Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 14.10.2008, Az.: 2 A 13/07
Besteuerungsgrundlage, geschätzte; Einkommensermittlung; Steuerbescheid, bestandskräftiger; Steuerbescheid: Bindung an
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 14.10.2008
- Aktenzeichen
- 2 A 13/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 45343
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2008:1014.2A13.07.0A
Rechtsgrundlagen
- 20 I Nr. 4 BAföG
- 21 I BAföG
- 24 II BAföG
Amtlicher Leitsatz
Ausbildungsförderungsämter sind bei der Einkommensermittlung nach § 21 BAföG an bestandskräftige Steuerbescheide auch dann gebunden, wenn die Besteuerungsgrundlagen geschätzt wurden.
Tatbestand:
Die Klägerin studierte seit dem Wintersemester 2002/2003 Biologie an der Beklagten. Sie erhielt von dem in Ausbildungsförderungsangelegenheiten namens und im Auftrage der Beklagten handelnden Studentenwerk H. Leistungen der Ausbildungsförderung. Mit Bescheid vom 31. Mai 2005 erfolgte diese Förderung für den Bewilligungszeitraum April 2005 bis März 2006 unter dem Vorbehalt der Rückforderung, weil der für die Einkommensberechnung maßgebliche Steuerbescheid der Eltern der Klägerin für den Veranlagungszeitraum 2003 noch nicht vorlag (§ 24 Abs. 2 BAföG). Diesen bestandskräftigen Steuerbescheid legte die Klägerin im Dezember 2006 vor. Er wies für den Vater der Klägerin 22 000,00 Euro Einkünfte aus Gewerbebetrieb und für deren Mutter 13 000,00 Euro aus nichtselbständiger Arbeit aus. Die Einkünfte waren von der Finanzbehörde geschätzt worden, weil die Eltern der Klägerin entgegen ihrer gesetzlichen Verpflichtung und trotz Aufforderung eine Steuererklärung für 2003 nicht abgegeben hatten.
Unter Berücksichtigung dieser Einkünfte berechnete die Beklagte die der Klägerin zustehenden Ausbildungsförderungsleistungen mit Bescheid vom 29. Dezember 2006 neu und gelangte zu einer Überzahlung in Höhe von 4 954,00 Euro. Diesen Betrag forderte die Beklagte von der Klägerin mit demselben Bescheid, den die Beklagte zunächst weiter unter den Vorbehalt der Nachprüfung stellte, zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 30. Januar 2007 Klage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen geltend macht, sie dürfe nicht für die Nachlässigkeiten ihrer Eltern bestraft werden; dies sei verfassungswidrig. Die vom Finanzamt Bad Gandersheim geschätzten Einkünfte ihrer Eltern seien zu hoch angesetzt.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2006 aufzuheben.
Die Beklagte, die den Nachprüfungsvorbehalt in der mündlichen Verhandlung aufgehoben hat, beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie sieht sich an die Festsetzungen des Einkommensteuerbescheides der Eltern der Klägerin für den Veranlagungszeitraum 2003 gebunden und meint, die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Berechnung sei auch der Höhe nach richtig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2006 ist nach Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 20 Abs. 1 Nr. 4 BAföG. Er lautet: Haben die Voraussetzungen für die Leistung von Ausbildungsförderung an keinem Tag des Kalendermonats vorgelegen, für den sie gezahlt worden ist, so ist insoweit der Bewilligungsbescheid aufzuheben und der Förderungsbetrag ist zu erstatten, als Ausbildungsförderung unter dem Vorbehalt der Rückforderung geleistet worden ist.
Mit Bescheid vom 31. Mai 2005 sind der Klägerin zutreffend Leistungen gemäß § 24 Abs. 2 Satz 2 BAföG unter dem Vorbehalt der Rückforderung bewilligt worden, weil der Einkommensteuerbescheid ihrer Eltern für den gemäß § 24 Abs. 1 BAföG für die Einkommensermittlung ab April 2005 maßgeblichen Veranlagungszeitraum 2003 noch nicht vorgelegen hat. Nachdem die Klägerin diesen Steuerbescheid vorgelegt hatte, hat die Beklagte die ihr zustehenden Förderleistungen sachlich und rechnerisch richtig neu ermittelt und ist zu einem rechtlich und rechnerisch nicht zu beanstandendem Rückforderungsbetrag in Höhe von 4 954,00 Euro gelangt.
Zu Unrecht wendet die Klägerin ein, sie werde für die (steuerliche) Nachlässigkeit ihrer Eltern bestraft und dies sei verfassungswidrig.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich die erkennende Kammer anschließt (so auch Rothe/Blanke, BAföG, § 21 Rn. 4.1), ist geklärt, dass die Ausbildungsförderungsämter bei der nach § 21 BAföG gebotenen Einkommensermittlung an bestandskräftige Einkommensteuerbescheide gebunden sind. Beispielhaft führt das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 12.05.1993 -11 C 9/92 -, BVerwGE 92, 272 [BVerwG 12.05.1993 - BVerwG 11 C 9.92] aus:
"Die vom Berufungsgericht offengelassene Frage, ob der Klägerin für das Jahr 1982 Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung anzurechnen sind, ist zu verneinen. Soweit die Bescheide des Beklagten die Klägerin in dieser Hinsicht mit (75 % von 1 302 DM *=) 976,50 DM belasten, verstößt dies gegen Bundesrecht, da diese Einkünfte im Steuerbescheid ihrem Ehemann zugeordnet sind. Mit Beschluß vom 9. Juli 1992 - BVerwG 5 B 113.92 - (Buchholz 436.36 § 21 BAföG Nr. 18 m.w.N.) hat das Bundesverwaltungsgericht in Fortführung seiner früheren Rechtsprechung klargestellt, daß die Ämter für Ausbildungsförderung auch bei der Berechnung des anrechenbaren Einkommens des Auszubildenden an den Inhalt bestandskräftiger Steuerbescheide gebunden sind. Tragender Grund dafür ist in erster Linie § 21 Abs. 1 BAföG, mit dem der Gesetzgeber auf die Entwicklung eines eigenständigen förderungsrechtlichen Einkommensbegriffs verzichtet hat. Daß in § 22 BAföG anders als in § 24 Abs. 2 Satz 3 BAföG, aber ebenso wie in § 24 Abs. 3 Satz 4 BAföG für die Einkommensermittlung nicht ausdrücklich an Steuerbescheide angeknüpft worden ist, ist deshalb nicht entscheidend.
Die angestrebte Entlastung der Ämter für Ausbildungsförderung würde ins Gegenteil verkehrt, wenn die Ämter trotz Vorliegens eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides für den maßgebenden Bewilligungszeitraum eigene Ermittlungen anstellen müßten. Dem würden nicht zuletzt Gründe der behördlichen Kompetenz entgegenstehen. Soweit es um die Einkommensteuerveranlagung sowie die dafür notwendigen Ermittlungen und Feststellungen geht, verfügen die zuständigen Finanzbehörden über die erforderliche Sachkunde und die angemessenen verfahrensrechtlichen Möglichkeiten. Im Rahmen dieses Verfahrens stehen dem Steuerpflichtigen Rechtsmittel zur Verfügung, die eine behördliche und notfalls gerichtliche Überprüfung durch die Finanzgerichte als die dazu berufenen Fachgerichte eröffnen (§§ 347 ff. AO, §§ 40 ff. FGO). Darüber hinaus besteht für die Finanzbehörde gemäß § 129 Satz 1 AO die Möglichkeit, Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Steuerbescheides unterlaufen sind, jederzeit zu berichtigen. Dies gilt unabhängig vom Eintritt der Unanfechtbarkeit des Steuerbescheides (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung/Nebengesetze, 16. Aufl. 1990, § 129 AO Anm. 3) und kann ggf. auch vom Amt für Ausbildungsförderung angeregt werden.
Dabei spielt es keine Rolle, ob die bestandskräftig zugrunde gelegten Einkünfte auf entsprechenden Erklärungen des Steuerpflichtigen oder, wie hier, auf Schätzungen beruhen. Erst Recht beim Fehlen jeglicher Angaben zu den tatsächlichen, vermeintlich wahren Einkommensverhältnissen, fehlen den Ausbildungsförderungsämtern die Möglichkeiten und die Kompetenz zur Überprüfung dieser Verhältnisse. Abgesehen davon hat die Klägerin bis zur mündlichen Verhandlung keine Angaben zu den aus ihrer Sicht wahren Einkommensverhältnissen ihrer Eltern gemacht. Aus diesem Umstand sowie aus der Tatsache, dass ihre Eltern gegen den Einkommensteuerbescheid für den Veranlagungszeitraum 2003 keinerlei rechtliche Schritte unternommen haben, schließt die Kammer, ohne dass es allerdings für die Entscheidung erheblich ist, dass die geschätzten Besteuerungsgrundlagen den tatsächlichen wohl sehr nahe kommen.
Verfassungswidrig ist hieran, entgegen der Ansicht der Klägerin, nichts. Vielmehr ist die Regelung in § 21 BAföG mit der ihr innewohnenden Typisierung und Generalisierung Ausfluss des verfassungsrechtlich abgesicherten Subsidiaritätsgebots, wie es in § 1 BAföG zum Ausdruck kommt. Danach besteht ein Anspruch auf individuelle Ausbildungsförderung nur, wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.9.1986 -1 BvR 363/86 -, FamRZ 1987, 907). Durch die Bindung an bestandkräftige Steuerbescheide wird eine solche Sicherung des Lebensunterhalts auch im Falle von geschätzten Besteuerungsgrundlagen vermutet, wenn die Einkünfte hoch genug sind. Härten in Einzelfällen sind unvermeidlich und hinzunehmen. Schließlich kann der Klägerin im Rahmen des § 20 Abs. 1 Nr. 4 BAföG auch Vertrauensschutz nicht gewährt werden. Ein Vertrauenstatbestand konnte nicht entstehen, weil die Leistungen von Anfang an unter dem Vorbehalt der Rückforderung gestanden haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.