Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 21.06.2007, Az.: 3 A 19/07

Ablenkung; Alltag; Beamter; Benzin; Betankung; Dienstfahrzeug; Dienstkraftwagen; Dienstpflicht; Diesel; Gespräch; grobe Fahrlässigkeit; Pflichtverletzung; Polizist; Schadensersatz; Schadensersatzpflicht; Sorgfaltspflicht; Tanken; Tankvorgang; Verletzung; Zapfpistole

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
21.06.2007
Aktenzeichen
3 A 19/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 71912
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG - 11.02.2008 - AZ: 5 LB 365/07

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Anspruchsbegründende grobe Fahrlässigkeit kann ausgeschlossen sein, wenn der Beamte bei angewöhnten alltäglichen Handlungsabläufen infolge von äußeren Umständen abgelenkt wird und infolge dieser Ablenkung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt (entspr. BGH, U. v. 8.2.1989, IVa ZR 57/88; 8.7.1992, IV ZR 223/91).
Dies kann der Fall sein, wenn ein Polizeibeamter zu Beginn des Tankvorgangs von einem Bürger angesprochen, in ein Gespräch verwickelt, hierdurch so abgelenkt wird, dass er irrtümlich die falsche Zapfpistole greift und diesen Irrtum erst nach Betanken des Fahrzeugs bemerkt (hier bejaht).

Tatbestand:

1

Der Kläger ist Polizeibeamter des Landes Niedersachsen. Er wehrt sich gegen seine Inanspruchnahme auf Schadensersatz wegen fehlerhaften Betankens eines Dienstkraftwagens durch Bescheide der Beklagten vom 18.01. und 17.04.2007. Auf diese Bescheide wird Bezug genommen.

2

Unter Einbeziehung der Einlassungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung liegt der mit den Bescheiden festgesetzten Schadensersatzforderung - zwischen den Beteiligten unstreitig - folgender Sachverhalt zugrunde:

3

Am 08.07.2006 beabsichtigte der Kläger entsprechend üblicher Gepflogenheit an einer gewerblichen Tankstelle das von seinem Kollegen und ihm benutzte Polizeidienstfahrzeug mit Dieselkraftstoff zu betanken, während sein Kollege bereits zwecks Bezahlung die Tankstelle aufsuchte. Bei dem Polizeidienstfahrzeug handelte es sich um eines von drei regelmäßig in der Polizeieinheit des Klägers benutzten Dieselfahrzeugen.

4

Zu Beginn des Tankvorgangs wurde der Kläger von einem älteren Mitbürger angesprochen und in ein Gespräch betreffend dienstlicher Belange verwickelt. Während des Gesprächs setzte der Kläger mit Öffnen des Tankdeckels, Entnahme der Zapfpistole und Betanken des Fahrzeugs den Tankvorgang fort. Nach Abschluss des Befüllens hängte er die Zapfpistole zurück. Anschließend erkundigte sich der Kläger wegen eines "komischen Gefühls" bei seinem Kollegen, welchen Treibstoff dieser bezahlt habe. Anhand der Tankquittung wurde die Falschbetankung mit Benzin festgestellt und die notwendigen Reparaturmaßnahmen veranlasst. Hierdurch entstanden dem Land Niedersachsen Aufwendungen in Höhe von jedenfalls 285,44 €.

5

Auf die diesbezügliche Meldung des Klägers vom 08.07.2006 nebst dienstlicher Stellungnahme vom 10.10.2006 sowie seine Anhörung mit Schreiben der Beklagten vom 01.11.2006 (sämtlich in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten) wird Bezug genommen.

6

Am 21.02.2007 hat der Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung er geltend macht, es sei nicht als grobe Fahrlässigkeit zu bewerten, wenn er abgelenkt durch ein Bürgergespräch versehentlich die falsche Zapfpistole gegriffen habe. In subjektiver Hinsicht treffe ihn kein schweres Verschulden.

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Der Kläger beantragt,

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die Bescheide der Beklagten vom 18.01. und 17.04.2007 aufzuheben.

9

Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

11

Die Beklagte vertieft unter Anführung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen die Begründungen ihrer Bescheide, insbesondere die Annahme grober Fahrlässigkeit. Eine dienstbedingte Eilbedürftigkeit habe nicht vorgelegen, weshalb der Kläger die Möglichkeit gehabt habe, den Bürger um einen Moment Geduld zu bitten, damit ihm beim Tankvorgang kein Fehler unterlief. Die Beklagte erläutert unter Vorlage von Belegen die Schadenspositionen.

12

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

13

Die Kammer hat den Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

Entscheidungsgründe

14

Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.

15

Einschlägige Rechtsgrundlage ist § 86 Abs. 1 NBG. Gemäß dieser Bestimmung hat ein Beamter, der vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm obliegenden Pflichten verletzt, dem Dienstherrn, dessen Aufgaben er wahrgenommen hat, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

16

Durch die Falschbetankung des Polizeidienstfahrzeugs hat der Kläger als Beamter des Landes Niedersachsen diesem einen Schaden - jedenfalls im festgesetzten, unstreitigen Umfang - zugefügt unter Verletzung der ihm obliegenden Dienstpflicht, nämlich die ihm zur Dienstausübung überlassenen Sachen des Dienstherrn nicht zu beschädigen. Diese Dienstpflichtverletzung geschah nicht vorsätzlich; dies wird auch seitens der Beklagten nicht geltend gemacht. Die Dienstpflichtverletzung ist aufgrund des unstreitigen und zugrunde zu legenden Geschehensablaufs auch nicht grob fahrlässig erfolgt.

17

Unter dem Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit wird ein Handeln oder Unterlassen verstanden, bei dem nach den gesamten Umständen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maß verletzt worden ist, wenn ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseite geschoben worden sind, und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall sich jedem hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B. v. 19.08.1998, 2 B 6/98, juris; NdsOVG, B. v. 15.07.2005, 2 LA 1172/04, NdsOVG-Datenbank). Dabei gilt nicht ein ausschließlich objektiver, nur auf die Verhaltensanforderungen des Verkehrs abgestellter Maßstab, sondern es sind auch Umstände zu berücksichtigen, die die subjektive, personale Seite der Verantwortlichkeit betreffen (BGH, U. v. 08.07.1992, IV ZR 223/91, juris = BGHZ 119, 147 ff; Plog u.a., BBG, § 78 Rn. 25). Indes kann vom äußeren Geschehensablauf und vom Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit geschlossen werden (BGH, a.a.O.) und den Beamten trifft entsprechend dem Rechtsgedanken des § 280 Abs. 1 BGB bei Vorliegen des objektiven Pflichtverstoßes die materielle Beweislast dafür, dass er die Dienstpflichtverletzung ohne für die Haftung ausreichendes Verschulden begangen hat (Plog u.a., a.a.O., Rn. 22 m.w.N.).

18

Das Vorliegen eines sog. "Augenblicksversagens" schließt das Vorliegen grober Fahrlässigkeit (noch) nicht aus. Dieser Begriff beschreibt den Umstand, dass der Handelnde für eine kurze Zeit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht ließ. Dies begründet als solches jedoch nicht die Annahme eines geringeren Verschuldensgrades, sofern die objektiven Merkmale der groben Fahrlässigkeit im Übrigen gegeben sind. Eine Vielzahl der Fälle unbewusster Fahrlässigkeit beruht gerade darauf, dass der Handelnde für eine kurze Zeit unaufmerksam ist und das an ihn gerichtete Gebot oder Verbot übersieht. Dass der Handelnde an die erhöhte Gefahr oder an die gebotene Verhaltensalternative nicht gedacht hat, ist typisch für Fälle unbewusster Fahrlässigkeit und schließt für sich allein die Möglichkeit einer groben Fahrlässigkeit nicht aus. Vielmehr müssen weitere, in der Person des Handelnden liegende besondere Umstände hinzukommen, die den Grund des momentanen Versagens erkennen und in einem milderen Licht erscheinen lassen (BGH, a.a.O.; NdsOVG, a.a.O.).

19

Derartige besondere Umstände hat die Rechtsprechung z.B. angenommen, wenn jemand sich alltägliche Handlungsabläufe angewöhnt hat, aber infolge von äußeren Umständen ablenkt wird und infolge dieser Ablenkung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt. Das Vergessen eines von verschiedenen Handgriffen in einem zur Routine gewordenen Handlungsablauf, das auch einer üblicherweise sorgfältig agierenden Person passieren könne, verdient nicht das Verdikt der groben Fahrlässigkeit (BGH, U. v. 08.02.1989, IVa ZR 57/88, juris = NJW 1989, 1354 ff). Schuldmindernd kann (auch) zu berücksichtigen sein, wenn das "Augenblicksversagen" seine Ursache in einer Konzentrationsschwäche hat, die darauf beruht, dass der Handelnde mit einer bestimmten Tätigkeit dauerhaft beschäftigt ist, die ständig seine Konzentration erfordert (BGH, U. v. 08.07.1992, a.a.O.).

20

Diesen Fallgestaltungen entspricht auch der vorliegend zu entscheidende Fall fehlerhaften Betankens eines Dienstfahrzeugs. Auch in Ansehung der sich jedem Kraftfahrer als Selbstverständlichkeit aufdrängenden Notwendigkeit der Beachtung der einschlägigen Kraftstoffart handelt es sich bei dem Betanken eines Personenkraftwagens im privaten wie beruflich-dienstlichen Bereich aufgrund der im übrigen geringen, alltäglichen Anforderungen die der Tankvorgang an den Kraftfahrer stellt, um einen typischerweise routinemäßig abzuwickelnden Vorgang. Gleichförmig wiederkehrenden, von den sachlichen Gegebenheiten nahezu standardisierten Handlungsanforderungen dieser Art begegnet der Mensch ebenso typischerweise mit einer durch stete Wiederholung gebildeten Gewohnheit der Art und Weise der Vornahme der erforderlichen Handlungen. Aufgrund des ausnahmslos vorhandenen Eigeninteresses tragen die so gebildeten Gewohnheiten etwaigen Gefahrenmomenten, wie der Wahl des falschen Kraftstoffs, in geeigneter Weise Rechnung, indem sich der Kraftfahrer der für ihn richtigen Tankpistole vergewissert. Wird der Kraftfahrer während eines solchen, den Anforderungen der Situation einschließlich etwaiger Gefahrenmomente gemäß längerer individueller Erfahrung genügenden Handlungsablaufs durch für ihn unvorhersehbare äußere Umstände - wie vorliegend die Verwicklung in ein dienstliche Belange betreffenden Gespräch seitens eines Bürgers - abgelenkt und solcherart in seiner Konzentrations- und Handlungsfähigkeit beeinträchtigt, kann dies "Abweichungen" von der üblicherweise praktizierten, bewährten Handlungsweise bewirken, die dem Handelnden infolge der Ablenkung gerade nicht (hinreichend deutlich) bewusst werden, so dass er mangels Erkenntnis der Notwendigkeit nicht in der Lage ist, gegenzusteuern. Dergestalt ist es im vorliegenden Fall dazu gekommen, dass der Kläger versehentlich zur falschen Zapfpistole gegriffen und infolge Unterbleibens ausdrücklicher Versicherung der gewählten Kraftstoffart unbemerkt den ungewollten Kraftstoff getankt hat. Ein derartiges Versehen verdient im Sinn vorstehend angeführter Rechtsprechung nicht das "Verdikt der groben Fahrlässigkeit".

21

Es ist auch nicht erkennbar, dass sich konkrete gesteigerte Sorgfaltspflichten bezüglich des Betankens von Arbeitgeber- oder Dienstfahrzeugen für Arbeitnehmer oder Beamte bzw. in besonderer Weise für Beamte des Landes Niedersachsen - z.B. durch hinreichend bestimmte Dienstanweisungen - herausgebildet hätten, deren Kenntnis für den Kläger in besonderer Weise hätten verhaltensprägend sein müssen, so dass er gehalten gewesen wäre, dass dem Tankvorgang innewohnende Gefahrenpotential abweichend von der Alltagserfahrung in einem solchen Ausmaß als gesteigert zu bewerten, dass das Betanken eines Dienstfahrzeugs ausschließlich bei vollkommen unbeeinträchtigter Konzentration vorgenommen werden dürfte, er mithin gehalten war, entweder das Bürgergespräch zu führen und (einstweilen) den Tankvorgang zurückzustellen oder den Bürger - im Sinn der Beklagten - aufzufordern, sein Anliegen zurückzustellen, um während des Tankvorgangs derartigen Anforderungen genügen zu können. Eine solche Bewertung des einem alltäglichen Vorgangs wie dem Betanken eines Kraftfahrzeugs innewohnenden Gefahrenpotentials erschiene nicht lebensnah. Eine derartige Äußerung eines Polizeibeamten gegenüber einem gesprächssuchenden Bürger würde von diesem - nachvollziehbar - mit Befremden aufgenommen.

22

Die Beklagte ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts hingegen nicht gehindert, ihren Beamten künftig - z.B. durch Erlass von Dienstanweisungen - derart gesteigerte Sorgfaltsanforderungen aufzuerlegen und ihnen abzuverlangen, stets sicherzustellen, dass die volle und uneingeschränkte Konzentration des Beamten dem Tankvorgang zu widmen ist. Eine solche Konkretisierung der Dienstpflichten wirkte auf den Sorgfaltsmaßstab und wäre bei der Beurteilung eines etwaigen künftigen Pflichtverstoßes zu würdigen.

23

Der vorstehenden Auffassung stehen die Rechtsausführungen des OVG Koblenz (B. v. 26.02.2004, 2 A 11982/03.OVG, juris = NVwZ-RR 2004, 366, im Anschluss ebenso VG Osnabrück, U. v. 30.03.2006, 3 A 100/04, NdsOVG-Datenbank) nicht entgegen. Diese betreffen ausschließlich die vorliegend nicht gegebene Fallgestaltung, dass es der Beamte unterlässt, sich vor dem Betanken des Dienstfahrzeugs der benötigten Kraftstoffart zu vergewissern. Der insoweit "nur in eng begrenzten Ausnahmefällen" zu verneinende Schuldvorwurf grober Fahrlässigkeit gründet darin, dass dem Beamten vor und bei einer Dienstfahrt typischerweise ausreichend Zeit zur Verfügung steht, sich dieser einem Kraftfahrer bei Übernahme eines fremden Fahrzeugs aufdrängenden Frage im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte nachzugehen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich das zur Erläuterung angeführte Beispiel einer durch einen polizeilichen Einsatz bedingten (unverschuldeten) Einsatzfahrt. Auf den vorliegenden Fall der von positiver Kenntnis von der zutreffenden Treibstoffart getragenen Absicht des Beamten, das Fahrzeug mit diesem zutreffenden Treibstoff zu betanken, und der Fehlbetankung infolge Konzentrationsbeeinträchtigung infolge Ablenkung durch von außen an den Beamten herangetragene Umstände lässt sich dieser Maßstab nicht übertragen.