Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 08.07.2020, Az.: 3 W 40/20
Anforderungen an die Begründung der testamentarischen Entziehung des Pflichtteils wegen Begehung einer Straftat
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 08.07.2020
- Aktenzeichen
- 3 W 40/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 58278
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Osnabrück - 03.03.2020 - AZ: 10 O 2523/19
Rechtsgrundlagen
- § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB
- § 2336 Abs. 2 BGB
Fundstellen
- ErbR 2021, 352-353
- FamRZ 2021, 726
- NJW-Spezial 2021, 40
- RNotZ 2021, 530-533
- ZEV 2021, 62
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Osnabrück vom 03.03.2020 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Dem Antragsteller werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 114 Abs. 1 ZPO liegen nicht vor.
Der Antragsteller hat keinen Auskunftsanspruch nach § 2314 BGB gegenüber dem Antragsgegner. Der Pflichtteil wurde dem Antragsteller durch das gemeinschaftliche Testament der Erblasserin wirksam entzogen.
Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass Gründe nach § 2333 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB nicht vorliegen. Die im gemeinschaftlichen Testament enthaltenen Ausführungen reichen vorliegend jedoch aus - wovon das Landgericht ebenfalls zutreffend ausgeht -, um dem Antragsteller nach §§ 2333 Abs. 1 Nr. 4, 2336 BGB den Pflichtteil zu entziehen.
Danach kann wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wird und die Teilhabe des Abkömmlings am Nachlass deshalb für den Erblasser unzumutbar ist der Pflichtteil entzogen werden. In der Zeit der Errichtung des Testaments muss die Tat begangen sein und der Grund für die Unzumutbarkeit vorliegen; beides muss im Testament angegeben werden (§ 2336 Abs. 2 BGB). Diese Voraussetzungen liegen vor.
1. Hinsichtlich der Straftat genügt hierzu ein einmaliger, aber schwerwiegender Verstoß gegen Strafnormen. Es spielt dabei keine Rolle, ob der Pflichtteilsberechtigte von seinem Verhalten bzw. Lebenswandel abrückt, es reicht daher zum einen eine Jahrzehnte zurückliegende Tat (wenn keine Verzeihung gemäß § 2337 BGB vorliegt, was vorliegend nicht behauptet wird) aus, zum anderen ist keine Prognoseentscheidung erforderlich. Dies bedeutet aber auch, dass die Abkehr vom bisherigen strafbaren Verhalten dem Berechtigten seinen Pflichtteil nicht wiedergibt (vgl. MüKoBGB/Lange, 8. Aufl. 2020, BGB § 2333, Rn. 41). An diesen Voraussetzungen fehlt es nicht und der Antragsteller tritt dem Vortrag einer mehrjährigen Haftstrafe auch nicht entgegen. Soweit der Antragsgegner einen Zeitungsartikel vorlegt, aus dem sich eine Verurteilung wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monate ergibt, stellt der Antragsteller dies nicht in Abrede und führt auch - entsprechenden seinen allgemeinen Ausführungen - die konkrete Verurteilung aus der sich anderes ergeben könnte, nicht aus.
Der Beschwerde ist insoweit zuzugestehen, dass es nach den Vorstellungen des Gesetzgebers auf die Schwere des sozialwidrigen Verhaltens des Pflichtteilsberechtigten ankommen soll, die in der "einen" Straftat ihren Niederschlag gefunden hat. Bei der Verurteilung zu einer Gesamtstrafe ist daher auf die jeweiligen Einzelstrafen abzustellen (vgl. MüKoBGB/Lange, 8. Aufl. 2020, BGB § 2333, Rn. 44). Soweit die Beschwerde diesen Einwand erhebt, vermag sie jedoch nicht vorzutragen, zu welchen Einzelstrafen der Antragsteller verurteilt wurde. Dies dürfte dem Antragsteller bekannt sein. Der Einwand verfängt jedoch auch insoweit nicht, als dass § 250 Abs. 1 StGB bereits eine Freiheitsstrafe von nicht unter 3 Jahren und selbst in einem minder schweren Fall noch in Abs. 3 eine Mindeststrafe von nicht unter einem Jahr vorsieht. Selbst der Tatbestand des Raubes nach § 249 StGB sieht bereits eine Mindestfreiheitstrafe von nicht unter einem Jahr vor.
2. Die erforderlichen Angaben sind dem gemeinschaftlichen Testament auch hinreichend zu entnehmen.
Sie müssen hinreichend konkret erfolgen, sodass später gerichtlich geklärt werden kann, auf welchen Entziehungsgrund der Erblasser seinen Entschluss stützte. Zugleich soll so ein "Nachschieben von Gründen" durch die Erben in einem Pflichtteilsentziehungsprozess vermieden werden. Da die gebotenen Angaben "in" der letztwilligen Verfügung zu machen sind, wird eine bloße Wiederholung des Gesetzeswortlauts nicht als ausreichend angesehen. Die Norm schreibt nicht vor, auf welche Weise und in welchem Umfang der Entziehungsgrund in der Verfügung angegeben werden muss. Es ist nach allgemeiner Meinung nicht notwendig, dass der Sachverhalt in allen Einzelheiten angeführt wird (vgl. BGH NJW 1964, 549; NJW 1985, 1554 (1555) [BGH 27.02.1985 - IVa ZR 136/83][BGH 27.02.1985 - IVa ZR 136/83]; RGZ 168, 39 (43); OLG Nürnberg NJW 1976, 2020 [OLG Nürnberg 22.06.1976 - 3 U 22/76]; KG OLGRspr. 8, 292). Vielmehr genügt die Angabe eines "Sachverhaltskerns". Das Gericht muss anhand der Darstellung - und erforderlichenfalls nach Auslegung - beurteilen können, auf welche Vorgänge sich der Erblasser stützen will und ob diese eine Entziehung rechtfertigen. Dabei dürfen allerdings die Anforderungen an die Konkretisierung nicht überspannt werden (vgl. BGH ZEV2011, 370; OLG Saarbrücken NJW 2018, 957, 959 [OLG Saarbrücken 12.12.2017 - 5 W 53/17]; OLG Stuttgart NJW-RR 2012, 778; Staudinger/Olshausen, 2015, BGB, § 2336, Rn. 13; MüKoBGB/Lange, BGB, § 2336, Rn. 10, 12 f.).
Im Zweifel ist durch Auslegung der Verfügung zunächst zu bestimmen, auf welche Vorgänge die Entziehung gestützt werden soll, bevor geprüft werden kann, ob diese Vorgänge hinreichend konkret angegeben wurden (vgl. BeckOGK/Rudy, 1.3.2020, BGB § 2336, Rn. 13). Der Grund der Entziehung ist etwa dann nicht ausreichend in der Verfügung angegeben worden, wenn der Erblasser sich mit seinen Worten nicht auf bestimmte Vorgänge (unverwechselbar) festgelegt und den Kreis der in Betracht kommenden Vorfälle nicht auch nur einigermaßen und praktisch brauchbar eingegrenzt hat (vgl. BGHZ 94, 36 = NJW 1985, 1554). Ebenfalls nicht ausreichend wären lediglich Angaben zu einem polizeilichen Ermittlungsverfahren (so etwa in OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 1469).
Demgegenüber kann ein Verweis auf ein laufendes Gerichtsverfahren ausreichend sein, weil hierdurch ohne besondere Schwierigkeiten und ohne Unklarheit aus den Gerichtsakten feststellbar ist, welche Entziehungsgründe der Erblasser hat angeben wollen (vgl. RG in RGZ 168, 34, 36; in Abgrenzung hierzu in Bezug auf eine nicht unterschriebene maschinengeschriebene Notiz: BGH, Urteil vom 27.02.1985 - IVa ZR 136/83; NJW 1985, 1554, 1555).
Im Rahmen der vorzunehmenden Auslegung geht das Landgericht zutreffend davon aus, dass hinreichend deutlich ist, auf welchen Lebenssachverhalt die Erblasserin sich bei der von ihr getroffenen Regelung beziehen wollte. Die Erblasserin verweist auf eine Verurteilung zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe, die in der JVA Ort3 verbüßt wurde. Hieraus wird zwanglos deutlich, dass es sich um jedenfalls eine Strafe von über einem Jahr handelt, deren Vollstreckung gerade nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Vor dem Hintergrund der unbestritten im April 2017 erfolgten Verurteilung des Antragstellers zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten wegen schweren Raubes lässt sich zwanglos der Bezug auf den hier maßgeblichen Lebenssachverhalt herstellen. Zudem dürften sich die weiteren Feststellungen ebenso zwanglos aus den Feststellungen des Strafurteils in den Gerichtsakten ergeben.
Soweit die Beschwerde auf die Formulierung im Testament in Bezug auf die JVA Ort3 moniert, es sei anzunehmen, dass die Vollstreckung dort bereits abgeschlossen war, kommt es hierauf im Ergebnis nicht an. Die Verurteilung erfolgte nach dem unbestrittenen Vortrag im April 2017 und die bloße Verlegung in die JVA Ort1, wie ebenfalls aus dem Testament ersichtlich ist, ergibt nichts anderes. Entscheidend ist die begangene Straftat und nicht etwa die (spätere) Rechtskraft der Verurteilung oder der Ort der Vollstreckung. Es reicht, dass die Straftat zum Zeitpunkt der Entziehung begangen wurde, ohne dass es bereits zu einer rechtskräftigen Verurteilung gekommen ist, ohne dass Gegenteiliges überhaupt vom Antragsteller vorliegend behauptet wird (vgl. MüKoBGB/Lange, 8. Aufl. 2020, BGB § 2336, Rn. 5).
Mithin besteht vorliegend hinreichend Sicherheit, welche konkreten Vorgänge von der Erblasserin in Bezug genommen werden, die somit jedenfalls praktisch brauchbar eingegrenzt sind. Dass tatsächlich andere Vorgänge gemeint wären, die die genannten Voraussetzungen nicht erfüllen, lässt auch der Antragsteller nicht behaupten. Dies gilt insbesondere auch für den Einwand, es bestehe die Möglichkeit, dass auch mehrere Einzelstrafen zusammen vollstreckt worden wären. Der Antragsteller vermag solche gegen ihn verhängten Einzelstrafen jedoch nicht zu behaupten.
3. Ferner ist dem gemeinschaftlichen Testament auch hinreichend die von der Erblasserin gegebene Unzumutbarkeit zu entnehmen. Eine Unzumutbarkeit liegt nach den Vorstellungen des Gesetzgebers dann vor, wenn die Straftat den persönlichen, in der Familie gelebten Wertvorstellungen des Erblassers in hohem Maße widerspricht. Dies liegt, wie der Gesetzgeber selbst klarstellt, vor allem bei schweren Straftaten, die mit erheblicher Freiheitsstrafe geahndet werden, nahe. Damit besteht also eine Art Wechselwirkung zwischen der Schwere der Tat und der Unzumutbarkeit (vgl. MüKoBGB/Lange, 8. Aufl. 2020, BGB § 2333, Rn. 47; LG Stuttgart NJW-RR 2012, 778, 779).
Wie umfangreich der Erblasser diese Gründe darstellen muss, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls, insbesondere der Nachvollziehbarkeit der Motivation und der Wertvorstellungen des Erblassers für einen objektiven Betrachter. Je schwerer die Straftat, desto knapper kann die Darstellung ausfallen. Bei schwersten Straftaten kann sich die Motivation dabei schon aus der Tatbegehung selbst ergeben. Insgesamt dürfen auch insofern keine zu hohen Anforderungen an den Erblasser gestellt werden (vgl. MüKoBGB/Lange aaO Rn. 14; Lange ZEV 2018, 237 (240); Keim ZEV 2008, 161 (168); BeckOGK/Rudy, 1.3.2020 Rn. 16, BGB § 2336 Rn. 16). Der Erblasser kann sich dann mit dem Hinweis auf die Begehung der Tat begnügen. Keinesfalls kann vom Erblasser verlangt werden, rechtliche Abwägungen zum Fehlverhalten und den persönlichen Wertvorstellungen abzugeben. Vor diesem Hintergrund dürfen die Anforderungen an die Darlegung des Grundes der Unzumutbarkeit nicht überspannt werden (vgl. MüKoBGB/Lange, aaO, Rn. 14).
Im vorliegenden Fall geht das Landgericht zutreffend davon aus, dass sich diese Unzumutbarkeit bereits aus der Zusammenschau der im gemeinschaftlichen Testament enthaltenen Beweggründe für eine Entziehung des Pflichtteils ergibt. Die Erblasserin verwies dort darauf, dass neben der Drogen- und Alkoholsucht auch bereits mehrfach Straftaten begangen wurden, Aufenthalte in der Psychiatrie erfolgten und Verurteilungen zu Gefängnisstrafen und deren Vollstreckung erfolgt sind. Diese Ausführungen genügen, um deutlich zu machen, dass die dann zusätzlich erfolgte Verurteilung zu einer "mehrjährigen" Haftstrafe den Wertvorstellungen der Erblasserin widersprach und mithin die Teilhabe des Antragstellers am Nachlass für sie unzumutbar ist.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 127 Abs. 4 ZPO i. V. m. Nr. 1812 KVGKG.