Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 09.12.2010, Az.: 8 U 200/10

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist; Sorgfaltspflichten des Prozessbevollmächtigten bei Übermittlung der Berufungsbegründungsschrift durch einen Rechtsreferendar auf Anweisung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
09.12.2010
Aktenzeichen
8 U 200/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 32737
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2010:1209.8U200.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 17.09.2010 - AZ: 13 O 37/10

Amtlicher Leitsatz

Zu den Überprüfungspflichten eines Rechtsanwalts, der einem Referendar eine Einzelanweisung erteilt, eine Berufungsbegründung zu faxen.

In dem Rechtsstreit

K. J., ... in R.,

Klägerin und Berufungsklägerin,

Prozessbevollmächtigter:

Rechtsanwalt W. ... in H.,

gegen

H. VVaG, vertreten durch den Vorstand, ... in C.

Beklagte und Berufungsbeklagte,

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte B. ... in K.,

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... am 9. Dezember 2010 beschlossen:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 17. September 2010 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 13. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen.

Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Wiedereinsetzung zu tragen.

Gründe

1

I. 1. Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist das am 17. September 2010 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 13. Zivilkammer des Landgerichts Hannover am 29. September 2010 zugestellt worden (Bl. 101 d. A.). Mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2010, eingegangen per Fax beim Oberlandesgericht am gleichen Tag, hat die Klägerin Berufung eingelegt (Bl. 105 d. A.). Mit Schriftsatz vom 29. November 2010, eingegangen beim Oberlandesgericht am 1. Dezember 2010, hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten die Berufung begründet (Bl. 116 d. A.). Eine vorherige Übersendung des Schriftsatzes per Fax erfolgte nicht. Die Berufungsbegründung vom 29. November 2010 enthält auch, insoweit anders als der Berufungsschriftsatz vom 28. Oktober 2010 sowie ein weiterer Schriftsatz vom gleichen Tag an das Landgericht Hannover (Bl. 102/103 d. A.), keinen maschinenschriftlichen Hinweis auf eine Vorabübersendung per Fax.

2

Der am 1. Dezember 2010 beim Oberlandesgericht eingegangene Schriftsatz mit der Berufungsbegründung hat die Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht gewahrt. Dies nimmt auch die Klägerin nicht in Abrede. Mit ihrem Wiedereinsetzungsantrag vom 2. Dezember 2010, beim Oberlandesgericht per Fax eingegangen am 6. Dezember 2010, beantragt sie unter Vorlage einer Eidesstattlichen Versicherung des (damaligen) Referendars ihres Prozessbevollmächtigten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er habe den Referendar angewiesen, die Berufungsbegründung vorab per Telefax an das Oberlandesgericht zu faxen und sodann die Frist im Fristenkalender zu streichen. Dies sei versehentlich unterblieben.

3

2. Mit dieser Begründung kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Gemäß § 233 ZPO kann einer Partei auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Die Partei hat dabei eigenes Verschulden sowie das Verschulden ihres bevollmächtigten Anwalts (§ 85 Abs. 2 ZPO) zu vertreten. Dagegen wird ihr ein Verschulden Dritter, insbesondere des Büropersonals ihres Anwalts, nicht zugerechnet.

4

Dessen Verschulden wird für die Partei nur maßgeblich, wenn es auf ein eigenes Verschulden des Anwalts zurückzuführen ist und damit wiederum § 85 Abs. 2 ZPO Anwendung findet. Anerkanntermaßen darf der Anwalt bestimmte anfallende Arbeiten seinem Büropersonal übertragen. Auch eine Übertragung an einen Referendar ist nicht ausgeschlossen. Nicht ausgeschlossen ist auch dieÜbertragung von Aufgaben im Bereich der Fristenwahrung. Insoweit aber sind in Fällen wie dem Vorliegenden strenge Anforderungen zu stellen, sodass grundsätzlich nur der Einsatz langjährig erprobter und regelmäßig überwachter Angestellter in Betracht kommt. Allerdings gilt auch bei Mängeln im Bereich der Organisation, dass sie für eine Fristenversäumung nicht ursächlich sind, wenn der Anwalt im Einzelfall eine ausreichende Einzelanweisung an einen zuverlässigen Mitarbeiter erteilt hat, deren Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte, der betreffende Mitarbeiter der Weisung aber nicht nachkommt. Dies ist aber wiederum mit einer Einschränkung dahingehend zu versehen, dass auch Einzelanweisungen die hinreichende Gewähr bieten müssen, dass eine Fristenversäumung zuverlässig verhindert wird (vgl. BGH, NJW 2004, 367, 369 [BGH 23.10.2003 - V ZB 28/03]). Inhalt der behaupteten Anweisung an den Referendar war vorliegend nur das Faxen der Berufungsbegründung an das Oberlandesgericht und das anschließende Streichen der Frist im Fristenkalender. Dabei mag man den Vortrag im Wiedereinsetzungsschriftsatz, es gehe um den 29. Oktober 2010, noch für ein Versehen halten, auch wenn man erwarten durfte, dass ein Anwalt jedenfalls im Wiedereinsetzungsschriftsatz ausreichende Sorgfalt walten lässt. Weiter ist dem Wiedereinsetzungsschriftsatz ebenso wie der Eidesstattlichen Versicherung des Referendars nicht ausreichend deutlich zu entnehmen, dass eine ausreichend klare und unmissverständliche Anweisung dahingehend bestand, noch am gleichen, dem letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist, die Berufungsbegründung an das Oberlandesgericht zu faxen. Allein dem Wort "vorab" lässt sich dies nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen. Ungenügend war es aber insbesondere, dass nach Versenden der Berufungsbegründung der Referendar die Frist im Fristenkalender streichen sollte. Allein mit dem Versenden war es aber nicht getan. Dieses rechtfertigte für sich genommen noch nicht, die Frist als erledigt zu vermerken. Abzuwarten war vor dem Löschen der Frist das Erstellen des Sendeberichtes, weil erst dieser eine relative Sicherheit dafür bietet, dass das Fax den Empfänger auch, und zwar vollständig, erreicht hat. Es entspricht der ständigen obergerichtlichen Praxis, dass ein Anwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann genügt, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob dieÜbermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist und erst danach die Frist im Fristenkalender zu streichen (vgl. zuletzt BGH, XII ZB 117/10, Beschluss vom 22. September 2010, zit. nach juris). Ein solches Vorgehen ist vorliegend nicht behauptet worden.

5

Daneben war der Prozessbevollmächtigte der Klägerin aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles auch verpflichtet, sich zu vergewissern, dass seiner (ohnehin unvollständigen) Weisung entsprochen worden war. Dies gilt zum einen, weil ersichtlich die Frist voll ausgeschöpft werden sollte. Das vollständige Ausschöpfen einer Frist steht einer Partei auch frei, aber die Sorgfaltsanforderungen steigen in dem Maße, in dem das Fristende bevorsteht. Aufmerksam werden musste der Prozessbevollmächtigte der Klägerin außerdem, weil der Berufungsbegründungsschriftsatz, wie er vom Referendar entworfen, vervielfältigt und vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin unterschrieben worden war, anders als frühere Schriftsätze gerade keinen Hinweis darauf enthielt, dass der Schriftsatz vorab gefaxt werden sollte. Außerdem übertrug er die Arbeit nicht einer/einem erfahrenen Büroangestellten, sondern seinem Referendar. Diesen mag er zwar, wie er ohne weitere Angaben pauschal behauptet hat, eingewiesen haben. Dessen ungeachtet liegt der Ausbildungs und Tätigkeitsschwerpunkt eines Referendars nicht darin, Bürotätigkeiten zu erledigen. Die juristische Vorbildung versetzt einen Referendar noch nicht in die Lage, ohne weiteres solche Aufgaben wahrzunehmen, die ansonsten erfahrenem Büropersonal vorbehalten sind. Nimmt man weiter hinzu, dass es an einer vollständigen Weisung fehlte und der Referendar nicht einmal angewiesen war, den Sendebericht abzuwarten, musste der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sich über die Ausführung seiner Weisung vergewissern, damit nicht bereits ein alltägliches Ereignis, wie das Entgegennehmen zweier Telefonanrufe durch den Referendar, zur Nichtausführung der Weisung führt (s. a. BGH, MDR 2004, 1375).

6

Nach Überzeugung des Senats hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin daher schuldhaft gehandelt. Dieses Verschulden muss sich die Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen, sodass mangels Verschuldens eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht kommt.

7

II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 238 Abs. 4 ZPO.