Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 17.09.2004, Az.: 6 A 3729/01

Auslandseinsatz; Auslandsverwendungsfähigkeit; Ausnahmegenehmigung; Entlassung aus einer Wehrübung; Hypertonie; medizinisches Gutachten

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
17.09.2004
Aktenzeichen
6 A 3729/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50763
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Auch eine vorher erteilte sanitätsärztliche Ausnahmegenehmigung hindert nicht die Feststellung einer Wehrdienstausnahme wegen eingetretener Verwendungsunfähigkeit.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, falls nicht zuvor die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

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Der Kläger wendet sich gegen seine Entlassung aus einer Wehrübung.

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Der im ... geborene Kläger hat in der Vergangenheit an einer Vielzahl von Wehrübungen teilgenommen und wurde am 25. Januar 1996 zum Oberstleutnant der Reserve ernannt. Im Frühjahr 2001 planten Dienststellen der Beklagten den Kläger als Wehrübenden für einen Auslandseinsatz in Serbien-Montenegro mit seinem Einverständnis ein. Er sollte im Orahovac, Kosovo, eingesetzt werden.

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Zur Vorbereitung einer Einsatz vorbereitenden Wehrübung im Bundesgebiet für den Zeitraum vom 30. April bis zum 12. Mai 2001 beim Panzergrenadierbataillon 152 in Schwarzenborn wurde der Kläger am 2. und 3. April 2001 in Oldenburg musterungsärztlich untersucht. Dabei ergaben sich wegen der beim Kläger bekannten arteriellen Hypertonie Zweifel an seiner gesundheitlichen Eignung. Weitere Zweifel ergaben sich bei einer Untersuchung am 18. April 2001 im Facharztzentrum Fritzlar.

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Auf den Antrag des Klägers wurde daraufhin vom Bundesministerium der Verteidigung unter dem 25. April 2001 für den Kläger eine ärztliche Ausnahmegenehmigung für die Einzelwehrübung vom 30. April bis zum 12. Mai 2001 und für den anschließenden Auslandseinsatz für die Zeit vom 21. Mai bis Mitte Dezember 2001 erteilt. Die Ausnahme wurde für ein Jahr befristet und es wurde die Auflage ausgesprochen, dass keine körperlichen Belastungen, aber regelmäßige Kontrollen beim Truppenarzt im Einsatz erfolgen sollten.

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Mit Einberufungsbescheid vom 4. Mai 2001 wurde der Kläger zu der Auslandswehrübung nach § 6 a des Wehrpflichtgesetzes für die Zeit vom 21. Mai bis 20. Dezember 2001 einberufen. Am 27. Mai 2001 flog der Kläger von Hannover in sein Einsatzgebiet und meldete sich nach Dienstantritt am 28. Mai 2001 beim Truppenarzt seines Einsatzverbandes. Dieser stellte einen erhöhten Blutdruck fest und ordnete die Überweisung des Klägers zur stationären Behandlung der „entgleisten schweren Hypertonie“ ins Feldlazarett in Prizrin für den nächsten Tag an. In diesen Tagen machte er auf andere Kameraden einen gesundheitlich angeschlagenen und leicht desorientierten Eindruck, wie sich aus einem Beschluss des Truppendienstgerichtes Nord vom 25. Februar 2002 (Az: N 3 Bla 5/01) ergibt. Der Kläger wurde am 29. Mai 2001 im Feldlazarett untersucht und es wurde entschieden, dass der Kläger wegen seines schlechten Gesundheitszustandes sofort nach Deutschland zurücktransportiert werden sollte. Am 2. Juni 2001 erfolgte die Verlegung des Klägers vom Einsatzland per Lufttransport in das Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz. Dort wurde er bis zum 12. Juni 2001 stationär aufgenommen.

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Nach der Entlassung aus dem Bundeswehrkrankenhaus wurde der Kläger am 13. Juni 2001 vom Truppenarzt seiner Einheit in Schwarzenborn von allen Diensten befreit und krank zu Hause geschrieben. Am 4. Juli 2001 wurde er im Bundeswehrkrankenhaus Bad Zwischenahn untersucht; am 25. Juli 2001 stellte der Truppenarzt in Schwarzenborn die mangelnde vorübergehende Verwendungsfähigkeit des Klägers für ein Jahr fest. Am 1. August 2001 nahm das Bundesministerium der Verteidigung von der früher erteilten Ausnahmegenehmigung hinsichtlich der Auslandsverwendungsfähigkeit Abstand.

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Mit Bescheid vom 7. August 2001 entließ daraufhin das Personalamt der Bundeswehr den Kläger wegen des Vorliegens einer zwingenden Wehrdienstausnahme mit Ablauf des 10. August 2001 aus der Wehrübung. Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 10. August 2001 Beschwerde ein, die mit Beschwerdebescheid des Bundesministeriums der Verteidigung vom 11. Oktober 2001 - zugestellt am 13. Oktober 2001 - als unbegründet zurückgewiesen wurde.

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Am 7. November 2001 hat der Kläger Klage erhoben. Er macht unter Wiederholung seines Beschwerdevorbringens geltend, dass von den betreffenden Ärzten zu Unrecht seine Auslandsverwendungsfähigkeit in Abrede gestellt worden sei. Vielmehr müsse bedacht werden, dass sein vorher bekannter arterieller Bluthochdruck durch die Einnahme von Medikamenten gut eingestellt gewesen sei, was auch dazu geführt habe, dass ihm die Ausnahmegenehmigung vom 25. April 2001 erteilt worden sei. Wenn auch vorübergehend seine Blutdruckwerte in den ersten Tagen des Einsatzes im Kosovo etwas schlechter gewesen seien, so müsse aber bedacht werden, dass er durch die verschiedenen ärztlichen Maßnahmen in den Bundeswehrkrankenhäusern in Koblenz und Bad Zwischenahn wieder deutlich bessere Blutdruckwerte erreicht habe, so dass es nicht gerechtfertigt gewesen sei, seinen Auslandseinsatz vorzeitig zu beenden. Vielmehr hätte er ohne weiteres bis zum vorgesehenen Dienstzeitende der Wehrübung den Auslandseinsatz ableisten können. Auch müsse bedacht werden, dass er sich in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht vor Antritt der Wehrübung auf diese eingestellt habe, so dass für ihn bei einem vorzeitigen Abbruch der Wehrübung ein wirtschaftlicher Schaden eintrete. Soweit während des Klageverfahrens durch Zeitablauf die Wehrübung vorübergegangen sei, habe er aber ein gerechtfertigtes Interesse der Feststellung der Rechtswidrigkeit der von ihm zunächst im Wege der Anfechtungsklage angegriffenen Maßnahmen, da er auch in Zukunft gern wieder Wehrübungen ableisten wolle und zudem erwägen würde, Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Auch seien seine im Kosovo vorgesehenen konkreten Tätigkeiten keineswegs so ausgestaltet gewesen, dass sich daraus für ihn eine besondere körperliche Belastung ergeben hätte. Er hätte nämlich in einem Beratungsbüro Gespräche mit serbischen Personen führen sollen, um deren Vorstellungen in Ablauf und Organisationsplanungen der Bundeswehr einzubringen. Daher bedürfe nach seiner Ansicht das im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens eingeholte Gutachten der Ergänzung, um die voraussichtlich nur geringen körperlichen und geistigen Belastungen im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand zu würdigen.

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Der Kläger beantragt,

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festzustellen, dass seine vorzeitige Entlassung mit Ablauf des 10. August 2001 aus der besonderen Auslandsverwendung rechtswidrig war.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie macht geltend, dass die Vorkommnisse zu Beginn der Auslandsverwendung gezeigt hätten, dass die Ausnahmegenehmigung vom 25. April 2001 zu optimistisch hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Klägers gewesen sei. Denn die Einstellung der Blutdruckwerte unter Friedensbedingungen könne nur bei optimalen Bedingungen beständig sein, so dass die veränderten Lebensumstände beim Auslandseinsatz im Kosovo dazu geführt hätten, dass der eigentlich eingestellte arterielle Hypertonus entgleist sei. Daher sei es auch gesundheitlich ein zu großes Risiko gewesen, den Kläger noch weiter zu verwenden, so dass zu Recht eine zwingende Wehrdienstausnahme angenommen worden sei.

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Das Gericht hat zu der Frage, ob beim Kläger für eine Tätigkeit bei den KFOR-Truppen im Kosovo eine Auslandsverwendungsfähigkeit im Zeitraum Mai bis Dezember 2001 und insbesondere am 10. August 2001 bestanden habe, ein Gutachten des Oberstabsarztes ..., Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie, bei der Abteilung für Innere Medizin im Bundeswehrkrankenhaus Ulm eingeholt, dass dieser unter dem 26. Juli 2004 erstellte.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen. Sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 7. August 2001 und der Beschwerdebescheid vom 11. Oktober 2001, die sich zwischenzeitlich durch Zeitablauf erledigt haben, waren rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten, so dass seine zulässige Feststellungsklage mit dem Ziel, im Nachhinein die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Entlassung erkannt zu wissen, abzuweisen war. Dazu im Einzelnen:

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Gemäß § 29 Abs. 1 Nr.5 des Wehrpflichtgesetzes - WPflG - ist ein Soldat, der aufgrund der Wehrpflicht Wehrdienst leistet, zu entlassen, wenn eine zwingende Wehrdienstausnahme vorliegt. Gemäß § 9 WPflG wird zum Wehrdienst nicht herangezogen, wer nicht wehrdienstfähig ist. Zutreffend wurde der Kläger am 25. Juli 2001 als vorübergehend nicht verwendungsfähig - Signierziffer 4 eingestuft, so dass zu Recht seine Entlassung verfügt worden ist.

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Dass der Kläger im Zeitraum vom Mai bis Dezember 2001 nicht auslandsdienstverwendungsfähig war und damit während seiner Wehrübung zu Recht als nicht verwendungsfähig angesehen wurde, ergibt sich nach Auffassung des Richters ohne weiteres aus dem gründlichen und umfassenden, in sich schlüssigen und überzeugenden Gutachten des vom Gericht beauftragten Gutachters Oberstabsarzt .... In diesem Gutachten wird in gründlicher Weise auf die gesamte Krankengeschichte des Klägers eingegangen und eine fachärztlich sowie militärfachliche Begutachtung zur Auslandsverwendungsfähigkeit des Klägers betreffenden Zeitraum abgegeben, die den Einzelrichter vollauf überzeugt.

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Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es auch nicht darauf an, dass zuvor mit Ausnahmegenehmigung vom 25. April 2001 die Einzelwehrübung für den Auslandseinsatz durch das Bundesministerium der Verteidigung genehmigt wurde. Für das vorliegende Verfahren muss nicht entschieden werden, ob diese Genehmigung bereits bei ihrer Erteilung rechtswidrig war und möglicherweise dazu führt, dass der betreffende Bedienstete sich vielleicht wegen Pflichtwidrigkeiten schadensersatzpflichtig macht. Jedenfalls kann für das vorliegende Verfahren festgestellt werden, dass eine Auslandsverwendungsfähigkeit für einen Einsatz im Kosovo zu bestätigen dann merkwürdig erscheint, wenn sogleich als Auflage ausgesprochen wird, dass keine körperlichen Belastungen erfolgen dürften. Dies erscheint dem Gericht jedenfalls nicht sehr einsichtig, weil regelmäßig Auslandseinsätze - hier insbesondere in der Sommerzeit im ehemaligen Jugoslawien - schon dem medizinisch nicht Vorgebildeten als körperlich belastend erscheinen. Diese Ausnahmegenehmigung ist für das vorliegende Verfahren deswegen nicht von ausschlaggebender Bedeutung, weil es sich dabei nicht um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt. Das wird dadurch deutlich, dass der Entlassungstatbestand des § 29 WPflG ein „lex specialis“ ist, das stets als zwingender Entlassungstatbestand dann einzugreifen hat, wenn sich die entsprechenden tatbestandsmäßigen Voraussetzungen ergeben. Es liegt auch in der schicksalhaften Natur der Entwicklung von körperlich und/oder geistigen Gesundheitszuständen, dass diese sich mit dem Ablauf der Zeit verändern können oder dass sich zunächst - vielleicht gerechtfertigte - günstige Prognosen im Nachhinein als unzutreffend herausstellen. Jedenfalls hat sich im vorliegenden Fall durch die gesundheitliche Entwicklung des Klägers zum Anfang seines Einsatzes Ende Mai 2001 mit aller Deutlichkeit gezeigt, dass er - jedenfalls zu diesem Zeitpunkt spätestens - nicht mehr über die körperlichen Voraussetzungen für eine Auslandsverwendungsfähigkeit verfügte.

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Entgegen der Ansicht des Klägers bedarf es auch nicht weiterer Beweiserhebungen. Das in sich schlüssig und vollständig überzeugende Gutachten muss - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht darauf abstellen, welche konkreten Tätigkeiten für ihn bei der jeweiligen Wehrübung vorgesehen waren. Es liegt in der Natur der Sache eines Auslandseinsatzes der Bundeswehr (ebenso wie im Übrigen im Inland), dass jeder zum Einsatz einberufene Soldat über die notwendige körperliche und geistige Verwendungsfähigkeit verfügen muss, die generell bei derartigen Einsätzen vonnöten ist. Denn es liegt auf der Hand, dass plötzlich veränderte Lagen eintreten können, die es ohne weiteres zwingend erforderlich machen, dass von einem Moment auf den anderen ein Soldat, der vorher zu einer ruhigen Schreibtischtätigkeit während normaler Dienststunden eingeteilt war, in ein Kampfgeschehen einbezogen werden muss. Bei dieser Sachlage muss sich jeder Kommandeur auf die uneingeschränkte Einsatzfähigkeit der ihm unterstellten Soldaten verlassen können. Eine Betrachtung im Einzelnen der körperlichen Anforderungen hinsichtlich des jeweiligen konkreten Dienstpostens würde zudem zu einer völlig unnötigen Überbürokratisierung der Bundeswehr führen, wie schon jetzt die Vorgänge rund um das Beschwerde- und Klagegeschehen des vorliegenden Falles zeigen.

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Auch war es nicht geboten, mit der Entscheidung weiter zuzuwarten. Das Gutachten, das das Gericht eingeholt hat, erfasst in schlüssiger Weise den gesamten Gesundheitszustand und legt in überzeugender Weise dar, wie sich der Gesundheitszustand des Klägers entwickelt hat. Soweit der Kläger meint, dieses Gutachten deswegen kritisieren zu können, weil im Entlassungsbrief des Bundeswehrkrankenhauses Koblenz vom 2. Juli 2001 festgestellt worden sei, dass eine „Organschädigung durch den längere Zeit bestehenden Hypertonus ausgeschlossen werden“ könne, führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn die Frage, ob durch den Bluthochdruck schon eine Organschädigung eingetreten ist, ist davon zu unterscheiden, ob durch den schlecht eingestellten Bluthochdruck starke Schädigungen drohen könnten und dass diese sich eventuell während eines Einsatzes bei der Bundeswehr realisieren könnten. Denn es kann nicht hingenommen werden, dass die Gefahr besteht, dass ein wehrübender Soldat während der Wehrübung schwere Gesundheitsschäden erleidet, ebenso wie nicht hingenommen werden kann, dass während eines Einsatzes die betreffenden Kommandeure nicht über vollauf verwendungsfähige Soldaten verfügen. Deswegen kommt es auf das Anforderungsprofil des einzelnen Dienstpostens, den der jeweilige Soldat ausübt, nicht an, vielmehr sind die allgemeinen militärfachärztlichen Grundlagen und Beurteilungssysteme nach Fehlern und Signierziffern zu beachten.

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Schließlich sind keine Anhaltspunkte dafür deutlich geworden, die aus anderen Gründen das Gutachten als unrichtig erscheinen lassen sollten. So hat der Kläger hingewiesen auf Untersuchungsergebnisse, die nach dem zu beurteilenden Zeitpunkt datieren. Das ist zutreffend, aber keineswegs gegen das Gutachten sprechend. Denn wesentlich ist die Gesamtschau eines gesundheitlichen Zustandes, wie er vorher vorgelegen und wie er sich entwickelt hat.

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Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Gründe, die Revision zuzulassen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.