Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.05.2016, Az.: 8 K 175/15

Rechtmäßigkeit von Hinzuschätzungen aufgrund einer fehlerhaften Buchführung im Rahmen des Betriebs eines Speiserestaurants; Vorliegen von Mängel hinsichtlich der Kassenführung in einem Gastronomiebetrieb; Ausbeutekalkulation als eine anerkannte Schätzungsmethode

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
10.05.2016
Aktenzeichen
8 K 175/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 40374
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2016:0510.8K175.15.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 11.01.2017 - AZ: X B 104/16

Amtlicher Leitsatz

Die Ausbeutekalkulation stellt eine anerkannte Schätzungsmethode dar.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit von Hinzuschätzungen.

2

Der Kläger ist verheiratet. Er betrieb in den Streitjahren das Speiserestaurant "Z" in R. Den Gewinn ermittelte er durch Bestandsvergleich nach §§ 4 Abs. 1, 5 Einkommensteuergesetz (EStG). Die Einkünfte wurden durch den Beklagten (das Finanzamt - FA -) jeweils gesondert festgestellt. Die Bescheide für die Streitjahre 2006 bis 2009 sowie 2011 ergingen zunächst unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abgabenordnung - AO -). Der Bescheid für 2010 enthielt keinen Vorbehalt der Nachprüfung.

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Im Rahmen einer Umsatzsteuer-Nachschau am 10. April 2014 sowie einer Außenprüfung für die Jahre 2006 bis 2012 von Oktober 2013 bis Februar 2015 trafen die Prüfer unter Hinzuziehung des Finanzamts für Fahndung und Strafsachen folgende Feststellungen:

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Der Kläger verwendete im Prüfungszeitraum zur Erfassung seiner Bareinnahmen eine elektronische Registrierkasse vom Typ Quorion. Die zur Kasse gehörenden Organisationsunterlagen, insbesondere die Bedienungsanleitung, die Programmieranleitung, die Programmabrufe nach jeder Änderung, Protokolle über die Einrichtung von Verkäufer-, Kellner- und Trainingsspeichern u.ä., sowie alle weiteren Anweisungen zur Kassenprogrammierung konnte der Kläger für den gesamten Prüfungszeitraum nicht vorlegen. Die mit Hilfe der Registrierkasse erstellten Rechnungen bewahrte er nicht auf. Auch alle weiteren im Rahmen des Tagesabschlusses aufgerufenen Ausdrucke der Registrierkasse (z. B. betriebswirtschaftliche Auswertungen, Ausdrucke der Trainingsspeicher, Kellnerberichte) wurden ebenfalls nicht aufbewahrt. In der Buchführung befindet sich lediglich der so genannte Tagesbericht. Trotz eines gegenteiligen Hinweises im Rahmen der Umsatzsteuer-Nachschau am 10. April 2013 löschte der Kläger auch sämtliche übrigen Berichte aus dem elektronischen Speicher der Kasse.

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Für die Kasse wurden mehrere Bedienerschlüssel verwendet. Dabei war der als Bediener 5 verwendete Schlüssel als so genannter Trainingsbediener eingerichtet. Die mit diesem Bediener durchgeführten Eingaben erhöhen den Umsatz der einzelnen Berichte nicht. Tatsächlich wurde der Bediener 5 wie ein regulärer Kellner verwendet. Eine gesonderte Aufzeichnung von Übungsumsätzen erfolgte nicht. Ebenso wurden die mit Hilfe des Trainingskellners gebuchten Bons nicht gesondert aufbewahrt.

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Weiterhin war die Stornoart "Berichtigung" so eingestellt, dass diese nicht auf dem Journaldruck erschien. Damit waren die Stornierungen insgesamt nicht offen ausgewiesen. Sie wurden auch nicht im elektronischen Journal gespeichert. Folglich bestand keine Möglichkeit, die auf diese Stornoart entfallenden Umsatz auf den Tagesendsummenbons zu erkennen. Tatsächlich wurden innerhalb von nur fünf Monaten über 40.000 € auf diese Art und Weise storniert. Ein Großteil dieser Stornierungen erfolgte durch den Chefbediener jeweils ab 22:00 Uhr.

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Die Einnahmen und Ausgaben des Betriebs wurden jeweils am Monatsende durch den Steuerberater gebucht. Ein Konto "Kasse" wurde nicht gebucht. Vielmehr wurden die Einnahmen und Ausgaben gegen - hinsichtlich der Bestandskonten - ergebnisunwirksame Konten gebucht. Der Saldo wurde dann im Jahre des jeweiligen Jahresabschlusses über Entnahmen/Einlagen ausgebucht. Dabei wurden die Einnahmen auch nicht täglich erfasst, sondern am Ende des Monats kumuliert eingebucht. Bei einer Überprüfung für den Veranlagungszeitraum 2012 aufgrund taggenauer Einnahmen und Ausgaben ergaben sich umfangreiche Kassenfehlbeträge.

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Die Lohnzahlung an die Angestellten erfolgte nicht über das Bankkonto. Vielmehr wurden die offenen Lohnzahlungen über Verbindlichkeiten gebucht und im Rahmen der Erstellung des Jahresabschlusses als Barausgabe nachträglich erfasst. In welcher Höhe die Arbeitnehmer (lt. Lohnsteueranmeldungen zwischen fünf und zehn bei Lohnzahlungen zwischen 21.000 € und 30.000 € im Jahr) tatsächlich Lohn erhalten haben, ließ sich aufgrund der vorgelegten Aufzeichnungen nicht aufklären.

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Im Rahmen einer Durchsuchung wurden in der Handtasche der Ehefrau des Klägers Bareinzahlungsbelege für verschiedene Konten gefunden. In der Buchführung wurden jedoch im gesamten Prüfungszeitraum keine Barentnahmen aufgezeichnet. Insgesamt wurden in den Streitjahren auf Konten der Ehefrau und der Tochter des Klägers Bareinzahlungen in Höhe von 10.000 € bis 40.000 € jährlich, insgesamt über 200.000 € getätigt. Eine nicht mit dem Betrieb des Klägers im Zusammenhang stehende Herkunft der Mittel konnte der Kläger nicht darlegen.

10

Aus all diesen Feststellungen zog die Prüferin den Schluss, dass die Buchführung im gesamten Prüfungszeitraum nicht ordnungsgemäß gewesen sei. Sie führte daraufhin für die Jahre 2008 und 2012 jeweils eine so genannte Kalkulation nach Anteilen durch. Dabei ermittelte sie zunächst auf der Grundlage der vom Kläger vorgelegten Unterlagen ein Verhältnis zwischen Speisen und Getränken von 70 % zu 30 %. Dann nahm sie für die Getränke eine Ausbeutekalkulation vor. Aufgrund des für den Kläger günstigeren Ergebnisses des Jahres 2012 ermittelte sie daraufhin einen Gesamtrohgewinnaufschlag von 323 %, den sie auf 320 % nach unter abrundete. Aufgrund des Umstandes, dass das Verhältnis von Getränken und Küchenwaren im gesamten Prüfungszeitraum nahezu unverändert war, übertrug sie den Rohgewinnaufschlag von 320 % auf alle Prüfungsjahre. Dies führte zu Hinzuschätzungen zwischen 73.500 € und 118.500 €. Wegen der Einzelheiten der Feststellungen und der Hinzuschätzungen wird auf den Bp-Bericht vom 3. März 2015 (Betriebsprüfungsakte Bd. III) Bezug genommen.

11

Der Beklagte (das Finanzamt - FA -) schloss sich der Auffassung der Betriebsprüfung an und änderte auf der Basis des Prüfungsberichts die Feststellungsbescheide für die Jahre 2006 bis 2011; für das Jahr 2012 erließ es auf dieser Grundlage einen erstmaligen Bescheid.

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Gegen diese Bescheide wendet sich der Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit der vorliegenden Klage. Er ist der Ansicht, dass für die vorgenommenen Hinzuschätzungen zumindest der Höhe nach kein Raum sei. Zwar habe es in der Buchführung kleinere Mängel gegeben. Der Vorwurf der vorsätzlichen Kassenmanipulation sei jedoch vom Finanzamt nicht nachgewiesen worden. So seien die als fehlend gerügten Organisationsunterlagen der Registrierkasse bei Betriebseröffnung im Jahr 2006 nicht erforderlich und vom Hersteller auch nicht erhältlich gewesen. Im Übrigen habe sich der Kläger mit der Programmierung der Kasse auch nicht ausgekannt. Die vorgelegten Tagesendsummenbons seien für die Erfassung der Einnahmen ausreichend. Die vorgenommenen Stornos seien korrekt. Dass sie als so genannte verdeckte Stornos getätigt worden seien, könne dem Kläger nicht angelastet werden. Dass überhaupt Stornos vorgenommen worden seien, sei zutreffend, da der Kläger mit seinem Restaurant zeitweise an der Aktion "S" teilgenommen habe, in deren Rahmen zwei Gerichte zum Preis von einem angeboten worden seien und dann das jeweils günstigere Gericht storniert worden sei. Auch sei es üblich, dass im Gastronomiebereich Stornosummen von 1.000 € bis 1.500 € pro Tag entstünden. Auch seien Sonderaktionen (z. B. zur Fußball-WM 2006) nicht ausreichend berücksichtigt worden. Schließlich sei es nicht rechtmäßig, die Ergebnisse des Prüfungsjahres 2012 auf den gesamten Streitzeitraum zu übertragen, da das Lokal im September 2008 von 50 auf 100 Plätze erweitert worden sei, wovon allerdings 40 Plätze lediglich als Ausweichplätze für Raucher fungierten.

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Der Kläger beantragt,

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die Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2006 - 2012 vom 7. April 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Juli 2015 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb um 101.000 € in 2006, um 73.500 € in 2007, um 116.100 € in 2008, um 105.800 € in 2009, um 80.100 € in 2010, um 88.700 € in 2011 und um 118.500 € in 2012 niedriger festgestellt werden

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er hält an seiner in der Einspruchsentscheidung vertretenen Rechtsauffassung fest. Darüber hinaus führten auch die im Klageverfahren vorgetragenen Umstände nicht zu einer Herabsetzung der Hinzuschätzungen. Insbesondere kämen den vom Kläger angeführten Bonusaktionen keine Bedeutung zu, da nur die Getränke im Rahmen der Ausbeutekalkulation erfasst worden seien und dieses Ergebnis im Wege der Anteilskalkulation auf den gesamten Wareneinsatz hochgerechnet worden sei. Da die vom Kläger vorgelegten Gutscheine im Rahmen der Aktion "S" sämtlich das Jahr 2012 betrafen, sei diesem Umstand im Wege der Ermittlung der Verhältnisse von Getränken und Küchenwaren Rechnung getragen worden. Denn bei der Ermittlung des Getränkeverkaufs seien ausschließlich die in der Buchführung vorhandenen Belege zu Grunde gelegt worden. Hierbei sei der Wareneinkauf um Schankverluste, Gratisgetränke und sonstige Abzüge gemindert und unter Einsatz einer Gewichtung auf verschiedene Gläsergrößen bzw. bei der Abgabe von Flaschen ohne Berücksichtigung eines Schankverlustes mit dem jeweiligen Bruttoverkaufspreis pro Glas/Flasche kalkuliert worden. Ebenso sei das übliche "Gratis-Getränk" nach den üblichen Erfahrungssätzen berücksichtigt worden. Schließlich sei auch eine Übertragung des Kalkulationsergebnisses des Jahres 2012 auf die Vorjahre gerechtfertigt, da sich die Gesamtverhältnisse im gesamten Prüfungszeitraum nicht wesentlich geändert hätten. Zwar habe sich die Anzahl der Plätze im September 2008 von 50 auf 100 erhöht; dies habe aber nach den Unterlagen des Klägers nicht zu einer signifikanten Erhöhung des Umsatzes geführt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird insbesondere auf den Schriftsatz vom 29. September 2015 (Bl. 27 ff Finanzgerichtsakte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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I. Die Klage ist unbegründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

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1. Die vom FA vorgenommenen Hinzuschätzungen sind dem Grunde und der Höhe nach nicht zu beanstanden.

20

a) Das FA war zur Hinzuschätzung dem Grunde nach berechtigt.

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Die Finanzbehörde hat die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 Abs. 1 Satz 1 AO zu schätzen, soweit sie sie nicht ermitteln kann. Gemäß § 162 Abs. 2 Satz 1 AO ist insbesondere zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft verweigert. Nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO gilt das Gleiche, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen, die der Steuerpflichtige zu führen hat, nicht nach § 158 AO der Besteuerung zugrunde gelegt werden können. Nach § 158 AO sind die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen nur dann der Besteuerung zu Grunde zu legen, wenn sie den Vorschriften der §§ 140 - 148 AO entsprechen und soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden.

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Nach diesen Grundsätzen war das FA vorliegend gemäß § 162 Abs. 2 AO zur Schätzung befugt, weil die Buchführung des Klägers der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden kann. Diese weist im Streitzeitraum zahlreiche gravierende Mängel auf:

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aa) Schon das Fehlen der Programmierprotokolle sowie weiterer Organisationsunterlagen der Registrierkasse stellt einen formellen Mangel dar. Anweisungen zur Kassenprogrammierung sowie insbesondere die Programmierprotokolle, die nachträgliche Änderungen dokumentieren, sind nach § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO als "sonstige Organisationsunterlagen" aufbewahrungspflichtig. Dies hat die Finanzverwaltung schon lange vor den Streitjahren vertreten (z.B. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 7. November 1995, BStBl I 1995, 738, Tz. VI.c, sowie Tz. 6 der diesem BMF-Schreiben beigefügten Grundsätze ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme; BMF-Schreiben vom 9. Januar 1996, BStBl I 1996, 34; auch BMF-Schreiben vom 26. November 2010, BStBl I 2010, 1342, und vom 14. November 2014, BStBl I 2014, 1450, Tz 111). Der BFH vertritt hierzu die Auffassung, dass das Fehlen einer lückenlosen Dokumentation zur Kassenprogrammierung in seinen Auswirkungen auf die Beurteilung der formellen Ordnungsmäßigkeit der Buchführung und der Eröffnung der Schätzungsbefugnis dem Fehlen von Tagesendsummenbons bei einer Registrierkasse bzw. dem Fehlen täglicher Protokolle über das Auszählen einer offenen Ladenkasse gleichsteht. In allen drei Fällen lässt der formelle Mangel zwar keinen sicheren Schluss auf die Verkürzung von Einnahmen zu. Gleichwohl gibt es systembedingt keine Gewähr mehr für die Vollständigkeit der Erfassung der Bareinnahmen, ohne dass eine nachträgliche Ergänzung der Dokumentation bzw. eine anderweitige Heilung des Mangels möglich wäre. Elektronische Kassensysteme sind durch Umprogrammierung in nahezu beliebiger Weise manipulierbar; von derartigen Manipulationsmöglichkeiten machen Teile der betrieblichen Praxis nach dem Erkenntnisstand des Senats durchaus Gebrauch (zu einem solchen Fall z.B. Beschluss des FG Rheinland-Pfalz vom 7. Januar 2015 5 V 2068/14; vgl. zum Ganzen auch Tz. 54 der Bemerkungen des Bundesrechnungshofs 2003 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung, BTDrucks 15/2020, 197 f.). Es ist daher von erheblicher Bedeutung, dass ein Betriebsprüfer --und ggf. auch ein FG-- sich davon überzeugen kann, wie die Kasse im Zeitpunkt ihrer Auslieferung und Inbetriebnahme programmiert war, sowie ob bzw. in welchem Umfang nach der Inbetriebnahme der Kasse spätere Programmeingriffe vorgenommen worden sind. Für den Steuerpflichtigen überschreitet der mit der Dokumentation verbundene Aufwand die Grenze des Zumutbaren nicht. Beim Erwerb der Kasse kann er vom Verkäufer die Übergabe von Bedienungsanleitungen und Programmdokumentationen verlangen. Die Dokumentation späterer Umprogrammierungen verursacht jedenfalls einen geringeren Aufwand als die Umprogrammierung selbst (BFH-Urteil vom 25. März 2015 X R 20/13, BStBl II 2015, 743 m.w.N.).

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Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an (ebenso Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 147 AO Rz 9, 26). Da der Kläger sämtliche Organisationsunterlagen seiner Registrierkasse nicht vorlegen konnte, ist seine Buchführung schon aus diesem Grunde formell mangelhaft. Gleiches gilt für die vom Kläger nicht aufbewahrten Rechnungen.

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bb) Weitere Mängel weist die Kassenführung insoweit auf, als zahlreiche für die Besteuerung erhebliche Umstände für einen prüfenden Dritten nicht erkennbar sind. Dies gilt insbesondere für die Durchführung der Stornierungen. Durch die vom Kläger gewählte Art der verdeckten Stornierung können Art und Umfang der Stornos weder vom FA noch vom Finanzgericht überprüft werden. Dieser Mangel ist insbesondere auch deshalb so gravierend, weil der Kläger Stornos in einem Umfang vorgenommen hat, der deutlich jenseits des Üblichen liegt. Die diesbezüglich vom Kläger geäußerte Einschätzung, dass 1.000 bis 1.500 EUR Storno pro Tag üblich seien, entspricht nicht der aus vergleichbaren Fällen gewonnenen Erkenntnis des Senats.

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Gleiches gilt für den Einsatz des Trainingsschlüssels. Auch hier ist es nicht möglich, Art und Umfang der mit diesem Bedienerschlüssel gemachten Umsätze zu überprüfen, da die entsprechenden Aufzeichnungen nicht vorliegen. Zu Lasten des Klägers kommt hinzu, dass er relevante Daten aus den Speichern gelöscht hat und er die Frequenz der Löschungen nach der Umsatzsteuernachschau im April 2014 sogar noch gesteigert hat. Dies lässt auf ein erhöhtes Maß von krimineller Energie und eine eindeutige Beweisvernichtungsabsicht schließen. Soweit der Kläger hierzu angibt, dass er nicht über die nötigen Fähigkeiten zur Kassenmanipulation verfüge, wertet der Senat dies als bloße Schutzbehauptung. Dabei ist unerheblich, ob der Kläger selbst die entsprechenden Programmierungen vorgenommen hat, oder ob dies Dritte in seinem Auftrag getan haben. Die Stornierungen hat der Kläger zum großen Teil persönlich mit dem sog. Chefbediener-Schlüssel vorgenommen.

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cc) Einen schweren materiellen Buchführungsfehler stellt die Erfassung und Verbuchung von privaten Barentnahmen dar. Insoweit ist nicht vorstellbar, dass der Kläger über Jahre hinweg keine solchen Entnahmen in bar getätigt haben will. Vielmehr zeigt sich die kriminelle Energie des Klägers in diesem Bereich darin, dass er in den Streitjahren über 200.000 EUR bar auf Konten seiner Ehefrau und seiner Tochter eingezahlt hat, welche als betriebsfremde Konten nicht in die Buchführung einflossen. Weiterhin zeigt sich die Mangelhaftigkeit der Buchführung auch an den vom FA ermittelten Kassenfehlbeträgen.

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Diese Mängel führen teilweise jeweils schon für sich allein, unzweifelhaft aber in ihrer Gesamtheit zur Schätzungsbefugnis des FA.

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b) Die Schätzung ist auch der Höhe nach rechtmäßig.

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Bei der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen sind alle Umstände, die für die Schätzung von Bedeutung sind, zu berücksichtigen. Ziel der Schätzung ist es, diejenigen Tatsachen zu ermitteln, die die größtmögliche Wahrscheinlichkeit für sich haben. Das Schätzergebnis soll dem wahren Sachverhalt möglichst nahe kommen. Die gewonnenen Schätzergebnisse müssen schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein (vgl. Rüsken in Klein, AO, 12. Auflage § 162 Anm. 29 m.w.N). Wird die Schätzung erforderlich, weil der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nicht genügt, kann sich das Finanzamt an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren (vgl. BFH-Urteil vom 20. Dezember 2000, I R 50/00, BStBl. II 2001, 381; Seer in Tipke/Kruse, AO-FGO, § 162 AO Tz. 80, mit Rechtsprechungsnachweisen). Eine Schätzung ist demgegenüber nicht schon deswegen rechtswidrig, weil sie von den tatsächlichen Verhältnissen abweicht. Denn solche Abweichungen sind notwendig mit einer Schätzung verbunden, die in Unkenntnis der wahren Gegebenheiten erfolgt. Eine Schätzung erweist sich vielmehr erst dann als rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt (vgl. BFH in BStBl. II 2001, 381).

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aa) Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Die vom FA durchgeführte Kalkulation nach Anteilen ist eine anerkannte Schätzungsmethode. Die Durchführung im konkreten Fall unterliegt nach den vorliegenden Unterlagen, insbesondere der Bp-Arbeitsakte, keinen Bedenken. Dies gilt sowohl für das von der Prüferin ermittelte Verhältnis zwischen Speisen und Getränken als auch für die im Rahmen der Getränke vorgenommene Ausbeutekalkulation. Schließlich ist der vom FA vorgenommene Abschlag beim Rohgewinnaufschlagsatz von 323 % auf 320 % zur Abgeltung eventueller, bislang nicht berücksichtigter Unsicherheiten ausreichend. Schließlich bleibt der vom FA letztlich angewandte Rohgewinnaufschlagsatz mit 320 % auch innerhalb der Werte der sogenannten Richtsatzsammlung, welche für die Jahre 2007 - 2009 Sätze bis 335 % und für das Jahr 2010 einen Aufschlagssatz bis 400 % ausweisen. Aufgrund der vom Kläger im erheblichen Umfang durchgeführten Beweisvernichtung bestehen keine Bedenken, dass sich der vom FA angewandte Rohgewinnaufschlagsatz im oberen Bereich der Richtsatzsammlung befindet.

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bb) Die vom Kläger im gerichtlichen Verfahren erhobenen Einwendungen führen nicht zur Rechtswidrigkeit der Schätzung der Höhe nach.

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(1) Soweit der Kläger der Ansicht ist, dass die von ihm durchgeführten Sonderaktionen (Fußball-WM und S) nicht ausreichend berücksichtigt worden seien, folgt das Gericht dem nicht. Zum einen hat der Kläger nach den vorliegenden Unterlagen die Teilnahme an der Aktion S nicht in allen Jahren, sondern vor allem im Jahr 2012 nachgewiesen. Da dieses Jahr Gegenstand der Kalkulation war, ist dies hinreichend berücksichtigt. Hinzu kommt, dass das bei der hier vorliegenden Kalkulation nach Anteilen eine Ausbeutekalkulation nur für den Bereich der Getränke vorgenommen wurde. Das Verhältnis zwischen den Getränkeumsätzen und den Küchenwarenumsätzen wurde auf der Grundlage von zwei Artikelberichten betriebsbezogen ermittelt und im Rahmen der Kalkulation zugunsten des Klägers gerundet. Im Übrigen hat die Abgabe verbilligter Speisen bei der Kalkulation nach Anteilen keinen Einfluss auf die Höhe des kalkulierten Gewinns, da lediglich die Getränke im Wege einer Ausbeutekalkulation auskalkuliert wurden. Der Anteil der Speisen wurde lediglich über eine Dreisatzrechnung hochgerechnet. Denn der Kläger hat die Gerichte, die umsonst abgegeben wurden in der Kasse storniert, so dass diese Speisen im Speiseanteil nicht enthalten gewesen sind. Bei der Ermittlung des Getränkeeinkaufs wurden ausschließlich die in der Buchführung vorhandenen Belege zugrunde gelegt und um Schankverluste, Gratisgetränke und sonstige übliche Abzüge gemindert. Konkrete Einwendungen gegen diese Kalkulation hat der Kläger im Klageverfahren nicht erhoben. Sie sind auch nach Aktenlage nicht erkennbar.

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(2) Das FA war auch berechtigt, den durch Kalkulation für das Jahr 2012 ermittelten Rohgewinnaufschlagsatz auf die Vorjahre zu übertragen. Diese Übertragung war gerechtfertigt, da sich die Verhältnisse im Betrieb des Klägers im Streitzeitraum nicht wesentlich geändert haben. Zwar hat der Kläger nach eigenen Angaben das Lokal im September 2008 von 50 auf 100 Plätze erweitert; dies führte jedoch nicht zu einer wesentlichen Änderung des Betriebes. Denn von den 50 neu angelegten Plätzen fungierten 40 Plätze lediglich als Ausweichmöglichkeiten für Raucher, so dass dies nicht zu einer signifikanten Umsatzsteigerung führen konnte. Tatsächlich hat sich im Vergleich der Jahre 2006 bis September 2008 zu den Jahren 2009 bis 2012 nach den Unterlagen des Klägers auch keine signifikanten Veränderungen des Wareneinsatzes und des Umsatzes ergeben. Im Übrigen führte die von der Prüferin für das Jahr 2008 durchgeführte Kalkulation zu für den Kläger ungünstigeren Ergebnissen.

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(3) Schließlich führt auch der vom Kläger vorgebrachte Einwand, dass das FA die hinzugeschätzten Beträge nicht im Rahmen einer Geldverkehrsrechnung plausibilisiert hat, zu keinem anderen Ergebnis. Zum einen war das FA nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht gehalten, eine Geldverkehrsrechnung durchzuführen. Zum anderen lässt sich der Verbleib der hinzugeschätzten Beträge zum großen Teil durch die Bareinlagen des Klägers auf betriebsfremde Konten erklären. Im Übrigen spricht nach der vom Kläger praktizierten Vorgehensweise, die Gehälter sämtlich in bar auszuzahlen, viel dafür, dass die erzielten Umsätze unter Einbeziehung weiterer Hilfskräfte erzielt wurden, deren Löhne keinen Eingang in die Buchführung gefunden haben. Diese Beträge könnten jedoch nur als Betriebsausgabe in Abzug gebracht werden, wenn der Kläger hierzu entsprechende Angaben gemacht hätte. Dies hat er jedoch in den Erörterungsterminen ausdrücklich abgelehnt.

36

Damit verbleibt es bei den vom FA vorgenommenen Hinzuschätzungen.

37

2. Das FA durfte die angefochtenen Bescheide auch ändern. Die Änderungsbefugnis für die Jahre 2006 - 2009 sowie 2011 ergibt sich aus § 164 Abs. 2 AO, da die ursprünglichen Bescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassen worden waren. Für das Jahr 2010 hat das FA die Änderung zu Recht auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt, da die nicht erklärten Betriebseinnahmen dem FA erst nachträglich bekannt wurden.

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II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.