Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 26.10.2020, Az.: 13 U 44/20
Wettbewerbswidrigkeit der Bewerbung von Lebensmitteln mit Bestandteilen der Pflanze Ashwagandha und dem Wirkstoff Curcumin mit gesundheitsbezogenen Angaben
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 26.10.2020
- Aktenzeichen
- 13 U 44/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 59226
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2020:1026.13U44.20.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 31.03.2020 - AZ: 32 O 67/19
Rechtsgrundlagen
- UWG § 3 Abs. 1
- UWG § 3a
- UWG § 8 Abs. 1 S. 1
- UWG § 8 Abs. 3 Nr. 2
- EUV 1169/2011 Art. 7 Abs. 3
- EUV 609/2013 Art. 2 Abs. 2g
- EUV 609/2013 Art. 9
- EUV 2016/128
- EGV 1924/2006 Art. 10 Abs. 1
- EGV 1924/2006 Art. 10 Abs. 3
- EGV 1924/2006 Art. 28 Abs. 5
- EGV 1924/2006 Art. 28 Abs. 6
Amtlicher Leitsatz
- 1.
zum Vertrieb eines Produkts mit dem Wirkstoff Curcumin als "Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke" bei Arthrose
- 2.
zur Zulässigkeit von Werbung mit gesundheitsbezogenen Angaben für ein Lebensmittel, das Bestandteile der Pflanze Ashwagandha enthält, nach Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 (HCVO) unter Berücksichtigung der nach Art. 28 Abs. 5 und 6 dieser Verordnung für sog. Botanicals geltenden Übergangsvorschriften.
Redaktioneller Leitsatz
1. Die Bewerbung eines Lebensmittels, das den Wirkstoff Curcumin enthält, als geeignet zur Behandlung von Arthose verstößt gegen das Verbot der krankheitsbezogenen Werbung gem. Art. 7 Abs. 3 LMIV und ist daher wettbewerbswidrig.
2. Soweit ein Ashwagandha enthaltenes Lebensmittel mit stressreduzierenden Eigenschaften beworben wird, handelt es sich ebenfalls um eine Werbung mit unzulässigen gesundheitsbezogenen Angaben.
Tenor:
- 1.
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 7. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hannover vom 31. März 2020 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
Die Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
- 2.
Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für die erste Instanz - insoweit unter Abänderung des Streitwertbeschlusses des Landgerichts - für die Berufungsinstanz auf 8.000 € festzusetzen.
Gründe
A.
Der Kläger, ein Verein zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, nimmt die Beklagte, die ein Reformhaus betreibt, in Bezug auf zwei von ihr in einer Zeitungsbeilage beworbene Produkte - das als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke angebotene "A. C. s. bei Arthrose" sowie "A. A. bei Stress" (Anlagenband Kläger, Anlage K 3) - auf Unterlassung in Anspruch.
Der Kläger hat gemeint, das Produkt "A. C. s. bei Arthrose" sei schon nach seinen angegebenen Wirkungen kein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (fortan: LbmZ) im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 609/2013 (fortan: SpezialLMVO) und deshalb nicht als solches verkehrsfähig. Außerdem gebe es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu, dass die Einnahme von Curcumin bei unter Arthrose leidenden Patienten sinnvoll sei. Insoweit wären nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Placebo-kontrollierte Studien erforderlich (Bl. 39 d.A.). Nach dem unstreitigen Vorbringen des Klägers ist Curcumin schlecht bioverfügbar, sodass es besonderer Maßnahmen bedarf, um die Aufnahme zu verbessern; solche Maßnahmen sind bei dem Mittel nicht ergriffen worden (Bl. 37 d.A.). Darüber hinaus sind - unstreitig - zahlreiche Nahrungsergänzungsmittel mit dem Wirkstoff Curcumin erhältlich (Anlage K 21), sodass ein etwaiger Nährstoffbedarf auch über diese gedeckt werden könnte (Bl. 35 d.A.).
Die beanstandeten Werbeaussagen
"bei Arthrose",
"zum Diätmanagement bei arthrotischen Gelenkschmerzen"
"Hat in einer Vergleichsstudie² zu 1.200 mg Ibuprofen gezeigt, dass es ernährungsphysiologisch signifikant Gelenkschmerzen reduziert + Beweglichkeit verbessert. Aufgrund dieser Eigenschaften und Merkmale ist es zum Diätmanagement bei arthrotischen Beschwerden wie Gelenkschmerzen geeignet.
²Studie: Kaptniratsaikul et al. Clin Interv Aging. 2014; 9:451-8"
seien daher ebenfalls unzulässig. Darüber hinaus seien die Aussagen gesundheitsbezogen/krankheitsbezogen und daher auch für ein LbmZ unzulässig.
Die für das Produkt "A. A. bei Stress" verwendeten Werbeaussagen "bei Stress", "bei (...) Konzentrationsproblemen", "Abgeschlagenheit", nervöser Unruhe", "Bei Dauer-Stress fühlt man sich häufig angespannt, überfordert, unkonzentriert, gereizt und schläft unruhig. A.® A. bei Stress trägt zu seelischem und körperlichem Wohlbefinden sowie emotionaler Balance bei", "Wirksamkeit durch klinische Studie bewiesen", "Erste Wirkung nach 30 Tagen" seien gemäß Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 (fortan: HCVO) als gesundheitsbezogene Angaben unzulässig, weil sie nicht in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß Art. 13 HCVO eingetragen seien und außerdem die behaupteten Wirkungen nicht gemäß Art. 5 Abs. 1 a) HCVO anhand allgemein anerkannter wissenschaftlicher Nachweise belegt seien. Insoweit bleibe auch unklar, ob sich die Aussagen auf die Zutat Ashwagandha oder die ebenfalls enthaltene Panthothensäure beziehen sollen. Auf die Übergangsvorschrift des Art. 28 Abs. 5 HCVO könne sich die Beklagte nicht berufen, weil sie nicht vorgetragen habe, dass die Aussagen zur Aufnahme in die Liste angemeldet worden seien.
Die Beklagte hat gemeint, das Produkt "A. C. s. bei Arthrose" sei kein Arzneimittel, sondern ein LbmZ. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu LbmZ gelte unverändert fort; durch die SpezialLMVO und die delegierte Verordnung (EU) 2016/128 (fortan: LbmZ-VO) habe sich die Rechtslage insoweit nicht geändert. Der medizinisch bedingte Nährstoffbedarf ergebe sich aus der als Anlage BK 3 vorgelegten Doppelblindstudie (s.a. Zusammenfassung Bl. 115 d.A. und gutachterliche Stellungnahme einer Diplom-Ernährungswissenschaftlerin, Bl. 119 ff. d.A.). Aus der Studie ergebe sich ein entsprechender Bedarf an Wirkstoffen.
Auch hinsichtlich des Produkts "A. A. bei Stress" habe die Beklagte nicht gegen das Verbot krankheitsbezogener Werbung bei Lebensmitteln verstoßen. Es handele sich nicht um krankheitsbezogene Werbung.
Mit Urteil vom 31. März 2020, auf das wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird (Bl. 152 ff. d.A.), hat das Landgericht Hannover der Klage antragsgemäß stattgegeben.
Der Vertrieb des Produkts A. C. als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke sei nach § 3, § 3a, § 8 Nr. 2 UWG i.V.m. Art. 9 Abs. 5 SpezialLMVO lauterkeitsrechtlich unzulässig, weil die Beklagte nicht mit Substanz dargetan habe, dass Personen mit arthrotischen Gelenkschmerzen an einem Nährstoffdefizit litten. Seit Inkrafttreten der SpezialLMVO sei ein Produkt nur noch dann ein LbmZ, wenn es zum Ausgleich eines Nährstoffdefizits diene. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass ein LbmZ auch dann vorliege, wenn auf andere Weise durch die Nährstoffzufuhr Erkrankungen entgegengewirkt werden solle, sei überholt. Auch die beanstandeten - krankheitsbezogenen - Werbeaussagen seien gemäß Art. 7 Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (fortan: LMIV) unzulässig, weil es sich nicht um ein LbmZ handele und somit die für LbmZ bestehende Ausnahme nach Art. 5 Abs. 2 LbmZ-VO nicht gelte.
Ein Unterlassungsanspruch bestehe gemäß § 3, § 3a, § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG i.V.m. Art. 10 HCVO auch in Bezug auf die beanstandeten Werbeaussagen zu dem Produkt A. A. Es handele sich um spezielle gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel. Diese seien gemäß Art. 10 Abs. 1 HCVO verboten, wenn sie nicht in die Liste der zugelassenen Angaben aufgenommen seien. Soweit für pflanzliche Stoffe (Botanicals) nach der Übergangsvorschrift des Art. 28 Abs. 5 HCVO gesundheitsbezogene Angaben auch ohne die Aufnahme in die Liste bzw. einen Antrag zur Aufnahme in die Liste zulässig seien, gelte dies nur für nichtspezifische Angaben nach Art. 10 Abs. 3 HCVO.
Der Kläger könne gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG auch die Zahlung der - in der Höhe unbedenklichen - Abmahnpauschale verlangen.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie weiterhin die vollständige Abweisung der Klage begehrt (Bl. 219 d.A.). Entgegen der Ansicht des Landgerichts ergebe sich aus der Legaldefinition der LbmZ in Art. 2 Abs. 2 g) SpezialLMVO nicht, dass das Lebensmittel einen krankheitsbedingten Nährstoffbedarf ausgleichen müsse. Dies könne für die erste Alternative gelten, nicht jedoch für den sonstigen besonderen medizinischen Nährstoffbedarf nach der zweiten Alternative. Aus dem Erwägungsgrund 15 der SpezialLMVO ergebe sich, dass der Gesetzgeber keine entscheidende Veränderung in Bezug auf LbmZ habe vornehmen wollen. Die Formulierung "zur diätetischen Behandlung von" sei lediglich durch "zum Diätmanagement bei" ersetzt worden sei, um den Eindruck eines Arzneimittels zu vermeiden. Dies ändere jedoch nichts am Zweck der Produkte. Es gelte weiterhin die - noch zur DiätV ergangene - Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach ein medizinisch bedingter Nährstoffbedarf schon dann gegeben sei, wenn der körperliche Zustand des betroffenen Patienten positiv beeinflusst werde. Entsprechend stelle es keine unzulässige krankheitsbezogene Werbung für das Produkt dar, wenn die Pflichtangaben gemäß Art. 5 Abs. 2 e) und g) LbmZ-VO erteilt würden. Unzutreffend sei, dass die Beklagte kein Nährstoffdefizit dargelegt habe. Dieses habe sie mit Vorlage der Anlage BK 4 vorgetragen; aus der Studie ergebe sich bei Arthrose ein erhöhter Bedarf an antientzündlichen und antioxidativen Nährstoffen. Im Übrigen habe das Gericht zur Beurteilung über keine ausreichende ernährungswissenschaftliche Expertise verfügt.
Hinsichtlich des Produkts A. A. habe das Landgericht zu Unrecht gemeint, dass für die spezifischen gesundheitsbezogenen Angaben eine entsprechende Zulassung und jedenfalls ein Antrag vorliegen müsse und die Übergangsvorschrift des Art. 28 Abs. 5 HCVO in Bezug auf Botanicals nur bei nichtspezifischen Angaben nach Art. 10 Abs. 3 HCVO gelte. Tatsächlich seien für Ashwagandha entsprechende Anträge zu den Aussagen "adaptogenic properties" und "mental health und relaxation" gestellt und nach wie vor "on hold" (Bl. 242 d.A.). Hierzu hat die Klägerin in einer weiteren Stellungnahme die Anlage BBK 3, (Bl. 294 d.A.) vorgelegt. Im Übrigen sei ein Antrag für ein Botanical derzeit nicht erforderlich.
Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung (Bl. 252 d.A.) und verteidigt das Urteil des Landgerichts unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags. Bei einem medizinisch bedingten Nährstoffbedarf gehe es um die Versorgung des Patienten mit den klassischen Nährstoffen und nicht um Curcumin und dessen adaptogene Wirkungen. Es genüge nicht, dass ein Nährstoff positive Auswirkungen auf das Krankheitsgeschehen zeige. Die entsprechende BGH-Rechtsprechung sei obsolet, was sich auch aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 12. Dezember 2019 - I ZR 72/19 - ergebe (Bl. 270 d.A.). Mit den Regelungen zu LbmZ in der SpezialLMVO habe ein "Wildwuchs" im Bereich der LbmZ beseitigt werden sollen. Das folge auch daraus, dass der Gesetzgeber - allerdings ohne eine grundsätzliche Änderung zu beabsichtigen - den als Übersetzungsfehler erkannten Begriff der diätetischen Behandlung gestrichen habe.
Hinsichtlich des Produkts "A. gegen Stress" greife der Botanical-Einwand der Beklagten nicht durch. Die Beklagte habe nicht hinreichend vorgetragen, dass es sich bei den Wirkstoffen des Produkts um pflanzliche Zutaten handele. Ein Großteil der Aussagen beziehe sich auch nicht - wie es geboten gewesen wäre - auf eine spezielle pflanzliche Zutat, sondern auf das Produkt als solches. Es gebe auch für die hier gebrauchten pflanzlichen Zutaten keine zur Zulassung angemeldeten Angaben, die die streitgegenständlichen Aussagen tragen könnten. Der Vortrag aus der Berufungsbegründung, es gebe zwei Aussagen "on hold", sei unsubstantiiert. Der Botanical-Einwand greife zudem nur für nichtspezifische Verweise im Sinne von Art. 10 Abs. 3 HCVO; die angegriffenen Werbeaussagen seien jedoch spezifische Angaben im Sinne des Art. 10 Abs. 1 HCVO (Bl. 278 d.A.). Nach der Gelenknahrung III-Entscheidung des Bundesgerichtshofs sei Art. 10 Abs. 3 HCVO bereits anwendbar, auch wenn die Listen nach Art. 13 und 14 HCVO noch nicht erstellt seien. Zudem handele es sich um krankheitsbezogene Aussagen, die auch nach Art. 7 Abs. 3 LMIV unzulässig seien.
B.
I.
Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.
Das angefochtene Urteil beruht im Ergebnis weder auf einem Rechtsfehler (§ 513 Abs. 1, 1. Alt., § 546 ZPO) noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 529 Abs. 1, 2. Alt. ZPO).
1. Der Kläger kann gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3 Abs. 1, § 3a UWG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 3 VO (EU) 1169/2011 (fortan: LMIV), Art. 2 Abs. 2 g) SpezialLMVO verlangen, dass die Beklagte den Vertrieb des Produkts "A. C. s. bei Arthrose" als LbmZ und die diesbezügliche krankheitsbezogene Werbung unterlässt.
a) Von der Prozessführungsbefugnis und der Aktivlegitimation des Klägers gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG ist auszugehen; diese stehen zwischen den Parteien auch nicht im Streit.
b) Der Vertrieb des Produkts verstößt gegen das Verbot der krankheitsbezogenen Werbung gemäß Art. 7 Abs. 3 LMIV; die für LbmZ nach der SpezialLMVO und der hierauf beruhenden LbmZ-VO geltenden Ausnahmevorschriften greifen nicht ein, weil das Produkt nicht als LbmZ verkehrsfähig ist.
aa) Allerdings neigt der Senat zu der Auffassung, dass sich an dem für LbmZ geltenden Tatbestandsmerkmal des sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarfs durch das Inkrafttreten der SpezialLMVO nichts geändert hat und die - noch zu § 1 Abs. 4a DiätV ergangene - Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zutreffend ist, wonach ein Nährstoffbedarf bereits dann medizinisch bedingt ist, wenn die an bestimmten Beschwerden, Krankheiten oder Störungen leidenden Personen einen besonderen Nutzen aus der kontrollierten Aufnahme bestimmter Nährstoffe ziehen können. Dies kann im Streitfall jedoch letztlich dahingestellt bleiben, weil weitere zwingende Voraussetzungen für das Inverkehrbringen des Produkts als LbmZ nicht gegeben sind (Buchst. bb) und cc)).
bb) Gemäß Art. 9 SpezialLMVO muss das LbmZ nach allgemein anerkannten wissenschaftlichen Daten den Ernährungsanforderungen der Personen, für die es bestimmt ist, entsprechen und für diese Personen geeignet sein. Dies ist von der Beklagten in Bezug auf das streitgegenständliche "A. C. s. bei Arthrose" weder ausreichend dargetan noch sonst ersichtlich.
Die vorgelegte Studie ist nicht geeignet, den der Beklagten obliegenden Wirksamkeitsnachweis zu erbringen.
(1) Es ist schon nicht dargetan, dass die Zusammensetzung des der Studie zugrundeliegenden Mittels dem Produkt der Beklagten entsprach. In der Studie wurden Kapseln verwendet, die verschiedene Curcuminoide in einem bestimmten Verhältnis enthielten (Curcumin, Demethoxycurcumin und Bisdemethoxycurcurmin im Verhältnis 1 : 0,59 : 0,23, Bl. 115 d.A.). Es ist nicht vorgetragen, welche Zusammensetzung das Produkt der Beklagten insoweit aufweist.
(2) Es ist auch nicht ersichtlich, ob die Ergebnisse einer in Thailand durchgeführten Studie sich ohne Weiteres auf Patienten in Deutschland übertragen lassen. Die Auswirkungen der Einnahme eines zusätzlichen Nährmittels dürften vielfach von der Zusammensetzung der anderweitig aufgenommenen Nährstoffe und damit von den Ernährungsgewohnheiten der Probanden abhängen.
Im Streitfall ist zum Beispiel zu berücksichtigen, dass offenbar das - schwer wasserlösliche - Curcumin im Magen-Darm-Trakt nur in einem sehr geringen Maß absorbiert wird und die Aufnahme durch verschiedene Maßnahmen (etwa die Einnahme mit Pfeffer-Extrakt) erhöht werden kann. Insofern kommt in Betracht, dass die Ergebnisse der Studie durch die spezifischen Ernährungsgewohnheiten der thailändischen Probanden beeinflusst wurden.
(3) Unabhängig von dem Vorstehenden hat die Studie aber ohnehin keine hinreichende Aussagekraft, weil sie nur auf Selbsteinschätzungen der Probanden beruht (WOMAC-Selbsteinschätzungsfragebogen in modifizierter thailändischer Version, vgl. Bl. 115 d.A.) und dabei Placebo-Effekte nicht erfasst.
Soll sich die Wirksamkeit eines LbmZ vor allem am Befinden der Patienten erkennen lassen, kann sie sich allein durch eine randomisierte Placebo-kontrollierte Doppelblindstudie nachweisen lassen (BGH, Urteil vom 15. März 2012 - I ZR 44/11 - ARTROSTAR, Rn. 20, juris). Im Streitfall sind die Selbsteinschätzungen der Patienten, die Curcumin eingenommen haben, mit denjenigen einer Kontrollgruppe verglichen worden, der Ibuprofen verabreicht wurde. Dies genügt nicht den Anforderungen, weil hierdurch Placebo-Effekte nicht erfasst werden können. Das Ergebnis der Studie beruht allein auf diesen - subjektiven - Selbsteinschätzungen der Probanden. Bei der objektiv feststellbaren 6-Minuten Laufdistanz habe es bei beiden Gruppen keine signifikante Erhöhung gegeben (s. von der Beklagten vorgelegte Zusammenfassung der Studie in Deutsch, Bl. 116 d.A.).
cc) Darüber hinaus wäre das Produkt auch dann, wenn das Vorliegen eines hinreichenden Wirksamkeitsnachweises unterstellt würde, nicht als LbmZ verkehrsfähig. Denn es müsste sich gemäß Art. 2 Abs. 2 g) SpezialLMVO um einen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf handeln, für deren Diätmanagement die Modifizierung der normalen Ernährung allein nicht ausreicht. Hiervon ist im Streitfall nicht auszugehen.
Bei der Prüfung der Frage, ob eine Modifizierung der normalen Ernährung ausreicht, sind auch die auf dem Markt erhältlichen Nahrungsergänzungsmittel zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 30. November 2011 - I ZR 8/11 -, juris, zu § 1 Abs. 4a Satz 2 DiätV; Rathke in Zipfel/Rathke LebensmittelR, 176. EL März 2020, VO (EU) 609/2013 Art. 2 Rn. 64).
Im Streitfall sind jedoch unstreitig zahlreiche Nahrungsergänzungsmittel mit dem Wirkstoff Curcumin erhältlich, über die ein etwaiger Nährstoffbedarf gedeckt werden könnte.
2. In Bezug auf das Produkt "A. A. bei Stress" ist der Unterlassungsantrag gemäß § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, § 3 Abs. 1, § 3a UWG i.V.m. Art. 10 HCVO begründet, weil die Werbung unzulässige gesundheitsbezogene Angaben enthält.
a) Das streitgegenständliche Produkt ist ein Lebensmittel im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a HCVO. Die beanstandeten Werbeaussagen sind gesundheitsbezogene Angaben im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 5, Art. 10 HCVO.
b) Gemäß Art. 10 Abs. 3 HCVO sind Verweise auf allgemeine, nichtspezifische Vorteile des Nährstoffs oder Lebensmittels für die Gesundheit im Allgemeinen oder das gesundheitsbezogene Wohlbefinden nur zulässig, wenn ihnen eine in einer der Listen nach Art. 13 oder 14 der Verordnung enthaltene spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist.
aa) Der Anwendung von Art. 10 Abs. 3 HCVO steht nicht entgegen, dass die Listen gemäß Art. 13 und 14 der Verordnung noch nicht vollständig erstellt sind (BGH, Urteil vom 19. September 2019 - I ZR 91/18 -, Rn. 16, juris).
bb) Allerdings ist in Bezug auf pflanzliche Stoffe (sog. Botanicals) zu beachten, dass Angaben, deren Bewertung durch die Behörde oder deren Prüfung durch die EU-Kommission noch nicht abgeschlossen ist, auf der Kommissions-Website veröffentlicht werden und gemäß Art. 28 Absätze 5 und 6 HCVO weiter verwendet werden dürfen (Erwägungsgrund 11 der Verordnung (EU) Nr. 432/2012).
Art. 10 Abs. 3 HCVO ist daher insoweit mit der Maßgabe anzuwenden, dass dieser Bestimmung auch dann genüge getan ist, wenn eine spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt wird, die nach Mitteilung der Kommission "on hold" gehalten wird und nach Art. 28 Abs. 5 oder 6 HCVO weiter verwendet werden darf (KG Berlin, Urteil vom 27. November 2015 - 5 U 96/14, Rn. 39, juris; Hiller, WRP 2020, 16, Rn. 6 f.; Meisterernst/Haber, WRP 2019, 413 Rn. 17;
Seehafer/Jahn, ZLR 2020, 52, 57).
Bei diesem Verständnis der Regelung ist es dem Hersteller auch bei pflanzlichen Produkten möglich, mit allgemeinen gesundheitsbezogenen Vorteilen des Lebensmittels zu werben, wenn er spezielle Angaben beifügt, die er nach den Übergangsvorschriften des Art. 28 Abs. 5 und 6 HCVO verwenden darf. Hingegen besteht keine gesetzliche Grundlage dafür, Art. 10 Abs. 3 HCVO für pflanzliche Produkte einstweilen gar nicht anzuwenden und es dem Hersteller dadurch zu gestatten, in seiner Werbung allgemeine gesundheitsbezogene Vorteile zu behaupten, ohne diese Behauptung durch wissenschaftlich anerkannte Angaben zu unterlegen. Eine solche vollständige Freigabe nichtspezifischer Angaben würde dem mit der Vorschrift bezweckten Verbraucherschutz zuwiderlaufen (OLG Hamm, Urteil vom 07. Oktober 2014 - I-4 U 138/13, Rn. 74, juris).
c) Nach dieser Maßgabe verstoßen die beanstandeten Angaben gegen Art. 10 Abs. 3 HCVO.
aa) Bei den Werbeaussagen handelt es sich - entgegen der nicht näher begründeten Ansicht des Landgerichts - um nichtspezifische gesundheitsbezogene Angaben im Sinne von § 10 Abs. 3 HCVO.
(1) Für die Abgrenzung zwischen speziellen und nichtspezifischen gesundheitsbezogenen Angaben kommt es danach darauf an, ob mit der Angabe ein unmittelbarer Wirkungszusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile und einer Funktion des menschlichen Organismus hergestellt wird, dessen wissenschaftliche Absicherung (vgl. Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, Art. 6 Abs. 1 der Verordnung) in einem Zulassungsverfahren nach Art. 13 Abs. 3 der Verordnung (für Angaben nach Art. 13 Abs. 1 der Verordnung) oder nach Art. 15 bis Art. 17 der Verordnung (für Angaben nach Art. 14 Abs. 1 der Verordnung) überprüft werden kann (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2018 - I ZR 162/16 - B-Vitamine I, Rn. 22).
(2) Nach dieser Maßgabe handelt es sich im Streitfall um nichtspezifische Angaben. Mit dem beschriebenen Einfluss auf das "seelische und körperliche Wohlbefinden" sowie die "emotionale Balance" wird kein Zusammenhang mit einer bestimmten Funktion des menschlichen Organismus hergestellt, der einer wissenschaftlichen Überprüfung zugänglich wäre. Vielmehr wird ganz allgemein und abstrakt eine positive gesundheitliche Wirkung behauptet.
bb) Den nichtspezifischen Angaben hat die Beklagte (bzw. die Herstellerin) keine speziellen gesundheitsbezogenen Angaben beigefügt, sodass die Angaben schon aus diesem Grund unzulässig sind.
d) Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Angaben auch dann unzulässig wären, wenn sie als spezielle Angaben i.S.d. Art. 10 Abs. 1 HCVO behandelt würden. Die Werbeaussagen sind - unstreitig - nicht in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Artikeln 13 und 14 HCVO aufgenommen worden. Ihre Verwendung ist auch nicht nach den Übergangsvorschriften (Art. 28 Abs. 4 und 5 HCVO zulässig.
aa) Die streitgegenständlichen Angaben beziehen sich auf das Produkt "A. A. bei Stress", das - neben nicht näher bezeichneten Bestandteilen der Pflanze Ashwagandha - auch Pantothensäure (Vitamin B5) enthält.
Gesundheitsbezogene Angaben dürfen nach Art. 10 HCVO nur zu dem jeweiligen Nährstoff, der Substanz oder dem Lebensmittel gemacht werden, für die sie nach der Gemeinschaftsliste zugelassen sind, nicht jedoch zu dem Lebensmittelprodukt, das diese Elemente enthält, ohne den der zugelassenen Aussage zugrunde liegenden Zusammenhang mit der Substanz etc. herauszustellen (OLG Celle, Urteil vom 22. Oktober 2015 - 13 U 123/14 -, juris; KG Berlin, Urteil vom 13. Dezember 2019 - 5 U 33/19, Rn. 75, juris, mwN). Entsprechendes gilt bei Anwendung der Übergangsvorschriften Art. 28 Abs. 4, 5 HCVO. Wenn bei einem Produkt mit mehreren Inhaltsstoffen zu einem einzelnen pflanzlichen Inhaltsstoff nach den Übergangsvorschriften eine bestimmte Angabe zulässig ist, darf diese Angabe nicht pauschal - ohne Nennung des Inhaltsstoffs, auf den diese Wirkung zurückgehen soll - auf das Gesamtprodukt übertragen werden.
Es ist daher darauf abzustellen, ob die Angaben in Bezug auf das Produkt "A. A. bei Stress" zulässig sind.
bb) Soweit das Produkt zu "körperlichem Wohlbefinden" beitragen soll, handelt es sich um eine gesundheitsbezogene Angabe zu Körperfunktionen nach Art. 13 Abs. 1 a) HCVO, auf die die Übergangsvorschrift des Art. 28 Abs. 5 HCVO anzuwenden ist.
Auch wenn unterstellt wird, dass es sich um eine spezielle Angabe gemäß Art. 10 Abs. 1 HCVO handelte, wäre diese Aussage unzulässig. Die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 5 HCVO liegen nicht vor.
(1) Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass der EU-Kommission eine solche Angabe zu dem Produkt "A. A. bei Stress" zur Prüfung vorliegt.
(2) Die Beklagte hat auch nicht dargetan, dass solche Wirkungen wissenschaftlich anerkannt sind.
Im Rahmen der Übergangsregelung gemäß Art. 28 Abs. 5 HCVO muss der Lebensmittelunternehmer die verwendeten gesundheitsbezogenen Angaben durch allgemein anerkannte wissenschaftliche Nachweise begründen (EuGH, Urteil vom 10. September 2020 - C-363/19, juris). Die Angaben müssen eine objektive Grundlage haben, über die Einigkeit in der Wissenschaft besteht (aaO). Im Rahmen der in Art. 28 Abs. 5 HCVO vorgesehenen Übergangsmaßnahme muss ein Lebensmittelunternehmer, der sich dafür entscheidet, eine gesundheitsbezogene Angabe zu verwenden, in eigener Verantwortung die Wirkungen des Stoffes, auf den sich die Angabe bezieht, auf die Gesundheit kennen. Er muss also in der Lage sein, diese Wirkungen nachzuweisen. Er trägt insoweit die Beweislast (aaO, Rn. 52).
Es ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass über die beworbenen Wirkungen in der Wissenschaft Einigkeit besteht.
cc) Soweit der Beitrag des Produkts zu seelischem Wohlbefinden und emotionaler Balance herausgestellt wird, handelt es sich um psychische Funktionen im Sinne von Art. 13 Abs. 1 b) HCVO, sodass nicht die Übergangsvorschrift des Art. 28 Abs. 5 HCVO anzuwenden ist, sondern die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 6 HCVO zu erfüllen wären.
Hierzu hat die Beklagte nicht vorgetragen. Es ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass diese Angaben schon vor dem Inkrafttreten der HCVO für das Produkt zulässigerweise verwendet wurden. Auch zu den weiteren Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 6 HCVO fehlt konkreter Vortrag. Ein Zulassungsverfahren gemäß Art. 28 Abs. 6 a) HCVO gab es ein Deutschland - soweit ersichtlich ist - nicht. Dass gemäß 28 Abs. 6 b) HCVO vor dem 19. Januar 2008 ein Zulassungsantrag für diese produktbezogene Aussage gestellt worden ist, hat die Beklagte ebenfalls nicht vorgetragen. Insoweit ist nicht ausreichend, dass nach dem neuen Vorbringen der Beklagten zu einem nicht genannten Zeitpunkt ein - nicht näher bezeichneter - Bestandteil der Pflanze Ashwagandha zum Thema "Mental Health und relaxation" angemeldet wurde.
II.
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des Berufungsgerichts ist nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Auch ist eine mündliche Verhandlung nicht geboten.
III.
Die auf der Streitwertangabe in der Klage beruhende Streitwertfestsetzung des Landgerichts erscheint überhöht. Das insoweit maßgebliche Interesse des Klägers ist so zu bewerten wie das eines gewichtigen Mitbewerbers. Die Beklagte betreibt lediglich ein einzelnes Reformhaus. Es ist davon auszugehen, dass der Absatz der streitgegenständlichen Produkte durch die Beklagte und die daraus resultierende Beeinträchtigung eines Mitbewerbers dementsprechend eher gering ausfällt. Zudem geht der Kläger bereits gegen die Herstellerin gerichtlich vor, sodass die Beklagte bei einem Erfolg jener Klage die streitgegenständlichen Produkte ohnehin nicht weiter beziehen könnte. Die zur Unterlassung verurteilte Herstellerin wäre nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch verpflichtet, die bereits an Händler ausgelieferten Produkte zurückzurufen (vgl. Beschluss vom 29. September 2016 - I ZB 34/15 - Rückruf von RESCUE-Produkten). Auch ein besonderer Nachahmungseffekt ist im Hinblick auf die Verstöße der Beklagten nicht anzunehmen, weil sich andere Einzelhändler bei ihrem Sortiment eher an dem Angebot der entsprechenden Hersteller orientieren werden als an einem einzelnen anderen Reformhaus. Insgesamt erscheint angesichts dieser besonderen Umstände ein Streitwert von bis zu 8.000 € angemessen.