Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 04.03.2005, Az.: 7 B 885/05
Abschiebungsverbot; Antragsfrist; Asylverfahren; vorläufiger Rechtsschutz; Wiedereinsetzung; Zuwanderungsgesetz; Zuwanderungsrecht
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 04.03.2005
- Aktenzeichen
- 7 B 885/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 50660
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 60 Abs 1 VwGO
- § 80 Abs 5 VwGO
- § 123 Abs 1 S 2 VwGO
- § 123 Abs 5 VwGO
- § 36 Abs 3 S 1 AsylVfG
- § 59 Abs 3 AufenthG
- § 60 Abs 7 S 1 AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Nach Inkrafttreten des Zuwanderungsrechts beurteilt sich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in asylrechtlichen Verfahren auch bezüglich eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nach § 80 Abs. 5 VwGO.
2. Hat der Asylbewerber bereits vor dem 1. Januar 2005 gegen die mit dem Bescheid des Bundesamtes verfügte Abschiebungsandrohung Klage erhoben, ist ihm - bezogen auf sein Begehren nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG - für einen nunmehr eingelegten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes für die versäumte Antragsfrist nach § 36 Abs. 3 S. 1 AsylVfG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 Abs. 1 VwGO) zu gewähren.
Gründe
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der am 1. Juli 2004 erhobenen Klage gegen die mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 23. Juni 2004 verfügte Abschiebungsandrohung und Ausreisefrist ist zulässig und begründet.
1. Der Antrag ist zulässig. Ob der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes verspätet erhoben worden ist, bleibt offen. Aus den Verwaltungsvorgängen des Bundesamtes ergibt sich nicht zweifelsfrei, dass der angefochtene Änderungsbescheid vom 23. Juni 2004 eine den Anforderungen des § 36 Abs. 3 S. 2 AsylVfG genügende Rechtsbehelfsbelehrung enthielt und infolgedessen unter Beachtung der §§ 36 Abs. 3 S. 3 AsylVfG, 58 VwGO eine einwöchige Antragsfrist gilt. In den Verwaltungsvorgängen befinden sich zunächst zwei unrichtige Rechtsbehelfsbelehrungen (Bl. 7 und 9) mit Hinweis auf eine zweiwöchige Klagefrist. Zum anderen befindet sich in der Beiakte (Bl. 13) eine richtige Rechtsbehelfsbelehrung mit Hinweis auf die einwöchige Klagefrist sowie darauf, dass eine gegen den Bescheid erhobene Klage keine aufschiebende Wirkung habe. Auf Nachfrage teilte der Vertreter der Antragsgegnerin mit, dass aufgrund des automatisierten Verfahrens bei der Ausfertigung des Bescheides verschiedene Rechtsbehelfsbelehrungen in der elektronischen Akte archiviert worden seien, jedoch - nach Überprüfung der internen Aktendokumentation - die Rechtsbehelfsbelehrung mit einwöchiger Klagefrist dem angefochtenen Bescheid beigefügt worden sei. Indes lässt sich dies der übersandten Beiakte nicht entnehmen.
Auch wenn das Gericht keine Zweifel an der Richtigkeit der telefonischen Auskunft des Vertreters der Antragsgegnerin hat, hat die Antragsgegnerin darzulegen und trägt sie die materielle Beweislast dafür, dass der angefochtene Bescheid dem Antragsteller mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung zugestellt worden ist. Dies ist in den Verwaltungsvorgängen auch nachvollziehbar zu dokumentieren. Zwar ist auch der Antragsteller nach § 15 Abs. 1 AsylVfG gehalten, bei der Sachaufklärung mitzuwirken; er soll nach § 36 Abs. 3 S. 1 2. Halbsatz AsylVfG den angefochtenen Bescheid (einschließlich Rechtsbehelfsbelehrung) dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beifügen. Dies hat der Antragsteller versäumt. Hieraus kann indes nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass der an den Asylbewerber gerichtete Bescheid eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung enthielt.
Ob der angefochtene Bescheid mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, kann für das vorliegende Verfahren jedoch offen bleiben. Selbst bei Annahme, dass der Antragsteller binnen einer Woche nach Zustellung des Bescheides des Bundesamtes einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hätte stellen müssen, ist ihm für den nunmehr (verspätet) gestellten Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 60 Abs. 1 VwGO). Hiernach ist demjenigen auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, der ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Der Antragsteller war - jedenfalls bezogen auf die Prüfung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG (vormals § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG) ohne Verschulden gehindert, die Antragsfrist zu wahren. Dies ergibt sich aus nachstehenden Erwägungen:
Das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG (nunmehr § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) steht dem Erlass einer Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 S. 1 AsylVfG in Verbindung mit § 50 Abs. 1 und 2 AuslG nicht entgegen (bis 31. Dezember 2004 gemäß § 34 Abs. 1 AsylVfG in Verbindung mit § 50 Abs. 3 S. 1 AuslG und seit dem 1. Januar 2005 nach § 34 Abs. 1 AsylVfG in Verbindung mit § 59 Abs. 3 S. 1 AufenthG). Nach der bis 31. Dezember 2004 geltenden Regelung in § 50 Abs. 3 S. 2 AuslG führte der Umstand, dass trotz Vorliegens eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG in der Abschiebungsandrohung der betreffende Staat nicht bezeichnet worden ist, nicht zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung. Demnach waren in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach dem bis dahin geltenden AsylVfG gegen die Abschiebungsandrohung etwaige Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 S. 1AuslG grundsätzlich nicht zu prüfen. In § 41 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 AsylVfG waren die Rechtsfolgen der Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG ausdrücklich und abschließend geregelt. Eine solche Feststellung bewirkte nur eine „zeitweilige Vollziehbarkeitshemmung“ der im Übrigen in ihrem Bestand unberührt bleibenden Abschiebungsandrohung (BVerwG, Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 19.96 -, BVerwGE 104, 260). Bezogen auf Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG bestand für den Asylbewerber lediglich die Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutz durch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 S. 2 VwGO) zu erlangen. Ein solcher Antrag setzte neben einem Anordnungsanspruch (Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses) auch einen Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) voraus, der erst angenommen werden konnte, wenn eine Abschiebung des Ausländers unmittelbar bevorstand. Demnach kam die Regelung über die Antragsfrist (§ 36 Abs. 3 S. 1 AsylVfG) für diese Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO nicht zur Anwendung, so dass der von einer Abschiebung unmittelbar betroffene Asylbewerber um vorläufigen Rechtsschutz bezüglich des Vorliegens eines Abschiebungshindernisses fristungebunden nachsuchen konnte.
Lagen aus Sicht des betroffenen Asylbewerbers die Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung nach § 36 Abs. 4 S. 1 AsylVfG - nämlich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung - nicht vor, weil lediglich ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG gegeben war, und wäre ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mangels Anordnungsgrundes - da eine Abschiebung nicht unmittelbar drohte - ohne Aussicht auf Erfolg, so bestand für ihn kein Anlass, einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutz zu stellen.
Das System des vorläufigen Rechtsschutzes gegen Abschiebungsandrohungen in asylrechtlichen Verfahren hat mit Inkrafttreten des AufenthG eine wesentliche Änderung erfahren. Nach § 59 Abs. 3 S. 2 AufenthG ist in der Abschiebungsandrohung der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Während die bis 31. Dezember 2004 geltende Regelung in § 50 Abs. 3 S. 2 AuslG auf Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG (nunmehr § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG) beschränkt war, ist nunmehr auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG (vormals § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG) für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung beachtlich; § 41 AsylVfG ist mit Wirkung vom 1. Januar 2005 aufgehoben worden. Demnach ist in Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer asylrechtlichen Klage (§§ 36 Abs. 3, 4 AsylVfG) nunmehr auch zu prüfen, ob - entgegen der Auffassung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge - ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG besteht (§§ 34 Abs. 1 S. 1 AsylVfG in Verbindung mit 59 Abs. 3 S. 2 AufenthG).
Wegen der Regelung in § 77 Abs. 1 S. 1 2. Halbsatz AsylVfG ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen, so dass statthafter Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes allein ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der asylrechtlichen Klage (§ 80 Abs. 5 VwGO) ist. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO mit dem Begehren, das Vorliegen eines Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG festzustellen, kommt nicht mehr in Betracht (§ 123 Abs. 5 VwGO).
Unter Berücksichtigung dessen ist nach Auffassung des Gerichts die Versäumung der Antragsfrist nach § 36 Abs. 3 S. 1 AsylVfG bezogen auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG - auch im Hinblick auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 S.1 GG) - nicht schuldhaft. Die Änderungen des Ausländer- und Asylrechts durch das Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004 (BGBl. S. 1950), die zu einer Vereinheitlichung des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes in asylrechtlichen Streitigkeiten geführt haben, zielen nicht darauf, dem betroffenen Asylbewerber, dessen Asylbegehren vor Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes beschieden worden ist, die nach dem bisherigen Recht bestehende Möglichkeit zu nehmen, auch im Hinblick auf Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG um vorläufigen Rechtsschutz nachzusuchen. Es wäre aufgrund der obigen Erwägungen nicht sachlich gerechtfertigt, diese Möglichkeit allein denjenigen Ausländern im Wege des § 80 Abs. 7 VwGO vorzubehalten, die bereits zuvor zwar fristgerecht, aber erfolglos einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt haben. Gegenteiliges lässt sich den Übergangsvorschriften (vgl. u.a. § 102 AufenthG) nicht entnehmen.
Im Hinblick auf den unter dem 17. Februar 2005 von der zuständigen Ausländerbehörde gestellten Antrag auf Erlass eines Abschiebungshaftbeschlusses ist die Frist für einen Wiedereinsetzungsantrag nach § 60 Abs. 2 VwGO gewahrt.
Hiernach bedarf es keiner Entscheidung, ob dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Auffassung des Antragstellers auch deshalb zu entsprechen ist, weil ein etwaiges Verschulden seines bisherigen Bevollmächtigten entgegen § 85 Abs. 2 ZPO ihm nicht zugerechnet werden kann.
2. Der Antrag ist auch begründet. Soweit der Antragsteller bezogen auf die vorgetragene Homosexualität eine Gefährdung im Falle seiner Abschiebung nach Ghana geltend macht, kann das Gericht dieses Vorbringen nicht ohne weiteres als unglaubhaft ansehen. Gegen die Unglaubhaftigkeit spricht der Umstand, dass der Antragsteller diesen Umstand nicht erstmals im unmittelbaren Zusammenhang der jetzig drohenden Abschiebung behauptet. Vielmehr hat er sich bereits einige Zeit vorher (Mitte Dezember 2004) um eine Anmeldung zur Begründung einer Lebenspartnerschaft (§ 2 Nds. AGLPartG) bemüht. Die eingehende Prüfung der Glaubhaftigkeit des Vorbringen des Antragstellers und der geltend gemachten Gefährdung bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Dabei ist davon auszugehen, dass in Ghana homosexuelle Handlungen - auch zwischen Erwachsenen - weiterhin unter Strafe stehen (vgl. Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 5. November 2004 und vom 17. November 2003).