Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 01.02.2005, Az.: 11 UF 40/04

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
01.02.2005
Aktenzeichen
11 UF 40/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 41774
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2005:0201.11UF40.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Osnabrück - AZ: 12 F 104/03 UG

Fundstelle

  • FamRZ 2005, 925-927 (Volltext mit red. LS)

Tenor:

  1. Auf die befristete Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - vom 05. März 2004 geändert.

    Dem Antragsteller wird ein Umgangsrecht in der Form gewährt, dass er das Kind ...einmal im Monat in den Räumen der ...Behindertenhilfe in..., ...besuchen darf.

    Der Umgang wird durch einen Mitarbeiter/Mitarbeiterin der Einrichtung begleitet (zur Zeit Frau...).

    Die zeitliche Festlegung und die nähere Ausgestaltung der Besuchskontakte erfolgt durch die Leitung der Behindertenhilfe bzw. einen von ihr beauftragten Mitarbeiter.

    Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

    Beschwerdewert: 3.000 EUR.

Gründe

1

1) Wegen des Sachverhalts wird zunächst auf den Bericht des Jugendamtes vom 26.11.2003, die Anhörung der Parteien durch das Amtsgericht am 23.2.2004 und den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

2

Mit der zulässigen Beschwerde macht der Antragsteller geltend, dass ausschließlich eine Beeinträchtigung des Kindeswohls zu einer Einschränkung oder einem Ausschluss des Umgangsrechts führen könne. Die Voraussetzungen hierfür habe das Jugendamt nicht festgestellt. Die weitergehende Forderung des Amtsgerichts, der Umgang müsse dem Wohl des Kindes förderlich sein, finde in § 1684 BGB keine Stütze. Das gleiche gelte für die Erwägung des Amtsgerichts, die Ausübung des Umgangsrechts sei für die Antragsgegnerin nur schwer erträglich; denn eine Verfeindung der Eltern reiche nicht zum Ausschluss des Umgangsrechts.

3

Der Antragsteller, der schriftsätzlich ein zweistündiges monatliches Umgangsrecht beantragt hatte, hat sich bei seiner Anhörung durch den Senat bis auf Weiteres mit einem einstündigen Besuchskontakt einverstanden erklärt.

4

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

5

Der Antragsteller habe durch sein Verhalten sein Umgangsrecht verwirkt, vergleichbar den Fällen, in denen ein Umgangsberechtigter das Kind sexuell missbraucht habe.

6

Dem Jugendamt ist Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden.

7

2) Der Senat hat in der Sache selbst entschieden. Selbst wenn man den von der Antragsgegnerin gerügten Verfahrensfehler (verfrühte Entscheidung in der Hauptsache vor Abschluss des vorrangig zu erledigenden Prozesskostenhilfeantrages; vgl. Beschwerdeerwiderung vom 01.06.2004, S. 3 zu Ziff. IV.) annehmen wollte, würde er nicht zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht nötigen. Das Amtsgericht hat im angefochtenen Beschluss eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen; dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.

8

3) Die Beschwerde hat Erfolg. Die Entscheidung des Amtsgerichts (Gewährung eines einmaligen Umgangs mit nachfolgendem, nicht ausdrücklich befristetem Ausschluss) bedeutet einen Ausschluss zumindest auf längere Zeit im Sinne von § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB (bei einem Kleinkind wie hier sind jedenfalls 6 Monate eine "längere Zeit"; vgl. Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 4. Aufl., § 1684, Rn. 34). Die hierfür erforderliche Gefährdung des Kindeswohls kann auf Grund der Anhörung der Parteien und der weiteren Feststellungen nicht bejaht werden. Abgesehen davon ist die vom Amtsgericht getroffene Maßnahme auch nicht "erforderlich" im Sinne von § 1684 Abs. 4 Satz 1 BGB.

9

Bei der Feststellung einer Gefährdung des Kindeswohls ist der gleiche Maßstab anzuwenden wie im Falle des § 1666 BGB (Jaeger, a.a.O.; ebenso Staudinger/Rauscher, § 1684, Rn. 268). Der längere Ausschluss ist nur als äußerste Maßnahme zulässig (Rauscher, a.a.O.); es gilt das Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs (Jaeger, a.a.O.). Nicht ausreichend sind abstrakte Befürchtungen, vielmehr bedarf es konkreter Gründe, die das Wohl des individuellen Kindes gefährden (Jaeger, a.a.O. Rn. 35). Unerheblich und eher irreführend ist dabei die Frage, ob der Umgang für das Kind "förderlich" ist (so ansatzweise das Amtsgericht). Denn es geht in diesem Zusammenhang nicht um einen etwaigen positiven Einfluss des Umgangs auf die Entwicklung des Kindes, sondern ausschließlich um die Feststellung negativer Aspekte, und zwar um solche von erheblichem Gewicht.

10

4) Eine auf konkrete Gründe gestützte Besorgnis einer Gefährdung des Kindes ...lässt sich nicht feststellen: a) Das Kind selbst ist auf Grund der Schwere seiner körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen (u.a. Beschränkung der Sehfähigkeit auf das Hell-/Dunkelsehen; Bl. 15) nicht zu feststellbaren Reaktionen fähig, also insbesondere nicht in der Lage, irgendeine Verbindung zwischen der früheren Straftat und der Person des Umgangsberechtigten herzustellen. Soweit andeutungsweise etwas anderes vorgetragen wird (Reaktionen auf Männer, insbesondere wohl auf Bartträger), beruht dies auf bloßen Vermutungen.

11

Selbst wenn unterstellt wird, dass das Kind evtl. auf Männer anders reagiert als auf Frauen (hier insbesondere die Mutter), sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass es dem Antragsteller anders "begegnen" wird als einem neutralen männlichen Dritten (z.B. Arzt, Pfleger, Begleiter der Kindesmutter). Die (auch vom Amtsgericht offenbar geteilte) Erwartung einer darüber hinaus gehenden, spezifisch auf die Person des Antragstellers bezogenen negativen Reaktion oder negativen Beeinflussung der Befindlichkeit des Kindes hat sich bisher, nach inzwischen problemloser Durchführung mehrerer Besuchskontakte nicht bestätigt (vgl. die Äußerungen der Behindertenhilfe ...vom 08.11.2004 und des die ersten 2 Besuche begleitenden Diplompsychologen ...vom 21.12.2004).

12

Das gilt umso mehr, als es hier lediglich um einen begleiteten Umgang geht.

13

Einem etwaigen bisher rein theoretisch in Rechnung zu stellenden Gefährdungspotential wird auch in Zukunft hinreichend entgegengewirkt durch die Anwesenheit von fachlich geschultem Personal (Pflegepersonal).

14

b) Wenn eine unmittelbare Gefährdung des Kindeswohls selbst infolge der Ausübung der Besuche nicht feststellbar ist, dann kann allenfalls eine mittelbare Gefährdung des Kindeswohls in Betracht kommen, und zwar als Folge einer Beeinträchtigung der Mutter, die sich auswirkt in einer reduzierten und deshalb dem Kindeswohl abträglichen Bereitschaft oder Fähigkeit der Kindesmutter, dem Kind wie bisher ihre volle Fürsorge und uneingeschränkte liebevolle Zuwendung zukommen zu lassen. Das Amtsgericht deutet dies im angefochtenen Beschluss als Möglichkeit an; auch insoweit fehlen jedoch hinreichende konkrete Anhaltspunkte.

15

Es ist zwar durchaus nachvollziehbar, dass die Kindesmutter es als Zumutung und ggf. auch als Heuchelei empfindet, wenn der Antragsteller als Urheber der schwerwiegenden Beeinträchtigung des Kindes und damit auch der gesamten Lebensumstände der Mutter jetzt den Umgang zu dem Kind sucht (vgl. S. 2 der Beschwerdeerwiderung). Es muss andererseits von der Antragsgegnerin erwartet werden, dass sie eine persönliche Abneigung (möglicherweise verbunden mit dem Bestreben, den Antragsteller zusätzlich zu "bestrafen" für sein Fehlverhalten und auch für die ihm vorgeworfene Nichterfüllung seiner Unterhaltspflicht) zurückstellt. Es ist zwar nicht ihre Aufgabe, zur psychischen Gesundung des Antragstellers beizutragen; die Durchführung des Umgangsrechts dient auch nicht diesem Zweck (obwohl sie insoweit eine positive Auswirkung haben kann). Die mögliche falsche Instrumentalisierung des Umgangsrechts durch den Antragsteller kann aber andererseits kein Grund sein, das Umgangsrecht zu verweigern, wenn eine Gefährdung des Kindeswohls nicht anzunehmen ist.

16

Die Abneigung der Antragsgegnerin gegen den Antragsteller wäre nur dann relevant, wenn sie (wie ausgeführt) gleichsam zwanghafte, nicht beherrschbare Reaktionen auslösen würde, die sich negativ auf die Betreuung des Kindes auswirken. Diese allenfalls entfernte Möglichkeit kann - auch nach Anhörung der Kindesmutter durch den Senat - bisher nicht als konkrete Gefahr angesehen werden. Denn ein etwaiger (zeitlich sehr begrenzter und beaufsichtigter) Umgang kann bei Unterstellung einer auch nur annähernd bewahrten oder seit dem schrecklichen Geschehen im Jahre 2000 wiedergewonnenen psychischen Stabilität die seelische Befindlichkeit der Kindesmutter nicht so radikal verändern, dass ein kindeswohlgefährdendes Verhalten ihrerseits zu befürchten ist. Seit dem Fehlverhalten des Antragstellers sind inzwischen nahezu 5 Jahre vergangen (davon mehr als 4 Jahre ohne jeden Kontakt des Antragstellers zum Kind), so dass ein beträchtlicher Zeitraum vorhanden war, in dem die Antragsgegnerin ohne jede störende Einwirkung des "Täters" das Unglück verarbeiten konnte. Der Antragsteller erscheint jetzt auch nicht als neuer gravierender Störfaktor.

17

Denn die Antragsgegnerin ist durch den ständigen außerordentlich belastenden Kontakt mit dem Kind und seinem hilflosen Zustand immer wieder an das damalige Geschehen und damit auch an den Urheber erinnert worden. Die bloße Tatsache des Umgangs verschärft diese Belastung nicht, jedenfalls nicht erkennbar schwerwiegend, und bringt keine zusätzlichen seelischen Verletzungen von neuer, andersartiger Qualität.

18

Insgesamt sind deshalb keine konkreten Umstände erkennbar, die die Besorgnis einer akuten Gefährdung des Kindeswohls rechtfertigen.

19

c) Der Senat hat die vorstehenden Gesichtspunkte (u.a. die strengen Voraussetzungen für einen Ausschluss des Umgangsrechts) mit den Parteien bereits bei der Anhörung im Termin am 07.06.2004 erörtert. Die nachfolgende Entwicklung, insbesondere die inzwischen angebahnten ersten Kontakte haben keine neuen Umstände erkennbar werden lassen, die gegen eine Fortführung der Besuche sprechen (vgl. die bereits erwähnten Stellungnahmen der Behindertenhilfe und des...). Dies könnte bei kontinuierlicher positiver (zumindest unauffälliger) Weiterentwicklung der Kontakte zu einem späteren Zeitpunkt Grundlage für eine einvernehmliche Regelung des Umgangsrechts zwischen den Kindeseltern sein.

20

d) Die Ausgestaltung des derzeitigen eingeschränkten Umgangsrechts hat der Senat, mit Einverständnis des Antragstellers, eng an den tatsächlichen, begrenzten Möglichkeiten ausgerichtet. Danach kommt derzeit und bis auf Weiteres nur ein kurzzeitiger begleiteter Umgang in den Räumen der Behindertenhilfe in Betracht. Der Termin wird jeweils von der Einrichtung entsprechend der Vereinbarkeit mit dem sonstigen geregelten Ablauf im Heim (insbesondere der Verfügbarkeit der zur Zeit als Begleitperson vorgesehenen Frau...) festgelegt, wobei nach Möglichkeit immer zwei Termine im Voraus mitgeteilt werden sollen (vgl. das Schreiben der Behindertenhilfe vom 16.11.2004). In diesem Rahmen wird das Heim auch den Wunsch der Antragsgegnerin berücksichtigen, die Besuchstage aus den im Schriftsatz vom 29.11.2004 (S. 2) genannten Gründen auf die Tage von Dienstag bis Donnerstag zu beschränken.

21

Der Senat überlässt es ferner dem Heim zu prüfen, ob es (etwa im Interesse einer Koordinierung oder auch bewussten Trennung der Kontakte der Kindeseltern zum Kind) der Antragsgegnerin die Termine vorab mitteilt; soweit keine wichtigen Gesichtspunkte (etwa die Gewährleistung eines ungestörten Kontaktes zwischen dem Antragsteller und dem Kind) dagegen sprechen, sollte dem Wunsch der Antragsgegnerin (Schriftsatz vom 29.11.2004) entsprochen werden.

22

5) Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 13a Abs. 1 Satz 1 FGG, § 30 Abs. 2, 3 KostO.