Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 17.04.1996, Az.: XI 148/94

Inanspruchnahme als Haftungsschuldner; Wirksamkeit des Verzichts auf die Umsatzsteuerbefreiung ; Voraussetzungen für das Bestehen einer wirksamen Option zur Umsatzsteuer; Option der Umsatzsteuer als haftungsbegründende Pflichtverletzung ; Zahlung der Umsatzsteuer für die Veräußerung des Erbbaurechts an einem Grundstück der GmbH; Pflichten des gesetzlichen Vertreters nach § 34 Abs. 1 AO (Abgabenordnung)

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
17.04.1996
Aktenzeichen
XI 148/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 16458
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1996:0417.XI148.94.0A

Fundstellen

  • EFG 1996, 789-790 (Volltext mit amtl. LS)
  • GmbHR 1997, 139 (amtl. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Haftung für Umsatzsteuer 1986

Amtlicher Leitsatz

Verzichtet der gesetzliche Vertreter einer GmbH für die Zwangsversteigerung eines Grundstücks auf die Umsatzsteuerfreiheit, obwohl die GmbH über keine Mittel zur Erfüllung der Steuerschuld verfügt und der Versteigerungserlös in voller Höhe den Grundpfandrechtsgläubigern zusteht, so haftet er für die dadurch ausgelöste Umsatzsteuer. Dies gilt auch dann, wenn bei einer umsatzsteuerfreien Veräußerung eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs in annähernd gleicher Höhe vorzunehmen gewesen wäre.

Der XI. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
mit Einverständnis der Beteiligten
ohne mündliche Verhandlung
in der Sitzung vom 17. April 1996,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht ...
Richterin am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin ... Verw.-Angestellte ...
ehrenamtliche Richterin ... Übersetzerin ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird auf Kosten des Klägers abgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner.

2

Der Kläger war alleiniger Geschäftsführer der Firma a ... GmbH (GmbH) in W. Durch Beschluß vom 30. August 1985 lehnte das Amtsgericht W. einen Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der GmbH mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse ab. Daraufhin wurde der Kläger zum Liquidator bestellt.

3

Am 22. Juli 1986 wurde das der GmbH gehörende Erbbaurecht an dem Grundstück D. zwangsversteigert. Den Zuschlag erhielt der Kläger mit einem Gebot von 650.000,- DM. Der Erlös wurde vollständig an die Gläubiger der GmbH ausgekehrt. Am 31. Juli 1986 erteilte diese dem Kläger folgende Rechnung:

Grundstück570.175,44 DM
Umsatzsteuer79.824,56 DM
650.000,00 DM
4

Mit der Umsatzsteuervoranmeldung für Juli 1986 meldete die GmbH den Umsatzsteuerbetrag unter Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 9 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) bei dem Beklagten (dem Finanzamt - FA -) an. Der Kläger machte den entsprechenden Betrag als Vorsteuer geltend.

5

Aufgrund einer bei der GmbH durchgeführten Außenprüfung erkannte das FA den Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung nicht an. Es vertrat die Ansicht, daß eine wirksame Option zur Umsatzsteuer gemäß § 9 Abs. 1 UStG nur vorliege, wenn der betreffende Umsatz nicht nur formal, sondern auch tatsächlich als steuerpflichtig behandelt werde. Dies setze voraus, daß der optierende Unternehmer die Ausgangssteuer entrichte. Damit sei im Fall der GmbH nicht mehr zu rechnen, weil ihr die Mittel zur Bezahlung der Umsatzsteuerschuld nicht zur Verfügung stünden. Wegen der Unwirksamkeit der Option seien die bei der Errichtung des Betriebsgebäudes auf dem Grundstück D. in W. entstandenen Vorsteuerbeträge gemäß § 15a UStG in Höhe von 77.532,- DM zu berichtigen. Die dem Kläger in Rechnung gestellte Umsatzsteuer in Höhe von 79.824,56 DM werde nach § 14 Abs. 3 EStG geschuldet. Demgemäß setzte das FA die Umsatzsteuer auf 157.356,56 DM fest.

6

Die hiergegen erhobene Klage hatte vor dem Bundesfinanzhof (BFH) Erfolg. Durch Urteil vom 29. April 1993 V R 93/89 setzte dieser die Steuer auf 79.824,- DM herab. Er führte aus, daß die GmbH wirksam zur Umsatzsteuer optiert habe. Die Option stelle weder ein Scheingeschäft i.S.v. § 41 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) dar, noch beruhe sie auf einem Gestaltungsmißbrauch i.S.v. § 42 AO.

7

Da die Umsatzsteuer von der GmbH nicht entrichtet worden war, hatte das FA den Kläger bereits am 27. Juni 1987 durch Haftungsbescheid gemäß § 191 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 69 AO wegen der mit Rechnung vom 31. Juli 1986 offen ausgewiesenen Umsatzsteuer von 79.824,50 DM sowie darauf entfallender Säumniszuschläge in Höhe von 9.576,- DM in Anspruch genommen. Es vertrat die Ansicht, daß der Kläger durch die Option nach § 9 UStG und den gesonderten Umsatzsteuerausweis in der Rechnung vom 31. Juli 1986 die ihm nach § 34 Abs. 1 AO obliegenden Pflichten grob schuldhaft verletzt habe. Im Zeitpunkt der Rechnungserteilung sei ihm bekanntgewesen, daß die Umsatzsteuer von der GmbH nicht werde gezahlt werden können, weil der gesamte Erlös aus der Zwangsversteigerung an die Bank abzuführen gewesen sei. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte nur teilweise Erfolg. Durch Einspruchsbescheid vom 11. März 1994 entließ das FA den Kläger hinsichtlich der Säumniszuschläge aus der Haftung und setzte den Haftungsbetrag auf 79.824,- DM herab. Im übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück.

8

Mit der Klage macht der Kläger geltend, daß ihm keine Pflichtverletzung i.S.v. § 69 Satz 1 AO zur Last falle. Aus der Nichtabführung der Umsatzsteuer könne ihm kein Vorwurf gemacht werden, da der Veräußerungserlös in voller Höhe zur Schuldentilgung habe verwendet werden müssen. Auch die von ihm für die GmbH erklärte Option zur Umsatzsteuer nach § 9 UStG und der gesonderte Ausweis der Umsatzsteuer in der Rechnung vom 31. Juli 1986 seien nicht geeignet, seine Haftung zu begründen. In seinem Urteil vom 29. April 1993 V R 93/89 habe der BFH die Rechtswirksamkeit dieser Option ausdrücklich bestätigt. Die Inanspruchnahme dieser Möglichkeit habe den legitimen Interessen der Vertragsbeteiligten entsprochen, weil er - der Kläger - nicht bereit gewesen sei, mehr als 600.000,- DM für das ersteigerte Objekt aufzuwenden.

9

Abgesehen davon sei dem FA durch die von der GmbH erklärte Option kein Haftungsschaden erwachsen. Im Fall einer umsatzsteuerfreien Veräußerung des Erbbaurechts wäre die Klägerin einem Vorsteuerberichtigungsanspruch in Höhe von 77.532,- DM ausgesetzt gewesen, den sie ebenfalls nicht hätte erfüllen können.

10

Daß die von dem Kläger namens der GmbH erklärte Option der Umsatzsteuer keine haftungsbegründende Pflichtverletzung darstelle, werde schließlich auch durch die zum 1. Januar 1993 in das Gesetz aufgenommene Vorschrift des § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) bestätigt. Dieser sehe bei Lieferungen von Grundstücken im Zwangsversteigerungsverfahren ... durch ... den Vollstreckungsschuldner an den Ersteher die Einbehaltung und Abführung der Umsatzsteuer an das FA durch den Leistungsempfänger vor. Daß der Gesetzgeber diese Regelung nicht bereits früher getroffen habe, könne ihm - dem Kläger - nicht angelastet werden.

11

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Haftungsbescheid vom 27. Juli 1987 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 11. März 1994 aufzuheben,

12

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

13

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

14

Er hält an der dem Haftungsbescheid zugrundeliegenden Auffassung fest.

Entscheidungsgründe

15

Die Klage ist nicht begründet. Das FA hat den Kläger zu Recht durch Haftungsbescheid gem. § 191 Abs. 1 Satz 1 AO für die auf die Veräußerung des Erbbaurechts an dem Grundstück D. entfallende Umsatzsteuer von 79.824,- DM in Anspruch genommen.

16

Nach § 69 Satz 1 AO haften die in den §§ 34 u. 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Als Liquidator hatte der Kläger die Stellung eines gesetzlichen Vertreters der GmbH (§ 70 des GmbH Gesetzes) und hatte als solcher deren steuerliche Pflichten zu erfüllen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 AO). Er hatte insbesondere dafür zu sorgen, daß die Steuern aus den von ihm verwalteten Mitteln der Gesellschaft entrichtet wurden (§ 34 Abs. 1 Satz 2 AO).

17

Diese Pflichten hat der Kläger hinsichtlich der mit der Umsatzsteuervoranmeldung für Juli 1986 angemeldeten Umsatzsteuer aus der Veräußerung des Erbbaurechtes an dem Grundstück ... D. verletzt. Der Umstand, daß die GmbH über keine finanziellen Mittel verfügte, um die durch diese Option ausgelöste Umsatzsteuer an das FA abzuführen, vermag den Kläger nicht zu entlasten. Die Pflichten des gesetzlichen Vertreters nach § 34 Abs. 1 AO beschränken sich nicht darauf, die im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuern vorhandenen Mittel des Steuerschuldners anteilmäßig zur Befriedigung des Steuergläubigers und der anderen Gläubiger einzusetzen (vgl. zu diesem Grundsatz der anteiligen Tilgung BFH, Urteil vom 26. April 1984 V R 128/79, Bundessteuerblatt II 1984, 776). Vielmehr ist der gesetzliche Vertreter bereits vor Fälligkeit der Steuern verpflichtet, die Mittel des Steuerschuldners so zu verwalten, daß dieser zur pünktlichen Tilgung auch der erst künftig fällig werdenden Steuerschulden in der Lage ist. Diese Verpflichtung ist auch bei Vertragsgestaltungen zu beachten, die steuerbare Vorgänge auslösen (BFH, Urteil vom 5. Februar 1985 VII R 124/80, BFH/NV 1987, 2). Der gesetzliche Vertreter einer GmbH verletzt die ihm gegenüber dem Steuergläubiger obliegenden Pflichten deshalb auch dann, wenn er in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit der Steuerschuldnerin für einen steuerfreien Umsatz auf die Steuerbefreiung verzichtet, ohne dafür Vorsorge zu treffen, daß die durch die Option entstehende Steuerschuld erfüllt werden kann. Diese Pflichtverletzung kann schon vor der Entstehung der verkürzten Steueransprüche begangen werden, sobald diese für den gesetzlichen Vertreter erkennbar ist (BFH, in BFH/NV 1987, 2,4 f.).

18

Das Urteil des BFH vom 29. April 1993 V R 93/89 steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Aus ihm ergibt sich lediglich, daß die GmbH als Steuerschuldnerin wirksam zur Umsatzsteuer optiert hat. Es besagt jedoch nichts darüber, ob der Kläger mit der Entscheidung für die Option die ihm als gesetzlichen Vertreter der GmbH nach § 34 AO obliegenden Pflichten verletzt hat oder nicht.

19

Auch die zum 1. Januar 1993 in Kraft getretene Neufassung des § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStDV durch die 9. Verordnung zur Änderung der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung vom 3. Dezember 1992 (Bundesgesetzblatt I 1992, 1982) rechtfertigt keine andere Beurteilung des Streitfalles. Nach dieser Bestimmung hat der Ersteher bei einer steuerpflichtigen Lieferung eines Grundstücks im Zwangsversteigerungsverfahren durch den Vollstreckungsschuldner die Steuer von der Gegenleistung einzubehalten und an das für ihn zuständige FA abzuführen. Durch diese Regelung wollte der Verordnungsgeber sicherstellen, daß der Verzicht auf die Steuerfreiheit bei der Zwangsversteigerung eines Grundstücks nicht dadurch zu Steuerausfällen führt, daß dem Erwerber zwar der Vorsteuerabzug zusteht, der Vollstreckungsschuldner als leistender Unternehmer aber die geschuldete Steuer für den Grundstücksumsatz nicht an das FA abführen kann. Daraus kann aber nicht der Schluß gezogen werden, daß den gesetzlichen Vertreter des Vollstreckungsschuldners keine Pflichten zur Sicherstellung des Steueranspruchs treffen. Die Einführung der Abzugsverpflichtung für den Ersteher ist vielmehr auch ausgehend von der Rechtsauffassung des Senats sinnvoll, weil es Fälle gibt, in denen ein für die Steuerschuld des Vollstreckungsschuldners haftender gesetzlicher Vertreter von vornherein nicht vorhanden ist oder der Haftungsanspruch ihm gegenüber nicht durchsetzbar ist.

20

Der Kläger hat seine steuerlichen Pflichten im Streitfall auch grob schuldhaft i.S.v. § 69 Satz 1 AO verletzt. Im Zeitpunkt der Option wußte er, daß der Erlös aus der Zwangsversteigerung in voller Höhe den Grundpfandrechtsgläubigern zustand (§ 92 Abs. 1 des Zwangsversteigerungsgesetzes) und daß die GmbH über andere Mittel, mit denen sie die durch die Option ausgelöste Umsatzsteuerschuld hätte erfüllen können, nicht verfügte.

21

Durch die Pflichtverletzung des Klägers ist dem Steuergläubiger auch ein Schaden in Höhe der nicht abgeführten Umsatzsteuer entstanden. Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß bei einem Verzicht auf die Option ein Vorsteuerberichtigungsanspruch nach § 15 a UStG in nahezu gleicher Höhe (77.532,- DM) entstanden wäre, den die GmbH ebenfalls nicht hätte erfüllen können. Denn die von dem Kläger erklärte Option hatte zur Folge, daß nicht nur die von der GmbH geschuldete Umsatzsteuer nicht entrichtet wurde, sondern darüber hinaus der Ersteher des Erbbaurechtes in Höhe der in der Rechnung vom 31. Juli 1986 offen ausgewiesenen Umsatzsteuer einen Vorsteuererstattungsanspruch (§ 15 Abs. 1 UStG) erwarb, dem keine entsprechende Umsatzsteuerzahlung der GmbH gegenüberstand. Der darin liegende zusätzliche Schaden wäre dem Steuergläubiger bei einer steuerfreien Veräußerung des Erbbaurechtes nicht entstanden.

22

Die Entscheidung des FA, den Kläger wegen der durch die Option ausgelösten Umsatzsteuer als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen, läßt auch keinen Ermessensfehler i.S.d. § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erkennen. Da die GmbH selbst vermögenslos war, entsprach sie dem Zweck der gesetzlichen Haftungsvorschriften, einen endgültigen Steuerausfall zu vermeiden.

23

Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen. Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.