Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 21.11.2012, Az.: 11 A 3441/12
Aufenthaltserlaubnis; Verlängerung; Einbürgerung; Fortgeltungsfiktion
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 21.11.2012
- Aktenzeichen
- 11 A 3441/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 44488
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 81 Abs 4 AufenthG
- § 12b Abs 3 RuStAG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. § 81 Abs. 4 AufenthG kann nicht entnommen werden, dass ein Verlängerungsantrag erst kurz vor Ablauf des Aufenthaltstitels gestellt werden darf. Auch ein längere Zeit vor diesem Zeitpunkt gestellter Antrag kann daher die Fortgeltungsfiktion auslösen.
2. Auch Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts, die länger als sechs Monate dauern, sind unter den in § 12b Abs. 3 StAG genannten Bedingungen einbürgerungsrechtlich unschädlich. Die anders lautende Nds. Verwaltungsvorschrift stimmt insoweit nicht mit dem Gesetz überein. Es ist jedoch zu verlangen, dass die Zeiten des rechtmäßigen Aufenthaltes insgesamt länger sind als die Zeiten des (formell) rechtswidrigen Aufenthalts. Der Ausländer muss ferner nachweisen, dass ihm während des gesamten Unterbrechungszeitraums materiell ein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel zustand.
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 11. April 2012 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, den Kläger einzubürgern.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Einbürgerung des Klägers. Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und wurde am ... 1998 in L. geboren. Zurzeit besucht er die Hauptschule in G.. Die allein sorgeberechtigte Mutter des Klägers reiste 1993 nach Deutschland ein und wurde als Asylberechtigte anerkannt. Sie erhielt am 27. April 1994 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die nun als Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG fortgilt. Sein Vater ist ebenfalls als Asylberechtigter anerkannt und besitzt eine Niederlassungserlaubnis. Da die Eltern nie miteinander verheiratet waren und keine Sorgerechtserklärungen abgegeben haben, besitzt er jedoch kein Sorgerecht.
Am 13. August 1999 erteilte der Beklagte dem Kläger von Amts wegen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 21 AuslG, die bis zum 6. Oktober 2006 befristet war.
Am 17. Mai 2002 wurde im Zuge einer notwendigen Verlängerung des Reiseausweises für Flüchtlinge der Mutter des Klägers beim Beklagten ein für den Kläger und seine Schwester ausgefülltes und von der Mutter unterschriebenes Formular mit dem Titel „Antrag auf Erteilung/ Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung für Kinder unter 16 Jahre“ abgegeben.
Am 19. August 2004 wurde die Aufenthaltserlaubnis des Klägers mit unveränderter Gültigkeit (d.h.: bis 6. Oktober 2006) in einen neuen Reiseausweis für Flüchtlinge seiner Mutter übertragen.
Nachdem für den Kläger am 2. August 2009 ein Antrag auf einen Ausweisersatz gestellt worden war, erhielt er am 3. August 2009 eine für ein Jahr gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG. Deren Verlängerung beantragte er erst am 2. September 2010, nachdem er vom Beklagten daran erinnert worden war. Die Aufenthaltserlaubnis wurde am 23. September 2010 bis zum 6. Oktober 2014 verlängert.
Am 7. Juli 2010 beantragte der Kläger seine Einbürgerung. Da der Beklagte zunächst Zweifel hinsichtlich der Staatsangehörigkeit und Identität des Klägers hegte, beschaffte sich der Kläger einen türkischen Personalausweis (Nüfus) und ließ sich in der Türkei nachregistrieren. Mit Schreiben vom 28. September 2011 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass man damit die Staatsangehörigkeit und Identität als geklärt ansehe. Bei der weiteren Prüfung des Einbürgerungsantrags gelangte der Beklagte am 7. November 2011 zu der Einschätzung, dass der Kläger vom 7. Oktober 2006 bis 2. August 2009 keinen Aufenthaltstitel besessen habe.
Nach Anhörung des Klägers lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 11. April 2012 den Einbürgerungsantrag ab. Zur Begründung führte er aus, dass die Einbürgerung nach § 10 StAG einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet seit acht Jahren voraussetze. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt. Der Aufenthalt des Klägers sei erst seit dem 3. August 2009 rechtmäßig. Davor sei er vom 6. Oktober 2006 (Ablauf der ersten Aufenthaltserlaubnis) bis zum 3. August 2009 (Neuerteilung der Aufenthaltserlaubnis) rechtswidrig gewesen. Nur Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit von bis zu 6 Monaten könnten gemäß § 12b Abs. 3 StAG außer Betracht bleiben. Diese zeitliche Grenze ergebe sich zwar nicht aus dem Gesetzeswortlaut, die Norm sei aber ersichtlich nur für kurzfristige Verspätungen bei der Antragstellung gedacht. Würde man sie auch auf den Fall des Klägers anwenden, würde die Beantragung von Aufenthaltstiteln im Ergebnis obsolet. Es habe auch keine Pflicht des Beklagten bestanden, die Aufenthaltserlaubnis von Amts wegen zu verlängern. Der Beklagte habe seine Pflichten aus § 21 Abs. 1 AuslG bzw. § 33 Satz 2 AufenthG schon dadurch erfüllt, dass er dem Kläger am 13. August 1999 von Amts wegen eine Aufenthaltserlaubnis bis zum 6. Oktober 2006 erteilt hat. Und schließlich habe dem Kläger im fraglichen Zeitraum auch kein vom Besitz eines Aufenthaltstitels unabhängiges Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 zugestanden. Von seiner Mutter könne er ein solches Aufenthaltsrecht nicht ableiten, weil diese in Deutschland nie gearbeitet habe. Sein Vater habe zwar mehr als vier Jahre lang dem deutschen Arbeitsmarkt angehört, jedoch sei er zu dieser Zeit bereits von der Türkei ausgebürgert und daher kein türkischer Arbeitnehmer gewesen.
Der Kläger hat am 14. Mai 2012, einem Montag, Klage erhoben. Er ist in erster Linie der Ansicht, dass die Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts nie unterbrochen gewesen sei. Im fraglichen Zeitraum sei er in den Reiseausweis für Flüchtlinge seiner Mutter eingetragen gewesen. Die regelmäßigen Anträge der Mutter auf Verlängerung des Reiseausweises seien daher konkludent auch Anträge auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis gewesen. Andernfalls hätte der Beklagte seine Mutter nach § 33 Satz 2 AufenthG und Art. 3 Abs. 1 UN-KRK auf die Notwendigkeit eines Verlängerungsantrags hinweisen müssen. Außerdem sei auf ihn wegen der sogenannten „Stand-Still-Klausel“ (Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls vom 23. November 1970 zum Assozierungsabkommen EWG-Türkei) immer noch § 2 Abs. 2 Nr. 1 AuslG 1965 anzuwenden, wonach für Kinder unter 16 Jahren der Besitz eines Aufenthaltstitels nicht erforderlich sei. Jedenfalls wäre eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts aber gem. § 12b Abs. 3 StAG unbeachtlich. Die Höchstgrenze von 6 Monaten, die der Beklagte unter Berufung auf die Nds. Verwaltungsvorschrift zum StAG aufstelle, widerspreche dem Gesetzeswortlaut. Sinn und Zweck der Norm sprächen dafür, sie auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden, denn es gehe um die einbürgerungsrechtliche Unschädlichkeit von Formverstößen, die keinen Rückschluss auf mangelnde Integration zuließen. Dadurch werde die Beantragung von Aufenthaltstiteln auch nicht obsolet, denn die aufenthaltsrechtlichen Folgen der Verspätung würden von § 12b Abs. 3 StAG nicht geregelt. Schließlich sei er zumindest nach § 8 StAG einzubürgern.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 11. April 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn einzubürgern.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt und vertieft er die Ausführungen im angefochtenen Bescheid. Ferner weist er darauf hin, dass die Mutter des Klägers im fraglichen Zeitraum nie bei der Ausländerbehörde vorgesprochen und die Verlängerung ihres Reiseausweises nicht beantragt habe. Der Reiseausweis sei damals abgelaufen gewesen. Über den Verlängerungsantrag vom 17. Mai 2002 sei im Jahre 2004 mit der Übertragung der Aufenthaltserlaubnis in den neuen Reiseausweis der Mutter entschieden worden. Der Beklagte räumt aber ein, dass der Kläger alle weiteren Einbürgerungsvoraussetzungen nach § 10 StAG erfülle und wegen der Asylberechtigung der allein sorgeberechtigten Mutter auch unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit eingebürgert werden könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Einbürgerungsakte und die beigezogene Ausländerakte des Klägers verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch aus § 10 StAG auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Daher ist der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 11. April 2012 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).
Zwischen den Beteiligten ist allein streitig, ob der Kläger die Anspruchsvoraussetzung des mindestens achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet erfüllt. Dies ist nach Auffassung der Kammer der Fall.
Der Kläger hält sich seit dem 13. August 1999 rechtmäßig in Deutschland auf, unterbrochen nur durch den unstreitig nach § 12b Abs. 3 StAG einbürgerungsrechtlich unbeachtlichen Zeitraum vom 3. August bis zum 23. September 2010. Dagegen war die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts zwischen dem 7. Oktober 2006 und dem 2. August 2009 nicht unterbrochen, denn der Aufenthalt des Klägers galt in dieser Zeit aufgrund seines unbeschiedenen Verlängerungsantrags vom 17. Mai 2002 gem. § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG oder § 102 Abs. 1 Satz 3 AufenthG i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1 AuslG als rechtmäßig.
Der Kläger hat am 17. Mai 2002 die Verlängerung seiner damals noch bis zum 6. Oktober 2006 gültigen Aufenthaltserlaubnis beantragt (vgl. Bl. 160 der Ausländerakte). Seine Mutter als gesetzliche Vertreterin hat an diesem Tag das für ihn ausgefüllte und von ihr unterschriebene Formular „Antrag auf Erteilung/ Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung für Kinder unter 16 Jahre“ beim Beklagten eingereicht. Dieser Vorgang kann bei der gebotenen Auslegung analog § 133 BGB (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2011 - 1 C 1.10 -, NVwZ 2011, 1201) nur als Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis verstanden werden. Der Wortlaut des - vom Beklagten ausgegebenen - Formulars ist eindeutig. An der Wirksamkeit dieses Antrags bestehen keine Zweifel. Solche ergeben sich namentlich nicht daraus, dass die Aufenthaltserlaubnis des Klägers zum Zeitpunkt der Antragstellung noch mehr als vier Jahre gültig war. Denn weder kann dem AufenthG noch konnte dem AuslG entnommen werden, dass ein Verlängerungsantrag frühestens zu einem bestimmten Zeitpunkt vor Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gestellt werden darf. In § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ist lediglich der Ablauf der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis als hintere zeitliche Grenze der Antragstellung fixiert; für eine zeitliche Begrenzung „nach vorn“ gibt es dagegen keinen Anhaltspunkt. Ob sich aus dem Verbot des Rechtsmissbrauchs etwas anderes ergibt, etwa wenn ein Ausländer sofort nach der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis quasi „ins Blaue hinein“ einen Verlängerungsantrag stellt, nur um sich dessen Fiktionswirkung schon jetzt auf Vorrat zu sichern, bedarf hier keiner Erörterung. Der Antrag wurde erst zwei Jahre und neun Monate nach der Ersterteilung der Aufenthaltserlaubnis gestellt. Der Ablauf der Aufenthaltserlaubnis der Schwester des Klägers - K. - stand damals unmittelbar bevor, so dass für sie ein Verlängerungsantrag gestellt werden musste. Da bereits zu diesem Zeitpunkt aufgrund des unbefristeten Aufenthaltsrechts der Eltern absehbar war, dass auch der Kläger über den Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis hinaus in Deutschland bleiben soll, ist es durchaus verständlich, wenn die Mutter damals die Gelegenheit nutzte, um bezüglich beider Kinder die Verlängerung zu beantragen. Es gibt vor diesem Hintergrund keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Verlängerungsantrag nicht ernst gemeint oder rechtmissbräuchlich war.
Der rechtzeitig vor Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gestellte Verlängerungsantrag hatte sowohl nach dem zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden § 69 Abs. 3 Satz 1 AuslG als auch nach dem bei Ablauf der Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis geltenden § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zur Folge, dass der Aufenthalt des Klägers bis zu einer Entscheidung der Ausländerbehörde über die Verlängerung rechtmäßig blieb. Es bedarf daher keiner weiteren Erörterung, auf welche dieser Normen hier abzustellen ist.
Der Antrag hat sich auch nicht dadurch erledigt, dass der Beklagte die Aufenthaltserlaubnis des Klägers am 19. August 2004 in einen neuen Reiseausweis der Mutter übertragen hat. Diese Umschreibung stellte keine Entscheidung über den Verlängerungsantrag dar. Eine Verlängerung kann in ihr schon deshalb nicht erblickt werden, weil die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis unverändert blieb. Eine konkludente Ablehnung des Verlängerungsantrags lag in der unveränderten Übertragung der Aufenthaltserlaubnis ebenfalls nicht. Für einen entsprechenden Willen des Beklagten gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr erweckt die Ausländerakte den Anschein, als habe der Beklagte die Bearbeitung des Verlängerungsantrags vom 17. Mai 2002 schlicht vergessen bzw. diesen Antrag neben dem zeitgleich gestellten Antrag der Mutter des Klägers auf Verlängerung ihres Reiseausweises (dem umgehend stattgegeben worden war) und dem Begehren der Schwester des Klägers gar nicht als eigenständigen Antrag erkannt.
Auch für den späteren Zeitraum enthält die Ausländerakte nichts, was als Ablehnung des Verlängerungsantrags vom 17. Mai 2002 verstanden werden könnte. Daher dauerte die Fiktionswirkung dieses Antrags fort, bis dem Kläger am 3. August 2009 erneut eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde. Eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts ist insoweit daher nicht eingetreten.
Im Übrigen wäre der Klage auch dann stattzugeben, wenn man mit dem Beklagten davon ausgeht, dass der Aufenthalt des Klägers in Deutschland vom 7. Oktober 2006 bis zum 2. August 2009 rechtswidrig gewesen ist. Denn nach § 12b Abs. 3 StAG bleiben Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts außer Betracht, wenn sie - wie hier - darauf beruhen, dass der Ausländer nicht rechtzeitig die Verlängerung des Aufenthaltstitels beantragt hat. Eine feste zeitliche Grenze, wie lange die Unterbrechung höchstens gedauert haben darf, damit sie einbürgerungsrechtlich unschädlich bleibt, enthält die Norm nicht.
Unerheblich ist, dass die Nds. Verwaltungsvorschrift zum StAG die Anwendung des § 12b Abs. 3 auf Unterbrechungen von bis zu sechs Monaten beschränken will (vgl. Ziff. 12b.3 der Verwaltungsvorschrift). Verwaltungsvorschriften sind keine Rechtsnormen, die die Gerichte bei der Auslegung gesetzlicher Tatbestandsmerkmale binden. Das Gericht hat die Auffassung der Exekutive über die Auslegung von § 12b Abs. 3 StAG, die in der Verwaltungsvorschrift zum Ausdruck kommt, nicht nachzuvollziehen, sondern auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 1988 - 1 BvR 520/83 -, BVerfGE 78, 214 <227>). Nur wenn und soweit es die in einer bestimmten Verwaltungsvorschrift vertretene Normauslegung aus eigener Überzeugung für richtig hält, darf es sich ihr anschließen (vgl. BVerfG, aaO.). Der Inhalt eines Gesetzes ist nach dem Wortlaut (grammatische Auslegung), dem Zusammenhang (systematische Auslegung), dem Zweck (teleologische Auslegung) und der Entstehungsgeschichte (historische Auslegung) der Norm zu bestimmen (vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Mai 1960 - 2 BvL 11/59 u.a. -, BVerfGE 11, 126 <130>). Aufgrund einer Auslegung nach diesen Methoden ist das erkennende Gericht der Auffassung, dass in § 12b Abs. 3 StAG keine starre zeitliche Höchstgrenze für die unbeachtliche Unterbrechungszeit normiert wird.
Dem Wortlaut des § 12b Abs. 3 StAG lässt sich eine zeitliche Begrenzung der einbürgerungsrechtlich unschädlichen Unterbrechungsdauer nicht entnehmen. In ihm findet sich weder eine starre zeitliche Grenze noch ein die Unterbrechung zeitlich näher beschreibendes Adjektiv, wie z.B. „unerheblich“ oder „kurzzeitig“. Auch ein Ermessen, bei dessen Ausübung solche Gesichtspunkte eine Rolle spielen könnten, räumt die Vorschrift der Einbürgerungsbehörde nicht ein. Sie normiert vielmehr dem Wortlaut nach zwingend, dass Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes außer Betracht bleiben, wenn sie auf der nicht rechtzeitigen Antragstellung beruhen.
Eine systematische Auslegung des Abs. 3 im Gesamtkontext des § 12b StAG bestätigt diese Sichtweise. Für den Fall, dass ein Einbürgerungsbewerber sich zeitweise im Ausland aufgehalten hat, beschränkt Abs. 1 Satz 1 der Norm die Unschädlichkeit ausdrücklich auf Auslandsreisen von maximal je 6 Monaten Dauer. Wenn ein entsprechendes Tatbestandsmerkmal in Abs. 3 für Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes fehlt, spricht dies dafür, dass eine starre zeitliche Grenze vom Gesetzgeber hier nicht gewollt war.
Auch Sinn und Zweck des § 12b Abs. 3 StAG kann nicht entnommen werden, dass Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nur bis zu einer bestimmten starren Höchstdauer einbürgerungsrechtlich unschädlich sein dürfen. Hintergrund der Norm ist die Einschätzung des Gesetzgebers, dass die Indizwirkung, die in § 10 StAG dem achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalt für die gelungene Integration beigemessen wird, vorübergehende Unterbrechungen verträgt. Für solche integrationsunschädlichen Unterbrechungen sollte mit §12b Abs. 3 StAG eine Regelung gefunden werden (vgl. Berlit, in: GK-StAR, § 12b StAG Rn. 1, 75; s. auch BVerwG, Urteil vom 18. November 2004 - 1 C 31/03 -, BVerwGE 122, 199 ff. - zit. nach juris Rn. 19 f.; Urteil vom 28. September 1993 - 1 C 1/93 -, InfAuslR 1994, 35 ff. - zit. nach juris Rn. 24). Unterbrechungen der Rechtsmäßigkeit des Aufenthalts von mehr als sechs Monaten, die ausschließlich auf einer verspäteten Antragstellung beruhen, müssen jedoch nicht ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls zwingend integrationsschädlich sein müssen. Der Gesetzgeber geht in § 12b Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 StAG davon aus, dass sogar ein Auslandsaufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer einer Integration nicht zwingend entgegensteht. Selbst Straftaten schließen in gewissem Umfang die Integration nicht aus (vgl. § 12a StAG). Wieso ein rein formaler Verstoß gegen ausländerrechtliche Mitwirkungsobliegenheiten - hier: die verspätete Stellung eines Verlängerungsantrags - unter diesem Gesichtspunkt schwerer wiegen sollte als ein Verlassen des Bundesgebietes oder Straftaten, erschließt sich dem Gericht nicht. Gerade im vorliegenden Fall ist die Nachlässigkeit der Mutter des Klägers bei der Stellung des Verlängerungsantrags sogar in gewissem Maße nachvollziehbar. Sie selbst besaß als Asylberechtigte von Anfang an einen unbefristeten Aufenthaltstitel und musste deswegen nie Verlängerungsanträge stellen; die Aufenthaltserlaubnis ihres Sohnes war nach der Geburt von Amts wegen für eine verhältnismäßig lange Zeit (bis zur Vollendung des achten Lebensjahrs) erteilt worden. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus verständlich, wenn sie die Notwendigkeit eines Verlängerungsantrags für den Sohn aus den Augen verlor. Dies ging der Ausländerbehörde offenbar ebenso, denn sie hat die (formelle) Rechtswidrigkeit des Aufenthalts des Klägers in den Jahren 2006 bis 2009 nie zum Anlass für ein Einschreiten genommen. Namentlich wurde der Kläger nie zur Ausreise aufgefordert und ihm wurde nie die Abschiebung angedroht, wie es das Gesetz bei Ausländern ohne gültigen Aufenthaltstitel eigentlich vorschreibt (vgl. §§ 4 Abs. 1, 50 Abs. 1, 58 Abs. 1, 59 AufenthG). Die Ausländerbehörde führt für den Kläger noch nicht einmal eine eigenständige Ausländerakte. Dies verdeutlicht den engen Zusammenhang zwischen dem Aufenthalt des Klägers und seiner Mutter aus ausländischer Sicht. Selbst im Einbürgerungsverfahren hat sie sich noch dahingehend geäußert, dass aus ausländerrechtlicher Sicht keine Bedenken gegen die Einbürgerung bestünden (vgl. Vermerk vom 7. November 2011, Bl. 77 der Beiakte A). Es wäre daher gerade im vorliegenden Fall künstlich, aus der um mehr als sechs Monate verspäteten Stellung des Verlängerungsantrags auf eine mangelhafte Integration zu schließen.
Aus der Entstehungsgeschichte des § 12b Abs. 3 StAG bzw. seiner Vorgängervorschrift - § 89 Abs. 3 AuslG - ergibt sich ebenfalls kein Hinweis, dass die Höchstdauer der unbeachtlichen Unterbrechung begrenzt sein soll (vgl. BT-Drs. 11/6960, S. 29 und BT-Drs. 14/7387, S. 108, die zu dieser Frage schweigen).
Bei einer Gesamtbetrachtung aller Methoden ist § 12b Abs. 3 StAG daher dahingehend auszulegen, dass Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes, die darauf beruhen, dass der Ausländer nicht rechtzeitig die erstmals erforderliche Erteilung oder die Verlängerung des Aufenthaltstitels beantragt hat, einbürgerungsrechtlich prinzipiell ohne Rücksicht auf ihre Dauer außer Betracht bleiben.
Die höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung steht dieser Auslegung nicht entgegen. Sie hat sich - soweit ersichtlich - noch nicht mit der Frage befasst, welche „Höchstdauer“ eine nach § 12b Abs. 3 StAG einbürgerungsrechtlich unschädliche Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts haben darf. Das BVerwG hat zur Vorgängernorm - § 89 AuslG - lediglich ausgeführt, dass deren Rechtsgedanke es ermögliche, auch außerhalb des eigentlichen Anwendungsbereichs der Vorschrift das staatsangehörigkeitsrechtliche Tatbestandsmerkmal eines rechtmäßigen Aufenthalts von einer bestimmten Dauer dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass „jedenfalls kurzfristige Unterbrechungen […] der Erfüllung der […] Aufenthaltsdauer nicht entgegen stehen.“ (BVerwG, Urteil vom 18. November 2004 - 1 C 31/03 -, BVerwGE 122, 199 ff. - zit. nach juris Rn. 18 f.; ähnl. schon Urteil vom 28. September 1993 - 1 C 1/93 -, InfAuslR 1994, 35 ff. - zit. nach juris Rn. 24 [Hervorhebung nicht in den Originalen]). Dazu, wie längerfristige Unterbrechungen zu beurteilen sind, zumal wenn sie in den unmittelbaren Anwendungsbereich des § 12b Abs. 3 StAG fallen, hat es sich nicht geäußert.
Entgegen der Ansicht des Beklagten führt die Rechtsauffassung der Kammer auch nicht dazu, dass die Beantragung von Aufenthaltstiteln praktisch obsolet wird.
Diese Gefahr besteht schon deswegen nicht, weil § 12b Abs. 3 StAG nur die staatsangehörigkeitsrechtliche Unbeachtlichkeit der Unterbrechung regelt, nicht jedoch die aufenthaltsrechtlichen Folgen (vgl. Berlit, in: GK-StAR, § 12 12b StAG Rn. 4 f.). Beantragt ein Ausländer nicht vor Ablauf der Geltungsdauer seiner Aufenthaltserlaubnis die Verlängerung, führt dies nach wie vor aufenthaltsrechtlich zur Rechtswidrigkeit des Aufenthaltes (§§ 4 Abs. 1, 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) und zum Entstehen der Ausreisepflicht (§ 50 Abs. 1 AufenthG), was die Ausländerbehörde wiederum grundsätzlich zum Erlass einer Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung (§ 59 AufenthG) verpflichtet. Holt der Ausländer daraufhin den Verlängerungsantrag nicht nach und reist er auch nicht aus, ist er entweder abzuschieben (§ 58 AufenthG) oder - wenn Abschiebungshindernisse vorliegen - zu dulden (§ 60a AufenthG). Wird der Verlängerungsantrag doch noch gestellt, steht es seit dem 1. August 2012 im Ermessen der Ausländerbehörde, ob sie ihm trotz der Verspätung eine Fiktionswirkung zumessen will (vgl. § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG). Auch materiell verschlechtert sich durch die Verspätung die aufenthaltsrechtliche Lage des Ausländers. Dies gilt vor allem in den Fällen, in denen die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 8 Abs. 1 AufenthG anderen - nämlich für den Ausländer günstigeren - Vorschriften unterliegt als die Ersterteilung (vgl. z.B. § 28 Abs. 2 Satz 2 AufenthG mit § 28 Abs. 1 AufenthG, § 30 Abs. 3 AufenthG mit § 30 Abs. 1 AufenthG sowie § 34 Abs. 1 AufenthG mit § 32 AufenthG). Da nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Verlängerung eines Aufenthaltstitels eigentlich nicht mehr möglich ist, wenn dieser im Zeitpunkt der Antragstellung schon abgelaufen war (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 2011 - 1 C 5/10 -, BVerwGE 140, 64 ff. - juris Rn. 14), muss der Ausländer fürchten, dass die Behörde die Verlängerung schon allein unter Hinweis auf das Erlöschen des ursprünglichen Titels ablehnt, und für die Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis das Vorliegen der strengeren - und möglicherweise nicht mehr gegebenen - Ersterteilungsvoraussetzungen verlangt. Selbst dort, wo die Voraussetzungen für die Verlängerung und die Ersterteilung identisch sind, könnte die Behörde dem Ausländer einen zwischenzeitlichen Aufenthalt ohne gültigen Aufenthaltstitel gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG als Ausweisungsgrund (vgl. §§ 55 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) entgegen halten, wenn keine Duldungsgründe vorlagen. Die Gewichtung des Pflichtverstoßes, insbesondere seiner Dauer, ist damit letztendlich eine aufenthalts- und nicht eine einbürgerungsrechtliche Frage (so auch Berlit, in: GK-StAR, § 12b StAG Rn. 77). Das Aufenthaltsrecht bietet ausreichende Instrumente, um Antragsversäumnissen entgegenzuwirken. Wo die Ausländerbehörde dieses Instrumentarium nutzt, wird es kaum Fälle geben können, in denen eine Unterbrechung der in § 12b Abs. 3 StAG genannten Art mehrere Monate oder gar Jahre angedauert hat. Dies verdeutlicht der vorliegende Fall: Hätte die Ausländerbehörde - wie es ihre Pflicht gewesen wäre - den Kläger nach Ablauf seines Aufenthaltstitels zur Ausreise aufgefordert und ihm die Abschiebung angedroht, wäre die nun gegebene Situation voraussichtlich nicht eingetreten. Denn der Kläger hätte dann entweder den Verlängerungsantrag sofort nachgeholt und die Aufenthaltserlaubnis umgehend wieder erhalten oder er hätte das Bundesgebiet (gegebenenfalls zwangsweise) verlassen.
Um offensichtlich unbillige, mit Sinn und Zweck des § 12b Abs. 3 StAG nicht mehr vereinbare Ergebnisse in Einzelfällen zu vermeiden, genügt überdies eine strikte Auslegung der Tatbestandsmerkmale „Unterbrechung“ und „beruhen“, ohne dass zusätzlich eine im Wortlaut nicht vorhandene Zeitgrenze in die Norm hineingelesen werden müsste.
So kann von einer bloßen „Unterbrechung“ der Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes nur dann gesprochen werden, wenn die Lücke nicht so groß ist, dass sie den inneren Zusammenhang zwischen den Titelbesitzzeiten zerreißt und der Gesamtaufenthalt durch die Rechtswidrigkeit geprägt wird. Ähnlich wie bei § 12b Abs. 1 StAG über den Wortlaut der Norm hinaus vorausgesetzt wird, dass die Aufenthaltszeit in Deutschland insgesamt die Aufenthaltszeit im Ausland überwiegt (vgl. Hailbronner, in: ders./ Renner/ Maaßen, StAR, 5. Aufl. (2010), § 12b StAG Rn. 3 m.w.N.), wird man daher auch bei § 12b Abs. 3 StAG verlangen können, dass die Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes in der Summe nicht länger sind als die rechtmäßige Aufenthaltszeit.
Ferner setzt das „Beruhen“ der Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auf der verspäteten Antragstellung voraus, dass der Ausländer materiell während des gesamten fraglichen Zeitraums einen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel hatte. Die materielle Beweislast hierfür trägt nach allgemeinen Grundsätzen der Einbürgerungsbewerber, der sich auf den ihm günstigen § 12b Abs. 3 StAG beruft. Soweit der Ausländerbehörde ein Ermessen zustand, ist auch erforderlich, dass der Einbürgerungsbewerber nachweist, dass dieses zu jedem Zeitpunkt während der Unterbrechung zu seinen Gunsten ausgeübt worden wäre. Je länger die Unterbrechung andauerte und je gewichtiger der damalige Verstoß des Ausländers gegen seine aufenthaltsrechtlichen Mitwirkungsobliegenheiten war, desto schwerer wird ihm dieser Nachweis fallen.
An diesen Maßstäben gemessen wäre eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts im vorliegenden Fall einbürgerungsrechtlich unschädlich. Es ist unstreitig und unzweifelhaft, dass der Kläger als minderjähriges Kind, dessen Eltern asylberechtigt sind, im gesamten fraglichen Zeitraum materiell einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis hatte (vgl. § 33 Satz 2 i.V.m. § 34 Abs. 1 AufenthG). Er hat den Verlängerungsantrag - wenn er ihn nicht schon am 17. Mai 2002 rechtzeitig gestellt haben sollte - spätestens am 2. August 2009 nachgeholt. Alle Beteiligten haben diesen (eigentlich nur auf einen Ausweisersatz bezogenen) Antrag offenbar als Antrag auf Verlängerung bzw. Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis verstanden. Diesem Antrag wurde nur einen Tag später - am 3. August 2009 - stattgegeben. Die Gesamtzeit, die sich der Kläger seit der erstmaligen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ohne Aufenthaltstitel in Deutschland aufhielt, betrug circa 36 Monate (vom 7. Oktober 2006 bis zum 2. August 2009 und vom 3. August 2010 bis zum 23. September 2010), denen ca. 124 Monate Aufenthalt mit Aufenthaltstiteln gegenüberstehen.