird.

10

Dass die Klägerin im Beschwerdeverfahren vorgetragen hat, aufgrund der bereits langjährigen Vertretung durch RAin H. "überhaupt nicht auf den Gedanken gekommen zu sein", im vorliegenden Hauptsacheverfahren den SoVD zu beauftragen, begründet ebenfalls keinen Anspruch auf PKH unter Beiordnung dieser Rechtsanwältin. Schließlich hätte das SG die Klägerin bei wahrheitsgemäßen Angaben in der "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse" zeitnah auf deren Möglichkeiten zur Erlangung von kostengünstigerem Rechtsschutz hinweisen können. Nachdem die Klägerin in ihrem PKH-Antrag jedoch wahrheitswidrig eine Mitgliedschaft im SoVD verneint hat, erweist sich die Aufhebung der PKH-Bewillilgung gem. § 124 Nr. 2 ZPO als rechtmäßig.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a SGG i.V.m. 127 Abs. 4 ZPO.

12

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).