Landgericht Verden
Urt. v. 08.01.2021, Az.: 1 O 62/20

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
08.01.2021
Aktenzeichen
1 O 62/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 70701
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OLG - AZ: 5 U 27/21

Tenor:

1.) Die Klage wird abgewiesen.

2.) Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3.) Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 4500 € vorläufig vollstreckbar.

4.) Streitwert: 50.000 €

Tatbestand:

Der Verfassungsschutzbericht des Landes Niedersachsen für das Jahr 2019 beschäftigt sich im Kapitel 02 mit dem Rechtsextremismus im Lande. Das Unterkapitel 2.3. hat das Thema „Aktuelle Entwicklungen im Rechtsextremismus“. Dort werden die Themen „Rechtsextreme Parteien“, „Neonazismus“, „Kameradschaften“, „Subkulturell geprägte Szene“, und „Völkische Siedler“ abgehandelt. Um Letzteres geht es in diesem Rechtsstreit. Denn die Beklagte, eine Publizistin, behauptet, dass die Klägerin eine tragende Rolle innerhalb des Sturmvogels habe, als auch zu anderen Mitgliedern der Szene der völkischen Siedler nachweislich seit vielen Jahren regelmäßig Kontakt habe. Dagegen wehrt sie sich mit ihrer Unterlassungsklage.

Im Verfassungsschutzbericht ist unter anderem ausgeführt, dass es sich bei den völkischen Siedlern um ein eigenständiges Phänomen handele, welches in der medialen Berichterstattung wiederholt den Blick genommen worden sei. Auf die Entwicklung des Rechtsextremismus hätte die Bewegung keinen prägenden Einfluss, ihre völkischen und rassistischen Positionen gehörten aber zu den grundlegenden Elementen rechtsextremistischer Ideologien. Wegen des weiteren Inhalts des Verfassungsschutzberichts wird auf die Ladungsverfügung vom 30.9.2019 verwiesen (Blatt 172 der Akte).

Die Klägerin ist Grundschullehrerin und lebt mit ihrem Ehemann, E.B., in der im Verfassungsschutzbericht genannten Schwerpunktregion für völkische Siedler im Lande Niedersachsen. Ihr Ehemann stammt aus der B.-Familie aus T.. Dessen Vater war in der Wiking Jugend aktiv und betreibt den U. B.-Verlag sowie das Antiquariat U. B., in denen NS-Literatur vertrieben wird. Sowohl die Klägerin als auch ihr Ehemann waren viele Jahre in der Organisation „Sturmvogel“ aktiv, die Klägerin mit einer führenden Rolle. In den Jahren 2009 und 2010 nahm sie an jährlich in Dresden stattfindenden Aufmärschen anlässlich des Jahrestages der Bombardierung dieser Stadt teil, an denen schwerpunktmäßig auch Neonazis beteiligt waren. 2009 war auch ihr heutiger Nachbar T. K. dabei, dessen Kinder an Freizeitaktivitäten des Sturmvogels teilnahmen und der in seinem Garten ein Floß mit dem Namen „Sturmvogel“ stehen hatte. Die Klägerin besucht Veranstaltungen, auf denen Volkstänze getanzt werden.

Die Beklagte ist freie Journalistin mit dem Schwerpunkt Rechtsextremismus. Zusammen mit ihrem Co-Autor A. S. veröffentlichte sie im Juli 2019 ein Buch mit dem Titel „###“, welche sie unter anderem auf einer Veranstaltung vom 15.8.2019 in E. vorstellte. Der Norddeutsche Rundfunk war mit einem Kamerateam vor Ort, machte Filmaufnahmen und brachte darüber einen landesweit zugänglichen Bericht heraus.

Die Klägerin behauptet,

sie habe sich bislang weder öffentlich geäußert noch in irgendeiner Weise engagiert. Die Behauptung, dass sie rechtsextremes Gedankengut weitertrage, sei an den Haaren herbeigezogen. Während der Veranstaltung in E. habe die Beklagte fälschlicherweise behauptet, dass sie Teil der Bewegung sei, welche die Beklagte mit „völkische Siedler“ bezeichne. Die Beklagte verbreite nicht nur Unwahrheiten, sondern äußere sich auch bewusst diskreditierend und vorverteilend über sie. Die Beklagte sei eine Linksextremistin. Bei der Begrifflichkeit „völkische Siedler“ handele es sich um eine von den Medien erfundene und geprägte Bezeichnung, was sich auch aus dem zitierten Verfassungsschutzbericht ergäbe. An Freizeitfahrten des Sturmvogels habe sie aus Freude am Musizieren und Tanzen teilgenommen. Dieser Freundeskreis habe sich klar von rechtsextremen Bestrebungen abgegrenzt. Eigentlicher Beweggrund, in die Region um U. zu ziehen, sei - neben familiärer Beziehungen - ihr Wunsch und der Wunsch ihres Ehemannes gewesen, einen denkmalgeschützten Resthof in B. zu erwerben. Am Dresdner Trauermarsch habe sie zweimal teilgenommen, weil sie ein enges Verhältnis zu einer alten, mittlerweile verstorbenen Frau, die für sie quasi die Rolle eine Ersatzoma in ihrer Kindheit eingenommen habe, einen Gefallen zu tun. Jene habe bei dem Bombenangriff auf Dresden ihren Mann und ihr 4-jähriges Kind verloren. Als der Trauermarsch zu einem Politikum geworden sei, habe sie bewusst nicht mehr teilgenommen.

Die Klägerin beantragt,

I. die Beklagten bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis 6 Monaten, zu untersagen,

1. den vollständigen oder abgekürzten Namen des Klägers im Zusammenhang mit sogenannten völkischen Siedlern und/oder anderen Personen bzw. Gruppen, die als politisch rechts und/oder rechtsextrem eingestuft werden, zu nennen und/oder diesen in sonstiger Weise erkennbar zu machen und/oder erkennbar machen zu lassen

und/oder

2. in Bezug auf die Kläger zu behaupten und/oder zu veröffentlichen und/oder sonst zu verbreiten und/oder diese Handlung durch Dritte vornehmen zu lassen,

der Kläger sei Teil einer Bewegung, die als „völkische Siedler“ bezeichnet wird und sich als homogene, weiße, arische Volksgemeinschaft auszeichnen, die antichristlich sei, sich einen anderen überlegen fühle, in ihrem Denken kein Platz für die Vielfalt und Weltoffenheit von Lebensentwürfen habe und alles schwächliche verachte,

jeweils wenn dies geschieht wie am 15.8.2019 in E. im Rahmen der Buchvorstellung „###“ (ISBN XXX).

II. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn 923,38 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz spätestens seit dem 13.9.2019 für die außergerichtliche Rechtsverfolgung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet,

Personen aus dem Milieu der völkischen Siedler würden mittels massiver Einschüchterungskampagnen versuchen, die Berichterstattung über sie zu verhindern. Zur Szene der rechtsradikalen Netzwerke würde auch der „Sturmvogel“ gehören. Diese Organisation sei streng hierarchisch aufgebaut, pflege eine Führerkultur in welcher ein extrem rechtes politisches Verständnis vorherrsche.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Unterlassen. Es gibt die sogenannten „völkischen Siedler“. Die Aufdeckung dieser sozialen Strömung und deren Teilnehmer durch die Beklagte ist von der Pressefreiheit gedeckt.

1. Das soziale Phänomen der „völkischen Siedler“ ist existent, unabhängig davon, wie man es bezeichnet. Für Niedersachsen ergibt sich das aus dem Verfassungsschutzbericht aus dem Jahre 2019. Dort wird im Übrigen diese Bezeichnung aufgegriffen und ist damit Teil einer Verlautbarung eines staatlichen Sicherheitsorgans. Spätestens seit diesem Zeitpunkt ist die Bezeichnung nicht lediglich Teil einer medialen Berichterstattung.

2. Unstreitig ist u.a., dass die Klägerin aktiv und führend an Aktivitäten des Sturmvogels teilgenommen hat. Sie behauptet nicht, dass dies heimlich geschehen sei, im Gegenteil, sie bekennt sich offen dazu. Deshalb ist auch ihre Behauptung, sie sei allein durch die Nennung seines Namens diskreditiert worden, unverständlich. Der Sturmvogel ist ebenfalls im Verfassungsschutzbericht erwähnt. Durch ihre Nähe zu dieser Organisation hat die Klägerin selber den begründeten Verdacht gesetzt, im rechtsextremistischem Lager zu stehen. Soweit die Klägerin argumentiert, dass es sich um eine von den Medien „erfundene und geprägte Bezeichnung“ handele, ist ihr Argument nicht stichhaltig. Im Gegenteil, die Klägerin kann nicht ernsthaft behaupten, im Verfassungsschutzbericht würden frei erfundene Sachverhalte dargestellt, ohne dass sich die Landesregierung diese Ausführung auch zu eigen mache. Unabhängig von der Bezeichnung ist festzustellen, dass das Land Niedersachsen von einer rechtsextremen und völkisch geprägten Strömung ausgeht, welche vornehmlich in der Schwerpunktregion Lüneburg-Uelzen-Lüchow-Dannenberg beheimatet ist. Dessen ungeachtet stellt sich auch die Frage, woher sie denn ihre Kenntnis und Sicherheit nimmt, dass es sich um eine reine Begrifflichkeit der Medien handele? Sie will doch weder politisch aktiv sein, noch dem rechten Spektrum zugehören. Wenn dem so wäre, könnte sie doch gar nicht wissen, dass es nicht doch solche Menschen in der genannten Schwerpunktregion gibt. Denn laut Verfassungsschutzbericht verhalten sich diese Menschen mit völkisch-nationalistischer Ideologie nach außen doch gerade harmlos und unauffällig. Der Verdacht ist nicht fernliegend, dass die Klägerin zu der Bewegung der sogenannten völkischen Siedler gehört, so aber nicht genannt werden will.

3. Die Klägerin argumentiert auch ein Stück weit gegen sich selbst, wenn sie den Versuch unternimmt, eigene Kontakte und Begegnungen mit rechtsradikalen Personen zu relativieren. Abgesehen davon, dass ihre Ausführungen hierzu wenig überzeugend sind und wie Ausflüchte wirken, ist es doch gerade für diese Bewegung prägend, dass sie sich nach außen harmlos und unauffällig gibt. Der hier geführte Rechtsstreit scheint Ausfluss dieses Bemühens zu sein.

4. Die publizistischen Unternehmungen der Beklagten und auch die namentliche Nennung der Klägerin sind von der Meinungs-und Pressefreiheit gedeckt. Es ist bereits ausgeführt worden, dass die Faktenlage in Bezug auf die Klägerin schon auf Basis des unstreitigen Vorbringens bereits ausreichend ist, ihre Person als Teil einer rechtsradikalen und rückwärtsgewandten Strömung innerhalb der deutschen Bevölkerung öffentlich zu machen. Selbst wenn die Zugehörigkeit der Klägerin zum rechtsradikalen Spektrum noch Zweifeln unterliegen sollte, würde die Beklagte aufgrund berechtigter Interessen im Sinne von § 193 StGB handeln. Diese Vorschrift ist auch bei der Prüfung zivilprozessualer Unterlassungsansprüche mit heranzuziehen. Die Klägerin lebt in der im Verfassungsschutzbericht bezeichneten Gegend, in der sich so genannte völkische Siedler schwerpunktmäßig ansiedeln. Soweit sie ausführt, sie habe mit ihrem Mann zusammen einen Resthof erwerben wollen, fragt sich, welches Gegenargument sie damit verbinden will. Denn dies entspricht doch genau dem Verhalten, welches im Landesverfassungsschutzbericht des Landes Niedersachsen für das Jahr 2019 aufgezeigt wird. Die von der Klägerin nebenbei angeführten familiären Gründe dürfte die Nähe zur Familie ihres Ehemanns sein, die ebenfalls in der genannten Schwerpunktregion beheimatet ist, wobei ihr Schwiegervater professionell Naziliteratur verbreitet. Sie und ihr Ehemann sind jahrelang und teilweise führend an Aktivitäten des Sturmvogels beteiligt gewesen. Soweit die Klägerin gegen die Erkenntnisse des Landesamtes argumentiert, ist dies nicht überzeugend. Unstreitig ist diese Organisation von ehemaligen Mitgliedern der als rechtsextrem verbotenen Wiking-Jugend gegründet worden, deren politische Grundausrichtungen nicht einfach verschwunden sein können. Soweit die Klägerin argumentiert, die Mitglieder verhielten sich bewusst unpolitisch, ist dies eben nach der Beschreibung der niedersächsischen Landesregierung auch ein Wesensmerkmal der sogenannten völkischen Siedler. Dessen ungeachtet herrscht in diesem Zusammenschluss ein reaktionärer und rückwärtsgewandter Geist, in welchem Brauchtum und Heimatliebe gepflegt wird. Der Klägerin kann auch nicht verborgen geblieben sein, dass die Dresdner Trauermärsche auch von Neonazis frequentiert wurden. Das sie dort an ein weiteres Jahr teilgenommen hat, fügt sich in das Gesamtbild mit ein. Spätestens 2010 wusste die Klägerin, zumal als Grundschullehrerin, mit wem sie da marschierte.

5. Die Beklagte hatte das Recht, den Gegenstand ihrer Berichterstattung selbst zu wählen. Zwar ist die namentliche Nennung der Klägerin ein relativ starker Eingriff in deren Persönlichkeitsrecht. Allerdings ist bereits ausgeführt, dass die Klägerin selber dazu beigetragen hat, dass man sie dem rechtsradikalen Spektrum zuordnet, was diesem Eingriff die Schärfe nimmt. In ihrer Nachbarschaft wird der Lebensstil der Klägerin nicht verborgen geblieben sein. Sie ist mit ihrem Mann aktiver Teil der im Bericht des Landesverfassungsschutzes erwähnten Organisation Sturmvogel. Sie zieht mit ihrem Ehemann in die Nähe ihres Schwiegervaters, einem Verleger von rechtsextremer Literatur und Betreiber eines rechtsextremen Antiquariats. Hinzu kommt der Umstand, dass es nach dem Bericht des niedersächsischen Verfassungsschutzes gerade typisch für diese völkisch orientierten Familien ist, sich nach außen harmlos und unauffällig zu geben. Deshalb hat diese soziale Bewegung auch etwas konspiratives, womit gleichsam das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit wächst, Kenntnis davon zu bekommen. Deshalb sind diese Siedler gerade im Bericht des niedersächsischen Verfassungsschutzes erwähnt. Es besteht auch ein Interesse der Öffentlichkeit davon zu erfahren, dass sich eine Schwerpunkt- Region gebildet hat. Und dieser Nachweis kann eben nur gelingen, wenn man die diesem Spektrum zuzuordnen Personen namentlich benennt. Denn Berichterstattung darüber, dass sich geheimbündlerisch wirkende Strukturen in Schwerpunktregionen bilden, mit etablierten völkischen und rassistischen Einstellungen der Beteiligten, ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund der deutschen Vergangenheit von der Pressefreiheit gedeckt.

6.

7. Die Kostenentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage in § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.