Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 14.07.1999, Az.: 9 U 342/98
Betriebsmittelkredit einer Volksbank als Darlehen mit Eigenkapital ersetzendem Charakter; Gleichbehandlung von Kontokorrentkredit und Darlehensgewährung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 14.07.1999
- Aktenzeichen
- 9 U 342/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 30179
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1999:0714.9U342.98.0A
Fundstellen
- DStR 2000, 1484 (amtl. Leitsatz)
- NZG 2000, 104-105
- NZI 2001, 71
- ZInsO 2000, 617-619 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Auch die Kapitalgewährung in Form eines Kontokorrentkredits ist ein Darlehen i.S.v. § 32a Abs. 2 GmbHG, jedenfalls aber eine "andere Rechtshandlung" i.S.v. § 32a Abs. 2, Abs. 3 GmbHG.
- 2.
Indizien gegen die Kreditwürdigkeit einer GmbH sind ein Verzicht auf Kreditsicherheiten, eine ungewöhnlich niedrige Verzinsung von 5 % und der Beginn der Zinspflicht erst einen halben bis eineinhalb Monate nach der Auszahlung des Darlehens.
Tatbestand
Der Kl. ist gem. Beschl. des AG Zeven v. 17.3.1997 zum Verwalter im Konkurs über das Vermögen der X GmbH (im Folgenden Gemeinschuldnerin) bestellt worden. Der Beklagte war Gesellschafter der Gemeinschuldnerin.
Die Volksbank gewährte der Gemeinschuldnerin zwei Betriebsmittelkredite bis zur Höhe von 300.000 DM (unbefristet) und 450.000 DM (befristet bis zum 1.3.1996) - es handelte sich um Kontokorrentkredite -, und der Beklagte übernahm am 2.2.1996 die Bürgschaft hierfür.
Das Kontokorrentkreditkonto wurde zur Abwicklung der Geschäfte der Gemeinschuldnerin verwendet und im Wesentlichen mit sechsstelligen Beträgen im Soll geführt. Der Höchststand der Inanspruchnahme des Darlehens lag am 10.5.1996 bei 331.656.27 DM. Am 5.1.1996 schloss die Gemeinschuldnerin der schriftlichen Vereinbarung nach mit einem türkischen Geldgeber einen Darlehensvertrag über ein Darlehen i.H.v. 1 Mio. DM, das zu einem erheblichen Teil dafür verwendet wurde, um das Darlehen gegenüber der Volksbank zurückzuführen. Dies geschah bis zum Tag des Konkursantrages am 6.8.1996, den die Gemeinschuldnerin selbst stellte, bis auf 74.126,57 DM; in dieser Höhe erfolgte eine Inanspruchnahme des Beklagten als Bürge durch die Volksbank.
Mit der Klage hat der Kläger als Konkursverwalter die Zahlung des Differenzbetrages zwischen dem Höchstbetrag des Darlehens und dem Endstand bei Konkurseröffnung, nämlich i.H.v. 257.529,70 DM, geltend gemacht und vorgetragen, der Beklagte sei zur Erstattung desjenigen Betrages verpflichtet, der innerhalb des letzten Jahres bei der Konkurseröffnung durch die Gemeinschuldnerin auf das Darlehen gezahlt worden sei (§ 32b GmbHG). Auf Grund der bereits seit längerem bestehenden schwierigen finanziellen Situation der Gemeinschuldnerin, zu der der Kläger Einzelheiten genannt hat, sei nicht die Inanspruchnahme eines Darlehens, sondern die Zuführung von Eigenkapital durch die Gesellschafter für einen ordentlichen Kaufmann die richtige Vorgehensweise gewesen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, die von der Volksbank gewährten Betriebsmittelkredite seien keine Darlehen i.S.d. § 32a GmbHG; der Gemeinschuldnerin sei kein Kapital zugeführt worden, vielmehr habe das Konto lediglich zur Abwicklung des geschäftlichen Verkehrs gedient. Auch sei die vom Kläger angesetzte Höhe des Rückzahlungsbetrages willkürlich, weil das Kontokorrentverhältnis von ständig sich ändernden Tagessalden geprägt gewesen sei. Der Beklagte hat auch die Einrede der Verjährung erhoben.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Es hat zur Begründung ausgeführt, die von der Volksbank gewährten Kredite seien Darlehen i.S.d. § 32a GmbHG und die Gemeinschuldnerin sei sehr hoch überschuldet gewesen; es habe ihr Eigenkapital zugeführt werden müssen. Das Kontokorrentkreditkonto sei durchgehend im Minussaldo zu Lasten der Gemeinschuldnerin in sechsstelliger Höhe geführt worden und am 10.5.1996 i.H.v. 331.656,27 DM in Anspruch genommen worden. Nach diesem Zeitpunkt habe die Gemeinschuldnerin auf Grund der ihr von dem türkischen Geldgeber zugewandten Beträge das Kontokorrentkreditkonto bis auf den Betrag von 74.126,57 DM zurückführen können; diese Zurückzahlung müsse der Beklagte erstatten. Die Klageforderung sei auch nicht verjährt, weil die Verjährung unterbrochen worden sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten. Er trägt vor, bei den über das Kontokorrektkreditkonto abgewickelten Betriebsmittelkrediten habe es sich nicht um Darlehen gehandelt, die zur Verfügung gestellten Mittel seien auch nicht eigenkapitalersetzend gewesen, weil eine Kreditunwürdigkeit nicht vorgelegen habe. Die Klage sei auch der Höhe nach unbegründet, weil der Kontokorrektkredit in ständig wechselnder Höhe in Anspruch genommen worden sei und nicht der höchste Kreditstand willkürlich herausgegriffen werden könne.
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils, die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen sowie eine Sicherheit auch durch Bankbürgschaft erbringen zu dürfen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil Er trägt vor, es habe sich bei den Betriebsmittelkrediten der Volksbank sehr wohl um Darlehen mit eigenkapitalersetzendem Charakter gehandelt.
Dass die Klägerin überhaupt über eine gewisse Zeit noch weiter habe arbeiten können, liege daran, dass im Fleischhandelsgeschäft durch relativ große Geschäfte kurzfristig Liquidität zu erreichen sei, mit der man die einen oder anderen Löcher habe stopfen können. Bei dem angeblichen Darlehen durch den türkischen Geldgeber gem. Darlehensvertrag v. 5.1.1996 handele es sich in Wirklichkeit um Gesellschafterdarlehen, wie die Einzahlungsbelege über die beiden Teilbeträge von jeweils 500.000 DM zeigten. Da der Betriebsmittelkredit im Jahre vor der Konkurseröffnung mit einen Höchstbetrag von 331.656,27 DM in Anspruch genommen worden sei, müsse der Beklagte dies unter Abzug seiner Inanspruchnahme als Bürge durch die Volksbank erstatten.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat keinen Erfolg.
Der Anspruch des Klägers folgt aus § 32b GmbHG i.V.m. § 32a Abs. 2, 3 GmbHG. Die Klägerin hat im letzten Jahr vor dem Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens den ihr von der Volksbank gewährten Betriebsmittelkredit in der vom LG zutreffend zu Grunde gelegten Höhe zurückgezahlt. Der Beklagte hatte sich als Gesellschafter verbürgt. Der von der Volksbank gewährte Betriebsmittelkredit war ein Darlehen, jedenfalls aber eine "andere Rechtshandlung" eines Dritten i.S.v. § 32a Abs. 2, 3 GmbHG. Dabei ist der Umstand, dass es sich um einen Kontokorrentkredit gehandelt hat, ohne entscheidende Bedeutung. Auch ein solcher Kredit ist eine Kapitalüberlassung, bei der die Gemeinschuldnerin finanzielle Mittel eines Dritten (Volksbank) - wenn auch in wechselnder Höhe - in Anspruch nahm. Deshalb muss ein Kontokorrentkredit einer Darlehensgewährung gleichstehen. Das gilt nach übereinstimmender Meinung sogar für die vertragliche Verlängerung eines Kontokorrentkredits und das Nichtkündigen einer Kreditlinie (vgl. Scholz/Karsten Schmidt, GmbHG, 8. Aufl., § 32a Rn. 45, 128; Baumbach/Hueck, GmbHG, 16. Aufl., § 32a Rn. 64). Auch der BGH hat keine Veranlassung gesehen, eine Kapitalgewährung in Form eines Kontrokorrentkredites anders zu behandeln (vgl. BGH, NJW 1996, 720). Im vorliegenden Falle war jedenfalls der Kredit über 300.000 DM unbefristet und ist auch (offenbar geduldet) überzogen worden, weil die Inanspruchnahme des Betriebsmittelkredites am 10.5.1996 331.656,27 DM betrug.
Der Betriebsmittelkredit der Volksbank ist der Gemeinschuldnerin zu einer Zeit gewährt worden, in der die Gesellschafter der Gemeinschuldnerin als ordentliche Kaufleute hätten Eigenkapital zuführen müssen. Denn die Gemeinschuldnerin war hoch überschuldet. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, dass der Jahresabschluss für 1995 einen Bilanzverlust von 746.622,04 DM ausweist, was unter Berücksichtigung des Stammkapitals i.H.v. 50.000 DM eine rechnerische Überschuldung von fast 700.000 DM ergibt. Diese Überschuldung ist nicht etwa durch einen Einbruch im Jahre 1995 oder kurzfristige Inanspruchnahme von Mitteln für bestimmte Investitionen verursacht worden, sondern hat schon in den Jahren zuvor bestanden und sich kontinuierlich fortgesetzt. So ist aus 1994 ein Verlust von 437.454,75 DM übernommen worden; auch im Jahr davor war ein erheblicher Fehlbetrag entstanden. Dass in der Bilanz stille Reserven enthalten seien, die sich auf die Überschuldung hätten auswirken können, hat der Beklagte nicht konkret geltend gemacht; es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass die hohe Überschuldung von annähernd 700.000 DM dadurch hätte ausgeglichen werden können. Die Krise der Gemeinschuldnerin hat sichauch im Jahre 1996 weiter entwickelt, sodass sie selbst am 6.8.1996 Konkursantrag gestellt hat, wobei der Konkurs dann am 17.3.1997 eröffnet worden ist. Es bestehen Schulden von weit über 1 Mio. DM, die der Kläger im Einzelnen ebenfalls in der Klageschrift dargelegt hat. Angesichts dieser Situation kann weder davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem Betriebsmittelkredit der Volksbank um einen kurzen Überbrückungskredit gehandelt hat, noch dass die Gemeinschuldnerin außer der Bürgschaft der Gesellschafter (hier des Beklagten) eigene Sicherheiten hätte zur Verfügung stellen können.
Daher hätte die Gemeinschuldnerin im Übrigen auch auf dem Geldmarkt ohne die Bürgschaft des Beklagten keine Kredite erhalten. Das (angebliche) Darlehen eines A. D. v. 5.1.1996 war in Wirklichkeit ein Gesellschafterkredit, wie der Kläger zutreffend vorträgt. Das ergibt sich daraus, dass die beiden nach dem Darlehensvertrag zu zahlenden Beträge von jeweils 500.000 DM von den beiden Gesellschaftern, Herrn Z. K. und dem Beklagten gezahlt worden sind, wie die in erster Instanz vorgelegten Kontoauszüge ausweisen. Davon abgesehen handelt es sich auch nicht um einen auf dem üblichen Geldmarkt zu erhaltenden Kredit. Dies folgt schon daraus, dass das Darlehen über 1 Mio. DM ohne jede Sicherheit gewährt worden ist, was insbesondere angesichts der Vorbelastung der Gesellschaft und des Kredits der Volksbank nicht den Marktbedingungen entspricht. Auch die Verzinsung von 5 % ist ungewöhnlich niedrig und wäre von einem unbeteiligten Dritten nicht bewilligt worden, zumal die Zinspflicht erst einen halben bis 1 1/2 Monate nach der Auszahlung beginnen sollte.
Die Klageforderung ist auch der Höhe nach berechtigt. Der Betriebsmittelkredit ist im letzten Jahr vor dem Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens am 10.5.1996 i.H.v. 331.656,27 DM in Anspruch genommen worden. Damit lag eine Darlehensgewährung in dieser Höhe vor, die später (teilweise) zurückgeführt worden ist. Der Betrag ist auch nicht etwa willkürlich gewählt, sondern trägt dem Gesichtspunkt Rechnung, dass die Gemeinschuldnerin einen Kredit in der zu Grunde gelegten Höhe in Anspruch genommen hat. Hätte der Beklagte den Kredit selbst gewährt, wäre dieses Darlehen auch i.S.d. §§ 32a, b GmbHG als Eigenkapital verhaftet gewesen; der Beklagte hätte dann - soweit die Gemeinschuldnerin den von ihm gewährten Kredit an ihn zurückgezahlt hätte - diese Summe auch erstatten müssen. Auch wenn etwa auf den 10.5.1996 ein Überschuldungsstatus aufgestellt worden wäre, hätte die Darlehensverbindlichkeit in der genannten Höhe unter den Passiva Berücksichtigung finden müssen. Etwaige Forderungen der Gesellschafter an Dritte hätten hieran nichts geändert; sie wären bei den Aktiva zu verbuchen gewesen. Der Betrag, den die Gemeinschuldnerin im letzten Jahr vor der Konkurseröffnung in Anspruch genommen hat (und das waren eben 331.656,27 DM), durfte nicht zurückgezahlt werden, ohne dass die Wirkungen der §§ 32a, b GmbHG (für den Beklagten als Bürgen) ausgelöst wurden. Deshalb ist es gerechtfertigt, den Höchststand der Inanspruchnahme zu Grunde zu legen, wovon der Betrag abzuziehen war, für den die Volksbank den Beklagten in Anspruch genommen hatte (74.126,57 DM). Daraus ergibt sich die Klageforderung.