Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 16.03.2005, Az.: 3 A 1136/05
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 16.03.2005
- Aktenzeichen
- 3 A 1136/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 43264
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2005:0316.3A1136.05.0A
Tatbestand:
Der am ... 1998 in B. geborene Kläger ist palästinensischer Volkszugehörigkeit, leidet u.a. an Pseudokrupp und rezidivierenden Infekten und begehrt die Feststellung, dass hinsichtlich seiner Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen. Er reiste gemeinsam mit seinen Eltern und einer Schwester (den Klägern zu 1 bis 2 und zu 4 aus dem Verfahren 3 A 3684/00) im August 2000 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo seine Eltern am 28. August 2000 in Oldenburg zu ihrem Asylbegehren angehört wurden.
Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 18. September 2000, zugestellt am 19. September 2000, lehnte die Beklagte die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte sowie die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und des § 53 AuslG ab und forderte den Kläger (sowie die zuvor genannten Familienangehörigen) unter Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat zur Ausreise binnen Monatsfrist auf. Zur Begründung heißt es, die von der Mutter im Rahmen der Anhörung erwähnte ‚Asthmaerkrankung‘ des Klägers führe zu keiner anderen Beurteilung des Sachverhalts; es handele sich bei diesen Beschwerden offensichtlich um sporadisch auftretende Schwierigkeiten, die nach Angaben der Mutter auf eine allergische Reaktion zurückzuführen seien. Jedenfalls nach dem vorliegenden Akteninhalt sei diese Erkrankung nicht derart akut, dass eine dauerhafte ärztliche Behandlung angezeigt wäre.
Darauf hat der Kläger am 4. Oktober 2000 (dem auf einen gesetzlichen Feiertag folgenden Werktag) Klage erhoben, die im vorliegenden Verfahren allein gerichtet ist auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Er macht insbesondere geltend, seine erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und die Gefahr, der er bei Rückkehr in den Irak ausgesetzt wäre, ergäben sich aus den ärztlichen Stellungnahmen der Fachärztin Dr. A. W. vom 29. Juli 2003 und vom 6. März 2005.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, hinsichtlich seiner Person das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG festzustellen, und den angegriffenen Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 18. September 2000 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden sowie des Verfahrens 3 A 3684/00 mit den beigezogenen Akten der Beklagten, des Landkreises H. und des Verwaltungsgerichts Lüneburg 1 A 371/01 (einschließlich der dortigen Beiakte) Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die nach Übertragungsbeschluss der Kammer vom 13. Januar 2005 der Einzelrichter entscheidet, hat Erfolg.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (iVm § 77 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz AsylVfG) soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Abgesehen von der die Rechtsfolgenverknüpfung betreffenden Änderung ("soll" statt "kann") entspricht der Wortlaut des § 60 Abs. 7 AufenthG dem des § 53 Abs. 6 AuslG. § 60 Abs. 7 AufenthG unterscheidet nicht danach, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird. Für die Frage, wann eine 'Gefahr' im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt, ist im Ansatz auf den Prognosemaßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" zurückzugreifen. Insoweit liegt ein Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, wenn die für die Annahme einer erheblichen Rechtsgutverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Gesichtspunkte. Dabei muss die Schwere der drohenden Rechtsgutverletzung beim anzulegenden Maß der Eintrittswahrscheinlichkeit berücksichtigt werden. Eine nur theoretische Möglichkeit des Eintritts der befürchteten Rechtsgutverletzung reicht jedoch für eine tatbestandsmäßige Gefahrensituation nicht aus. Darüber hinaus statuiert der Begriff der 'Konkretheit' der Gefahr in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten, erheblichen Gefährdungssituation, die sich alsbald realisiert. Schutz wegen einer beachtlich wahrscheinlichen, erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit kann nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zudem nur gewährt werden, wenn diese landesweit droht.
§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst nur sogenannte zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, d. h nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen des Abschiebungszielstaates begründet sind. Demgegenüber zählen Gefahren, die sich allein als Folge der Abschiebung oder im Zusammenhang mit der Abschiebung als solcher ergeben, grundsätzlich nicht zu den von der Beklagten im Verfahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigenden Gefahren, sondern sind als sogenannte inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse von der Ausländerbehörde bei Vollzug zu beachten. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann vorliegen, wenn dem Ausländer im Abschiebezielstaat erhebliche Gesundheitsgefahren drohen. Dies ist nicht zuletzt dann anzunehmen, wenn ein Ausländer bereits in der Bundesrepublik Deutschland an einer Krankheit leidet, die sich im Falle der Rückkehr in sein Heimatland bzw. den Herkunftsstaat verschlimmert, weil sie im Abschiebezielstaat nicht hinreichend behandelt werden kann. Dabei ist von einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben auszugehen, wenn sich der Gesundheitszustand wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Konkret ist diese Gefahr, wenn die wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr ins Heimatland zu erwarten ist. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis im Hinblick auf eine Erkrankung kann auch dann vorliegen, wenn die Krankheit im Abschiebezielstaat zwar grundsätzlich hinreichend behandelbar ist, der Ausländer die verfügbare medizinische Versorgung tatsächlich jedoch nicht erlangen kann. Ein Grund dafür kann auch das Fehlen ausreichender finanzieller Mittel sein.
Allerdings sollen gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG solche Gefahren nicht zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist. Grundsätzlich soll in diesen Fällen Abschiebungsschutz durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a AufenthG gewährt werden. Mit dieser Regelung kann erreicht werden, dass dann, wenn eine bestimmte Gefahr einer Bevölkerungsgruppe, d.h. einer großen Zahl der im Abschiebezielstaat lebenden Personen gleichermaßen droht, über deren Aufnahme oder Nichtaufnahme nicht im jeweiligen Einzelfall, sondern für die ganze Gruppe der potentiell Betroffenen einheitlich durch eine ministerielle Leitentscheidung befunden wird. Daraus folgend kann bei bestehender konkreter erheblicher Gefahr die Anwendbarkeit des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Verfahren eines einzelnen Ausländers gleichsam "gesperrt" sein, wenn dieselbe Gefahr zugleich einer Vielzahl weiterer Personen im Abschiebezielstaat gleichermaßen droht. Bei in diesem Sinne allgemeinen Gefahren im Abschiebezielstaat ist aber eine Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG in verfassungskonformer Gesetzesauslegung geboten, wenn Gefahren für Leib oder Leben in extremer Weise drohen, d.h. wenn der einzelne Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Bei Vorliegen einer solchen Extremgefahr ist dem einzelnen Ausländer unabhängig von einer Entscheidung nach §§ 60 Abs. 7 Satz 2, 60a AufenthG (jedenfalls) Schutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.
Es steht zur Überzeugung des erkennenden Einzelrichters fest, dass beim Kläger - sogar - eine Extremgefahr im vorbezeichneten Sinne gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt. Bei Rückkehr in den Herkunftsstaat - Irak - drohen dem Kläger schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen, die sogar bis zum Tode führen könnten.
Zwar ist das mit Schriftsatz des Klägers vom 21. Juli 2003 vorgelegte ärztliche Attest der Fachärztin Dr. A. W. vom 20. April 2003 nicht geeignet, Aussagen in Bezug auf die Person des Klägers herzuleiten, da es sich allein auf dessen Bruder O. M., geb. ... 2001, Kläger im Verfahren VG Lüneburg 1 A 371/01, bezieht. Doch bereits in dem ärztlichen Attest derselben Ärztin vom 29. Juli 2003 (Bl. 46/47 der Gerichtsakte) ergibt sich auch mit Blick auf die Person des Klägers, und nicht nur allein bezogen auf die Person des Bruders O., dass beim "Ausbleiben der Behandlung ... lebensbedrohliche Luftnotanfälle beim Kind auftreten" können. Denn nach dieser fachärztlichen Stellungnahme leidet der Kläger unter rezidivierenden Laryngotracheobronchitiden. Diese machten eine konsequente Inhalationsbehandlung und die teilweise starken Luftnotanfälle machten eine sofortige Cortisonbehandlung und eine Epinephrininhalationsbehandlung erforderlich. Schon hier wird deutlich, dass aus fachärztlicher Sicht - an deren Richtigkeit das Gericht Anlass zu Zweifeln nicht hat - Akutbehandlungen wegen auftretender starker Luftnotanfälle notwendig sind und dass ferner bei Ausbleiben einer solchen Akutbehandlung lebensbedrohliche Zustände auftreten können. Erst recht ergibt sich dies aus der weiteren Stellungnahme derselben Fachärztin vom 6. März 2005 (Bl. 84 - 86 der Gerichtsakte), wonach neben rezidivierenden Virusinfekten insbesondere Pseudokruppanfälle beim Kläger bestehen. Die Akutbehandlung bei einem Anfall besteht in Inhalationsbehandlung und Cortisongabe, teilweise muss allerdings zur Vermeidung von Luftnot darüber hinaus mit Epinephrin inhaliert werden.
Nach den glaubhaften Angaben der Eltern des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 16. März 2005, insbesondere den Ausführungen der Mutter des Klägers, von deren persönlicher Glaubwürdigkeit der Richter aufgrund des von ihr gewonnenen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung überzeugt ist, ergibt sich ferner, dass der Kläger bereits vor Ausreise aus dem Irak mehrfach im ...-Krankenhaus in B. wegen des Auftretens von Luftnotanfällen behandelt werden musste (es darf hier offen bleiben, ob der im angegriffenen Bescheid der Beklagten insoweit angeführte Begriff "Asthmaerkrankung" zutreffend ist). Schon im Irak waren etwa einmal in der Woche Luftnotanfälle beim Kläger zu beobachten. Notfallmedizinisch musste der Kläger zwar nicht wöchentlich, aber doch bei gefährlicheren Anfällen gelegentlich in das bezeichnete Krankenhaus gebracht werden.
In Deutschland ist der Kläger zunächst in Oldenburg - am damaligen Wohnort seiner Familie - zwei Tage lang stationär im Krankenhaus behandelt worden. Nach Wohnortwechsel ist die Familie des Klägers kinderärztlich (durch die o.a. Fachärztin) eng und intensiv betreut worden, so dass die Eltern des Klägers sich in die Lage versetzt sahen, insbesondere auch durch die zur Verfügung gestellten Medikamente und elektrischen Inhalationsgeräte, bei Luftnotanfällen des Klägers selber für Abhilfe zu sorgen. So konnten sie in der Regel selber - ohne stationäre Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen - in der Winterzeit regelmäßig ein- bis zweimal wöchentlich auftretende Luftnotanfälle des Klägers durch Inhalation mit den verordneten Medikamenten abmildern. Dennoch kam es auch am neuen Wohnort bei Auftreten von sehr schweren Anfällen zu der Situation, dass sie sich und dem Kläger nicht mehr helfen konnten und der Kläger einmal mit dem Rettungswagen und einmal durch Hilfe einer Freundin in das M.-...-Krankenhaus in H. gebracht werden musste. Aufgrund einer fachärztlichen Stellungnahme der betreuenden Kinderärztin (s.o.) haben die Kläger sogar ihre Wohnung am Wohnort wechseln müssen.
Nach diesen Feststellungen muss das Gericht davon ausgehen, dass beim Kläger eine Krankheit vorliegt, die sowohl permanenter Behandlungsfähigkeit im ambulanten Bereich, d.h. im Wohnbereich durch den Einsatz von medizinischem Gerät (z.B. elektrischer Inhalator) als auch spezifischer Medikamente in unterschiedlichen Darreichungsformen (Cortison, Epinephrin, und anderes, sowohl in Flüssigform zur Zubereitung der Inhalation als auch in Zäpfchenform) bedarf, aber auch darüber hinaus zur Notfallbehandlung schwerster Anfälle der Unterstützung durch die Infrastruktur stationärer Einrichtungen, in die der Kläger spontan und zügig verbracht werden kann, um lebensbedrohlichen Zuständen effektiv begegnen zu können. Wegen der Unberechenbarkeit von Luftnotanfällen bei Vorliegen der Grunderkrankung Pseudokrupp sowohl hinsichtlich des Zeitpunkts ihres Auftretens und der Häufigkeit als auch der Heftigkeit bzw. des Grades, ihres Ausmaßes und ihrer ggf. besonderen Gefährlichkeit bedarf daher der Kläger nicht nur der permanenten - vor allem nächtlichen - Betreuung durch seine Eltern oder andere Personen, die geschult sind im Umgang mit den Hilfsmitteln, sondern insbesondere auch der ständigen Verfügbarkeit dieser Hilfsmittel selber, damit diese zielgerichtet eingesetzt werden können. Auch bei Abhandenkommen von Hilfsmitteln müssen die Eltern in der Lage sein, diese sofort neu zu beschaffen. Zudem und darüber hinaus ist das Vorhandensein einer notfallmedizinischen Infrastruktur durch stationäre Einrichtungen, die im Bedarfsfalle zur Abwendung der lebensgefährlichen Zustände aufgesucht werden können, notwendig. All dies ist in Deutschland gewährleistet. Deshalb erweist sich auch die Krankheit in Deutschland unter der skizzierten Betreuung und Behandlung des Klägers nicht etwa als lebensbedrohlich für diesen. Aber dies muss auch für die Zukunft sichergestellt sein. Denn es ist nicht davon auszugehen, dass die Erkrankung beim Kläger einen abnehmenden Verlauf derzeit bereits nähme. Vielmehr ist aufgrund der überzeugenden Schilderungen der Eltern des Klägers sowie der Stellungnahmen der Fachärztin davon auszugehen, dass beim Kläger eine Verlaufsform vorliegt, die nicht etwa mit dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters gleichsam von sich aus abklingt, sondern eine Verlaufsform, die weiterhin noch den hohen Grad an Gefährlichkeit bestimmter Luftnotanfälle sowie die beim Kläger auftretende große Häufigkeit von Luftnotanfällen in sich birgt. Da weiterhin beim Kläger - immer noch - rezidivierende Virusinfekte diagnostiziert werden, kommt zudem der Erkrankung an Pseudokrupp besondere Bedeutung zu, da in dieser Kombination - wie gerichtsbekannt - Luftnotanfälle noch häufiger auftreten und noch gefährlicher sein können.
Bei Rückkehr in den Irak könnten die dargestellten notwendigen Betreuungsleistungen und Behandlungen nicht mehr erbracht werden.
Die Gesundheitsversorgung für die irakische Bevölkerung insgesamt hat sich noch nicht wieder stabilisiert. Insgesamt muss die Situation als schlecht bezeichnet werden. Im vorliegenden Verfahren kann dahinstehen, welche Rückschlüsse allgemeiner Art daraus zu ziehen wären. Jedenfalls hat nach dem in das Verfahren eingeführten Bericht des Deutschen Ärzteblattes (online) vom 22. November 2004, Bl. 77 der Gerichtsakte, auch die irakische Übergangsregierung durch ihren Gesundheitsminister öffentlich eingestanden, dass die Gesundheitsversorgung heute schlechter ist als je zuvor. Die Zahl der Patienten, die an Infektionskrankheiten sterben, dürfte die Zahl der Kriegstoten übersteigen. Jeder fünfte irakische Haushalt hat keinerlei Zugang zu sauberem Trinkwasser und die Zahl der Typhus-Erkrankungen ist explosionsartig angestiegen. Auch andere Krankheiten wie Tuberkulose seien im Anstieg. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist auf unter 60 Jahre gesunken. Jedes vierte Kind sei bereits heute unterernährt. In der Pädiatrie habe sich die medizinische Versorgungslage in den vergangenen Jahren eher noch mehr verschlechtert.
Insbesondere aber für die Person des Klägers gilt, dass er als palästinensischer Volkszugehöriger erst recht keinen Zugang zu der für ihn zwingend notwendigen Betreuung und Behandlung, insbesondere auch Beschaffung und Bereithaltung der technischen Hilfsmittel und notwendigen Medikamente sowie stationäre Notfallbehandlung, im Irak hätte. Denn abgesehen davon, dass nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9. November 2004 an das Verwaltungsgericht Potsdam (- 11 K 4956/96.A - Bl. 125 der Gerichtsakte) der Irak nicht in der Lage ist, größere Zahlen von Rückkehrern aufzunehmen, da laut inoffiziellen Aussagen 5.000.000 Wohneinheiten fehlten, dass vor allem aber nicht damit gerechnet werden kann, dass ein Palästinenser aufgenommen wird, ist davon auszugehen, dass ausgerechnet Palästinenser von den irakischen Obrigkeiten zwar toleriert werden und ihnen erlaubt wird, sich - auch in B. - aufzuhalten, dass sie dort aber hauptsächlich in Zeltlagern leben (UDI - Irakreisebericht, Amman, Dezember 2004, über: asylis-web, S. 110 ff.S. 119). Vor allem aber, und dies ist für das vorliegende Verfahren ebenso wie die schlechte Versorgung mit Wohnraum und dem Leben in Zelten von Bedeutung, wird ihnen im Rahmen der allgemeinen Diskriminierung der Zugang zu medizinischer Versorgung nicht in dem Umfang gewährleistet, wie er den übrigen Bevölkerungsteilen jedenfalls rudimentär gewährt wird (ebenda).
Daraus ergibt sich zur Überzeugung des Gerichtes, dass der Kläger bei gedachter Rückkehr in den Irak nicht in der Lage sein wird, sich (über seine Eltern oder sonstige Verwandte) mit den für ihn notfallmedizinisch indizierten Geräten, z.B. Inhalator, versorgen zu können und diese in Betrieb zu halten, ferner dass ihm dort nicht die zwingend notwendigen Medikamente (nur z.B: Cortison, Epinephrin, u.a., in Tropfen- bzw. Zäpfchenform) zur Verfügung stehen werden. Dabei braucht der Kläger sich nicht auf etwaige Angebote hiesiger Ausländerbehörden verweisen zu lassen, ihn jedenfalls übergangsweise mit solchen Mitteln auszustatten. Für das erkennende Gericht ist diese Frage für das Vorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse, bei denen es allein auf die Lage im Zielstaat der Abschiebung ankommt, nicht von Relevanz. Selbst wenn dies aber relevant wäre, so ist dem entgegenzuhalten, dass für den gedachten Fall einer Einreise, sei es auf dem Luftweg über den (zur Zeit wohl gesperrten) Flughafen B. oder auf dem Landweg, z.B. via Jordanien, zu Kontrollen käme, anlässlich derer spätestens mit Übergriffen und Entwendung jedenfalls gedanklicherweise gerechnet werden muss. Erst recht gilt, dass im Leben in den Zeltlagern auch nicht ein etwaig bereits vorhandener aus dem Ausland eingeführter Bestand an im Irak selten vorkommenden Mitteln weiter in den Händen des Klägers bzw. seiner Familie bliebe. Vielmehr wären die Kläger immer wieder darauf angewiesen, sich im Rahmen einer vorhandenen Infrastruktur z.B. über Apotheken oder ähnliches mit den notwendigen Mitteln eindecken zu können. Dies ist im Irak aber für sie nicht so möglich, wie notwendig. Letzteres gilt erst recht für die notfallmedizinische Versorgung zur Abwendung lebensbedrohlicher Luftnotanfälle in stationären Einrichtungen. Damit aber zugleich ist eine Rückkehr in den Irak als Zielstaat der Abschiebung ("Herkunftsstaat") nicht zumutbar, da die notwendige Betreuung und Behandlung nicht gesichert ist und bei Ausbleiben dieser Behandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein erheblicher Schaden an der Gesundheit des Klägers - wenn nicht gar am Leben des Klägers - alsbald eintreten würde.
Mithin liegt eine Extremgefahr im o.a. Sinne vor und sind mithin die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich der Person des Klägers erfüllt.
Mit Blick auf § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist die Abschiebungsandrohung im angegriffenen Bescheid hinsichtlich der Person des Klägers rechtswidrig und aufzuheben. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO.