Landgericht Verden
Urt. v. 10.08.2021, Az.: 5 O 40/21

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
10.08.2021
Aktenzeichen
5 O 40/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 70713
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

1. Es wird festgestellt, dass dem Kläger sein Pflichtteilsrecht nach ..., verstorben am 19.07.2020 nicht durch letztwillige Verfügung vom 17.03.2020 entzogen worden ist.

2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass sein Pflichtteilsrecht nicht wirksam durch Testament entzogen wurde.

Der Kläger ist der Sohn aus erster Ehe des am 19.07.2020 in Stuhr verstorbenen ... (Erblasser). Die Beklagten sind die Ehefrau und die gemeinsame Tochter. Eine weitere Tochter des Erblassers, ..., stammt aus zweiter Ehe.

In einem handschriftlichen Testament vom 01.03.2014 hatte der Erblasser sein Ehefrau ... zur Alleinerbin bestimmt. Wegen des weiteren Inhalts wird auf Bl. 42 d.A. Bezug genommen.

Durch letztwillige Verfügung des Erblassers vom 17.03.2020 bestimmte er die Beklagten je zu ½ zu seinen Erben. Der Kläger und ... wurden enterbt und dem Kläger zudem der gesetzliche Pflichtteil entzogen.

Im notariellen Testament vom 17.03.2020 heißt es in § 3:

Meinem Sohn ... entziehe ich hiermit den gesetzlichen Pflichtteil unter Hinweis auf folgenden Sachverhalt:

Mein Sohn ist drogenabhängig und wegen Drogenhandels vorbestraft. Er hat mehrere Vorstrafen erhalten, u.a. eine Haftstrafe von 4 ½ Jahren, die er zu 2/3 verbüßt hat. Meiner Kenntnis nach hat er Kontakt zu arabischen Großfamilien und betreibt im Zusammenhang damit den Handel mit Drogen. Es liegt also ein Grund zur Entziehung des Pflichtteils gem. § 2333 Abs. 1 Ziffer 4 BGB vor, von dem ich hiermit Gebrauch mache.

Der Kläger hat die testamentarische Pflichtteilsentziehung mit Erklärung vom 10.02.2021 gegenüber dem Nachlassgericht angefochten.

Der Kläger behauptet, es sei unzutreffend, dass er Kontakt zu arabischen Großfamilien habe und im Zusammenhang damit Handel mit Drogen betreibe. Weiter sei unrichtig, dass er drogenabhängig sei. Vielmehr habe der Erblasser selbst wiederholt Drogen konsumiert und seine Immobilie in ... Drogendealern gegen hohe Mietzinszahlungen vermietet, um im größeren Umfang „Gras“ anzubauen.

Der Kläger ist der Ansicht, die Annahme einer Unzumutbarkeit für den Erblasser aufgrund der lange zurückliegenden Haftstrafe ihn nicht mehr an seinem Nachlass teilhaben zu lassen, sei nicht gegeben.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass dem Kläger sein Pflichtteilsrecht nicht durch letztwillige Verfügung vom 17.03.2020 entzogen worden ist.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten sind der Ansicht, das gegen den Kläger verhängte Strafmaß zeige eindeutig, dass er in erheblichem Maße gegen die Rechtsordnung verstoßen habe. Die Voraussetzungen des § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB seien durch die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr erfüllt. Allein der Umstand, dass sich der Erblasser für einen Pflichtteilsentzug entschieden habe, zeige, dass das Verhalten des Klägers nicht mit dessen Wertvorstellungen vereinbar sei.

Die Beklagten behaupten, der Erblasser habe in vielen Gesprächen mit ihnen zu Lebzeiten verlauten lassen, dass der Kläger aufgrund der Straftaten und des Drogenkonsums nicht am Nachlass beteiligt werden solle. Sie behaupten weiter, der Kläger habe bei der Beerdigung des Erblassers typische Nebenwirkungen von Drogenkonsum gezeigt und Kontakte zum kriminellen Milieu bestätigt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zu Gericht gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig, insbesondere hat der Kläger ein Interesse an der Feststellung des Rechtsverhältnisses zu den Beklagten gemäß § 256 ZPO im Hinblick auf die Wirksamkeit der Pflichtteilsentziehung und damit seinen Pflichtteilsanspruch.

II.

Die Klage ist auch begründet. Denn die vom Erblasser mit Testament vom 17.03.2020 erklärte Pflichtteilsentziehung ist nicht wirksam erklärt worden, § 2336 Abs. 2 Satz 2 BGB.

1.

Nach Überzeugung der Kammer reichen die Gründe, die vom Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung vom 17.03.2020 für die Pflichtteilsentziehung angegeben wurden, nicht aus, um eine Pflichtteilsentziehung nach § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB zu rechtfertigen.

a) Nach der Rechtsprechung müssen die Angaben hinreichend konkret erfolgen, sodass später geklärt werden kann, auf welchen konkreten Umstand sich die Entziehung gründet und ob sie gerechtfertigt ist. Zwar schreibt § 2336 BGB nicht vor, auf welche Weise und in welchem Umfang der Entziehungsgrund in der Verfügung angegeben werden muss. Es ist jedoch anerkannt, dass der Erblasser zumindest einen "Sachverhaltskern" angeben muss, mithin eine substantiierte Bezeichnung, die es erlaubt festzustellen, weshalb der konkrete Pflichtteil entzogen worden ist und auf welchen Lebenssachverhalt sich der Erblasser bezieht (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.07.2019, 7 U 134/18).

b) Vorliegend verweist der Erblasser zunächst darauf, dass der Kläger drogenabhängig und wegen Drogenhandels vorbestraft sei. Er habe mehrere Vorstrafen erhalten, u.a. eine Haftstrafe von 4 ½ Jahren, die er zu 2/3 verbüßt hat.

Inwieweit die genannte Haftstrafe wegen Drogenhandels, wegen eines Vergehens oder eines Verbrechens oder wegen mehrerer Straftaten verhängt wurde, bleibt ebenso unklar wie die Frage, wann die einzelnen Straftaten begangen und abgeurteilt worden sein sollen (wobei es maßgeblich auf die Begehung der ggf. später abgeurteilten Taten ankommt).

Der Kläger hat hierzu vorgetragen, dass er wegen Beihilfe zum Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln verurteilt worden sei, und zwar bereits im Jahre 2009. Es liegt zwar nahe, dass der Erblasser auf die vom Kläger insoweit eingeräumte Verurteilung Bezug nehmen wollte, eindeutig ist dies jedoch nicht.

c) Weiter gibt der Erblasser an, dass nach seiner Kenntnis der Kläger Kontakt zu arabischen Großfamilien habe und im Zusammenhang damit den Handel mit Drogen betreibe. Abgesehen davon, dass dieser Umstand die Voraussetzungen nach § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB nicht erfüllen würde, wurde dies vom Kläger bestritten. Insoweit haben die Beklagten auch lediglich ihre Annahme geäußert, dass der Kläger noch Drogen konsumiere und zudem erklärt, dass er Kontakte ins kriminelle Milieu bestätigt habe. Dies reicht zum Nachweis nicht aus, wobei die Beweislast bei den Beklagten liegt (Palandt, BGB, 80. Auflage, 2021, Rn. 5 zu § 2336).

2.

Gemäß § 2336 Abs. 2 Satz 2 BGB muss für eine Entziehung nach § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB darüber hinaus ein Grund für die Unzumutbarkeit vorliegen und in der Verfügung angegeben werden. Wie umfangreich der Erblasser diese Gründe darstellen muss, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls, insbesondere der Nachvollziehbarkeit der Motivation und der Wertvorstellungen des Erblassers für einen objektiven Betrachter (Beschluss des OLG Oldenburg vom 08.07.2020, 3 W 40/20, zitiert nach juris, Rn. 15 m. w. N.). Dabei hat der Gesetzgeber die Pflichtteilsentziehung dadurch erschwert, dass er dem Erblasser in § 2333 Abs. 2 Satz 2 BGB nunmehr auch noch die Darlegung der Gründe für die Unzumutbarkeit in der letztwilligen Verfügung auferlegt. Die Angabe solcher subjektiven Merkmale war zuvor nicht Voraussetzung für eine wirksame Entziehungsverfügung. Damit ist nochmals eine Verschärfung des Begründungszwanges verbunden (Staudinger/Olshausen, BGB, Bd. V, Neubearb. v. 2015, § 2336, Rn. 14 m. w. N.).

Zur Überzeugung der Kammer sind vor diesem Hintergrund vorliegend die Gründe für die Unzumutbarkeit in dem Testament vom 17.03.2020 nicht angegeben.

a) Unzumutbarkeit liegt dabei vor, wenn die Straftat den persönlichen, in der Familie gelebten Wertvorstellungen des Erblassers in hohem Maße widerspricht. Die Gründe für die Unzumutbarkeit müssen zur Zeit der Errichtung der Verfügung von Todes wegen vorliegen und darin angegeben werden (Palandt, BGB, 80. Auflage, 2021, Rn. 12 zu § 2333). Im Hinblick auf die Anforderungen an die Darlegung der Unzumutbarkeit spielt zwar die Schwere der Tat eine Rolle (Palandt, a.a.O., Rn. 4 zu § 2336). Danach können besonders schwere Straftaten eine Unzumutbarkeit indizieren. Auch Vergehen wie etwa Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung wurden schon zum Anlass genommen, wegen ihrer allgemeinen Ächtung die Unzumutbarkeit im Sinne von § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB zu begründen.

b) Vorliegend enthält das Testament vom 17.03.2020 hinsichtlich der Entziehungsgründe nach § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB lediglich den Hinweis auf eine Haftstrafe von 4 ½ Jahren, die zu 2/3 verbüßt worden sei. Daneben verweist der Erblasser allgemein auf eine Drogenabhängigkeit des Klägers, Vorstrafen des Klägers und seine Kenntnis über dessen Kontakt zu arabischen Großfamilien und Drogenhandel.

Weitere Erklärungen des Erblassers dazu, warum es diesem unzumutbar sei, seinen Sohn, den Kläger, weiter an seinem Erbe durch den Pflichtteil teilhaben zu lassen, sind nicht enthalten.

c) Der Umstand, dass der Kläger zu einer Freiheitsstrafe von 4 ½ Jahren verurteilt wurde, lässt zwar darauf schließen, dass dem Urteil erhebliche Straftaten zugrunde liegen. Zudem dürfte die Voraussetzung, dass der Kläger zu einer Einzelstrafe von mindestens 1 Jahr ohne Bewährung verurteilt wurde, gegeben sein, ohne dass die konkrete Zusammensetzung des Strafmaßes im Einzelnen bekannt wäre.

Es ist jedoch unklar, ob es sich um eine einzelne Straftat handelte, und auch, ob die abgeurteilten Straftaten geeignet sind, eine Unzumutbarkeit ohne weitere Begründung des Erblassers zu rechtfertigen. Gerade vor dem Hintergrund, dass der Erblasser auf mehrere Vorstrafen Bezug nimmt und lediglich darauf verweist, dass der Kläger wegen Drogenhandels vorbestraft sei, hätte es weiterer Ausführungen hierzu bedurft.

d) Dass der Erblasser sich für eine Pflichtteilsentziehung entschieden hat, reicht für die Annahme der Unzumutbarkeit entgegen der Auffassung der Beklagten im Übrigen nicht aus. Denn andernfalls würde die Unterschrift unter die Pflichtteilsentziehung bereits genügen, was ausdrücklich dem Gesetz widerspricht, das in § 2336 Abs. 2 Satz 2 vorsieht, dass der Grund für die Unzumutbarkeit in der Verfügung von Todes wegen angegeben werden muss. Insoweit reichen auch (mündliche) Erklärungen des Erblassers außerhalb des Testaments nicht aus (Palandt, a.a.O., Rn. 3 zu § 2336).

d) Darüber hinaus hat der Erblasser noch bei Abfassung seines handschriftlichen Testaments am 01.03.2014 offenbar keinen Anlass gesehen, eine Entziehung des Pflichtteils vorzunehmen. Soweit die Beklagten vorgetragen haben, dass der Erblasser dieses Testament anlässlich einer Klinikeinweisung kurzfristig verfasst habe, führt dieser Umstand nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Denn es wäre dem Erblasser möglich gewesen, nach Entlassung aus der Klinik ein neues Testament einschließlich einer Pflichtteilsentziehung aufzunehmen.

Dabei geht es auch nicht darum, inwieweit der Erblasser zu jenem Zeitpunkt in der Lage war, eine wirksame Pflichtteilsentziehung nach §§ 2333, 2336 BGB zu formulieren. Denn in dem Testament vom 01.03.2014 ist gar kein Hinweis darauf enthalten, dass der Erblasser beabsichtigte, dem Kläger seinen Pflichtteil zu entziehen.

e) Das Vorbringen der Beklagten, der Erblasser habe gedacht, eine Pflichtteilsentziehung nicht ausdrücklich aussprechen zu müssen, ist bereits unschlüssig. Denn nach dem Vortrag der Beklagten soll der Erblasser mit dem Testament vom 01.03.2014 beabsichtigt haben, die Beklagten unter Ausschluss des Klägers abzusichern. Hätte sich aus dem Testament vom 01.03.2014 jedoch eine automatische Pflichtteilsentziehung ergeben, wären davon auch die Beklagte zu 2. und die weitere Tochter des Erblassers, ..., betroffen gewesen, da der Erblasser in dem Testament die Beklagte zu 1. als Alleinerbin einsetzte. Dass Vorstehendes vom Erblasser gewollt war, tragen auch die Beklagten nicht vor und ließe sich auch dem Testament vom 17.03.2020 nicht entnehmen. Gegen den Vortrag der Beklagten, der Erblasser sei schon bei Abfassung des Testaments vom 01.03.2014 von einer Entziehung des Pflichtteils des Klägers ausgegangen, spricht letztlich auch, dass er in diesem Testament die Möglichkeit freiwilliger Zuwendungen an seine Kinder, mithin auch den Kläger, in das Ermessen der Beklagten zu 1. gestellt hat. Ein Erblasser, der Gründe dafür sieht, seinem Kind den Pflichtteil zu entziehen, wird jedoch regelmäßig keine Regelungen für Zuwendungen auch an dieses Kind treffen wollen.

f) Die Entziehung des Pflichtteils hingegen erfolgte erst im Jahre 2020, mithin sechs Jahre später. Wäre der Erblasser zuvor verstorben, hätte die Beklagte zu 1. ihn aufgrund des Testaments von 2014 beerbt, ohne dass es Hinweise auf einen beabsichtigten Pflichtteilsentzug gegeben hätte. Dabei ist auch fraglich, ob die Beklagte zu 1. Hinweise auf einen entsprechenden Wunsch des Erblassers hatte, nachdem sie dem Amtsgericht ... das Testament vom 01.03.2014 gemäß dem Protokoll vom 17.09.2020 (Bl. 38) zur Eröffnung vorgelegt hatte. Hierauf kommt es jedoch nicht an.

Im Jahr 2014 war die Verurteilung des Klägers noch vergleichsweise „frisch“. Sie lag etwa fünf Jahre zurück und die 2/3 Strafe hatte er gerade erst etwa zwei Jahre zuvor verbüßt. Wäre diese Bestrafung Anlass für den Erblasser gewesen, den Pflichtteil zu entziehen, hätte nichts nähergelegen, als diese Pflichtteilsentziehung zeitnah, spätestens jedoch im Zusammenhang mit dem Testament vom 01.03.2014 auszusprechen. Dies geschah jedoch nicht.

g) Warum indes der Erblasser sodann im Jahre 2020 bei einem neuen Testament auf die lange bekannte und zurückliegende Verurteilung des Klägers zur Begründung des Pflichtteilsentzugs zurückgriff und diese nunmehr es ihm unzumutbar machen sollte, dem Kläger seinen Pflichtteil zuzubilligen, bleibt – wie ausgeführt – unklar.

Auch eine Gesamtschau der weiteren allgemein gehaltenen Angaben des Erblassers zu Vorstrafen des Klägers und dessen vermutetem Drogenhandel lassen keinen Schluss zu, inwieweit das Verhalten des Klägers es für den Erblasser im Jahre 2020 – anders als noch im Jahre 2014 – unzumutbar werden ließ, an den gesetzlichen Regelungen zum Pflichtteil festzuhalten.

3.

Eine wirksame Pflichtteilsentziehung lässt sich im Ergebnis nicht feststellen mit der Folge, dass die entsprechende Feststellung antragsgemäß unter Hinzufügung des Namens des Erblassers und dessen Todestages zu erfolgen hatte.

4.

Die Schriftsätze vom 06.07.2021 und vom 20.07.2021 bieten keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, § 156 ZPO.

III.

Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1, 2 ZPO.