Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 09.03.2005, Az.: 9 U 180/04

Bauunternehmer; bilanzielle Überschuldung; entgangener Gewinn; Eröffnungsgrund; Fortbestehensprognose; Geschäftsführerhaftung; Gewinnentgang; GmbH; Insolvenzakte; Insolvenzeröffnung; Insolvenzgutachten; Insolvenzverschleppung; Insolvenzverwalter; Mehrwertsteuer; Nettowerklohn; rechnerische Überschuldung; Schadensersatzanspruch; Subunternehmer; Verdienstausfall; Werklohnanspruch

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
09.03.2005
Aktenzeichen
9 U 180/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 50921
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG - 27.08.2004 - AZ: 2 O 305/03

Tenor:

Unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wird auf die Berufung des Beklagten das am 27. August 2004 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Bückeburg teilweise geändert.

Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 5.660,52 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 13. Oktober 2003 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 14 % und der Beklagte 86 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I. Es wird zunächst auf die Feststellungen der angefochtenen Entscheidung verwiesen, § 540 ZPO.

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Mit seiner Berufung begehrt der Beklagte weiterhin Klagabweisung. Hierzu meint er, dass das Landgericht seine Entscheidung nicht auf das Gutachten des Insolvenzverwalters habe stützen dürfen, weil dieses Gutachten nicht ordnungsgemäß in den Prozess eingeführt worden sei. Zudem vertritt er die Ansicht, dass das Landgericht fehlerhaft die Vernehmung des Steuerberaters L. unterlassen habe. Auf dessen Zeugnis habe er sich zum Beweis dafür berufen, dass ihm, dem Beklagten, von fachkundiger Seite bis November 2002 mitgeteilt worden sei, es bestehe mangels Überschuldung keine Insolvenzantragspflicht. Dann aber sei sein Verhalten nicht schuldhaft gewesen. Ferner ergebe sich aus dem Gutachten des Insolvenzverwalters, dass eine positive Fortführungsprognose anzunehmen gewesen sei. Schließlich rügt der Beklagte, dass das Landgericht die Klagforderung in voller Höhe zuerkannt hat. Die Klägerin könne aber allenfalls Ersatz ihres negativen Interesses verlangen.

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Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung als richtig, rügt Teile des Vortrages des Beklagten als verspätet und hält ihren Anspruch auch der Höhe nach für gerechtfertigt, weil vorliegend das positive Interesse mit dem negativen Interesse identisch sei.

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II. Die Berufung hat nur zum geringen Teil - nämlich, soweit die Klägerin auch den Umsatzsteueranteil ihrer Rechnung vom 17. Oktober 2002 begehrt - Erfolg; überwiegend ist die Berufung hingegen unbegründet.

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Der Senat verweist zunächst auf die ausführliche Erörterung in der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2005. Die Berufung hat aus folgenden Gründen im Wesentlichen keinen Erfolg:

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Die Verwertung des Gutachtens des Insolvenzverwalters H. ... vom 28. Januar 2003 - Bl. 39 ff. d. A. 47 IN 232/02 des AG Bückeburg - durch das Landgericht ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat bereits in ihrer Klageschrift die Beiziehung der Insolvenzakten beantragt und sich zum Beweis ihrer Behauptung, die V. ... GmbH sei bei Vertragsschluss überschuldet gewesen, auf den Inhalt dieser Akten bezogen. Nach Beiziehung der Akten hat der Einzelrichter den Bevollmächtigten des Beklagten auf dessen Anfrage vom 18. März 2004 am 2. März 2004 über die Beiziehung der Akte informiert. Die Insolvenzakte war ferner Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 9. Juli 2004. Den Inhalt dieser Akte - mithin auch das Gutachten des Insolvenzverwalters - durfte der Einzelrichter daher seiner Entscheidung zugrunde legen.

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Zu Recht hat das Landgericht auch angenommen, dass die V. ... GmbH jedenfalls Mitte September 2002 überschuldet war. Gem. § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO ist von einer Überschuldung auszugehen, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Dabei ist grundsätzlich eine rechnerische Überschuldung auf der Grundlage eines Überschuldungsstatus zum maßgeblichen Zeitpunkt festzustellen. Allerdings ist eine bilanzielle Überschuldung als Indiz für die rechnerische Überschuldung heranzuziehen. Vorliegend lag der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag der V. ... GmbH zum 31. Dezember 2000 bei 918.734,28 DM und zum 31. Dezember 2001 bei 1.222.568,68 DM bei einem Stammkapital von lediglich 50.000 DM. Nennenswerte stille Reserven im Anlagevermögen waren nicht vorhanden. Obwohl der Beklagte im Frühjahr und Sommer 2002 ca. 375.000 € an liquiden Mitteln in die GmbH eingebracht hatte, hat diese gemäß betriebswirtschaftlicher Auswertung zum November 2002 einen weiteren Fehlbetrag von 119.000 € erwirtschaftet. Von einer massiven rechnerischen Überschuldung der V. ... GmbH im September 2002 ist daher auszugehen.

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Entgegen der Ansicht des Beklagten sind die an den Grundstücken der V. ... KG bestellten Sicherheiten nicht geeignet, die Überschuldung zu beseitigen. Denn im Vermögen der GmbH konnten diese Grundstücke nicht aktiviert werden, weil sie nicht im Eigentum der GmbH, sondern im Eigentum der KG standen.

9

Es ist nicht ersichtlich, dass für die V. ... GmbH eine positive Fortbestehensprognose, vgl. § 19 Abs. 2 Satz 21 InsO, bestand. Eine solche ist dann anzunehmen, wenn die überwiegende Wahrscheinlichkeit ergibt, dass die Gesellschaft mittelfristig über die erforderliche Liquidität verfügen wird, um einen Einnahmeüberschuss zu erzielen, aus dem die gegenwärtigen und künftigen Verbindlichkeiten gedeckt werden können. Weder das Insolvenzgutachten noch der Vortrag des Beklagten lassen den Schluss zu, dass dies bei der V. ... GmbH der Fall gewesen sein könnte. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass der Beklagte - insoweit auch unter Hinweis auf das Insolvenzgutachten - auf eine positive Auftragslage verweisen will. Denn hiermit ist nicht einmal belegt, dass die V. ... GmbH mit diesen - behaupteten - Aufträgen Gewinne erwirtschaftet hätte. Aus den Feststellungen des Insolvenzgutachtens ergibt sich nämlich, dass die GmbH schon seit längerem nicht kostendeckend arbeiten konnte, sodass - bei Fortführung dieser Arbeitsweise - durch zusätzliche Aufträge die Ertragslage nicht verbessert, sondern weitere Fehlbeträge erzielt worden wären. Zudem ist Voraussetzung für eine Fortbestehensprognose, dass ein dokumentierter Finanz- und Ertragsplan vorgelegt wird, aus dem sich nachvollziehbar ergibt, auf welche Art und Weise das Unternehmen trotz rechnerischer Überschuldung weitergeführt werden kann. Die Erstellung eines solchen Konzepts ist Sache des Geschäftsführers, der die Umstände darlegen und ggf. beweisen muss, die es aus seiner Sicht rechtfertigen, das Unternehmen trotz rechnerischer Überschuldung fortzuführen. Hierzu trägt der Beklagte aber nichts vor.

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Den Beklagten trifft auch subjektiv ein Verschuldensvorwurf. Er kann sich - da ihm sämtliche Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung genauestens bekannt waren - nicht auf die Aussage seines Steuerberaters zurückziehen. Der Geschäftsführer einer GmbH darf sich nämlich nicht auf das Ergebnis der Zuarbeit von Dritten verlassen. Er ist zu beständiger Selbstprüfung des Unternehmens verpflichtet. Danach musste der Beklagte zum 31. Dezember 2001, jedenfalls aber zum 28. März 2002 - auf der Grundlage des Vermerks des Steuerberaters L. vom gleichen Tag - die Überschuldung der GmbH realisieren und entsprechend hierauf reagieren. Dass die in dem genannten Vermerk dargestellte (buchmäßige) Überschuldung durch Sicherheiten, noch dazu solche an Grundstücken der KG, nicht beseitigt werden konnte, musste der Beklagte bemerken.

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Die Klägerin kann als Neugläubigerin daher gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 64 GmbHG grundsätzlich Ersatz ihres geltend gemachten Werklohnes verlangen. Richtig ist allerdings, dass Neugläubiger grundsätzlich nur einen Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses haben, sodass nicht Erfüllung, sondern Schadensersatz verlangt werden kann. Der Senat hat jedoch - in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa Senat in NZG 2002, 730/733) festgestellt, dass ein Ersatz des entgangenen Gewinns nicht grundsätzlich auszuscheiden hat. Denn der Gläubiger soll so gestellt werden, wie er stünde, wenn er nicht auf die Gültigkeit des Geschäfts vertraut hätte. In diesem Fall hätte er aber versucht, seine Kapazitäten anders einzusetzen. Wegen der Beweiserleichterung des § 252 Satz 2 BGB ist daher regelmäßig nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge davon auszugehen, dass der notwendig auf Rentabilität ausgerichtete Geschäftsbetrieb der Klägerin ausgelastet war, sodass der Beklagte den Gegenbeweis hätte führen müssen, dass eine anderweitige Verwendung dieser Kapazitäten für die Klägerin im fraglichen Zeitraum nicht möglich war, sondern dass diese brach gelegen hätten. Vorliegend ist der Beklagte aber dem Vortrag der Klägerin (S. 3 der Klageschrift), sie habe es „unterlassen, durch den Einsatz dieser Mittel anderweitige Aufträge, die vorhanden waren, auszuführen und dort Gewinne zu machen“, nicht entgegengetreten, sodass die anderweitige Gewinnerzielungsmöglichkeit unstreitig ist.

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Allerdings muss sich die Klägerin von ihrem Anspruch den Umsatzsteueranteil (905,68 €) abziehen lassen, weil es sich bei der Klagforderung um einen Bruttorechnungsbetrag handelt. Der Beklagte schuldet keine Vergütung, sondern Schadensersatz, der nicht als Entgelt gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG einzustufen ist. Dem „Entgelt“ für einen Leistungsaustausch liegt zugrunde, dass jemand eine Leistung dadurch erbringt, dass er ein Rechtsgut des Wirtschaftsverkehrs zur Herbeiführung des Nutzens eines anderen opfert (Bunjes/Geist, UStG, § 1 Rdnr. 4). Grundlage dafür ist die innere Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung, die beim Schadensersatz gerade fehlt; demgemäß unterliegen Schadensersatzleistungen aufgrund unerlaubter Handlungen nicht der Umsatzsteuerpflicht. Eine zumindest deliktsähnliche Haftung steht hier aber im Streit, sodass insofern die Klägerin keine Mehrwertsteuer zu entrichten hat. Im Übrigen verdeutlichen gerade die Überlegungen zur Höhe des Schadensersatzes, dass es sich um keine Leistung im Sinne der inneren Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung handelt: Die Klägerin kann nicht das Erfüllungsinteresse geltend machen; es kommt nicht auf den Inhalt der vertraglichen Vereinbarung mit ihrer Vertragspartnerin an, sondern auf ihre faktische Vermögenseinbuße (Senat a. a. O.). Demgemäß ist zur Berechnung des Schadens auch nicht auf die Gewinnspanne, die sich aus der vertraglichen Vereinbarung mit der V. ... GmbH ergibt, sondern auf den Gewinn, der durch anderweitigen Einsatz hätte erzielt werden können, abzustellen.

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III. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1; 708 Nr. 10, 713; 543 Abs. 2 ZPO.