Landgericht Verden
Urt. v. 15.02.2021, Az.: 4 O 234/20

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
15.02.2021
Aktenzeichen
4 O 234/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 70697
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Klägerin als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung nimmt die Beklagte als Haftpflichtversicherer aus einem Teilungsabkommen der Parteien in Anspruch.

Die Parteien sind durch ein Teilungsabkommen aus dem Jahr 2008 (nachfolgend: TA) verbunden, welches Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte bzw. deren Versicherte aus gemäß § 116 SGB X übergegangenem Recht teilweise modifiziert. Die Beklagte firmierte bei Abschluss des Teilungsabkommens noch unter Bruderhilfe Sachversicherung. Für den Inhalt des Teilungsabkommens wird auf die vorliegende Kopie der Vertragsurkunde (Anlage K1, Bl. 1 SH I) verwiesen.

Am 13. September 2017 nahmen die Versicherte der Klägerin I.K. (nachfolgend: Geschädigte) und die Versicherte der Beklagten D.W. (nachfolgend: Schädigerin) als ehrenamtliche Kassenprüferinnen an einer Vorstandssitzung des Sozialverbandes Deutschlands (im Folgenden: SoVD) teil, welche in der dafür angemieteten Scheune auf dem Hof der Gaststätte H., D-Str. in B. stattfand. Nach Ende der Vorstandssitzung verließen beide die Scheune und begaben sich auf den Hof der Gaststätte, wo beide ihre Fahrräder abgestellt hatten. Beim Aufsteigen auf ihr Fahrrad bekam die Schädigerin noch auf dem Grundstück der Gaststätte plötzlich Krämpfe in beiden Oberschenkeln und verlor die Kontrolle über ihr Fahrrad. Dabei stieß sie gegen das Fahrrad der Geschädigten, die ihrerseits stürzte und sich erheblich verletzte. Wegen der örtlichen Gegebenheiten wird auf die von der Geschädigten gefertigte Skizze verwiesen (Anlage K3, Bl. 8 SH I).

Aufgrund der Unfallfolgen bei der Verletzten hatte die Klägerin übergangsfähige Aufwendungen in Höhe von 160.402,96 €.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte hafte aufgrund des Teilungsabkommens für die kongruenten Schäden der Verletzten unabhängig von einem Verschulden der Schädigerin bis zum Limit in Höhe von 500.000 € zu 50 % und darüber hinaus in Höhe der übergangsfähigen Aufwendungen. Eine Ausnahme vom Teilungsabkommen greife nicht, da es sich um einen Wegeunfall gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII gehandelt habe. Ferner sei der Versicherungsfall nicht durch eine betriebliche Tätigkeit der Schädigerin verursacht worden.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 80.201,48 € zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin über Ziff. 1 hinaus nach Maßgabe des die Parteien verbindenden Teilungsabkommens 50 % ihrer weiteren übergangsfähigen Aufwendungen bis zum Limit i.H.v. 500.000 € und über das Limit hinaus sämtliche weiteren übergangsfähigen Aufwendungen der Klägerin zu ersetzen die hier infolge des Unfalls der bei der Klägerin versicherten Frau I.K., geboren 1940, vom 13.09.2017 auf dem Hof des Gasthauses H. in der D-Str. in B. entstanden sind und noch entstehen werden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass eine pauschalierte Haftung gemäß § 1 Nr. 1 TA gemäß § 4 Abs. 2 TA ausgeschlossen sei, weil die Schädigerin sich auf die Haftungsprivilegierung aus § 105 SGB VII berufen könne. Eine Entsperrung des Haftungsprivilegs gemäß § 8 Abs. 2 SGB VII liege nicht vor, da der Schadensfall auf einem Betriebsweg eingetreten sei. Ohnehin sei die Entsperrung des Haftungsprivilegs nach § 4 Abs. 2 TA unerheblich. Im Übrigen finde gem. § 105 Abs. 1 Satz 3, § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB VII auch ein Forderungsübergang gem. § 116 Abs. 1 SGB X nicht statt.

Für das weitere Vorbringen der Parteien im Übrigen und im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.

1. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Beteiligung an ihren Aufwendungen für die Geschädigte aus § 1 Nr. 1, §§ 2, 3 TA in Verbindung mit § 116 SGB X nicht zu. Die Anwendung des Teilungsabkommens ist gemäß § 4 Abs. 2 TA ausgeschlossen.

a) Grundsätzlich sind Ansprüche aus Schadensfällen in der allgemeinen Haftpflichtversicherung in Fällen der Haftungsprivilegierung im Sinne der §§ 104, 105 SGB VII von der abkommensgemäßen Schadensregulierung ausgenommen und können nur nach der Sach- und Rechtslage verfolgt werden.

Zwar spricht der Regelungszusammenhang des § 4 Abs. 2 TA für eine Ausnahme lediglich von Ansprüchen gegen den Halter in Fällen der Haftungsprivilegierung im Rahmen der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung. Denn der zweite Absatz des § 4 bezieht sich im Übrigen nur auf die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung. Der Wortlaut schließt die hier angenommene Ausnahme von Fällen des Haftungsprivilegs auch im Rahmen der allgemeinen Haftpflichtversicherung jedoch nicht aus. Da die Parteien – auch nach telefonischer Erörterung dieser Rechtsfrage mit den Parteivertretern – übereinstimmend davon ausgingen, dass Fälle der Haftungsprivilegierung nach §§ 104,105 SGB VII auch in der allgemeinen Haftpflichtversicherung ausgenommen sein sollen, war deren Auslegung hier maßgeblich. Denn der Tatrichter ist an die übereinstimmende Auslegung der Parteien, welchen Inhalt ein zwischen ihnen abgeschlossener Vertrag haben soll, gebunden (vgl. MüKoBGB/Busche, 8. Aufl. 2018 Rn. 67, BGB § 133 Rn. 67).

b) Vorliegend greift für die Haftung der Schädigerin gegenüber der Geschädigten das Haftungsprivileg des § 105 Abs. 1 SGB VII ein, so dass eine Schadenregulierung nicht auf Grundlage des TA, sondern nur nach der allgemeinen Sach- und Rechtslage in Betracht kommt.

§ 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII lautet: Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs verursachen, sind diesen sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 versicherten Weg herbeigeführt haben.

Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Geschädigte und die Schädigerin waren über den SoVD versichert, für beide stellte sich der streitgegenständliche Vorfall als Betriebsunfall dar. Problematisch ist, ob das Haftungsprivileg entsperrt ist, weil der Schaden im Rahmen eines Wegeunfalls nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII entstanden ist. Das ist jedoch nicht der Fall. Der Schaden ist zwar nach Ende der Vorstandssitzung außerhalb der angemieteten Scheune eingetreten, jedoch befand sich die Geschädigte auf einem Betriebsweg, für den das Haftungsprivileg aus § 105 Abs. 1 SGB VII eingreift. Da es sich auch für die Schädigerin um einen Betriebsweg handelte, ist der Versicherungsfall folglich auch durch deren betriebliche Tätigkeit verursacht.

Im Einzelnen:

aa) Ein Betriebsweg unterscheidet sich von anderen Wegen dadurch, dass er im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt wird und nicht – wie Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit iS von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII – der versicherten Tätigkeit lediglich vorausgeht oder sich ihr anschließt. Entscheidend für die Beurteilung, ob ein Weg im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt wird und deswegen im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, ist die objektivierte Handlungstendenz des Versicherten, ob also der Versicherte eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (BSG, Urteil vom 9. November 2010 – B 2 U 14/10 R –, SozR 4-2700 § 8 Nr 39, Rn. 20, juris).

Zur Abgrenzung der Unfälle, die unter das Haftungsprivileg der §§ 104 ff. SGB VII fallen, von sonstigen Wegeunfällen im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII, bei denen eine Entsperrung der Haftung erfolgt, ist zu prüfen, ob nach der ratio legis der §§ 104 ff. SGB VII eine Haftungseinschränkung geboten ist, weil sich aufgrund der bestehenden betrieblichen Gefahrengemeinschaft ein betriebsbezogenes Haftungsrisiko verwirklicht hat, von dem der Unternehmer auch hinsichtlich eventueller Freistellungs- und Erstattungsansprüche grundsätzlich befreit werden soll. Maßgebend ist dabei das Verhältnis des Geschädigten zu dem in Anspruch genommenen Schädiger, ob sich also im Unfall das betriebliche Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem manifestiert oder ob dieses Verhältnis zum Unfall keinen oder nur einen losen Zusammenhang hat (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2005 – VI ZR 334/04 –, Rn. 11, juris).

Regelmäßig stellt das Verlassen des Arbeitsplatzes einschließlich des Weges auf dem Werksgelände bis zum Werkstor wegen des engen Zusammenhanges mit der Arbeitsleistung noch eine betriebliche Tätigkeit dar, weil der Arbeitnehmer hier in enger Berührung mit der Arbeitsleistung anderer Arbeitnehmer des Betriebs steht, sich in der Herrschaftssphäre des Arbeitgebers aufhält und dessen Ordnungsgewalt unterliegt. Hierfür ist nicht von ausschlaggebender Bedeutung, [wenn] der Unfallort außerhalb des firmeneigenen Betriebsgeländes gelegen ist. Ort der Tätigkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII ist nicht der Sitz des Unternehmens, sondern der Ort, an dem die versicherte Tätigkeit tatsächlich verrichtet wird (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2005 – VI ZR 334/04 –Rn. 12, juris).

bb) Nach dieser Maßgabe ereignete sich der Schadensfall auf einem Betriebsweg; es handelt sich nicht um einen Wegeunfall gem. § 8 Abs. 2 SGB VII. Denn es hat sich aufgrund der bestehenden betrieblichen Gefahrengemeinschaft von Geschädigter und Schädigerin ein betriebsbezogenes Haftungsrisiko verwirklicht. Die beiden Mitarbeiterinnen des SoVD waren nämlich aufgrund der betrieblich veranlassten Tätigkeit noch auf dem Hof der Gaststätte H.. Den Weg zwischen der Scheune, in der die Vorstandsitzung stattgefunden hatte, und der Ausfahrt des Hofes zur D-Str. hin mussten sie zwangsläufig zurücklegen. Dieses Wegstück stand noch in engem Zusammenhang mit der betrieblich veranlassten Tätigkeit. Dass die Schädigerin durch ihren Sturz Rechtsgüter der Geschädigten gefährdete und verletzte, beruhte demnach auf deren betrieblichem Verhältnis zueinander und der betrieblichen Auswahl der Veranstaltungsstätte.

Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass die Tätigkeit der Versicherten – anders als in der zitierten Entscheidung des BGH – nicht in Erfüllung eines Vertrages zwischen dem SoVD und der Gaststätte H. erfolgte, sondern lediglich in dort angemieteten Räumlichkeiten stattfand. Dieser Umstand spricht vielmehr erst recht für eine Einordnung als Unfall auf einem Betriebsweg. Für die konkret veranlasste betriebliche Tätigkeit „Vorstandssitzung am 13. September 2017“ war die Scheune samt der dort vorhandenen Infrastruktur (Fahrradunterstand, Hofausfahrt) als eigenes Betriebsgelände des SoVD anzusehen. Denn anders als bei einem Unfall auf dem Gelände eines Fremdbetriebes lag es in der Hand des SoVD eine geeignete Betriebsstätte auszuwählen. Letztlich kann es insoweit auch keinen Unterschied machen, ob die Scheune der Gaststätte einmalig für eine Vorstandsitzung angemietet war oder ob ein Betrieb seine Betriebstätte regelmäßig oder gar dauerhaft anmietet.

cc) Eine Entsperrung des Haftungsprivilegs aufgrund anderer Umstände, insbesondere Vorsatz der Schädigerin, kommt nicht in Betracht und wird auch von der Klägerin nicht geltend gemacht.

2. Auch nach der allgemeinen Sach- und Rechtslage steht der Klägerin kein Schadenersatzanspruch durch die Beklagte zu. Grundsätzlich kann sie gem. § 4 Abs. 2 Satz 3 TA in den vom Teilungsabkommen ausgenommenen Fällen Ansprüche nach der Sach- und Rechtslage verfolgen. Jedoch sind die erhobenen Ersatzansprüche wegen Personenschadens nach den oben stehenden Erwägungen gem. § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ausgeschlossen. Ein Forderungsübergang auf die Klägerin findet ferner gem. § 105 Abs. 1 Satz 3, § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB VII nicht statt.

3. Da der Anspruch bereits dem Grunde nach nicht besteht, war auch der Feststellungsantrag zu Ziff. 2 unbegründet.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat § 709 Satz 1 ZPO zur Grundlage.