Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 18.02.2004, Az.: L 4 KR 110/02

Krankenversicherung der Rentner; KVdR; Vorversicherungszeit; Neu-Zehntel-Belegung; Verfassungsmäßigkeit

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
18.02.2004
Aktenzeichen
L 4 KR 110/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 42885
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2004:0218.L4KR110.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 25.06.2002 - AZ: - S 6 KR 11/98

Fundstellen

  • NZS 2004, 481
  • SGb 2004, 703

Amtlicher Leitsatz

Der Zugang zur Krankenversicherung der Rentner bestimmt sich bis zum 31. März 2002 nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V in der Fassung des Gesundheits-Strukturgesetzes. Das folgt aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. März 2000 - 1 BvL 16/96, 17/96, 18/96, 19/96, 20/96, 18/97 - (Anschluss an BSG, Urteil vom 7.12.2000 - B 12 KR 29/00 R in SozR 3-2500 § 5 Nr. 44).

In dem Rechtsstreit

gegen

Hamburg Münchener Krankenkasse, Hauptverwaltung ..., Schäferkampsallee 16, 20357 Hamburg,

hat der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen auf die mündliche Verhandlung vom 18. Februar 2004 in Celle durch die Richterin Schimmelpfeng-Schütte Vorsitzende ..., den Richter Schreck und den Richter Wolff sowie die ehrenamtlichen Richter Washausen und Mielmann

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 25. Juni 2002 wird aufgehoben.

    Die Klage wird abgewiesen.

    Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

1

Die Beteiligten streiten noch darüber, ob die Klägerin vom 1. Juli 1997 bis 31. März 2002 in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) zu versichern ist.

2

Die 1937 geborene Klägerin nahm erstmals am 1. September 1952 eine Erwerbstätigkeit auf. Nach ihren Angaben war sie wie folgt krankenversichert:

1. September 1952 bis 23. November 1955 Sozialversicherung der DDR

als Mitglied

6. Dezember 1955 bis 28. Juli 1956 AOK Osterode

als Mitglied

1. August 1956 bis 31. Oktober 1958 DAK Northeim

als Mitglied

6. Januar 1959 bis 31. Mai 1959 DAK Braunschweig

als Mitglied

1. Juni 1959 bis 31. Januar 1980 Hanseatisch-Münchener Krankenkasse

als Familienangehörige

1. Februar 1980 bis 30. Juni 1997 Hamburg-Münchener Krankenkasse

als Mitglied.

3

Die Klägerin war seit 1958 mit D.... verheiratet. Dieser war als Beamter tätig und bei der Beklagten seit 1967 freiwillig krankenversichert. Für seine Ehefrau, die Klägerin, bestand für den oben genannten Zeitraum vom 1. Juni 1959 bis 31. Januar 1980 Anspruch auf Familienhilfe.

4

Die Klägerin beantragte am 3. April 1997 bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Altersruhegeld.

5

Die Beklagte lehnte die Aufnahme der Klägerin die KVdR ab und machte am 10. April 1997 eine entsprechende Mitteilung an die BfA. Mit Bescheid vom 8. Juli 1997 teilte sie der Klägerin mit, die geforderte Vorversicherungszeit für eine Pflichtversicherung in der KVdR nach § 5 Abs 1 Nr 11 Sozialgesetzbuch Fünftes BuchSGB V betrage 20 Jahre und 28 Tage. Diese Vorversicherungszeit sei bei ihr nicht erfüllt. Die maßgebliche zweite Hälfte der Rahmenfrist beginne am 18. Dezember 1974 und ende am 3. April 1997. Innerhalb dieser Zeit sei die Klägerin vom 1. Februar 1980 bis 3. April 1997 (= 17 Jahre, zwei Monate und drei Tage) selbst aufgrund einer Pflichtversicherung Mitglied der Beklagten gewesen. Als familienversicherte Ehegattin könnten keine Zeiten angerechnet werden, da der Ehemann als Beamter freiwillig versichert gewesen sei.

6

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 4. November 1997 Widerspruch ein. Mit weiterem Bescheid vom 20. November 1997 hielt die Beklagte an ihrer Auffassung fest. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 1998 zurück.

7

Hiergegen hat die Klägerin am 6. Februar 1998 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, ihre abgeleiteten Mitgliedschaftszeiten aufgrund der freiwilligen Versicherung ihres Ehemannes hätten bei der Berechnung der Vorversicherungszeit mit herangezogen werden müssen. Ferner sei die Beklagte verpflichtet gewesen, sie über die Verschlechterung der Konditionen in der Krankenversicherung für sie als Rentnerin zu informieren. Dies hätte unabhängig von ihrer Nachfrage erfolgen müssen.

8

Die Klägerin hat den von der BfA festgestellten Versicherungsverlauf (Bescheid vom 2. Juni 1997) vorgelegt.

9

Die Beklagte hat auf ihre Mitgliederzeitschrift Gesund verwiesen, wo sie ua im Juni 1994 auf die Änderungen in der KVdR hingewiesen habe. Sie hat entsprechende Auszüge aus den Mitgliederzeitschriften vorgelegt.

10

Die Klägerin ist mit Wirkung ab 1. April 2002 in die KVdR bei der Beklagten aufgenommen worden. Dies wurde ihr mit Bescheid vom 8. April 2002 mitgeteilt. Sie erfülle nunmehr die Vorversicherungszeit in der KVdR, dies ergebe sich aus den Auswirkungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) vom 15. März 2000.

11

Das SG hat der Klage mit Urteil vom 25. Juni 2002 stattgegeben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin seit 1. Juni 1997 als Pflichtmitglied in der KVdR zu führen. Das SG hat die Auffassung vertreten, im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG vom 15. März 2000 seien alle noch nicht bestandskräftigen KVdR-Bescheide nach dem Rechtszustand vom 1. Januar 1989 zu beurteilen. Danach habe die Klägerin bereits mit Rentenbeginn (1. Juni 1997) die erforderliche Vorversicherungszeit erfüllt.

12

Die Beklagte hat gegen dieses ihr am 5. Juli 2002 zugestellte Urteil am 10. Juli 2002 Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Sie nimmt Bezug auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 7. Dezember 2002 B 12 KR 29/00 R .... Das BSG komme zu dem Ergebnis, dass auch hinsichtlich noch nicht rechtskräftiger Rechtsverhältnisse in Bezug auf die Einstufung der Mitglieder bis zum 31. März 2002 die Fassung des § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V von 1993 anwendbar sei. Erst ab dem 1. April 2002 könne unter Anwendung der ursprünglichen Fassung des § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V eine Neueinstufung erfolgen, die jedoch nicht zurückwirke. Das Vorgehen der Beklagten sei daher rechtmäßig. Ein Anspruch der Klägerin auf Aufnahme in die KVdR für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis zum 31. März 2002 bestehe nicht, da die Klägerin nach der in dieser Zeit maßgeblichen Rechtslage unstreitig die erforderliche Vorversicherungszeit nicht erfüllt habe.

13

Die Beklagte beantragt,

  1. das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 25. Juni 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

14

Die Klägerin beantragt,

  1. die Berufung zurückzuweisen.

15

Die Klägerin rügt, dass die Berufungsschrift der Beklagten nicht ordnungsgemäß unterzeichnet worden sei. Im Übrigen hält sie die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakten des ersten und zweiten Rechtszuges sowie auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen. Die Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

17

Die gem §§ 143, 144 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gem § 151 Abs 1, 2 SGG form- und fristgerechte eingelegte Berufung ist zulässig.

18

Insbesondere sind die Formerfordernisse des § 151 SGG erfüllt, denn die Berufungsschrift ist von der Beklagten ordnungsgemäß unterzeichnet worden. Für die Berufungsschrift ist anders als bei der Klageschrift die Unterschrift erforderlich (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage 2002, § 151 Rdzif 4 mwN). Die Unterschrift ist ein individueller, sich als Namensunterschrift darstellender Schriftzug. Sie muss nicht lesbar sein, darf aber nicht als bewusste Namensabkürzung erkennbar sein, sondern muss die Absicht einer vollen Namensunterzeichnung erkennen lassen. Beispielsweise reicht ein Faksimilestempel grundsätzlich nicht aus, andererseits aber eine vervielfältigte Unterschrift. Bei Behörden genügt zB die maschinenschriftlich wiedergegebene Unterschrift des vertretungsberechtigten Beamten mit unterzeichnetem Beglaubigungsvermerk ohne Rücksicht darauf, ob ein Dienstsiegel beigefügt ist (Meyer-Ladewig, aaO unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG). Nicht ausreichend ist die Paraphe (BSG, SozR 1500 § 151 Nr 3).

19

Entgegen der Auffassung der Klägerin lässt sich die Unterschrift der Vertreterin der Beklagten der bevollmächtigten Frau E.... zurechnen. Die Unterschrift ist nach ihrem Namenszug auch keine Paraphe, und sie stimmt mit dem Namenszug mit der vorgelegten Unterschriftenprobe vom 18. Januar 2001 überein. Die Berufungsschrift ist demnach ordnungsgemäß durch eine bevollmächtigte Vertreterin der Beklagten unterzeichnet worden.

20

Das Rechtsmittel ist begründet.

21

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufnahme in die KVdR für den Zeitraum vom 1. Juli 1997 bis 31. März 2002.

22

Nach der Entscheidung des BVerfG vom 15. März 2000 1 BvL 16/96, 17/96, 18/96, 19/96, 20/96, 18/97 = NZS 2000, 450 [BVerfG 15.03.2000 - 1 BvL 16/96] ist es mit Art 3 Abs 1 GrundgesetzGG unvereinbar, dass nach § 5 Abs 1 Nr 11 Halbsatz 1 SGB V idF des Gesundheits-Strukturgesetzes (GSG) Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung dann von der KVdR ausgeschlossen sind, wenn sie nicht seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrages mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraumes seit Beginn ihrer Erwerbstätigkeit aufgrund einer Pflichtversicherung versichert waren (Leitsatz 1). In den Entscheidungsgründen hat das BVerfG festgestellt, dass die Verfassungswidrigkeit des § 5 Abs 1 Nr 11 Halbsatz 1 SGB V nicht zu dessen Nichtigkeit führe. Die Regelung sei vielmehr für unvereinbar mit Art 3 Abs 1 GG zu erklären, da der Gesetzgeber die Verfassungswidrigkeit auf verschiedene Weise beseitigen könne (Hinweis auf BVerfGE 99, 200, 215 f [BVerfG 10.11.1998 - 1 BvR 1531/96]). Soweit die Vorschrift mit Art 3 Abs 1 GG unvereinbar sei, könne sie bis zur gesetzlichen Neuregelung, längstens bis 31. März 2002, ausnahmsweise weiter angewendet werden (BVerfG aaO mwN). Falls es innerhalb der gesetzten Frist nicht zu einer gesetzlichen Neuregelung komme, bestimme sich ab dem 1. April 2002 der Zugang zur KVdR nach § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V idF des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG).

23

Der Senat hat bereits mit Urteil vom 15. Januar 2003 L 4 KR 2/02 entschieden, dass mit Wirkung ab 1. April 2002 in Anwendung der og Rechtsprechung des BVerfG die Regelung nach § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V idF des GRG gilt. Denn der Gesetzgeber hat keine gesetzliche Neuregelung geschaffen. Dieser Rechtsprechung ist die Beklagte mit ihrem Bescheid vom 8. April 2002 nachgekommen, indem sie die Klägerin mit Wirkung ab 1. April 2002 in die KVdR aufnahm.

24

Dagegen verbleibt es bis 31. März 2002 nach den ausdrücklichen Feststellungen des BVerfG bei der bisherigen Beurteilung des Versicherungsverhältnisses. In diesem Sinne hat auch das BSG mit Urteil vom 7. Dezember 2000 B 12 KR 29/00 R entschieden. Demnach gilt bis 31. März 2002 die Vorschrift des § 5 Abs 1 Nr 11 idF des GSG vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 2266). Für diesen Zeitraum erfüllte die Klägerin nach den zutreffenden Feststellungen der Beklagten die Voraussetzungen für die KVdR nicht.

25

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

26

Gesetzliche Gründe für die Zulassung der Revision haben nicht vorgelegen, § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG.