Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 12.09.2008, Az.: 1 B 281/08
Cannabis; Drogenkonsum; einstweiliger Rechtsschutz; Entziehung; Erlaubnis; Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung; Fahrgastbeförderung; persönliche Zuverlässigkeit; Taxifahrer; Zuverlässigkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 12.09.2008
- Aktenzeichen
- 1 B 281/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 55122
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 3 StVG
- § 48 Abs 10 FeV
- § 38 Abs 4 FeV
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Der einmalige Drogenkonsum (Cannabis) bei einer privaten Fahrt begründet nicht die persönliche Unzuverlässigkeit eines Taxifahrers.
Gründe
Der Antrag, mit dem der Antragsteller vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz gegen die von der Antragsgegnerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung begehrt, hat Erfolg.
Diese Entscheidung beruht auf der vom Gericht im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorgenommenen Abwägung der Interessen des Antragstellers, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache von Vollzugsmaßnahmen verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse, die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs zu gewährleisten.
Nach der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung erweist sich die angefochtene Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. August 2008, dem Antragsteller zugestellt am 15. August 2008, nicht als offensichtlich rechtmäßig. Entgegen der Annahme der Antragsgegnerin besitzt der Antragsteller die erforderliche persönliche Zuverlässigkeit (derzeit) noch.
Rechtsgrundlage für die Entziehung der dem Antragsteller ausgestellten Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit Taxi und Mietwagen (Listennummer P 297/05) ist § 3 StVG i. V. m. § 48 Abs. 10 Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Danach ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn eine der aus § 48 Abs. 4 FeV erforderlichen Voraussetzungen fehlt. Nach § 48 Abs. 4 Nr. 2 FeV ist dies u.a. dann der Fall, wenn der Fahrerlaubnisinhaber nicht die Gewähr dafür bietet, der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht zu werden. Bei der Auslegung dieser Vorschrift kann auf die Rechtsprechung zum Tatbestandsmerkmal der persönlichen Zuverlässigkeit der bis zum 31.12.1998 geltenden §§ 15 e Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Halbs. 2, 15 f Abs. 2 Nr. 3 StVZO zurückgegriffen werden (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 28.07.2006, 12 ME 121/06, juris). Die persönliche Zuverlässigkeit bezeichnet eine persönliche Charaktereigenschaft, die die Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen kennzeichnet und für deren Prüfung wesentlich darauf abzustellen ist, ob der Betroffene sich des Vertrauens, er werde die Beförderung von Fahrgästen ordentlich ausführen, würdig erweist oder nicht (Nds. OVG, a. a. O. m. w. N.). Dies ist nicht der Fall, wenn nach umfassender Würdigung der Gesamtpersönlichkeit anhand aller Umstände des Einzelfalles ernsthaft zu befürchten ist, dass der Fahrzeugführer die besonderen Sorgfaltspflichten, die ihm bei der Beförderung von Fahrgästen obliegen, zukünftig missachten wird (vgl. Sächsisches OVG, Beschluss vom 15.05.2008, 3 BS 411/07, juris). Angesichts des ordnungsrechtlichen Charakters der Vorschriften über die Erteilung und die Entziehung der Fahrerlaubnis ist die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Kraftfahrer erstmals oder erneut gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften verstoßen wird, von wesentlichem Gewicht, soweit sich die individuelle Rückfallwahrscheinlichkeit aufgrund von Tatsachen hinreichend sicher feststellen lässt. Dies gilt insbesondere für Inhaber einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung (vgl. VG Gera, NZV 1997, 95). Eine einmalige Trunkenheitsfahrt braucht beispielsweise die Zuverlässigkeit nicht auszuschließen (vgl. Hentschel, Straßenrecht, 38.Aufl., § 48 FeV Rn.12).
Gemessen an diesen Maßgaben und der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Rechts- und Sachlage fehlt es dem Antragsteller nicht offensichtlich an der erforderlichen persönlichen Zuverlässigkeit.
Die Antragsgegnerin hat in dem angefochtenen Bescheid ihre Entscheidung auf eine Fahrt des Antragstellers am 30.05.2008 um 19.22 Uhr unter Drogeneinfluss gestützt. Der Antragsteller war an diesem Tag kontrolliert worden, als er mit seinem Kleinkraftroller in Göttingen im Straßenverkehr unterwegs war. Ein durchgeführter Drogenschnelltest verlief positiv auf THC. Eine anschließend angeordnete Blutuntersuchung ergab einen THC-Wert von 18 ng/ml und einen THC-COOH-Wert von 74 ng/ml. Ursprünglich hob die Antraggegnerin wesentlich auf eine Aussage im polizeilichen Feststellungsbericht ab, in dem aufgenommen war, dass "den Äußerungen des Antragstellers bei der Befragung durch die Polizei zu entnehmen sei, dass er am Kontrolltag (dem 30.05.2008) zuvor 10 Stunden als Taxifahrer gearbeitet" habe. Dies würde sicher den Entzug der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung rechtfertigen, weil der Antragsteller in diesem Fall das Leben und die Gesundheit der Fahrgäste und damit deren höchste Schutzgüter gefährdet hätte. Der Antragsteller hat aber dargelegt, dass er am 30.05.2008 nicht als Taxifahrer gearbeitet hat. Neben einer eidesstattlichen Versicherung und der Benennung von zwei Zeugen, hat er noch eine Bescheinigung seines Arbeitgebers vorgelegt, dass er am 30.05.2008 keinen Dienst hatte. Das Gericht hat keine Anhaltspunkte und auch von der Antragsgegnerin sind keine Gründe vorgetragen worden, dass insbesondere die Bescheinigung nicht der Wahrheit entspricht. Angesichts der eher vagen Formulierung im Polizeibericht geht das Gericht derzeit von der Richtigkeit der Aussage des Antragstellers aus, am 30.05.2008 nicht Taxi gefahren zu sein. Die Antragsgegnerin hat nach Vorlage der Bescheinigung ihre Begründung zur Entziehung der Fahrerlaubnis dahingehend ergänzt, dass nicht die Arbeit als Taxifahrer am Kontrolltag von entscheidender Bedeutung für die Entziehung sei, sondern der Drogenkonsum an sich bereits die persönliche Unzuverlässigkeit begründe. Diese Auffassung teilt das Gericht nicht. Dem Gericht sind bisher weder (Verkehrs-)Ordnungswidrigkeiten noch Straftaten des Antragstellers bekannt, so dass davon auszugehen ist, dass es sich um seine erste Verfehlung handelt. Er hat unwidersprochen vorgetragen, dass er seit über 20 Jahren unfallfrei fährt. Anhaltspunkte, dass der Antragsteller regelmäßig Drogen konsumiert, gibt es bisher nicht. Tatsachen, die eine erneute Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr unter Drogeneinfluss befürchten lassen, liegen bisher nicht vor. Dies kann sich aufgrund des Ergebnisses des medizinisch-psychologischen Gutachtens ändern, das die Antragsgegnerin im Rahmen der Prüfung der Fahreignung des Antragstellers im Hinblick auf seine Fahrerlaubnis der Klassen A, BE, C1E, CE, M, L und T angefordert hat. Unter Berücksichtigung der derzeitigen Sachlage rechtfertigt ein einmaliger Cannabiskonsum bei einer privaten Fahrt allerdings nicht die Prognose, der Antragsteller werde zukünftig seiner besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen nicht gerecht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und bemisst das Interesse des Antragstellers am vorliegenden Verfahren. Im Hauptsacheverfahren wäre für die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung in Anlehnung an Abschnitt II. Nr. 46.12 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in NVwZ 2004, 1327 ff.) der doppelte Auffangwert in Höhe von 5.000 Euro, also 10.000 Euro, zugrunde zu legen. Im Hinblick auf den vorläufigen Charakter des gerichtlichen Eilverfahrens ist dieser Betrag gemäß Abschnitt II. Nr. 1.5. Satz 1 des Streitwertkatalogs auf 5.000 Euro zu halbieren.