Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 02.11.2022, Az.: 3 A 115/20

Abschiebungsandrohung; Subsidiärer Schutz

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
02.11.2022
Aktenzeichen
3 A 115/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 59682
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ist entsprechend anwendbar, wenn in einem EU-Mitgliedstaat wie Italien subsidiärer Schutz gewährt wurde und fortbesteht. Eine dennoch ergangene Abschiebungsandrohung in das Herkunftsland (hier Somalia) ist rechtswidrig.

Tatbestand:

Der Kläger ist nach eigenem Bekunden 48 Jahre alt, somalischer Staatsangehöriger und gehört Clan der E. sowie der islamischen Religion an. Er reiste nach eigenen Angaben im Jahr 2010 aus seinem Heimatland aus und erreichte die Bundesrepublik Deutschland über u.a. Italien am 15.07.2013 auf dem Landweg. Am 22.07.2013 stellte er einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 10.09.2013 gab der Kläger an, er habe Somalia verlassen, weil er Angst vor einer Tötung durch al-Shabaab gehabt habe. Er und seine Familie seien seit Generationen Mitglieder in der Organisation El Sunna Ual Jamaa. Diese Organisation habe Spenden gesammelt für die Huldigung der Ahnen und arme Menschen mit Lebensmitteln versorgt. Außerdem habe die Organisation mit der Regierung gegen al-Shabbab gekämpft. Von der al-Shabaab-Miliz sei er beschuldigt worden, ein Spion der Regierung zu sein. Sein Cousin sei Offizier bei der Regierung und er - der Kläger - habe immer mit ihm telefoniert. Dies sei von der al-Shabbab-Miliz beobachtet worden. Er sei von al-Shabaab-Milizen von seinem kleinen Laden mitgenommen und in deren Quartier gebracht worden. Dort habe man ihm sein Handy abgenommen und die Telefonnummer seines Cousins angerufen. Nachdem sich sein Cousin mit Namen und Rang gemeldet habe, sei das ein Beweis für seine Spionagetätigkeit gewesen. Daraufhin habe man ihn in einen gefängnisähnlichen Raum zu anderen Beschuldigtem gebracht und erklärt, dass sie als Spione zum Tode verurteilt seien. Aus dem Raum habe mit den anderen Inhaftierten ein Loch buddeln und nachts um drei Uhr fliehen können. Auf einem großen Markt habe er seine Bekannten aufgesucht, die ihm geraten hätten, das Land zu verlassen. Es gäbe ein Auto, das nach Kismayo fahren würde, mit dem solle er fahren. Bis nach Kenia sei er in dem Auto mitgefahren. Seine Ehefrau und seine fünf Kinder würden noch in Mogadischu leben und zwar in einem kleinen Haus, das er von seiner Großmutter geerbt habe. Seinen Laden führe jetzt sein jüngerer Bruder. In Somalia lebten an Verwandten außerdem noch sein Vater, zwei weitere Brüder, eine Schwester sowie Großfamilie.

Mit Bescheid vom 10.02.2014 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers wegen § 27a AsylVfG in der damaligen Fassung als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Der dagegen gerichtete Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz blieb erfolglos (VG C-Stadt, Beschluss vom 11.03.2014 - 3 B 179/14 -). Die gleichzeitig erhobene Klage erledigte sich in der Hauptsache, nachdem die Beklagte den Bescheid wegen Ablaufs der Überstellungsfrist aufgehoben hatte (VG C-Stadt, Beschluss vom 07.11.2014 - 3 A 178/14 -). Durch Bescheid vom 14.04.2015 lehnte das Bundesamt die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen und forderte den Kläger unter Fristsetzung und Abschiebungsandrohung nach Somalia zur Ausreise auf. Es sah den in der Bundesrepublik gestellten Asylantrag als Zweitantrag an. Nach Auskunft der italienischen Liaisonbeamtin vom 03.11.2015 wurde dem Kläger dort subsidiärer Schutz gewährt. Der entsprechende Aufenthaltstitel sei am 06.08.2015 abgelaufen. Den Bescheid 14.04.2015 hob die Kammer durch rechtskräftigem Urteil vom 28.01.2016 auf (3 A 249/15). In den Entscheidungsgründen hieß es, es sei unklar, ob und mit welchem Ergebnis über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entschieden worden sei. Falls das Bundesamt trotz aller möglichen und zumutbaren Ermittlungen keine gesicherte Erkenntnis über den Ausgang des (italienischen) Asylerstverfahrens erlangen könne, müsse es dem Kläger entsprechend der europarechtlichen Vorgaben die Möglichkeit einräumen, das Verfahren fortzuführen, ohne dass es als Folge- oder Zweitantrag behandelt werde.

Unter dem 05.04.2019 hörte das Bundesamt den Kläger schriftlich zur Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots an.

Mit Bescheid vom 14.05.2020 lehnte die Beklagte die Anträge des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf subsidiären Schutz nach eigener Vollprüfung ab (Ziffern 1 bis 3) und verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Ziffer 4). Zudem forderte sie den Kläger zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens auf, wobei sie für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung nach Somalia androhte (Ziffer 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ordnete sie an und befristete es auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6). Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen an, die Angaben des Klägers zu seiner Mitnahme durch al-Shabaab und die Flucht vor der Miliz seien detailarm, oberflächlich, teils unplausibel und insgesamt nicht glaubhaft. Selbst auf konkrete Nachfragen habe der Kläger die behaupteten Verfolgungshandlungen nicht nachvollziehbar schildern können, sondern habe ausweichend auf seinen Schockzustand verwiesen. Die Sicherheitslage in Mogadischu sei nicht so schlecht, dass jedem Angehörigen der Zivilbevölkerung allein aufgrund seiner Anwesenheit eine ernsthafte Gefahr infolge eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts drohe. Individuelle gefahrerhöhende Umstände lägen nicht vor. Der Kläger könne im Fall der Rückkehr seinen Lebensunterhalt sicherstellen. Er habe in Mogadischu ein funktionierendes Familiennetzwerk einschließlich Eigenheim und Ladengeschäft. E sei gesund, arbeitsfähig und mit den Bedingungen vor Ort vertraut, nachdem er in der Vergangenheit durch selbstständige Tätigkeit den Lebensunterhalt seiner Familie habe sicherstellen können.

Dagegen (mit Ausnahme der Ziffer 2) hat der Kläger am 25.05.2020 Klage erhoben und ursprünglich auch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus begehrt. Zur Begründung bezieht er sich auf seine Angaben in der Anhörung beim Bundesamt und trägt ergänzend vor, die Sicherheitslage in Mogadischu sei weiterhin schlecht. Mit den Gegebenheiten im Heimatland sei er nicht mehr vertraut, nachdem seine Ausreise inzwischen lange zurückliege. Auf die Unterstützung seiner Familie oder seines Clans könne er sich nicht verlassen.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger seine Klage hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus zurückgenommen. Er beantragt nunmehr noch,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheids vom 14.05.2020 zu verpflichten, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezogen auf den Staat Somalia festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf ihren Bescheid.

Das Gericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung ergänzend zu seinem Fluchtschicksal befragt. Wegen des Ergebnisses dieser Anhörung wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie den Inhalt der Akten der Beklagten und der Ausländerakten der Stadt C-Stadt Bezug genommen. Diese Unterlagen sind ebenso Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen wie die Erkenntnismittel, die sich aus der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Liste ergeben.

Entscheidungsgründe

Das Verfahren ist gem. § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO einzustellen, soweit der Kläger mit der Klage ursprünglich auch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus begehrt hat.

Die verbliebene Klage ist nur in geringem Umfang begründet. Die Einzelrichterin legt gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zugrunde.

I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungsverboten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die dieses Begehren ablehnende Ziffer 4 des Bescheids vom 14.05.2020 ist rechtmäßig.

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG wegen einer individuellen Bedrohung durch al-Shabaab (a.), der schlechten Sicherheitslage (b.) oder der schlechten sozio-ökonomischen und humanitären Bedingungen in Somalia (c.).

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Dies umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht.

Eine Verletzung von Art. 3 EMRK setzt die tatsächliche Gefahr der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigender Behandlung voraus. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte muss eine ausreichende reale Gefahr bestehen, die nicht nur auf bloßen Spekulationen beruht, denen eine hinreichende Tatsachengrundlage fehlt. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss aufgrund aller Umstände des Falles ernsthaft bestehen und darf nicht hypothetisch sein. Der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr entspricht dem der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Art. 3 EMRK-widrige Behandlung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Ein gewisser Grad an Mutmaßung ist dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent, sodass ein eindeutiger, über alle Zweifel erhabener Beweis dafür, dass der Betroffene im Falle seiner Rückkehr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre, nicht verlangt werden kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2022 - 1 C 10.21 -, juris Rn. 13 f. m.w.N.).

a. Eine individuelle Bedrohung des Klägers durch al-Shabaab ist bereits deshalb nicht beachtlich wahrscheinlich, da die Angaben des Klägers zu seiner früheren Inhaftierung durch die Miliz und seine Flucht daraus unglaubhaft sind. Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen (Seite 4-6) im angegriffenen Bescheid (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG) verwiesen, in dem sich das Bundesamt mit dem Vortrag des Klägers in der dortigen Anhörung umfassend auseinandergesetzt hat. An der dort getroffenen Einschätzung hält die Einzelrichterin nach nochmaliger, eingehender Prüfung der Sach- und Rechtslage fest. Auch in der mündlichen Verhandlung schilderte der Kläger seine angebliche frühere Entführung nicht glaubhaft, sondern oberflächlich und detailarm. Zudem ließ er neue, unaufgelöste Widersprüche zu seinen früheren Angaben entstehen (z.B. zum Ort der Wegnahme des Handys, zu der Position seines Cousins, zu der Beschaffenheit des Haftraums). Diese Umstände betreffen das Kerngeschehen. Bei tatsächlichem Erleben wäre zu erwarten, dass sie auch nach langer Zeit noch erinnerlich sind. Zudem hat der Kläger die in seiner Anhörung beim Bundesamt am 10.09.2013 vorgetragene Betätigung für die Organisation El Sunna in der mündlichen Verhandlung in keiner Weise als ausreiseauslösend bezeichnet. All dies spricht dafür, dass er eine konstruierte Geschichte vorgetragen hat.

b. Die allgemeine Situation in Somalia stellt sich nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen aktuell im Wesentlichen wie folgt dar: Somalia ist spätestens seit Beginn des Bürgerkriegs 1991 ohne flächendeckende effektive Staatsgewalt. Es mag den Zustand eines „failed state“ überwunden haben, bleibt aber ein sehr fragiler Staat. Die Autorität der Zentralregierung wird vom nach Unabhängigkeit strebenden „Somaliland“ im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al-Shabaab in Frage gestellt. Das Land zerfällt in zwei Teile, nämlich die föderalen Gliedstaaten Süd- und Zentralsomalias und „Somaliland“. In Süd- und Zentralsomalia herrscht in vielen Gebieten Bürgerkrieg; dort kämpfen die somalischen Sicherheitskräfte mit Unterstützung der Militärmission der Afrikanischen Union AMISOM gegen al-Shabaab. Die Gebiete sind nur teilweise unter der Kontrolle der Regierung, wobei zwischen der im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkten Kontrolle der somalischen Bundesregierung und der Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete durch die Regierungen der föderalen Gliedstaaten Somalias, die der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen, unterschieden werden muss. Weite Gebiete stehen unter der Kontrolle der al-Shabaab-Miliz oder anderer Milizen. In den von ihnen kontrollierten Gebieten bilden die al-Shabaab-Kräfte ein de facto-Regime. In den von al-Shabaab befreiten Gebieten kommt es weiterhin zu Terroranschlägen durch die islamistische Miliz. In Mogadischu sind insbesondere seit Jahresbeginn 2022 nahezu täglich Anschläge durch al-Shabaab zu verzeichnen. Der Gliedstaat Puntland im Norden des Landes ist einer der fünf offiziellen föderalen Gliedstaaten Somalias, wenngleich mit größerer Autonomie und finanzieller Unabhängigkeit von der Bundesregierung. Es konnten einigermaßen stabile staatliche Strukturen etabliert werden. Al-Shabaab kontrolliert hier keine Gebiete mehr, verübt aber Anschläge. „Somaliland“ hat im somaliaweiten Vergleich das bislang größte Maß an Sicherheit, Stabilität und Entwicklung erreicht; hier kontrolliert die al-Shabaab keine Gebiete (Auswärtiges Amt, Lagebericht Somalia, 28.06.2022 [im Folgenden: Lagebericht], S. 4-6; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Somalia, 27.07.2022 [im Folgenden: Länderinformation], S. 5 ff.).

Die Sicherheitslage in Benadir (Mogadischu) hat mittlerweile ein Stabilitätsniveau erreicht, welches eine Bedrohungslage im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG und damit auch die Gefahr, deswegen einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden, jedenfalls für Personen ohne besondere gefahrerhöhende Umstände ausschließt (zu Mogadischu bereits: Nds. OVG, Urteil vom 05.12.2017 - 4 LB 50/16 -, juris Rn. 57 m.w.N.; ebenso: VG Oldenburg, Urteil vom 26.07.2021 - 1 A 1011/18 - UA S. 16 f., V.n.b.; vgl. EUAA, Country Guidance: Somalia, Juni 2022, [im Folgenden: Country Guidance], S. 154). Die Sicherheitslage in der Region Benadir stellt sich nicht als derart gefährlich dar, dass sie sich unabhängig von persönlichen Merkmalen gegenüber jeder Zivilperson individualisiert. Die erforderliche Gefahrendichte ist – auch bei einer umfassenden qualitativen Bewertung – nicht gegeben:

Zunächst erscheint eine quantitative Bewertung der Gefahrendichte in Benadir mangels belastbarer aktueller Zahlen zu den Einwohnerzahlen einerseits und der Opferzahlen in Hinblick auf das Tötungs- und Verletzungsrisiko andererseits kaum verlässlich möglich (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.12.2021 - A 13 S 3196/19 -, juris Rn. 48). Die letzte Volkszählung stammt aus dem Jahr 2014.

Für Gesamtsomalia (ohne Somaliland) wird von monatlich durchschnittlich 236 Vorfällen ausgegangen und die Gefahrendichte für zivile Opfer im Rahmen vom Hochrechnungen für die Jahre 2021 und 2022 bei einer Gesamtbevölkerungszahl von rund 15,4 Millionen zwischen 1:9367 und 1:20.878 geschätzt (vgl. BFA, Länderinformation, S. 25, 30 - geringfügige Änderungen gegenüber BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Version 3, 21.10.2021, S. 25, 30 f.).

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen berichtet für den Zeitraum Januar 2020 bis April 2021 von 4.351 sicherheitsrelevanten Vorfällen in Gesamtsomalia. Nach den Daten des Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) wird für den Zeitraum Januar 2020 bis Juni 2021 von 3.663 Vorfällen mit 4.820 Todesfällen ausgegangen, von denen allerdings der größte Teil (2.976 Todesfälle) auf Kampfhandlungen („battles“) zurückgeführt wird (vgl. EASO, Somalia - Security situation, Country of Origin Information Report, September 2021, [im Folgenden: Security situation], S. 30 f.).

Die Belastbarkeit der Zahlen des ACLED-Projekts ist eingeschränkt. Denn sie erfassen nicht die verletzten Personen und geben auch keine exakte Auskunft zum Verhältnis von getöteten Zivilpersonen zu getöteten Nicht-Zivilisten. Dies ist im Rahmen der Prüfung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, die auf Gefahren für die Zivilbevölkerung abstellt, jedoch geboten. ACLED kategorisiert lediglich die Konfliktvorfälle in insbesondere Kämpfe (battles), Explosionen/Fernangriffe (explosions/remote violence), Gewalt gegen Zivilpersonen (violence against civilians), Proteste, strategische Entwicklungen und Ausschreitungen. Es ist davon auszugehen, dass in der Kategorien Kämpfe deutlich mehr Soldaten bzw. Kämpfer betroffen sind als Zivilisten. Andererseits muss davon ausgegangen werden, dass gerade bei getöteten Zivilpersonen im ländlichen Bereich Südsomalias und vor allem in Gebieten, die von al-Shabaab kontrolliert werden, eine erhebliche Dunkelziffer besteht. Daher stellt die aufgrund der ACLED-Auskünfte ermittelte Tötungsquote nur eine höchst annäherungsweise Abbildung des Risikos dar, als Teil der Zivilbevölkerung Opfer willkürlicher Gewalt in Somalia zu werden (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 05.12.2017 - 4 LB 50/16 -, juris Rn. 45; EASO, Security situation, S. 12 f., 31; ACCORD, Somalia 2021, Kurzübersicht über die Vorfälle aus dem ACLED-Projekt in 2021, 30.05.2022, S. 3).

Für die Region Benadir/Mogadischu werden bei einer geschätzten Einwohnerzahl von 1,65 Millionen (2014) bzw. 2,39 Millionen (2021) für das Jahr 2021 535 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 549 Todesfällen und für das Jahr 2020 489 Vorfälle mit 429 Todesfällen berichtet, von denen der größte Teil auf Kämpfe und Explosionen/Fernangriffe zurückzuführen ist (vgl. EASO, Security situation, S. 88 ff.; ACCORD, Somalia 2021, Kurzübersicht über die Vorfälle aus dem ACLED-Projekt in 2021, 30.05.2022). Aus diesen Zahlen des ACLED-Projekts für 2021 und der geschätzten Bevölkerungszahl für 2021 ergibt sich hinsichtlich des Risikos, bei Vorfällen in der von ACLED erfassten Art zu Tode zu kommen, eine Quote von 1:4.353. Unter der Annahme eines Faktors von drei für nicht erfasste verletzte Zivilisten sowie eine darüberhinausgehende Dunkelziffer an Referenzfällen (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 24.09.2019 - 9 LB 136/19 -, juris Rn. 97) kommt man zu einer Wahrscheinlichkeit von 1:1.450.

Für Mogadischu ist die allgemeine Sicherheitslage trotz der aktuell zugespitzten politischen Krise und der gleichzeitig weiterhin hohen Bedrohung durch al -Shabaab zwar unverändert als volatil und sehr angespannt zu bezeichnen, eine aus dem Rahmen der vorangegangenen Jahre ausbrechende Verschlechterung kann aber derzeit jedenfalls im Hinblick auf die Opferzahlen auf Grund der vorliegenden Erkenntnisse nicht festgestellt werden. Noch vor etwa zehn Jahren kontrollierte die al-Shabaab die Hälfte der Hauptstadt Mogadischu, die gleichzeitig Schauplatz heftiger Grabenkämpfe war. Verglichen hiermit hat sich die Lage für die Zivilbevölkerung seitdem verbessert (vgl. BFA, Länderinformation, S. 25 f.; 42, 45 ff.). Auch wenn sich in der Stadt die Sicherheit verbessert hat, kann al-Shabaab aber nach wie vor Anschläge durchführen; fast täglich kommt es zu Zwischenfällen im Zusammenhang mit al-Shabaab. Al-Shabaab ist im gesamten Stadtgebiet präsent, dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische. Relevante Verwaltungsstrukturen gelten als von al-Shabaab unterwandert und in Mogadischu betreibt al-Shabaab nahezu eine Schattenregierung: Betriebe werden eingeschüchtert und „besteuert“, Schutzgeld gefordert und eigene Gerichte sprechen Recht. Gleichwohl gilt es als höchst unwahrscheinlich, dass al-Shabaab die Kontrolle über Mogadischu zurückerlangt. Dies würde allenfalls dann drohen, wenn AMISOM aus Mogadischu abziehen würde. Derzeit besteht in Mogadischu kein Risiko, von al-Shabaab zwangsrekrutiert zu werden. Al-Shabaab führt in Mogadischu auch größere Sprengstoffanschläge durch, bei denen auch Selbstmordattentäter zum Einsatz kommen. Üblicherweise zielt al-Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Vertreter des Staates („officials“), der ökonomischen und politischen Elite, Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und Militärgebäude sowie Soldaten von Armee und AMISOM ab. Nicht alle Teile von Mogadischu sind bezüglich Übergriffen von al-Shabaab gleich unsicher. Ein ausschließlich von der Durchschnittsbevölkerung frequentierter Ort ist kein Ziel der al-Shabaab. Al-Shabaab greift Zivilisten nicht spezifisch an. Diese leiden auf zwei Arten an der Gewalt durch al-Shabaab: Einerseits sind jene einem erhöhten Risiko ausgesetzt, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al-Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden. Andererseits besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (vgl. BFA, Länderinformation, S. 42-44). Allerdings kalkuliert al-Shabaab wohl aus politischen Interessen die Schädigung und Tötung von Zivilisten mit ein (ACCORD, Somalia: Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer:innen; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure - Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 05.05.2021, 31.05.2021, S. 11, 14).

Im Rahmen der gebotenen wertenden Betrachtungsweise ist damit insbesondere zu berücksichtigen, dass zu den zivilen Opfern zu einem nicht unerheblichen Teil Personen mit erhöhten Gefährdungspotentialen zählen dürften. Bedingt durch die von al-Shabaab verfolgte Strategie der asymmetrischen Kriegsführung und der strategischen Auswahl der Anschlagsziele waren und sind bestimmte Berufsgruppen wie Regierungsmitarbeiter, Angehörige von AMISOM, Mitarbeiter internationaler bzw. westlicher Organisationen, Angehörige der Sicherheitskräfte bzw. generell mit der Regierung zusammenarbeitende Personen, Angehörige der politischen und ökonomischen Elite, Deserteure, mutmaßliche Spione und Kollaborateure in besonderer Weise betroffen. Auch wenn die al-Shabaab einige Menschen in Somalia als „legitime Ziele“ erachtet, gilt dies für die meisten Zivilisten nicht. Zivilisten können ihr Risiko, zufällig Opfer eines Anschlags („zur falschen Zeit am falschen Ort“) zu werden, zwar nicht ausschließen, zumindest aber verringern, indem sie Gebiete oder Einrichtungen meiden, die von al-Shabaab bevorzugt angegriffen werden. Dazu gehören insbesondere Hotels und Restaurants, in denen Angehörige der Streitkräfte, Mitglieder oder Mitarbeiter der Regierung oder Mitarbeiter internationaler Organisationen verkehren, Regierungseinrichtungen sowie Stellungen und Stützpunkte von Regierungskräften und AMISOM. Im Hinblick auf die in Mogadischu weiterhin bestehende ausgesprochen fragile Sicherheitslage ist auch zu berücksichtigen, dass die Gefährdungssituation von verschiedenen Umständen beeinflusst wird und sich die Angriffe der al-Shabaab nicht primär gegen die Zivilbevölkerung richten. Bei einer wertenden Gesamtbetrachtung hat damit die Intensität der Gewalt in Mogadischu noch keinen Grad erreicht, der als solcher für jeden rückkehrenden Zivilisten eine reale Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung begründen würde (wie VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.12.2021 - A 13 S 3196/19 -, juris Rn. 52-54).

Die medizinische Versorgungslage, die in die wertende Gesamtbetrachtung ebenfalls einzustellen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 23), hat sich in den vergangenen Jahren nicht signifikant verändert. Sie ist weiterhin im gesamten Land äußerst mangelhaft. Die öffentlichen Krankenhäuser sind mangelhaft ausgestattet (Lagebericht, S. 24). Die Primärversorgung wird oftmals von internationalen Organisationen bereitgestellt (BFA, Länderinformation, S. 231).

Individuell gefahrerhöhende Umstände sind im Fall des Klägers nicht ersichtlich, wobei insoweit wegen des hohen Levels willkürlicher Gewalt nur ein niedriger Maßstab anzulegen ist (vgl. EUAA, Country Guidance, S. 154).

c. Für die Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen der schlechten sozio-ökonomischen und humanitären Bedingungen im Herkunftsland gelten folgende Maßstäbe (BVerwG, Urteil vom 21.04.2022 - 1 C 10.21 -, juris Rn. 15 ff. m.w.N.), wobei es in Somalia an einem verantwortlichen Akteur fehlt:

Die sozio-ökonomischen und humanitären Bedingungen im Abschiebezielstaat haben weder notwendigen noch ausschlaggebenden Einfluss auf die Frage, ob eine Person tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein […]. Gleichwohl entspricht es der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass in besonderen Ausnahmefällen auch schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK begründen können. Es sind allerdings strengere Maßstäbe anzulegen, sofern es an einem verantwortlichen (staatlichen) Akteur fehlt: Schlechte humanitäre Bedingungen, die ganz oder in erster Linie auf Armut oder auf das Fehlen staatlicher Mittel zum Umgang mit auf natürlichen Umständen beruhenden Gegebenheiten zurückzuführen sind, können eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nur in ganz außergewöhnlichen Fällen ("very exceptional cases") begründen, in denen humanitäre Gründe zwingend ("compelling") gegen eine Abschiebung sprechen. […]. Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein "Mindestmaß an Schwere" […] aufweisen; diese kann erreicht sein, wenn der Ausländer seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält […].

In seiner jüngeren Rechtsprechung zum Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung nach Art. 4 GRC stellt der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a. [ECLI:EU:C:2019:219], Ibrahim - Rn. 89 ff. und - C-163/17 [ECLI:EU:C:2019:218], Jawo - Rn. 90 ff.) darauf ab, ob sich die betroffene Person "unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not" befindet, "die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre". Ein ernsthaftes Risiko eines Verstoßes gegen Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK besteht […] nur für den Fall, dass die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist und der Drittstaatsangehörige dadurch Gefahr läuft, erheblich in seiner Gesundheit beeinträchtigt zu werden oder in einen menschenunwürdigen Zustand der Verelendung versetzt zu werden. […]

Für die Erfüllung der vorbezeichneten Grundbedürfnisse gelten - gerade bei nicht vulnerablen Personen - nur an dem Erfordernis der Wahrung der Menschenwürde orientierte Mindestanforderungen. Das wirtschaftliche Existenzminimum ist immer dann gesichert, wenn erwerbsfähige Personen durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den im vorstehenden Sinne zumutbaren Arbeiten zählen auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, selbst wenn diese im Bereich der sogenannten "Schatten- oder Nischenwirtschaft" angesiedelt sind […]

Die Gefahr muss […] in dem Sinne konkret sein, dass die drohende Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Würde der Person in einem solchen engen zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung durch den Vertragsstaat eintritt, dass bei wertender Betrachtung noch eine Zurechnung zu dieser Abschiebung - in Abgrenzung zu späteren Entwicklungen im Zielstaat oder gewählten Verhaltensweisen des Ausländers - gerechtfertigt erscheint. […]

Maßstab für die im Rahmen der Prüfung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK anzustellende Gefahrenprognose ist […] grundsätzlich, ob der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer nach seiner Rückkehr, gegebenenfalls durch ihm gewährte Rückkehrhilfen, in der Lage ist, seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen. Nicht entscheidend ist hingegen, ob das Existenzminimum eines Ausländers in dessen Herkunftsland nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist […].“

Bei der Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls sind eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung, einer adäquaten Unterkunft, zu sanitären Einrichtungen sowie die Möglichkeit der Erwirtschaftung der finanziellen Mittel zur Befriedigung der elementaren Bedürfnisse, gegebenenfalls unter Berücksichtigung von erreichbaren Hilfen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.12.2021 - A 13 S 3196/19 -, juris Rn. 57 m.w.N.). Zu den individuellen Faktoren gehören auch Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Volkszugehörigkeit, Ausbildung, Vermögen familiäre oder freundschaftliche Verbindungen (Nds. OVG, Beschluss vom 26.08.2022 - 4 LA 67/22 -, juris Rn. 10).

Für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, ist grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (Nds. OVG, Beschluss vom 11.03.2021 - 9 LB 129/19 -, juris Rn. 139 m.w.N.). Davon ausgehend ist die Lage in Mogadischu (Zielort der Abschiebung, s.o., und Heimatregion des Klägers) in Bezug auf den Kläger in den Blick zu nehmen.

Die humanitäre Situation in Somalia stellt sich folgendermaßen dar:

Somalia gehört weiterhin zu den ärmsten Ländern der Erde. Seit Jahren befindet sich Somalia in einer anhaltenden humanitären Krise, für die politische, soziökonomische und Umweltfaktoren hauptverantwortlich sind. Regelmäßig wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen wie auch Überflutungen, zuletzt auch die Heuschreckenplage, die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia zu einem Land mit hohen humanitären Nöten (vgl. Lagebericht, S. 4). In weiten Teilen ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln nach wie vor nicht gewährleistet. Es gibt keinen sozialen Wohnraum oder Sozialhilfe und keine Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer (vgl. Lagebericht, S. 23; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.12.2021 - A 13 S 3196/19 -, juris Rn. 58 f. m.w.N.). Die Grundversorgung in Somalia sieht sich einer dreifachen Bedrohung („Triple Threat“) aus Wüstenheuschrecken, Naturkatastrophen, wie Überschwemmungen und Dürre, sowie den Folgen der Covid-19-Pandemie einer ernsthaften Herausforderung ausgesetzt (Lagebericht, S. 23; BFA, Länderinformation, S. 204 ff.). Seit Ende 2020 ist es aufeinanderfolgend zu unterdurchschnittlichen Niederschlagsperioden gekommen. Dies hat in größeren Landesteilen zu Ernteausfällen, Tod von Nutztieren und verringerten Einkommen in der Landwirtschaft geführt. Die Dürre und zuletzt die Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine haben Nahrungsmittel knapp und teuer werden lassen (BFA, Länderinformation, S. 204 ff.).

Zuletzt sind die Nahrungsmittelpreise stark gestiegen, was die Ernährungsunsicherheit vor allem für Binnenvertriebene in Mogadischu und die Bevölkerung bestimmter ländlicher Gebiete Somalias verschärft (vgl. ACCORD, ecoi-Themendossier zu Somalia: Humanitäre Lage, 25.08.2022 m.w.N.; Famine Early Warning Systems Network - FEWS NET, Food Security Outlook Update, Aug-Sept. 2022, Oct. 22-Jan. 23, abrufbar unter: https://fews.net/east-africa/somalia/food-security-outlook-update/august-2022). Die Ernährungsunsicherheit wird für urbanen Gebiete Mogadischus nach der aktuellen Klassifikation von FEWS NET für die Zeit von Juni bis September 2022 als „stressed“ (IPC Phase 2) angegeben und bleibt in den Prognosen für die Folgezeit bis Januar 2023 auf diesem Level. In den nicht-urbanen Gebieten Mogadischus einschließlich der Lager für Binnenvertriebene (IDP-Camps) wird es für die Zeit bis September 2022 als „Crisis“ (IPC Phase 3) angegeben und erreicht in den Prognosen für die Folgezeit bis Januar 2023 das Level „Emergency“ (IPC Phase 4). Für die Zeiträume Juni bis September 2022 und Oktober bis Dezember 2022 werden bis zu 14,9 % der Personen in den urbanen Bereichen Mogadischus und bis zu 29,9 % der Personen in den IDP-Camps als akut unterernährt eingestuft. Eine Aufstockung der humanitären Hilfen sei erforderlich, um Verschlechterungen abzuwenden.

Die makroökonomische Situation Somalias ist wegen unzureichende Daten schwer zu beschreiben. Für 2020 war ein Rückgang des BIP um 2,5 % prognostiziert worden, tatsächlich sind es dann nur minus 0,4 % geworden Für 2021 war ein Wachstum von 2,4 % prognostiziert, geworden sind es dann 2,9 %. Für das Jahr 2022 prognostiziert die Weltbank ein Wachstum von 3,2 %. Das Maß an privaten Investitionen bleibt konstant. Die Inflation lag 2021 bei 4,6 %, für 2022 werden aufgrund höherer Nahrungsmittel- und Treibstoffpreise sowie der herrschenden Dürre 9,4 % prognostiziert. Allerdings war das Wirtschaftswachstum schon in besseren Jahren für die meisten Somalis zu gering, als dass sich ihr Leben dadurch verbessern hätte können. Die somalische Wirtschaft bleibt weiter fragil. Neben der Landwirtschaft ist für die wirtschaftliche Entwicklung vor allem die Diaspora ein bedeutender Faktor - insbesondere durch Investitionen und hohe Auslandsüberweisungen. Rücküberweisungen aus dem Ausland ermöglichen es vielen somalischen Staatsbürgern erst, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Neben der Diaspora sind auch zahlreiche Agenturen der UN (etwa UN-Habitat, UNICEF, UNHCR) tatkräftig dabei, das Land wiederaufzubauen; auch ein Großteil der Regierungsausgaben wird durch externe Akteure bezahlt (vgl. BFA, Länderinformation, S. 193 f., 201).

Auf dem somalischen Arbeitsmarkt arbeiten ca. 95 % der Berufstätigen im informellen Sektor. In einer von Jahrzehnten des Konflikts zerrütteten Gesellschaft hängen die Möglichkeiten des Einzelnen generell sehr stark von seinem eigenen und vom familiären Hintergrund sowie vom Ort ab. Zu den Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge und zurückkehrende Flüchtlinge in Süd-/Zentralsomalia gibt es unterschiedliche Aussagen: Einerseits wird berichtet, dass sie limitiert sind. Andererseits wird berichtet, dass die besten Jobs oft an Angehörige der Diaspora fallen – etwa wegen besserer Sprachkenntnisse. Am Arbeitsmarkt spielen Clanverbindungen eine Rolle. Gerade, um eine bessere Arbeit zu erhalten, ist man auf persönliche Beziehungen und das Netzwerk des Clans angewiesen (vgl. BFA, Länderinformation, S. 195). Die Rekrutierung für offene Stellen geschieht größtenteils auf der Basis von Clanbeziehungen. Personen, die eine Arbeitskraft anstellen, haben die moralische Verpflichtung, hauptsächlich aus dem eigenen Clan heraus zu rekrutieren. Folglich werden Mitarbeiter oft nicht anhand ihrer Qualifikationen, sondern aufgrund der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan ausgewählt (BFA, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Somalia - Höhe von Einkommen, Rolle des Clans am Arbeitsmarkt, 02.11.2020, S. 3 f.). Von zentraler Bedeutung bei einer Rückkehr ist das Vorhandensein familiärer Netzwerke und inwieweit diese auch während der Zeit im Ausland gepflegt bzw. deren Mitglieder in Somalia unterstützt worden seien. Die verwandtschaftliche Solidarität gelte dann sowohl für Frauen als auch für Männer, solange sie die von ihnen erwarteten moralischen Normen erfüllen würden. Bei den Unterstützungsmöglichkeiten bestimmter Abstammungsgruppen spiele auch deren Dominanz eine Rolle (ACCORD, ecoi.net-Themendossier zu Somalia: Humanitäre Lage, 25.08.2022; ACCORD, Somalia: Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer:innen; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure - Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 05.05.2021, 31.05.2021, S. 25, 32 f. 40; EASO, Key socio-economic indicators, September 2021, S. 48). Binnenvertriebene arbeiten häufig als Tagelöhner, von denen auf den städtischen Baustellen viele gebraucht werden (ACCORD vom 31.05.2021, S. 23; BFA, Länderinformation, S. 196, 200). Die Arbeitslosigkeit wird landesweit und speziell in Mogadischu - jüngst auch als Folge der weltweiten Covid-19-Pandemie - als hoch eingeschätzt, wobei aktuelle und detaillierte Daten fehlen (EASO, Key socio-economic indicators, September 2021, S. 45; BFA, Länderinformation, S. 196 ff.). Auch in Mogadischu sind Freundschaften und Clannetzwerke sehr wichtig. Zur Aufnahme jedenfalls kleinerer wirtschaftlicher Aktivitäten ist aber kein Netzwerk notwendig (BFA, Länderinformation, S. 220).

Das somalische Gesundheitssystem ist das zweitfragilste weltweit. Die medizinische Versorgung ist im gesamten Land äußerst mangelhaft und nicht durchgängig gesichert. Die Infrastruktur bei der medizinischen Versorgung ist minimal und beschränkt sich meist auf Städte und sichere Gebiete. Die Ausrüstung reicht nicht, um auch nur die grundlegendsten Bedürfnisse der Bevölkerung ausreichend abdecken zu können. Es mangelt an Geld, Personal, Referenzsystemen, Diagnoseeinrichtungen, an Ausbildungseinrichtungen, Regulierungen und Managementfähigkeiten. Insgesamt zählt die Gesundheitslage zu den schlechtesten der Welt. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt heute bei 57,1 Jahren. Erhebliche Teile der Bevölkerung haben keinen Zugang zu trinkbarem Wasser oder zu hinreichenden sanitären Einrichtungen. Die Quoten von Mütter- und Säuglingssterblichkeit sind unter den höchsten Werten weltweit (BFA, Länderinformation, S. 230 ff.). Der Umgang der somalischen Regierung mit der Covid-19-Pandemie war und ist völlig inadäquat (BFA, Länderinformation, S. 2).

Speziell für Rückkehrerinnen und Rückkehrer gilt: In einer vom UNHCR von 2018 bis Dezember 2021 durchgeführten repräsentativen Studie haben 59 % der Rückkehrerhaushalte angegeben, dass ihr Einkommen nicht ausreicht. Dies wird zu 43 % auf mangelnde Jobmöglichkeiten zurückgeführt. Die meisten Rückkehrer leben von Einkommen als Tagelöhner oder als Selbstständige sowie von humanitärer Hilfe (BFA, Länderinformation, S. 219). Als soziales Sicherungsnetz dient traditionell die erweiterte Familie inklusive des Sub-Clans oder Clans; sie bietet oftmals zumindest einen rudimentären Schutz (Lagebericht, S. 23; BFA, Länderinformation, S. 219 f.). Nach einer Experteneinschätzung aus dem Jahr 2021 würden Rückkehrende, die in Mogadischu überhaupt niemanden kennen und im Verwandtschaftsgefüge niemanden mobilisieren können, wahrscheinlich in ein IDP-Camp gehen und dort in irgendeiner Form vermutlich Hilfe bekommen. Menschen, die gar keine Mittel haben, würden irgendwo Mitleid finden, vielleicht auch in einer Moschee. Sie würden dort wahrscheinlich nicht verhungern. Wegen der Lebensumstände in einem IDP-Camp in Mogadischu würden sie vermutlich nicht dort bleiben, sondern versuchen so schnell wie möglich irgendwohin zu gehen, wo ein Familienmitglied ist (ACCORD vom 31.05.2021, S. 37; BFA, Länderinformation, S. 219, 221). In Mogadischu sind die Bedingungen für IDPs in Lagern hart. Oft fehlt es dort an simplen Notwendigkeiten, wie Toiletten und Wasserstellen. Die Rate an Unterernährung ist hoch. Es mangelt ihnen zumeist an Zugang zu genügend Lebensmitteln und akzeptablen Unterkünften. Allerdings ist der Zustand von IDP-Lagern unterschiedlich. Während die neueren meist absolut rudimentär sind, verfügen ältere Lager üblicherweise über grundlegende Sanitär-, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen (BFA, Länderinformation, S. 189). Binnenvertriebene sind andauernden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Zwangsräumungen von Gebieten der Binnenvertriebenen und der armen Stadtbevölkerung blieben nach wie vor ein großes Problem, insbesondere in den urbanen Ballungsräumen. Im Jahr 2021 wurden ca. 143.000 Menschen zwangsumgesiedelt. Besonders betroffen ist der Großraum Mogadischu. Die große Mehrheit der betroffenen Menschen zieht in Folge in entlegene und unsichere Außenbezirke der Städte, wo es lediglich eine rudimentäre bzw. gar keine Grundversorgung gibt (Lagebericht, S. 22). Hilfe für Rückkehrende aus Deutschland ist rar (vgl. Lagebericht, S. 23 f.; zur Rückkehr aus Österreich: BFA, Länderinformation, S. 220; https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/ zu REAG/GARP Programm: Unterstützung der IOM bei freiwilliger Rückkehr nach Somalia wird von Fall zu Fall geprüft, zuletzt abgerufen am 02.11.2022).

Bei der gebotenen Gesamtschau aller Umstände des vorliegenden Einzelfalls geht die Einzelrichterin mit Blick auf die schlechte allgemeine wirtschaftliche und Versorgungslage in Somalia nicht davon aus, dass eine Abschiebung des Klägers nach Mogadischu diesen der tatsächlichen Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung aussetzen würde. Der Kläger ist ein dem Mehrheitsclan in Mogadischu angehörender alleinstehender, gesunder, mit den Gegebenheiten des somalischen Arbeitsmarkts vertrauter Mann, der ohne Frau und Kinder nach Somalia zurückkehren würde. Auch wenn seine selbstständige Tätigkeit dort schon mehr als 10 Jahre zurückliegt, ist davon auszugehen, dass er an seine damaligen Erfahrungen anknüpfen kann. Die Einzelrichterin geht davon aus, dass der Kläger in Somalia weiterhin familiären Anschluss zumindest durch seinen jüngeren Bruder, der damals den Laden übernommen haben soll und seinen Vater hat. Dass der Kontakt zum jüngeren Bruder abgerissen sein soll, wie der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung behauptet hat, ist nicht glaubhaft. Die Angaben des Klägers hierzu blieben äußerst oberflächlich. Dass der Laden oder das geerbte Wohnhaus in Mogadischu inzwischen nicht mehr in Familienbesitz sein könnten, ist nicht ersichtlich. Zudem ist zu erwarten, dass der Kläger in der Anfangszeit notfalls eine gewisse finanzielle Unterstützung durch seine in England lebende Verwandtschaft erhalten kann.

2. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen existenzieller Gefahren ist nicht gegeben.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

Die allgemein unsichere oder wirtschaftlich schlechte Lage im Zielstaat, etwa bei Hungersnöten, Naturkatastrophen oder Epidemien, begründet regelmäßig Gefahren allgemeiner Art gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG und führt grundsätzlich nicht zu einem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, weil ihr die gesamte Bevölkerung oder eine ganze Bevölkerungsgruppe des betroffenen Landes ausgesetzt ist. Diesen Gefahren kann grundsätzlich nur durch eine politische Entscheidung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Rechnung getragen werden (vgl. VG München, Beschluss vom 22.05.2020 - M 10 S 20.31295 -, juris Rn. 27 m.w.N.).

Fehlt eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde, kommt die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 nur dann in Betracht, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, BVerwGE 146, 12-31, juris, Rn. 38).

Dass eine derartige Gefahr dem Kläger im Falle seiner Rückkehr droht, ist nicht ersichtlich. Eine krankheitsbedingte existenzielle Gefahr ergibt sich nicht im Hinblick auf die weltweite Corona-Pandemie. Dies gilt bereits deshalb, weil der Kläger sich in Deutschland impfen lassen konnte oder kann, sofern dies noch nicht geschehen ist. Dadurch kann er einen - in seiner Wahrscheinlichkeit schwer einzuschätzenden - schwersten oder tödlichen Krankheitsverlauf mit großer Wahrscheinlichkeit verhindern (www.rki.de > Infektionsschutz > Impfen > Informationsmaterialien > Faktenblätter zur COVID-19-Impfung; zuletzt abgerufen am 02.11.2022).

Sind die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK wegen der in Somalia herrschenden schlechten Lebensbedingungen nicht erfüllt, so vermögen diese Lebensbedingungen auch keine extreme Gefahrenlage zu begründen, die aber von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei allgemeinen Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG vorausgesetzt wird (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.12.2021 - A 13 S 3196/19 -, juris Rn. 64).

3. Die Frage, ob im Hinblick auf die Gewährung subsidiären Schutzes in Italien von einer Abschiebung des Klägers nach Somalia abzusehen ist (siehe dazu sogleich), spielt im Rahmen der Überprüfung der Entscheidung zum Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, auf die das Bundesamt gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG beschränkt ist, keine Rolle und wirkt sich allenfalls auf die Abschiebungsandrohung aus (vgl. VG Ansbach, Urteil vom 03.09.2020 - AN 17 K 18.50679 - Rn. 28; VG C-Stadt, Urteil vom 18.08.2021 - 2 A 74/21 - Rn. 34; jeweils juris).

II. Die Abschiebungsandrohung (Nr. 5 des angefochtenen Bescheids) ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Nach Auffassung der Einzelrichterin ist aufgrund einer entsprechenden Anwendung des § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG von einer Abschiebung des Klägers nach Somalia abzusehen. Danach darf ein Ausländer, der außerhalb des Bundesgebiets als ausländischer Flüchtling nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt ist, nicht in den Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit nach dem Ergebnis der ausländischen Prüfung gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG bedroht ist. Durch diese Regelung hat sich die Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Abschiebungsschutzes an die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch einen anderen Staat gebunden (BVerwG, Urteil vom 17.06.2014 - 10 C 7/13 -, juris Rn. 29; Funke-Kaiser, in GK-AsylG, Stand: Juli 2022, § 29 Rn. 15; Marx, AsylG, 10. Aufl. 2019, § 29 Rn. 105). Für die den subsidiären Schutz betreffende Regelung gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG gilt dies nach dem Wortlaut der Norm nicht, denn § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ordnet lediglich die entsprechende Geltung des Absatzes 1 Sätze 3 und 4, nicht jedoch des Satzes 2 an. Die Einzelrichterin schließt sich der Auffassung an, die § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG im Fall der Gewährung (lediglich) subsidiären Schutzes im Ausland für entsprechend anwendbar hält (Marx, a.a.O., § 29 Rn. 106; VG München, Urteil vom 09.07.2021 - M 11 K 18.31931 -, juris Rn. 48 ff.).

In der Entscheidung des VG München heißt es dazu überzeugend:

„Über die Verweisung in § 60 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 AufenthG besteht ein Abschiebungsverbot in den Herkunftsstaat nach § 60 Abs. 1 AufenthG auch in den Fällen, in denen in einem anderen Mitgliedstaat der europäischen Union subsidiärer Schutz zuerkannt wurde (vgl. Adam ZAR 2021, 283 (284); Bülow/Schiebel ZAR 2020, 72 (75)). Die Statusgewährung (Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz) durch einen Mitgliedstaat schließt nach nationalem Recht eine Abschiebung in den Herkunftsstaat des Ausländers aus (vgl. BVerfG Kammerbeschluss v. 13.9.2020 – 2 BvR 2082/18 – juris Rn. 28; Marx, AsylG, 10. Aufl. 2019, § 29 Rn. 102). Der Berücksichtigung eines im Ausland zuerkannten subsidiären Schutzstatus als Abschiebungshindernis nach nationalem Recht steht nicht entgegen, dass § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auf die Regelungen des § 60 Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 AufenthG verweist, sich jedoch gerade nicht auf § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG bezieht, welcher ein Abschiebungsverbot im Falle einer bestehenden Flüchtlingsanerkennung ausdrücklich regelt. Trotz der fehlenden ausdrücklichen Verweisung, kann vorliegend nicht von einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers dahin ausgegangen werden, dass eine Gleichstellung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzstatus mit Blick auf ein hieraus folgendes nationales Abschiebungsverbot nicht gewollt war. Die Regelung des § 60 Abs. 2 AufenthG mit der Verweisung auf § 60 Abs. 1 Satz 3 und 4 AufenthG hat seine jetzige Form mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 erhalten. Ausweislich der Gesetzesbegründung wurde die Verweisung nur eingefügt, um klarzustellen, dass in Umsetzung der Richtlinie Anträge auf subsidiären Schutz als Asylanträge zu behandeln sind (vgl. BT-Drucks. 17/13063, S. 25). Eine hierüber hinausgehende bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zum Ausschluss eines hieraus folgenden Abschiebungsverbots – entsprechend § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG bei zuerkannter Flüchtlingseigenschaft – ist den Gesetzesmaterialien dagegen nicht zu entnehmen. Vielmehr wird aus der Gesetzesneufassung unter Berücksichtigung der zugrundeliegenden Richtlinie 2011/95/EU deutlich, dass es gerade Ziel des Gesetzgebers war, einheitliche Regelungen für die Anerkennung von internationalem Schutz zu schaffen, welcher sowohl die Flüchtlingseigenschaft als auch subsidiären Schutz umfasst (vgl. BT-Drucks. 17/13063, S. 1). Dies entspricht der ausdrücklichen Regelung des Art. 2 lit. a) RL 2011/95/EU, welche bestimmt, dass internationaler Schutz im Sinne der Richtlinie neben der Flüchtlingseigenschaft auch den subsidiären Schutzstatus beinhaltet. Ziel der Richtlinie ist es unter anderem den Schutz für Flüchtlinge nach der GFK um den subsidiären Schutzstatus zu ergänzen (vgl. Erwägungsgrund 33 Richtlinie 2011/95/EU). Nach Art. 21 Abs. 1 RL 2011/95/EU wird konsequent der Grundsatz der nicht Zurückweisung (Refoulement-Verbot), welcher nach Art. 33 Abs. 1 GFK nur für Flüchtlinge gilt, auch auf subsidiär Schutzberechtigte ausgeweitet. Durch die Regelung des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG wird das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK durch nationales Recht umgesetzt (BeckOK AuslR/Koch, 30. Ed. 1.7.2020, AufenthG § 60 Rn. 9) und über § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auf Ausländer, welche bereits über einen Flüchtlingsstatus verfügen, ausgeweitet (BeckOK MigR/Zimmerer, 9. Ed. 15.10.2021, AufenthG § 60 Rn. 10). Aufgrund der dargestellten, vom Gesetzgeber gewollten umfassenden Gewährung internationalen Schutzes durch Ergänzung des Flüchtlingsstatus um den subsidiären Schutzstatus und der nach § 60 Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 Satz 3 und Satz 1 AufenthG vorgenommenen entsprechenden Ausweitung des Refoulement-Verbots, welche die Regelung des Art. 21 Abs. 1 RL 2011/95/EU umsetzt, ist es nur folgerichtig, die ursprünglich aufgrund von Art. 33 Abs. 1 GFK nach nationalem Recht in begrenztem Umfang gewährte Rechtswirkungen eines durch einen anderen Mitgliedstaat gewährten Flüchtlingsstatus nunmehr auch auf solche Fälle anzuwenden, in denen subsidiärer Schutz gewährt wurde. Mithin ist in entsprechenden Konstellationen ebenfalls von einem Abschiebungsverbot in den Heimatstaat auszugehen.“

Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall eine Abschiebung des Klägers nach Somalia nicht möglich, da ihm nach Auskunft der Liaisonbeamtin vom 03.11.2015 in Italien subsidiärer Schutz gewährt wurde. Für ein Erlöschen des Schutzes ist nichts ersichtlich; lediglich die im Anschluss an die Schutzgewährung erteilte italienische Aufenthaltserlaubnis (sog. permesso di soggiorno) ist abgelaufen (vgl. dazu: VG Berlin, Urteil vom 19.05.2021 - 28 K 84.18 A -, Rn. 20 f., und Beschluss vom 11.08.2017 - 32 L 427.17 A -, Rn. 17; jeweils juris und m.w.M.; AIDA, Country Report: Italy, 2021 Update, S. 192 f.)

III. Da die Abschiebungsandrohung aufgehoben wird, ist die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots (Ziffer 6 des Bescheids) gegenstandslos und wird aus Gründen der Rechtsklarheit ebenfalls aufgehoben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 2, Abs. 1 Satz 3 VwGO, § 83b AsylG. Die nicht isoliert, sondern als Annex zu den sonstigen Regelungen des Bescheids angegriffene Abschiebungsandrohung wirkt sich ebenso wie das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Bestimmung des Gegenstandswerts nicht aus (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 30.03.2021 - 11 S 3421/20 -, juris Rn. 35, und vom 02.03.2021 - 11 S 120/21 -, juris Rn. 76) und stellt sich im Vergleich zu dem sonstigen Inhalt des Bescheids als unwesentlich dar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.07.2000 - 9 C 3.00 - juris; VG C-Stadt, Urteil vom 18.08.2021 - 2 A 74/21 -, juris Rn. 38).