Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 06.06.2003, Az.: 6 A 1705/01
Altersgrenze; Beihilfe; kieferorthopädische Behandlung
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 06.06.2003
- Aktenzeichen
- 6 A 1705/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48128
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 87c Abs 1 BG ND
- § 6 Abs 1 Nr 1 BhV
- § 6 Abs 1 Nr 2 BhV
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Es widerspricht nicht dem Gebot der Fürsorge und der Gleichbehandlung, dass in den Beihilfevorschriften für kieferorthopädische Behandlungen, soweit sie nicht schwere Kieferanomalien betreffen, eine Altersgrenze eingeführt wurde.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von dem Beklagten Beihilfe für eine kieferorthopädische Behandlung.
Der im ... geborene Kläger ist Landesbeamter und u. a. als Lehrer für das Fach Englisch an einer großen Schule in G... tätig. Im Herbst 2000 lag bei ihm folgende Gebiss-Situation vor: Er hatte ein konservierend, prothetisch, endodontisch und paradontologisch versorgtes, permanentes Gebiss. Es fehlten die Zähne 18, 38 und 48; der Weisheitszahn 28 war angelegt. Wegen freiliegender Trifurkationen an den Molaren wurden durch einen Zahnarzt die Zähne 17 und 27 extrahiert. Wegen tiefer Taschen musste der Zahn 22 entfernt werden. Wegen progener Verzahnung und starker parodontaler Überlastung wurde der Zahn 32 entfernt. Es bestand ein starker frontaler Engstand bei Neutralbiss und ein ca. 3 mm umfassender Überbiss. Ferner war ein Steilstand der Schneidezähne 11 und 21 gegeben. Der Incisivus 32 war nach labial verlagert (Gingivadehiszens). Der Eckzahn 43 war rotiert; Zahn 33 war nach lingual gekippt. Der Steilstand der Zähne hatte zu Kiefergelenksproblemen durch Bruxismus geführt. Auch ergaben sich tiefreichende Recessi in der Kieferhöhle und Bisswunden an den Wangenseiten. Außerdem litt - insbesondere im Englischunterricht - die korrekte Aussprache des Klägers durch die Zahnfehlstellungen.
Vom Zahnfacharzt für Kieferorthopädie ... wurde deswegen unter dem 3. November 2000 ein kieferorthopädischer Behandlungs- und Kostenplan für den Kläger erstellt, der eine Korrektur der Zahnfehlstellung u. a. durch Protrusion der Zähne 11 und 21 mit aktiver Platte, einen Lückenschluss im Unterkiefer mit Multiband-Apparatur, dem Derotieren von Zahn 43 und dem Einordnen von Zahn 33 sowie die Bisshebung und Retention mit Schiene und 3-3 Retainer vorsah. Für Material, Labor und Honorar war in diesem Plan ein Betrag von ca. 5407,73 DM vorgesehen.
Mit Beihilfeantrag vom 1. Januar 2001 reichte der Kläger u. a. eine kieferorthopädische Abrechnung vom 22. Dezember 2000 über ca. 1.800 DM bei dem Beklagten ein. Daraufhin veranlasste der Beklagte beim Amtsarzt des Landkreises Leer die Einholung einer Stellungnahme und stellte mit Bescheid vom 8. Januar 2001 einstweilen die Abrechnung der betreffenden Maßnahme zurück. Der Amtsarzt des Landkreises Ammerland teilte mit Schreiben vom 26. Januar 2001 mit, dass die betreffenden Maßnahmen nach seinem Dafürhalten nicht beihilfefähig seien, weil es sich im Falle des Klägers nicht um eine schwere Kieferanomalie, die eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung erfordere, handele.
Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 5. Februar 2001 die Beihilfefähigkeit für die kieferorthopädischen Behandlungen ab und fügte ein entsprechendes Merkblatt über zahnärztliche Behandlungen dem Bescheid bei. Dagegen legte der Kläger mit einem beim Beklagten am 5. März 2001 eingegangenen Schreiben Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, zwar handele es vielleicht nicht um eine schwere Kieferanomalie im Sinne der Vorschriften, jedoch sei bei ihm die kieferorthopädische Maßnahme in besonderer Weise sinnvoll, weil die alte Zahnstellung unglücklicherweise dazu geführt habe, dass er sich selbst Bisswunden zufügte. Außerdem habe die Artikulation von Zischlauten im Englischunterricht gelitten. Es sei daher aus Gründen der Fürsorge des Dienstherrn geboten, dass er zur Beseitigung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Einschränkungen seiner Arbeitskraft ebenso wie seine private Krankenkasse im Wege der Beihilfe die Kosten der kieferorthopädischen Maßnahme übernehme. Auch sei es ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, wenn ihm allein aus Altersgründen eine Beihilfe zu einer medizinisch gebotenen Maßnahme versagt werde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 2001 - zugestellt durch einen am 24. April 2001 abgesandten Einschreibebrief - wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, weil es an der in den Beihilfevorschriften erforderlichen Indikation einer „schweren Kieferanomalie“ fehle.
Am 28. Mai 2001 hat der Kläger Klage erhoben. Er macht geltend, dass es dem Gebot der Fürsorge und der Wirtschaftlichkeit entspreche, wenn nunmehr die bei ihm gebotene kieferorthopädische Behandlung durchgeführt und von der Beihilfe übernommen werde, um medizinische Folgekosten für die Zukunft, die sonst bei einer unterlassenen Behandlung seiner Zahnfehlstellung anfielen, zu vermeiden. Dass für ihn die Behandlung medizinisch sinnvoll und notwendig gewesen sei, ergebe sich auch aus der Stellungnahme des Kieferorthopäden ... vom 19. Oktober 2001.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, die Kosten anlässlich seiner kieferorthopädischen Behandlung entsprechend dem kieferorthopädischen Behandlungs- und Kostenplan des ... vom 3. November 2000 im Wege der Beihilfe nach den Beihilfevorschriften zu übernehmen, und
den Bescheid des Beklagten vom 5. Februar 2001 und dessen Widerspruchsbescheid vom 23. April 2001 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er wiederholt und vertieft die Begründung der angefochtenen Bescheide.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Beihilfe zu den Kosten seiner kieferorthopädischen Behandlung ab dem Herbst 2000. Die angegriffenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dazu im Einzelnen:
Rechtsgrundlage für das Verpflichtungsbegehren des Klägers ist § 87 c Abs. 1 Sätze 1 und 2 des Niedersächsischen Beamtengesetzes - NBG - (i.d.F. vom 11. Dezember 1995, Nieders.GVBl. S. 493, geändert durch Art. 14 Nr. 2 des Haushaltsbegleitgesetzes 1999 vom 21. Januar 1999, Nieders. GVBl. S. 10, 13). Danach erhalten Beamte und Versorgungsempfänger im Landes Niedersachsen Beihilfe nach den für die Beamten des Bundes geltenden Vorschriften, wobei die Beihilfevorschriften des Bundes - BhV - i.d.F. vom 10. Juli 1995 (GMBl. 1995, 470, vgl. NdsMBl. 1996, 795) maßgebend sind.
Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV sind Aufwendungen beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach notwendig und soweit sie nach Umfang und Höhe angemessen sind. Dabei bestimmten sich nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BhV die Voraussetzungen und der Umfang der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für zahnärztlichen und kieferorthopädische Leistungen nach der Anlage 2. Nach Ziff. 4 der Anlage 2 sind Aufwendungen für kieferorthopädische Leistungen nur beihilfefähig, wenn die behandelte Person bei Behandlungsbeginn das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Ausnahmsweise gilt diese Altersbegrenzung nicht bei schweren Kieferanomalien, die eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung erfordern.
Ausgehend von diesen Regelungen sind im vorliegenden Falle die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Beihilfeanspruch des Klägers nicht gegeben. Denn solche schweren Kieferanomalien liegen und lagen bei dem Kläger nicht vor. Dergleichen ergibt sich nicht aus den Feststellungen des Kieferorthopäden ... vom 3. November 2000 und 19. Oktober 2001. Auch wurden derartige Kieferanomalien vom Amtsarzt nicht festgestellt. Eine schwere Kieferanomalie ist aber nicht bei jeder fehlerhaften Stellung der Zähne oder jeder veränderten Lagebeziehung der Kiefer oder Dysplasien der Zähne und der Kiefer gegeben, die kieferorthopädisch behandelt werden, sondern ist lediglich bei schweren Anomalien wie angeborenen Missbildungen des Gesichts und der Kiefer, skelettalen Dysgnathien und verletzungsbedingten Kieferfehlstellungen gegeben (vgl. Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen für die kieferorthopädische Behandlung vom 5. November 1993, Bundesanzeiger Nr. 10/1994 S. 288, zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 17. August 2001, Bundesanzeiger Nr. 201 S. 22, 477). Die Funktionsstörung im Kausystem, wie sie vom Kläger geltend gemacht wird, ist danach zwar eine Kieferanomalie, aber sie kann nicht als eine schwere Kieferanomalie im Sinne der Beihilfevorschriften verstanden werden. Letztlich wird vom Kläger diese begriffliche Zuordnung auch nicht bestritten.
Entgegen der Ansicht des Klägers begegnet auch die altersmäßige Begrenzung der Beihilfefähigkeit, wie sie in der hier in Rede stehenden Beihilfevorschrift vom Dienstherrn vorgenommen wurde, keinen rechtlichen Bedenken. Zwar mag es sein, dass bei ihm die vorgesehenen kieferorthopädischen Maßnahmen medizinisch sinnvoll sind und letztlich einer späteren kostenintensiveren Behandlung mittels Kronen oder dem Einsetzen von Brücken oder anderen Behandlungsmaßnahmen vorbeugen, die möglicherweise wiederum zu Lasten der Beihilfe gingen. Indessen ist es nicht Sache der für den Beklagten handelnden Bediensteten oder des Gerichts, im Einzelfall eine subjektive Entscheidung darüber zu treffen, in welchem Umfange medizinische oder sonstige Maßnahmen zur Behandlung von Erkrankungen bzw. zur Vorbeugung von Erkrankungen erforderlich sind. Denn die Beihilfe stellt lediglich eine Ergänzung der beamtenrechtlichen Alimentierung und damit eine zusätzliche wirtschaftliche Unterstützung im Krankheitsfalle dar, um dem Beamten bei außergewöhnlichen Belastungen wirtschaftlich zu helfen. In diesem Rahmen obliegt die Entscheidungskompetenz darüber, welche Behandlungsmaßnahmen grundsätzlich für beihilfefähig erachtet werden, ausschließlich dem Dienstherrn, der diese Entscheidung durch die vorliegend maßgeblichen Beihilfebestimmungen konkretisiert hat. Mit den Beihilfevorschriften sollten in typisierender und generalisierender Weise die dem Beamten im Krankheitsfall typischerweise entstehenden notwendigen und angemessenen Aufwendungen ausgeglichen werden, so dass es sich im Rahmen der Fürsorge des Dienstherrn hält, wenn er hinsichtlich der kieferorthopädischen Maßnahmen bei der Beihilfefähigkeit eine Altersgrenze eingeführt hat (vgl. BVerwG NVwZ 2001, 685 [BVerwG 21.12.2000 - BVerwG 2 C 39/99] zur Konkretisierung der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht durch die Beihilfevorschriften). Denn von Verfassungs wegen erfordert die Fürsorgepflicht nicht den Ausgleich jeglicher aus Anlass von Geburts-, Krankheits-, Pflege- und Todesfällen entstandener Aufwendungen (vgl. BVerfGE 83, 89, 101 [BVerfG 13.11.1990 - 2 BvF 3/88]).
Auch verstößt die bei den kieferorthopädischen Behandlungen eingeführte Altersgrenze nicht gegen das Gebot der Gleichbehandlung Im Sinne von Art. 3 GG, denn bei der im Beihilferecht erlaubten pauschalierenden und typisierenden Betrachtung ist ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung der Minderjährigen und der Erwachsenen gegeben. Der Vorschriftengeber durfte nämlich davon ausgehen, dass mit der Behandlung aus medizinischen Gründen vor Abschluss des Körperwachstums begonnen werden soll und dass kieferorthopädische Behandlungen bei Erwachsenen in aller Regel nur ästhetische Gründe oder mangelnde zahnmedizinische Vorsorge in früheren Jahren haben (vgl. Köhnen/Schröder/Kusemann/Amelungh, Beihilfevorschriften, Stand: Juli 2002, Anlage II § 6 BhV Anm. 3 S. A II 118). Auch im vorliegenden Falle fällt auf, dass für den Kläger sich offenbar erst nach Vollendung des 50. Lebensjahrs die Frage ergeben hat, die vorhandenen kieferorthopädischen Besonderheiten einer Behandlung zuzuführen. Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass mit fortschreitendem Lebensalter erfahrungsgemäß häufiger Probleme der Zahngesundheit sich einstellen, so dass typischerweise in diesem Lebensalter erfahrungsgemäß Zahnsanierungen anstehen. Vor diesem Hintergrund durfte aber der Beihilfevorschriftengeber Ausschlusstatbestände schaffen, und bei Sonderfällen es dem Beamten zumuten, bestimmte Behandlungen aus eigener Kraft zu bewältigen. Hinzu kommt, dass auch im allgemeinen Krankenversicherungsrecht für die Angestellten, die hier in Rede stehenden kieferorthopädischen Behandlungen mit einer Altersgrenze versehen sind. Denn in § 29 SGB V sind fast wortgleich dieselben Einschränkungen wie in den hier zugrunde liegenden Beihilfevorschriften gegeben. Daher wird der Kläger nicht anders behandelt, als wenn er als Angestellter in einem allgemeinen Krankenversicherungssystem versichert wäre (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen, Urteil vom 21. November 2001 - L 4 KR 208/00 - zit. nach juris).
Der Beklagte hat daher zu Recht die Kostenübernahme abgelehnt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 8 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe, die Berufung nach § 124 a Abs. 1 VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nrn. 2 und 4 zuzulassen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.