Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 23.09.2008, Az.: 1 A 130/08

Heranziehung zu Transportkosten im Polizeifahrzeug; Kostenschuldner; Kostenveranlasser; Polizeifahrzeug; Transportkosten

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
23.09.2008
Aktenzeichen
1 A 130/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 45354
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2008:0923.1A130.08.0A

Fundstelle

  • NVwZ 2008, VIII Heft 11 (Pressemitteilung)

Amtlicher Leitsatz

Kostenschuldner für die Transportkosten in einem Polizeifahrzeug ist auch derjenige, der die Fahrt zwar nicht bewusst veranlasst hat, aber in dessen mutmaßlichem Interesse sie erfolgte.

Tatbestand:

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Kosten für den Transport in einem Polizeifahrzeug.

2

Die Klägerin ist in der Nacht vom 28. auf den  29.11.2007 in der Zeit zwischen 02.30 Uhr und ca. 4.00 Uhr von zwei Polizeibeamten in einem Dienst-Kfz an ihre Wohnanschrift gefahren worden. Ausweislich des polizeilichen Protokolls über den Einsatz, ist sie stark alkoholisiert, weinend und schluchzend an der Bushaltestelle in der Zindelstraße in Göttingen vorgefunden worden, nachdem ein unbeteiligter Dritter die Polizei gerufen hatte.

3

Mit Schreiben vom 04.12.2007 hörte die Beklagte die Klägerin zu der beabsichtigten Heranziehung zu den Kosten des Transportes in Höhe von 115,00 Euro an. Im Rahmen der Anhörung trug die Klägerin vor, dass die Erhebung der Verwaltungskosten unberechtigt sei, weil sie zu dem Transport keine Veranlassung gegeben habe. Zwar habe sie am Abend des 28.11.2007 und in der Nacht zum 29.11.2007 Alkohol zu sich genommen, aber habe die konsumierte Menge in keinem Fall ausgereicht, um einen Verlust der Steuerungsfähigkeit herbeigeführt zu haben. Vielmehr bestehe der dringende Verdacht, dass ihr im Zusammenhang mit einem Barbesuch eine Substanz in ein Getränk gegeben worden sei, welche zu einer erheblichen Einschränkung des Bewusstseins der Klägerin und deren Orientierungsfähigkeit geführt habe.

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Aufgrund dieses Vorbringens ist ein Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung gegen Unbekannt eingeleitet worden. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gab die Klägerin bei ihrer Befragung an, dass sie an dem fraglichen Abend etwa 11 alkoholische Getränke, davon 7 hochprozentige Alkoholika, in der Zeit von 17.00 Uhr bis etwa nach Mitternacht zu sich genommen habe. Darunter sei Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, Bier und Jägermeister gewesen, die sie zusammen mit ihrer Freundin konsumiert habe. Nach dem Genuss des letzten Bieres sei ihr Erinnerungsvermögen plötzlich abgebrochen. Sie könne sich erst wieder an den Aufenthalt in der Polizeiwache erinnern. Ob und gegebenenfalls wer ihr etwas in das Getränk gegeben haben könnte, konnte die Klägerin nicht sagen. Das Ermittlungsverfahren ist nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden.

5

Mit Bescheid vom 02.04.2008 hat die Beklagte die Klägerin zu Verwaltungskosten wegen des Transports im Dienst-Kfz vom 29.11.2007 in Höhe von 115,00 Euro herangezogen.

6

Dagegen hat die Klägerin am 28.04.2008 Klage erhoben. Zur Begründung verweist sie auf ihre Ausführungen im Anhörungsverfahren. Ergänzend trägt sie vor, dass unstreitig ein Transport stattgefunden habe. Dieser sei jedoch nicht durch sie schuldhaft veranlasst worden, da ein alkoholbedingter Verlust der Steuerungsfähigkeit nicht nachgewiesen und aufgrund der Aussage der Klägerin sowie ihrer Freundin im Rahmen des polizeilichen Ermittlungsverfahrens auch als ausgeschlossen anzusehen sei. Dies begründe sich vor allem darauf, dass sowohl die Klägerin als auch ihre Freundin nach Konsum des letzten Getränkes in einer Bar Erinnerungslücken an den weiteren Verlauf der Nacht gehabt hätten. Diese plötzlichen "black outs" könnten nur auf die Verabreichung so genannter KO-Tropfen zurückzuführen sein. Im Übrigen seien die Kosten überhöht, denn in der Rechnung sei ein Transport im Dienst-Kfz für die Dauer von einer Stunde angesetzt worden. Der reguläre Weg von der Zindelstraße zur Wohnung der Klägerin dauere allerdings nur 5 - 8 Minuten.

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Die Klägerin beantragt,

  1. den Heranziehungsbescheid der Beklagten vom 02.04.2008 aufzuheben.

8

Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

9

Zur Begründung führt sie aus, die zwei Polizeibeamten hätten die Klägerin in der Nacht in einem hilflosen Zustand vorgefunden, so dass sie nicht mehr in der Lage gewesen sei, allein nach Hause zu kommen. Vor Ort habe die Klägerin den eingesetzten Beamten gegenüber angegeben, dass sie ihre Freundin und ihre Handtasche verloren habe. Die von der Klägerin aufgenommenen alkoholischen Getränke würden ihren hilflosen Zustand durchaus erklären. Für das Verabreichen von KO-Tropfen gebe es keinerlei Hinweise. Da die Identität der Klägerin zunächst unklar gewesen sei, habe erst ihre Wohnanschrift ermittelt werden müssen. Dies habe einschließlich des Transportes der Klägerin ausweislich des Einsatzprotokolles von 02.40 Uhr bis 03.59 Uhr gedauert. Die angesetzten Kosten seien deshalb zu Recht erfolgt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten und die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft - 35 UJs 12928/08 verwiesen.

Entscheidungsgründe

11

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

12

Der angefochtene Heranziehungsbescheid der Beklagten vom 02.04.2008 ist rechtsmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

13

Rechtsgrundlage für die angegriffene Gebührenerhebung sind hier die §§ 1, 3, 5 Niedersächsisches Verwaltungskostengesetz (NVwKostG) i.V.m. § 1 Verordnung über die Gebühren und Auslagen für Amtshandlung und Leistungen (AllGO) sowie Nr. 108.1.4.1 und 108.1.4.2 der Anlage zur AllGO (Kostentarif). Nach § 1 Abs. 1 NVwKostG werden für Amtshandlungen in - wie hier - Angelegenheiten der Landesverwaltung nach dem NVwKostG Gebühren und Auslagen erhoben, wenn der Beteiligte zu der Amtshandlung Anlass gegeben hat. Die einzelnen Amtshandlungen, für die Gebühren erhoben werden sollen, und die Höhe der Gebühren sind in Gebührenordnungen zu bestimmen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 NVwKostG). Nach § 3 Abs. 4 Satz 1 NVwKostG sind die gebührenpflichtigen Amtshandlungen und die Höhe der Gebühren in einer allgemeinen Gebührenordnung zu bestimmen, die das Finanzministerium im Einvernehmen mit den jeweiligen zuständigen Ministerien erlässt. Kosten- bzw. Gebührenschuldner ist derjenige, der zur Amtshandlung Anlass gegeben hat (§ 5 Abs. 1 Satz 1 NVwKostG). In § 1 Abs. 1 der aufgrund von § 3 NVwKostG ergangenen allgemeinen Gebührenordnung ist unter anderem bestimmt, dass für Amtshandlungen der Landesverwaltungen Gebühren und Pauschbeträge für Auslagen nach dieser Verordnung und dem nachstehenden Kostentarif zu erheben sind. In Nr. 108.1.4.1 des Kostentarifs ist geregelt, dass für die Beförderung von Personen mit Fahrzeugen der Polizei je angefangene halbe Stunde einer oder eines jeden mit dem Fahrzeug eingesetzten Bediensteten der Polizei 25 Euro und nach Nr. 108.1.4.2 je gefahrenen Kilometer mit einem Kraftfahrzeug 0,60 Euro, mindestens 15 Euro, zu erheben sind.

14

Die Voraussetzungen für eine Gebührenerhebung nach dieser Vorschrift sind erfüllt. Die Klägerin ist von zwei Polizeibeamten in einem Dienst-Kfz transportiert worden. Sie hat auch entgegen ihrer Auffassung zu diesem Transport Anlass gegeben.

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Verwaltungsrechtlicher Veranlasser ist derjenige, dem die Verwaltung im Rahmen einer den Leistungsgegenstand betreffenden Rechtsbeziehung eine für den Veranlasser rechtlich relevante - insofern individuell zurechenbare und damit zu entgeltende - Leistung erbringt. Maßstab der Veranlassung im kostenrechtlichen Sinne ist nicht eine rechtswissenschaftliche Kausalität. Deshalb setzt die individuelle Zurechenbarkeit nicht voraus, dass der Kostenschuldner das Leistungsverhalten willentlich in Gang gebracht und die Leistung selbst gewollt hat (vgl. Loeser/Barthel, NVwKostG, Kommentar, Stand 2005, § 1 Nr. 5.1.2.2 und 5.1.2.3 m.w.N.; VG Düsseldorf, Urteil vom 24.06.1981, KStZ 1982, S. 136, 139). Besonders gilt das in Fällen eines Unfalles, eines plötzlich eintretenden schweren Krankheitszustandes oder sonstiger Hilflosigkeit, weil es selbstverständlich ist, dass der Betroffene in derartigen Notlagen sofortige Hilfe erlangen will. Unter diesen besonderen Umständen reicht es deshalb aus, wenn im Zeitpunkt des Leistungsempfanges ein latenter Wille vorhanden ist, auf den aus Willensäußerung und Verhaltensweisen vor Verlust der aktuellen Entscheidungsfreiheit geschlossen werden kann (vgl. VG Düsseldorf a.a.O.). Unstreitig ist die Klägerin in der Nacht am 29.11.2007 von den Polizeibeamten in einem Zustand angetroffen worden, in dem ihre Handlungsfreiheit sehr stark eingeschränkt war. Sie war offensichtlich nicht mehr in der Lage, ohne fremde Hilfe nach Hause zu kommen. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin, hätte sie den Vorfall am 29.11.2007 vorhergesehen, mit einem Transport in dem Dienst-Kfz der Polizei zu ihrer Wohnung nicht einverstanden gewesen wäre, ergeben sich nicht. Vielmehr hat sich die Klägerin im Rahmen der Anhörung ausdrücklich bei den Beamten für die Fahrt nach Hause bedankt. Auf die Frage, ob der Zustand der Klägerin willentlich durch den Konsum übermäßigen Alkohols oder durch das Verabreichen so genannter KO-Tropfen herbeigeführt wurde, kommt es deshalb im Rahmen der kostenrechtlichen Veranlassung nicht an. Eine willentlich erzielte Inanspruchnahme der zu entgeltenden öffentlichen Leistung ist nicht erforderlich. Insoweit ist § 5 Abs. 1 Satz 1 NVwKostG weit auszulegen. Andernfalls könnten in Fällen, die ohne Willen oder sogar gegen den Willen des Kostenbetroffenen zu Amtshandlungen führen, keine Kosten erhoben werden, obwohl - wie der vorliegende Fall zeigt -, eine erhöhte Pflicht zur Hilfeleistung und damit zu der Amtshandlung besteht.

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Unabhängig davon spricht aus Sicht des Gerichts einiges dafür, dass die Klägerin aufgrund des Genusses einer Vielzahl alkoholischer Getränke nicht mehr in der Lage war, allein nach Hause zu finden. Die Klägerin hat 11 alkoholische Getränke unterschiedlichster Art (Glühwein, Bier und Jägermeister) durch einander getrunken. Dieser Konsum ist - auch wenn er sich über den ganzen Abend hinzog - durchaus geeignet, die Steuerungsfähigkeit stark einzuschränken. Für die Auffassung der Klägerin, ihr seien von einer unbekannten dritten Person so genannte KO-Tropfen verabreicht worden, gibt es dagegen keinerlei Hinweise. Die Klägerin hat weder näher beschrieben, ob sie sich mit fremden Personen unterhalten hat, die ihr die Tropfen in ihr Getränk getan haben könnten, aus welchem Grund und bei welcher Gelegenheit dies hätte erfolgen sollen, noch warum dies von der sie begleitenden Freundin bzw. Freunden nicht erkennbar gewesen war. Der Vortag der Klägerin erscheint insoweit wenig glaubhaft. Die Beklagte hat die Klägerin deshalb zu Recht zu den Kosten des Transportes herangezogen.

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Die Berechnung der Kosten begegnet ebenfalls keinen Zweifeln. Der Einsatz hat ausweislich des polizeilichen Protokolls gut eine Stunde gedauert. Angesichts der Umstände des Einzelfalles, dass die Klägerin die Handtasche ihrer Freundin dabei hatte und sich unter der von ihr angegebenen Telefonnummer nur ein Anrufbeantworter meldete, mussten die Polizeibeamten erst ihre Identität und Wohnanschrift ermitteln. Ein Zeitaufwand von einer Stunde erscheint dafür nicht überdimensioniert.