Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 21.09.2011, Az.: L 7 AL 94/10

Voraussetzungen eines Anspruchs auf stufenweise Wiedereingliederung als Leistung zur medizinischen Rehabilitation; Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers für die stufenweise Wiedereingliederung und die Zahlung von Übergangsgeld

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
21.09.2011
Aktenzeichen
L 7 AL 94/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 30924
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2011:0921.L7AL94.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 17.06.2010 - AZ: S 26 AL 625/06

Fundstelle

  • info also 2012, 117-119

Redaktioneller Leitsatz

1. Die Förderung einer stufenweise Wiedereingliederung (§ 28 SGB IX) durch die gesetzliche Rentenversicherung im Anschluss an einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme unterliegt keiner zeitlichen Befristung.

2. Es entspricht gesicherter Rechtsprechung, dass nach einer vom Rentenversicherungsträger gewährten Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation die Rentenversicherung für die stufenweise Wiedereingliederung und damit für die Zahlung von Übergangsgeld zuständig bleibt, solange sich die stufenweise Wiedereingliederung als Bestandteil einer in der Zusammenschau einheitlichen Gesamtmaßnahme darstellt. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 17. Juni 2010 aufgehoben.

Die Beigeladene wird verurteilt, der Klägerin Übergangsgeld im Rahmen der Rehabilitation bei stufenweiser Wiedereingliederung in das Erwerbsleben für die Zeit vom 14. Juli 2006 bis zum 31. Dezember 2006 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beigeladene trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin beider Instanzen.

Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist ein Leistungsanspruch der Klägerin für die stufenweise Wiedereingliederung vom 14. Juli bis zum 31. Dezember 2006 streitig.

2

Die 1967 geborene Klägerin ist seit 1990 als Montiererin bei der E., F. beschäftigt. Im Jahre 2004 erlitt sie einen Herzinfarkt mit Halbseitenlähmung rechts und bezog von ihrer Krankenkasse bis zur Aussteuerung am 18. Mai 2005 Krankengeld. Vom 19. Mai bis zum 7. Juli 2005 durchlief die Klägerin auf Kosten der Beigeladenen eine Rehabilitationsmaßnahme bei den Kliniken G., H ... Dabei wurde als berufliche Wiedereingliederung ein Arbeitsversuch ab 18. Juli 2005 mit zwei Stunden Arbeitszeit täglich beim Arbeitgeber unter Begleitung des Rentenversicherungsträgers vereinbart. Auf der Basis des Wiedereingliederungsplanes wurde die Klägerin dann vom 18. Juli 2005 von ihrem Hausarzt fortlaufend arbeitsunfähig krankgeschrieben, wobei die tägliche Arbeitsbelastung in bestimmten Intervallen um jeweils eine halbe Stunde zu erhöhen war und im Januar 2006 vier Stunden täglich betrug. Die Beigeladene gewährte für die stationäre Rehabilitationsmaßnahme und anschließend für die Maßnahme zur stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben Übergangsgeld. Die Leistungen wurden mit dem 17. Januar 2006 eingestellt, weil nach Auffassung der Beigeladenen Kosten für eine stufenweise Wiedereingliederung maximal für die Dauer von einem halben Jahr vom Rentenversicherungsträger zu übernehmen seien.

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Die Klägerin meldete sich mit Wirkung vom 18. Januar 2006 bei der Beklagten arbeitslos. Nachdem die veranlasste sozialmedizinische Abklärung ergeben hatte, dass bei der Klägerin keine Leistungsminderung von mehr als 6 Monaten bestand, erhielt sie ab 18. Januar 2006 Arbeitslosengeld. Diese Leistung hob die Beklagte zum 14. Juni 2006 auf, weil danach ein Anspruch auf Übergangsgeld gegeben war. Die Klägerin nahm vom 15. Juni 2006 bis zum 13. Juli 2006 auf Kosten der Beigeladenen an einer neuen Rehabilitationsmaßnahme in der I. J. teil. Im Kurentlassungsbericht wurde die Fortführung der stufenweisen Wiedereingliederung empfohlen. Eine Steigerung der Leistungsfähigkeit der Klägerin auf sechs Stunden und mehr in ihrem Beruf als Montagehelferin hielten die Rehabilitationsärzte für möglich. Daraufhin wurde die Klägerin im Rahmen einer mit dem Arbeitgeber vereinbarten Fortführung zur stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben von ihrem Hausarzt wieder arbeitsunfähig krankgeschrieben, bis sie ab 1. Januar 2007 die vollschichtige Tätigkeit wieder aufnahm und Arbeitsentgelt bezog.

4

Die Klägerin meldete sich bei der Beklagten am 3. August 2006 arbeitslos und beantragte die Wiederbewilligung von Alg. Anders als beim ersten Antrag legte sie jetzt das Attest ihres Hausarztes über die stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben mit einer Arbeitszeit ab 14. Juli 2006 von vier Stunden täglich vor. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. August 2006 und Widerspruchsbescheid vom 28. September 2006 die Bewilligung von Alg ab, weil die Klägerin mindestens 15 Stunden wöchentlich beschäftigt und somit nicht arbeitslos sei.

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Mit der am 11. Oktober 2006 erhobenen Klage hat die Klägerin zunächst die Gewährung von Alg ab 14. Juli 2006 verlangt. In der mündlichen Verhandlung am 17. Juni 2010 hat sie die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Übergangsgeld beantragt. Das SG Hannover hat mit Urteil vom 17. Juni 2010 die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und diese verpflichtet, der Klägerin vom 14. Juli bis zum 31. Dezember 2006 Übergangsgeld zu zahlen. Zwar sei nach Überzeugung der Kammer die Beklagte nicht der zuständige Leistungsträger. Sie sei jedoch zur Gewährung von Übergangsgeld verpflichtet, weil sie entgegen § 14 Abs. 1 S. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) es versäumt habe, den Antrag der Klägerin auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben unverzüglich an den Rentenversicherungsträger weiterzuleiten. Im Übrigen habe auch während der Teilnahme an einer stufenweisen Wiedereingliederung ins Arbeitsleben ein Anspruch auf Fortzahlung des Alg nach § 126 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) bestanden, weil es sich bei der stufenweisen Wiedereingliederung nicht um ein Beschäftigungsverhältnis im leistungsrechtlichen Sinne handele.

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Gegen das am 6. Juli 2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 30. Juli 2010 Berufung eingelegt. Mit Beschluss vom 30. August 2010 hat der Senat den zuständigen Rentenversicherungsträger beigeladen.

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Die Beklagte trägt vor, die Klägerin habe bei ihr nur einen Antrag auf Alg gestellt, der innerhalb von fünf Tagen ab Eingang beschieden worden sei. Einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe habe die Klägerin bei ihr nicht gestellt; dieser konnte deshalb auch nicht an den zuständigen Rentenversicherungsträger weitergeleitet werden. § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX sei nicht einschlägig, weil sie keine Möglichkeit gehabt habe, ihre Nichtzuständigkeit für die beantragte Rehabilitationsleistungen festzustellen. Ein Anspruch auf Alg habe wegen fehlender Arbeitslosigkeit nicht bestanden.

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Die Beklagte beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 17. Juni 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

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hilfsweise:

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Die Beigeladene zu verurteilen, ihr Übergangsgeld im Rahmen der Rehabilitation bei stufenweise Wiedereingliederung in das Arbeitsleben in der Zeit vom 14. Juli 2006 bis zum 31. Dezember 2006 zu gewähren.

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Die Klägerin erwidert, sie habe aus Unkenntnis über die Rechtslage einen Antrag auf Alg gestellt. Es wäre Aufgabe der Beklagten gemäß § 16 Abs. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) gewesen, daraufhin zu wirken, dass ein sachdienlicher Antrag gestellt werde. Die Beklagte hätte den Antrag auf Alg als Antrag auf Übergangsgeld an den zuständigen Rentenversicherungsträger weiterleiten müssen. Daraus ergebe sich hilfsweise die Verpflichtung der Beigeladenen, ihr Übergangsgeld zu gewähren.

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Die Beigeladene begehrt die Zurückweisung der Berufung der Beklagten. Eine stufenweise Wiedereingliederung durch die gesetzliche Rentenversicherung komme nur in Betracht, wenn der behandelnde Arzt in der Reha-Einrichtung diese empfehle. Diese Empfehlung sei im vorliegenden Fall nicht erfolgt. Vielmehr habe die I. J. die Klägerin bei der Entlassung als arbeitsfähig angesehen. Darüber hinaus komme eine Kostenübernahme durch die Beigeladene über den 17. Januar 2006 hinaus nicht in Betracht, weil Kosten für eine stufenweise Wiedereingliederung gemäß § 28 SGB IX vom Rentenversicherungsträger nur bis zu einer Dauer von maximal einem halben Jahr erfolgen könne.

16

Wegen des umfassenden Sachverhalts und des vollständigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte verwiesen. Gegenstand der Beratung waren ferner die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Kundennummer: K.) sowie der Beigeladenen (Versicherungsnummer: L.).

Entscheidungsgründe

17

Der Senat entscheidet gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung, weil die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben.

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1.) Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet und führt zur Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils. Die Beklagte hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Alg ab 14. Juli 2006 - bzw. ab Arbeitslosmeldung am 3. August 2006 - verneint; insoweit war die Klage abzuweisen. Die Klägerin kann für die Dauer der stufenweise Wiedereingliederung vom 14. Juli bis zum 31. Dezember 2006 Übergangsgeld verlangen, jedoch nicht - wie das Sozialgericht ausgeurteilt hat - von der Beklagten, sondern vom beigeladenen Rentenversicherungsträger. Die Beigeladene war folglich auf den Hilfsantrag der Klägerin gemäß § 75 Abs. 5 SGG zur Leistungsgewährung zu verurteilen, ohne dass es eines förmlichen Vorverfahrens bzw. besonderer Sachentscheidungsvoraussetzungen bedarf.

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2.) Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Alg für die Zeit vom 14. Juli bis zum 31. Dezember 2006. Der Bescheid der Beklagten vom 9. August 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2006 ist rechtmäßig.

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a) Der Anspruch auf Alg setzt unter anderem Arbeitslosigkeit voraus (§ 118 Abs. 1 Nr. 1 SGB III). Arbeitslos ist ein Arbeitnehmer, der den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht, weil er eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben kann und darf (§ 119 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 Nr. 1 SGB III). Das trifft auf die Klägerin nicht zu, weil sie von ihrem Hausarzt vom 14. Juli bis zum 31. Dezember 2006 arbeitsunfähig krankgeschrieben wurde. Solange eine Versicherte die bisherige Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht in vollem Umfang wieder ausüben kann, z.B. weil sie ihre Erkrankung an zuvor geleisteter vollschichtiger Arbeit hindert und ihr stattdessen nur eine Teilzeitarbeit zur Wiedereingliederung erlaubt, ist sie weiterhin arbeitsunfähig, weil es im rechtlichen Sinne keine Teil- Arbeitsunfähigkeit gibt (BSG SozR 2200 § 1255 Nr. 21; BSG SozR 4 - 4300 § 118 Nr. 1 Rdnr. 24). Da die Klägerin arbeitsunfähig war, stand sie auch nicht für Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung.

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b) Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts standen der Klägerin auch keine Sonderformen des Alg nach §§ 125, 126 SGB III zu. Zwar schließt das Rechtsinstitut der stufenweisen Wiedereingliederung nach § 28 SGB IX die Gewährung von Alg nach der Nahtlosigkeitsregelung gemäß § 125 Abs. 1 S. 1 SGB III nicht grundsätzlich aus (BSG vom 21. März 2007 - B 11a AL 31/06 R -). Denn andernfalls wäre der durch die Nahtlosigkeitsregelung bezweckte Schutz länger erkrankter Arbeitnehmer, die einerseits von der Krankenkasse ausgesteuert wurden, bei denen aber andererseits eine Feststellung des Rentenversicherungsträgers zur verminderten Erwerbsfähigkeit noch aussteht, ausgerechnet dann nicht gewährleistet, wenn sich die Arbeitnehmer - wie vorliegend bei der Klägerin - trotz anhaltender Arbeitsunfähigkeit freiwillig der Teilnahme an einer stufenweisen Wiedereingliederung unterziehen und damit einen Weg einschlagen, der zumindest die nicht zuletzt auch im Interesse der versicherten Gemeinschaft liegende Chance einer vorzeitigen Beendigung des aktuellen Leistungsfalls eröffnet.

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c) Über diese generelle Überlegung hinaus müssen jedoch im konkreten Fall die Voraussetzungen für die Nahtlosigkeitsgewährung erfüllt sein. Gemäß § 125 Abs. 1 S. 1 SGB III hat Anspruch auf Alg auch, wer allein deshalb nicht arbeitslos ist, weil er wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung einer Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen nicht unter den Bedingungen ausüben kann, die auf den für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit üblich sind, wenn verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung nicht festgestellt worden ist. Daran scheitert ein möglicher Anspruch der Klägerin auf Alg, weil sie nach den Feststellungen des ärztlichen Dienstes bei der Agentur für Arbeit Celle (Gutachten Dr. M. vom 15. Dezember 2005) keine Erwerbsminderung von mehr als sechs Monaten aufweist mit der Folge, dass der Rentenversicherungsträger darüber zu befinden hätte, ob eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu zahlen ist (§ 125 Abs. 1 S. 2 SGB III). Die prognostische Entscheidung, ob eine länger als sechsmonatige Erwerbsminderung vorliegt und somit ob die Nahtlosigkeitsregelung bis zu einer Feststellung durch den Rentenversicherungsträger eingreift, muss die Beklagte in eigener Verantwortung treffen (BSG vom 10. Mai 2007 - B 7a AL 30/06 R -, SozR 4 - 4300 § 125 Nr. 2).

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d) Die gleiche Situation stellt sich für die Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit gemäß § 126 SGB III, die allerdings auf sechs Wochen beschränkt wäre. Dieser Anspruch ist zuvor grundsätzlich nicht bei Teilnahme an einer stufenweisen Wiedereingliederung ins Arbeitsleben ausgeschlossen (ausführlich: Hauck/Noftz, SGB III Kommentar, Stand April 2011, § 126 Rdnr. 41). Erforderlich ist aber jedenfalls ein Bezug von Alg von mindestens einem Tag unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit. Als die Klägerin sich am 3. August 2006 wieder arbeitslos gemeldet hatte, war sie bereits arbeitsunfähig krankgeschrieben worden. § 126 SGB III ist deshalb für diesen Leistungsfall nicht einschlägig.

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3.) Die Klägerin hat aber für die Dauer der stufenweise Wiedereingliederung einen Anspruch auf Übergangsgeld. Die Beigeladene ist zuständiger Rehabilitationsträger im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX und in Folge dessen verpflichtet, der Klägerin für die Zeit vom 14. Juli 2009, dem Tag nach Ablauf der stationären medizinischen Rehabilitation, bis zum 31. Dezember 2009, dem Ende der stufenweise Wiedereingliederung, Übergangsgeld zu zahlen.

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a) Gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX in Verbindung mit § 20 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte, die von einem Träger der Rentenversicherung Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten, Anspruch auf Übergangsgeld. § 51 Abs. 5 SGB IX sieht ferner vor, dass Übergangsgeld bis zum Ende einer stufenweise Wiedereingliederung (§ 28 SGB IX) weiter gezahlt werden muss, wenn diese im unmittelbaren Anschluss an Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erforderlich ist. Gemäß § 28 SGB IX sollen die medizinischen und die sie ergänzenden Leistungen erbracht werden, wenn arbeitsunfähige Leistungsberechtigte nach ärztlicher Feststellung ihre bisherige Tätigkeit teilweise verrichten und durch eine stufenweise Wiederaufnahme der Tätigkeit voraussichtlich besser wieder in das Erwerbsleben eingegliedert werden können. Die Zuständigkeit der Beigeladenen für die stufenweise Wiedereingliederung (§ 15 Abs. 1 SGB VI) setzt also voraus, dass die persönlichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind (§§ 7 S. 1, 4 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 SGB IX in Verbindung mit § 9 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2, §§ 10, 11 SGB VI). Das ist hier der Fall. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 11 SGB VI) liegen durchgängig vor. Die Erwerbsfähigkeit der Klägerin ist wegen Krankheit oder körperlich, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI), weil sie die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Montiererin nicht vollschichtig ausüben kann. Aus diesem Grunde hat die Beigeladene ihr die stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der N. J. vom 15. Juni bis zum 13. Juli 2006 unter Zahlung von Übergangsgeld bewilligt.

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b) Der Senat ist überzeugt, dass bei der Klägerin ab Juli 2006 eine stufenweise Wiedereingliederung erforderlich war, um ihre Eingliederungschancen in das Erwerbsleben zu erhöhen. Mit der stufenweisen Wiedereingliederung in § 28 SGB IX wird das Ziel verfolgt, arbeitsunfähige Versicherte nach länger andauernder, schwerer Krankheit schrittweise, dass heißt durch kontinuierliche Steigerung des täglichen/wöchentlichen Arbeitspensums in Abstimmung mit dem Arbeitgeber und dem behandelnden Arzt an die volle Arbeitsbelastung heranzuführen. Durch diese betriebliche Rehabilitation bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit sollen die Zeit der Arbeitsunfähigkeit verkürzt, missglückte Arbeitsversuche sowie Einbußen beruflicher Fähigkeit vermieden und damit der Erhalt des bisherigen Arbeitsplatzes gesichert werden (ausführlich Feldes/Kohte, Stevens-Bartol, SGB IX Kommentar, § 28 Rdnr. 2). Die stufenweise Wiedereingliederung ist keine selbstständige, neue Leistungsart, sondern Bestandteil der medizinischen Rehabilitation zwecks Erreichung des Rehabilitationserfolges (BSG vom 5. Februar 2009 - B 13 R 27/08 R - SozR 4 - 3250 § 28 Nr. 3). § 28 SGB IX richtet sich ausschließlich an die Träger medizinischer Rehabilitationsleistungen (hierzu gehört nicht die Beklagte), damit Versicherte, die ihre bisherige Tätigkeit nur teilweise verrichten können, dahingehend unterstützt werden, die bisherige Tätigkeit in vollem Umfang wieder aufnehmen zu können. In diesem Zusammenhang konkretisiert § 51 Abs. 5 SGB IX die in § 3 Abs. 2 SGB IX niedergelegten Grundsätze der umfassenden, vollständigen Leistungserbringung und der einheitlichen Trägerschaft, solange das Rehabilitationsziel noch nicht erreicht ist, also der Versicherte die bisherige Tätigkeit noch nicht im vollem Umfang aufnehmen kann. Auf eine daneben gleichzeitig gewährte "Hauptleistung" kommt es nicht an (BSG SozR 4 - 3250 § 51 Nr. 1). Unerheblich ist ferner, wenn zwischen der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme und dem Beginn der stufenweise Wiedereingliederung ein angemessener Zeitraum liegt (BSG SozR 3 - 2600 § 25 Nr. 1).

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c) Es entspricht ferner gesicherter Rechtsprechung, dass nach einer vom Rentenversicherungsträger gewährten Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation die Rentenversicherung für die stufenweise Wiedereingliederung und damit für die Zahlung von Übergangsgeld zuständig bleibt, solange sich die stufenweise Wiedereingliederung als Bestandteil einer in der Zusammenschau einheitlichen Gesamtmaßnahme darstellt (BSG vom 20. Oktober 2009 - B 5 R 44/08 R-, SozR 4 - 3250 § 14 Nr. 9). Das ist der Fall, wenn das rentenversicherungsrechtliche Rehabilitationsziel noch nicht erreicht ist, weil der Versicherte den berufstypischen (nicht: arbeitsplatzspezifischen) Anforderungen der zuletzt ausgeübten Tätigkeit gesundheitlich noch nicht gewachsen ist und der weitere Rehabilitationsbedarf spätestens bei Abschluss der stationären Maßnahme zu Tage getreten ist. Bei Anwendung dieser Kriterien steht es für den Senat fest, dass im Falle der Klägerin von einer objektiven, fortbestehenden medizinischen Indikation für eine stufenweise Wiedereingliederung und von einer "Unmittelbarkeit" im Sinne des § 51 Abs. 5 SGB IX auszugehen ist. Der Kur-Entlassungsbericht der I. J. belegt eindeutig, dass die Klägerin ab 14. Juli 2006 den berufsspezifischen Anforderungen der Tätigkeit des Montierens gesundheitlich noch nicht voll gewachsen war und weiterhin ein rentenversicherungsrechtlicher Rehabilitationsbedarf bestand. Die Klägerin leidet an einer beinbetonten Hemiparese rechts bei Zustand nach embolischen Hirninfarkten im Bereich der Arterie bei multiplen arteriellen Gefäßverschlüssen, akutem Nierenversagen sowie kardialen Komplikationen mit akutem Myokardinfarkt. Das Gangbild und die Motorik sind weiterhin beeinträchtigt. Die Belastbarkeit wird von den Kurklinikärzten mit vier Stunden täglich beziffert. Eine Fortführung der stufenweisen Wiedereingliederung mit dem Ziel einer Leistungssteigerung auf sechs Stunden täglich und mehr in dem Beruf als Monatagehelferin wird für möglich angesehen und befürwortet. Die stufenweise Wiedereingliederung stellt sich folglich als Bestandteil einer in der Zusammenschau einheitlichen Gesamtmaßnahme dar. Dadurch konnte die Klägerin ihre Belastungszeiten steigern und ab 1. Januar 2007 selbst für ihren Lebensunterhalt ohne den Bezug von Sozialleistungen sorgen.

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d) Eine zeitliche Beschränkung der Förderung einer stufenweisen Wiedereingliederung durch Übergangsgeld von sechs Monaten, wie die Beklagte dies behauptet, ist gesetzlich nicht vorgesehen. Es mag durchaus sinnvoll sein, die stufenweise Wiedereingliederung nicht unbegrenzt durchzuführen. Das bedeutet aber nur, dass die Beigeladene nach einem gewissen Zeitablauf eine Prognose über die vollständige Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit treffen und jedenfalls eine mögliche Berentung prüfen muss, nicht aber, dass sie - wie vorliegend - nach sechs Monaten die leistungsgeminderten Versicherten an andere Sozialleistungsträger abschieben darf. Mit der hier gezeigten Praxis setzt sich die Beigeladene in deutlichen Widerspruch zum Anliegen des SGB IX, die stufenweise Wiedereingliederung ausdrücklich als eine auch von der Rentenversicherung zu erbringende Leistung der medizinischen Rehabilitation vorzusehen (§ 45 Abs. 1 SGB IX).

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4.) Die Kostenentscheidung beruht auf Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

30

5.) Die Revision bedarf der Zulassung (§ 160 SGG). Diese ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und das Urteil nicht von obergerichtlichen Entscheidungen abweicht.