Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 23.03.2005, Az.: 9 U 199/04

Verkehrssicherheit eines unbefestigten Radweges

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
23.03.2005
Aktenzeichen
9 U 199/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 41489
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2005:0323.9U199.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Bückeburg - 30.09.2004 - AZ: - 2 O 23/04

Fundstellen

  • DAR 2005, IV Heft 8 (red. Leitsatz)
  • MDR 2005, 1110-1111 (Volltext mit red. LS)
  • NJW-RR 2005, 754-755 (Volltext mit amtl. LS)
  • NZV 2005, 472 (Volltext mit amtl. LS)
  • OLGReport Gerichtsort 2005, 467-468
  • VersR 2006, 1660 (red. Leitsatz)

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Bückeburg vom 30.9.2004 abgeändert und die Klage abgewiesen.

  2. 2.

    Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  3. 3.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

  4. 4.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz unter dem Gesichtspunkt verletzter Verkehrssicherungspflicht, weil er nach seinen Angaben am 12.3.2003 auf einem Fuß- und Radweg, für den die Beklagte unterhaltungspflichtig ist, mit seinem Fahrrad gestürzt ist. Durch den Sturz erlitt der Kläger diverse Verletzungen, die stationär behandelt werden mussten. Am Unfalltag herrschten in S. Temperaturen von knapp unter 0- Celsius. Zuvor hatte eine längere Frostperiode angedauert. Infolge eines Temperaturanstiegs war der Boden auf dem Unfallweg zunächst aufgeweicht und wies durch seine Beanspruchung als Radweg tiefe Radspuren auf. Nach wiedereinsetzendem Frost waren Aufkantungen festgefroren. Der Kläger hat behauptet, er sei in eine festgefrorene Vertiefung in Form einer Reifenspur geraten und vom Fahrrad auf einen einige Zentimeter über die Wegoberfläche herausragenden Kanaldeckel gestürzt. Diese Vertiefung sei für ihn nicht erkennbar gewesen, weil die Beklagte wenige Tage zuvor Splitt auf den Weg aufgebracht habe. Sie habe den Splitt nur wahllos über die tiefen Radspuren gestreut, ohne den Boden zuvor zu glätten. Wegen des weiteren Vorbringens der ersten Instanz und der dem Klagebegehren stattgebenden Entscheidung des LG wird auf dessen Urteil Bezug genommen.

2

Die Beklagte verfolgt ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiter. Sie behauptet, das LG habe verfahrensfehlerhaft den entscheidungserheblichen eigenen Vortrag des Klägers unberücksichtigt gelassen. Der Kläger habe in der Klageschrift angegeben, dass das Frostwetter etwa zwei bis drei Tage vor dem Unfall eingesetzt und eine ausgesprochen milde Witterungsperiode abgelöst habe. In der milden Witterungsperiode sei der Boden überall aufgeweicht gewesen; in dem Boden hätten zahlreiche Radfahrer zum Teil tiefe Spuren hinterlassen. Der Kläger habe überdies eingeräumt, dass das Mineralgemisch vor Beginn der Frostperiode auf dem Weg aufgetragen worden sei. Im Zeitpunkt des Aufbringens des Mineralgemisches seien somit keine gefrorenen Spuren mit Aufkantungen abgedeckt worden. Das Mineralgemisch habe an dem weichen Zustand des Bodens nichts geändert. Da die Absplittarbeiten nach den Aussagen der Zeugin G. etwa Mitte Februar 2003 durchgeführt worden seien, seien bis zum Einsetzen der Fristperiode drei bis vier Wochen vergangen, in denen der Weg wie üblich benutzt worden sei und unter Einbeziehung des frischen Mineralgemisches neue Spuren erhalten habe. Dem Kläger sei der Zustand des Weges einschließlich der sich daraus ergebenden Befahrbarkeit bekannt gewesen, weil er den Weg täglich befahren habe. Er habe auch gewusst, dass feuchter Boden gefriere. Bestritten bleibe, dass der Kläger den zunächst weichen und dann gefrorenen Untergrund mit seinen Gefahren nicht habe erkennen können. Die gegenteilige Behauptung sei im Übrigen rechtlich unerheblich, weil sich insb. ein Dauerbenutzer auf die winterliche Gefahr einstellen müsse. Durch das Aufsplitten habe die Beklagte keine besondere Gefahr geschaffen. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, den Weg vollständig zu befestigen.

3

Ungeklärt und streitig sei der Hergang des Sturzes. Das LG habe das Bestreiten der Beklagten verfahrensfehlerhaft übergangen. Es gebe andere konkrete Verursachungsmöglichkeiten. So könne der Kläger unachtsam gefahren und beim Bremsen auf dem Mineralgemisch ins Rutschen gekommen sein.

4

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Die Aussage der Zeugin B., die den Sturz beobachtet habe, belege die Umstände des Sturzes. Die Zeugin habe 2 bis 3 cm tiefe und schätzungsweise 10 cm breite Spurrillen festgestellt. Die Spurrillen sprächen im Wege eines Anscheinsbeweises für die Unfallursächlichkeit der Unebenheiten. Der Splitt sei in frostfreier Zeit auf tiefe Fahrradspuren, die von Brems- und sonstigen Rutschmanövern der Radfahrer verursacht worden seien, aufgebracht worden, ohne die Unebenheiten vorher zu glätten. Die Beklagte habe mit dem Gefrieren der aufgeweichten Oberfläche rechnen müssen. Infolge des bloßen Zuschüttens der mehrere Zentimeter tiefen Rillen seien diese für einen sorgfältigen Beobachter nicht mehr zu erkennen gewesen. Ein Einebnen der Spurrillen mit Schaufel und durch Walzen sei möglich und zumutbar gewesen. Jedenfalls habe die Beklagte auf die erheblichen Unebenheiten des Weges hinweisen müssen. Der im Wesentlichen unstreitige Schaden des Klägers sei nicht substantiiert bestritten worden.

Gründe

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II. Die zulässige Berufung ist begründet, da der dem Kläger vom LG zuerkannte Anspruch nicht besteht.

6

Die Verkehrssicherungspflicht ist, was das LG übersehen hat, auch für Wege, die abseits von Straßen dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind, durch §§ 10 Abs. 1, 2 Abs. 1 S. 2 NdsStrG als öffentlich-rechtliche Amtspflicht ausgestaltet und begründet daher im Falle ihrer Verletzung Ansprüche nach Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB. Jedoch hat die Beklagte als für den Weg unterhaltspflichtige Gemeinde keine Verkehrssicherungspflicht verletzt.

7

Der Verkehrssicherungspflichtige muss in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag (BGH VersR 1979, 1055). Spurrillen, die auf weichem Boden entstanden sind und die sich durch Frost verfestigt haben, bilden bei größerer Tiefe zwar eine Gefahrenquelle für Radfahrer, weil sie es demjenigen, der mit dem Reifen in eine Rille gerät, erschweren, das Gleichgewicht zu halten. Dieses Risiko muss ein Radfahrer jedoch durch Eigenvorsorge beherrschen, wenn er - wie im Streitfall - aus der Beschaffenheit des für den Wegebau verwendeten Materials erkennen kann, dass es sich um einen weichen Untergrund handelt, der für die Ausbildung von Spurrillen anfällig ist. Mit dieser Bodenbeschaffenheit und mit der Ausbildung von Spurrillen, die durch Fahrmanöver von Schülern hervorgerufen wurden, musste der Kläger vertraut sein. Es handelte sich nicht um eine überraschende Zustandsveränderung, wie sich aus der Zeugenaussage der Ehefrau des Klägers ergibt, dass der Weg manchmal deutliche Spuren der Fahrradbenutzung durch die den Weg zahlreich benutzenden Schüler aufwies. Den Benutzern des Weges standen dieselben Erkenntnis- und Gefahreinschätzungsmöglichkeiten zur Verfügung wie den für den Wegeunterhalt verantwortlichen Bediensteten der Gemeinde.

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Die grobe Splittschicht, die auf den wenige Tage nach dem Unfall aufgenommenen Fotos GA Bl. 65 ff. zu sehen ist, weist Fahrradbenutzungsspuren auf. Sie ließ für den Kläger erkennen, dass es sich nicht um eine durch Walzen verdichtete Schicht handelte. Daher wurde auch kein berechtigtes Vertrauen erweckt, dass sich der darunter befindliche Boden in ebenem Zustand befand. Wenn der Kläger gleichwohl darauf vertraut hat, hat er die Folgen selbst zu tragen. Der Gemeinde war nicht zuzumuten, für die Verfestigung des abseits befestigter Straßen liegenden, wenn auch innerörtlichen Weges oder auch nur für das Glätten seines Untergrundes vor dem Aufbringen von Splitt finanziell belastenden Aufwand zu treiben. Wenn die Gemeinde in der Zwischenzeit zu einer anderen Praxis übergegangen ist, wie der Kläger vorträgt, lässt sich daraus kein Rückschluss ziehen, die frühere Bearbeitungspraxis sei rechtswidrig gewesen. Das Aufweichen des Bodens bei feuchter Witterung und das auf Spieltrieb oder Übermut beruhende Bremsverhalten der Schüler, das die eigentliche Ursache für die Ausbildung von Spurrillen ist, war durch zumutbare Gegenmaßnahmen der Gemeinde nicht dauerhaft beherrschbar. Ein Glätten des Untergrundes vor dem Auftragen von Splitt hätte nur kurzzeitig einen Erfolg bewirkt und war daher sinnlos. Der Gemeinde kann auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie überhaupt Splitt auf dem Weg aufgetragen hat. Diese Maßnahme verbesserte den Wegezustand; sie diente dem Interesse sowohl der Fußgänger als auch der Radfahrer an einem schlammfreien Weg.

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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.