Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 26.11.2012, Az.: 11 B 4964/12
zweite Duldung; Familieneinheit; länderübergreifender Umzug; räumliche Beschränkung; Wohnsitzauflage
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 26.11.2012
- Aktenzeichen
- 11 B 4964/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 44486
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 60a AufenthG
- § 61 Abs 1 S 4 AufenthG
- Art 6 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Nach der Einfügung des § 61 Abs. 1 Satz 4 AufenthG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 22. November 2011 (BGBl. I S. 2258) besteht kein Bedürfnis mehr für die Erteilung einer sog. zweiten Duldung, sofern aus familiären Gründen ein länderübrgreifender Umzug zu einem Familienanghörigen ertrebt wird. Der Ausländer kann vielmehr nunmehr einen Antrag auf Streichung seiner Wohnsitzauflage in Verbindung mit der Erweiterung des räumlichen Geltungsbereichs der Duldung bei der Ausländerbehörde, in deren Bezirk er den Wohnsitz zu nehmen hat, stellen.
Gründe
Das nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu beurteilende Begehren der Antragstellerin, die Antragsgegnerin zu verpflichten, sie im Hinblick auf ihren in D. lebenden Ehemann D., der eine Niederlassungserlaubnis besitzt, und den gemeinsamen am 10. Oktober 2012 geboren Sohn M., welcher deutscher Staatsangehöriger ist, zu dulden, ist unbegründet.
Es fehlt an einem Anordnungsanspruch, d.h. einem materiellen Recht der Antragstellerin von der Antragsgegnerin geduldet zu werden.
Zwar besteht insbesondere im Hinblick auf die deutsche Staatsangehörigkeit des Sohnes ein sich aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK folgendes rechtliches Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 a Abs. 2 AufentG, weil die Lebensgemeinschaft nur in Deutschland geführt werden kann (vgl. nur: BVerwG, Urteil vom 4. September 2012 - 10 C 12.12 - juris, Rn. 26). Die Antragsgegnerin ist für die Erteilung einer Duldung jedoch örtlich nicht zuständig.
Nach §§ 3 Abs. 1 Nr. 3 a VwVfG, 1 Abs. 1 Nds. VwVfG beurteilt sich dies danach, wo der Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Ein rein tatsächlicher Aufenthalt ist hierfür aber nicht ausreichend, wenn er seinen Wohnsitz im Gebiet einer anderen Ausländerbehörde zu nehmen hat (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 19. Februar 2009 - 13 PA 159/08 - juris; Urteil vom 16. November 2004 - 9 LB 156/04 - InfAuslR 2005, 57 f.; OVG Hamburg, Beschluss vom 27. August 2012 - 5 Bs 178/12 - juris, Rn. 13). Die Antragstellerin hält sich zwar bei ihrer Familie in D. auf, ist aber in ihrem Asylverfahren verpflichtet worden, ihren Wohnsitz in der Aufnahmeeinrichtung M. zu nehmen (Aufenthaltsgestattung vom 19. Dezember 2011). Nach § 56 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG gilt diese Beschränkung des Aufenthalts auch nach Abschluss des Asylverfahrens fort, da sie bisher nicht aufgehoben worden ist; ihr ist lediglich nach § 57 AsylVfG für die Zeit vom 19. Dezember 2011 bis 1. Januar 2012 erlaubt worden, sich vorübergehend nach D. zu begeben. Örtlich zuständig für die Antragstellerin ist daher die Regierung von Oberbayern.
Bei familiären Bindungen zu Personen, die im Gebiet einer anderen Ausländerbehörde leben, die demselben Bundesland angehört, kann diesen durch eine Streichung der entsprechenden Wohnsitzauflage Rechnung getragen werden (vgl. Nr. 61.1.1.2 AVV zum AufenthG). Nicht möglich war dies jedoch in Fällen, wie dem vorliegendem, in dem eine länderübergreifende Umverteilung angestrebt wird. Denn im Hinblick auf § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG konnte die an sich zuständige Ausländerbehörde lediglich eine Duldung, die räumlich auf das jeweilige Bundesland beschränkt ist, erteilen. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer und des Nds. Oberverwaltungsgerichts (vgl. Beschluss vom 17. Oktober 2002 - 8 ME 142/02 - NVwZ-Beil. 2003, 22 f.; Urteil vom 28. September 2006 - 11 LB 193/06 -; Beschluss vom 5. Dezember 2008 - 2 PA 563/08 - InfAuslR 2009, 195; vgl. auch OVG Koblenz, Urteil vom 15. Februar 2012 - 7 A 11177/11 - InfAuslR 2012, 234 <235> m.w.N.) konnte im Hinblick auf höherrangiges Recht (wie hier Art. 6 GG) deshalb abweichend von den Zuständigkeitsregelungen ein Anspruch auf eine sog. zweite Duldung gegen die Ausländerbehörde des tatsächlichen Aufenthaltsortes bestehen.
Insbesondere in den Fällen der Herstellung der Familieneinheit bedarf es nach Auffassung der Kammer jedoch nunmehr der Erteilung einer zweiten Duldung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht mehr. Der Gesetzgeber hat nämlich inzwischen Regelungen geschaffen, die es auch der zuständigen Ausländerbehörde gestatten, die familiären Bindungen des Ausländers zu Personen, die in anderen Bundesländern leben, angemessen zu berücksichtigen. Nach § 61 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, welcher durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) eingefügt worden ist, kann von der räumlichen Beschränkung der Duldung in bestimmten Fällen der Arbeitsaufnahme sowie der Ausbildung abgewichen werden. In dem weiteren Richtlinienumsetzungsgesetz vom 22. November 2011 (BGBl. I S. 2258) ist nunmehr ein weiterer Satz 4 hinzugefügt worden, welcher dies auch zur Aufrechterhaltung der Familieneinheit ermöglicht. Diese Bestimmung dient der Umsetzung des Art. 14 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2008/115/EG (vgl. BT.-Drs. 17/5740, S. 24).
Mithin kann der geduldete Ausländer, der familiäre Bindungen in einem anderen Bundesland hat, nunmehr bereits durch einen Antrag auf Erweiterung des räumlichen Geltungsbereichs seiner Duldung (in Verbindung mit einem Begehren auf Streichung einer bestehenden Wohnsitzauflage) den Zuzug in ein anderes Bundesland erreichen. Die Notwendigkeit einer Durchbrechung der Zuständigkeitsregelungen auf Grund verfassungsrechtlicher Erwägungen ist damit in diesen Fällen entfallen (vgl. i.E. auch OVG Hamburg, Beschluss vom 27. August 2012 a.a.O, Rn. 20).
Zur Klarstellung weist das Gericht darauf hin, dass nach der Rechtsprechung der Kammer bei Kindern mit deutscher Staatsangehörigkeit in aller Regel ein Anspruch auf eine alsbaldige Erweiterung der räumlichen Beschränkung und Streichung einer entgegenstehenden Wohnsitzauflage bestehen dürfte, da dem Kind ein Wohnsitzwechsel nicht abverlangt werden darf (vgl. Art. 11 GG) und auch eine Trennung nicht zumutbar ist (vgl. zur zweiten Duldung VG Oldenburg, Beschluss vom 3. März 2009 - 11 B 705/09 - juris). Dieser ist aber hier nach den obigen Ausführungen gegenüber der Regierung von Oberbayern geltend zu machen. Diese hat gegenüber der Antragsgegnerin - abweichend von deren Schreiben vom 6. September 2012 - telefonisch offenbar inzwischen auch ihre Bereitschaft zur Ausstellung einer Duldung signalisiert (vgl. Schreiben der Antragsgegnerin an die Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 13. September 2012).