Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 09.09.2008, Az.: 2 A 537/05
Familienmitglied; Pflegekind; Pflegekindschaftsverhältnis
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 09.09.2008
- Aktenzeichen
- 2 A 537/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 45333
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2008:0909.2A537.05.0A
Rechtsgrundlage
- 4 I Nr. 7 WoGG
Amtlicher Leitsatz
Abgrenzung eines Pflegekindschaftsverhältnisses zu anderen familienähnlichen Formen des Zusammenlebens zwischen Erwachsenen und Kindern
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten Wohngeld für die Zeit vom 1. Juli bis 27. November 2005. Er war in dieser Zeit Untermieter einer 65 m2 großen Wohnung; die von ihm genutzte Wohnfläche betrug 27,5 m2. Er zahlte hierfür ausweislich einer Mietbescheinigung vom 9. August 2005 210,00 Euro. Der Kläger ist der Vater des am ... geborenen G.C.; die nicht in seinem Haushalt lebende Mutter ist Frau H.I.. Frau I. hat ein weiteres Kind, die am ... geborene Tochter J., für die sie das Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrecht hat. Die Betreuung der Kinder übernahmen der Kläger und Frau I. zu gleichen Teilen; mit gemeinsamer Erklärung des Klägers und Frau I. vom 28. Juli 2005 erklärten sie, dass die ihre Kinder J. und G. von ihnen zu gleichen Teilen betreut würden und sie auch gemeinsam, jeweils zur Hälfte für deren Unterhalt sorgten. Dem entsprechend lebten die Kinder etwa je zur Hälfte bei dem Kläger und Frau I.. J. erhielt von ihrem leiblichen Vater monatliche Unterhaltsleistungen in Höhe von 199,00 Euro. Der Kläger bezog im Streitzeitraum ein monatliches Krankengeld in Höhe von 826,00 Euro und das Kindergeld für G. in Höhe von 154,00 Euro monatlich.
Am 29. Juli 2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Wohngeld. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. Oktober 2005 ab. Sie legte dabei der Berechnung zwei Familienmitglieder, den Kläger und seinen Sohn G. sowie ein Einkommen des Klägers von monatlich 868,80 Euro, abzüglich eines 6 %-igen pauschalen Abzugs für Steuern und Sozialabgaben, gleich 816,67 Euro zugrunde. Die Miete kürzte sie um 0,95 Euro je Quadratmeter, wobei sie eine Wohnfläche von 30 m2 zugrunde legte, so dass sich eine zu berücksichtigende Miete von 181,50 Euro ergab.
Hiergegen hat der Kläger am 22. November 2005 Klage erhoben.
Zu deren Begründung macht er im Wesentlichen geltend, auch J. müsse zu seinen Gunsten bei der Berechnung als Familienmitglied berücksichtigt werden. Es bestehe zwischen ihm und ihr ein Pflegekindschaftsverhältnis. Jedenfalls bestehe eine Verbindung, die familienähnliche Qualität habe. Er sei sich mit der Mutter des Kindes, Frau I., einig, dass die Erziehung und Betreuung des Mädchens gemeinsam erfolgen solle und tatsächlich auch erfolgt.J. kenne ihren leiblichen Vater gar nicht und betrachte ihn, den Kläger als ihren Vater.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 19. Oktober 2005 zu verpflichten, dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli bis 27. November 2005 Wohngeld in gesetzlicher Höhe zu bewilligen,
hilfsweise
festzustellen, dass J.I. bei der Wohngeldberechnung für den Kläger mit als Haushaltsmitglied zu berücksichtigen sei bzw. im Streitzeitraum war.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem klägerischen Vorbringen in der Sache entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist mit dem Hauptantrag zulässig aber unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2005 ist rechtmäßig und der Kläger hat einen Anspruch auf die begehrten Wohngeldleistungen nicht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Zutreffend hat die Beklagte bei der Berechnung des dem Kläger zustehenden Wohngeldes nur zwei Familienmitglieder berücksichtigt.J.I. ist kein Familienmitglied des Klägers im Sinne von § 4 WoGG. Die Anwendung der Nr. 1. bis 3 der Vorschrift scheidet ersichtlich von vornherein aus.J. kann auch nicht als Pflegekind im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 7 WoGG beim Kläger berücksichtigt werden.
Das Wohngeldgesetz selbst enthält eine Definition des Pflegekindesbegriffs nicht. Eine solche findet sich indes in § 32 Abs. 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (ähnlich in § 2 Abs. 1 Nr. 2 Bundeskindergeldgesetz a.F.). Im Interesse der Einheit der Rechtsordnung ist diese Begriffsbestimmung auch für das Wohngeldrecht maßgeblich. Danach sind Pflegekinder Personen, mit denen der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht. Diese Voraussetzungen erfüllt J. im Verhältnis zum Kläger aus zwei Gründen nicht.
Zum einen hat der Kläger sie nicht in seinen Haushalt aufgenommen. Denn dies setzt voraus, dass das Kind durchgängig im Haushalt der Pflegeperson lebt. Dies ist nicht der Fall, da sich der Kläger und Frau H.I., die nicht im Haushalt des Klägers wohnt, die Betreuung von J. teilen. Zum anderen setzt ein Pflegekindschaftsverhältnis voraus, dass ein Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht. Das ist nach dem eben Gesagten und dem klägerischen Vortrag nicht der Fall. Frau I. steht das Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Tochter zu und sie übt es, gemeinsam mit dem Kläger, auch tatsächlich aus. Wohngeldrechtlich ist J. daher, trotz der vom Kläger geschilderten und tatsächlich vorhandenen familienähnlichen Beziehung nicht als Familienmitglied des Klägers anzusehen; sie ist, wie jeder andere Besucher, wohngeldrechtlich nicht anspruchserhöhend zu berücksichtigen.
Die Begrenzung der Familienmitglieder durch § 4 WoGG auf den herkömmlichen Familienbegriff ist vom Gesetzgeber gewollt und verfassungsrechtlich unbedenklich. Nicht jeder neue Familienentwurf, so wie ihn auch der Kläger, Frau I. und J. leben, muss verfassungsrechtlich zu einer Erhöhung staatlicher Sozialleistungen führen, wenn und soweit dieser Entwurf nicht in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 GG fällt (vgl. Stadler/Gutekunst, WoGG, § 4 Rn. 3; Buchsbaum/Hartmann, Wohngeldrecht, § 1 Rn 13). Eine derart geschützte Beziehung besteht zwischen dem Kläger und J.I. nicht.
Selbst wenn man, entgegen dem oben für Richtig erachteten, J. als Familienmitglied des Klägers im Sinne von § 4 Abs. 1 WoGG ansehen wollte, hätte der Kläger den geltend gemachten Anspruch nicht. Insoweit verweist die Kammer zur Vermeidung von Wiederholungen auf ihren Prozesskostenhilfebeschluss vom 21. Januar 2008, bestätigt durch Beschluss des Nds. Oberverwaltungsgerichts vom 10. Juni 2008.
Die Berechnung des Wohngeldanspruchs erfolgte in dem angefochtenen Bescheid unter Zugrundelegung von zwei Familienmitgliedern zutreffend. Die Beklagte hat zutreffend pro Quadratmeter gemietete Wohnfläche 0,80 Euro für Heizung und 0,15 Euro für Warmwasser pauschal von der zu berücksichtigenden Miete in Abzug gebracht. Dagegen ist nichts zu erinnern; diese Kosten zählen gemäß § 5 Abs. 2 WoGG nicht zur berücksichtigungsfähigen Miete. An dem Ergebnis, ein Wohngeldanspruch bestehe nicht, würde sich auch nichts ändern, wenn statt von einer Wohnungsgröße von 30 Quadratmetern von einer solchen von 27,5 Quadratmetern, wie vom Kläger angegeben, ausgehen würde.
Mit dem hilfsweise gestellten Feststellungsantrag ist die Klage unzulässig.
Gemäß § 43 Abs. 2 VwGO kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann. Dies ist hier der Fall, da die Frage, ob J.I. wohngeldrechtlich als Familienmitglied des Klägers zu berücksichtigen ist, im Rahmen der, hier zulässigerweise auch erhobenen, Verpflichtungsklage geklärt werden und damit das entsprechende Recht verfolgt werden kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.