Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 15.02.2017, Az.: 10 A 880/17

Reisepass; Sicherstellung; Völkerrecht; Vorrang des Gesetzes

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
15.02.2017
Aktenzeichen
10 A 880/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54176
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die dauerhafte Sicherstellung eines ausländischen Reisepasses verstößt gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts.
Die landesrechtlichen Vorschriften des allgemeinen Polizeirechts zur Sicherstellung werden insofern durch höherrangiges Recht verdrängt.

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 23. Dezember 2016 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Sicherstellung seines Reisepasses durch die Beklagte.

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde am 29. August 1991 in Bielefeld geboren und lebte zuletzt in A-Stadt.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 23. Dezember 2015 untersagte die Beklagte dem Kläger, der im Besitz einer Niederlassungserlaubnis war, gemäß § 46 Abs. 2 AufenthG i. V. m. § 10 Abs. 1 und 2 PassG die Ausreise aus dem Bundesgebiet bis zum 23. Dezember 2016. Zur Begründung wurde ausgeführt, es lägen polizeiliche Erkenntnisse vor, nach denen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass der Kläger beabsichtige, nach Syrien auszureisen, um sich dort dem bewaffneten Dschihad auf Seiten einer terroristischen Vereinigung anzuschließen. Außerdem forderte die Beklagte den Kläger gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG auf, seinen türkischen Reisepass sowie jedes in seinen Besitz gelangte Reisedokument, das zum Grenzüberschritt berechtigt, unverzüglich bei der Polizeiinspektion A-Stadt abzugeben.

Nachdem der Kläger am 6. Januar 2016 seinen türkischen Reisepass bei der Polizeiinspektion A-Stadt abgegeben hatte, reiste er am 6. Februar 2016 aus dem Bundesgebiet aus. Zwei Tage später wurde er beim Übertritt der serbisch-ungarischen Grenze in Ungarn festgenommen. Bei seiner Festnahme gab sich der Kläger als türkischer Staatsangehöriger namens C., geboren am 29. Juli 1990 in Istanbul, aus, konnte sich jedoch nicht ausweisen und wurde daraufhin festgenommen. Ein Gericht in Szeged verfügte anschließend die Ausweisung des Klägers sowie ein Einreiseverbot für die Dauer eines Jahres. Nachdem der Kläger aus der Haft entlassen worden war, stellte er in Ungarn einen Asylantrag, woraufhin das Ausweisungsverfahren ausgesetzt und der Kläger in ein Übergangslager für Flüchtlinge in Nagyfa verbracht wurde. Nach Auskunft der ungarischen Behörden verließ der Kläger das Lager kurze Zeit später wieder und hielt sich in der Zeit vom 12. bis 16. Februar 2016 in einem Hotel in Szeged auf.

Nach einer Erkenntnismitteilung des Bundeskriminalamtes vom 22. Februar 2016 wurde der Kläger am 17. Februar 2016 am Bahngrenzübergang Ulciishaza in einem aus Rumänien kommenden Expresszug von rumänischen Grenzpolizeibeamten kontrolliert. Bei der Personenkontrolle verwendete er einen gefälschten belgischen Pass. Der Kläger wurde daraufhin festgenommen. Nach seiner Ausweisung durch die rumänischen Behörden wurde er am Grenzübergang Battonya an die ungarischen Behörden übergeben. Da der Kläger keine plausible Erklärung für den Zweck seiner Reise und die Verwendung des gefälschten Ausweispapiers habe abgeben können, wurde er unmittelbar nach seiner Überstellung wieder in Haft genommen. Nach Einschätzung der ungarischen Behörden soll er beabsichtigt haben, über die Türkei nach Syrien zu reisen. Die ungarischen Behörden leiteten daraufhin gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Urkundenfälschung ein. Seitdem befindet er sich in Ungarn in Untersuchungshaft.

Mit Antrag vom 13. September 2016 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers für diesen den Erlass einer einstweiligen Anordnung (u. a.) zur Herausgabe seines türkischen Reisepasses an ihn bzw. von anderen Dokumenten oder Passersatzpapieren, die den Grenzübertritt in die Bundesrepublik Deutschland ermöglichten.

Mit Beschluss vom 26. Oktober 2016 lehnte die 13. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover den Antrag ab (13 B 5240/16). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe schon nicht glaubhaft gemacht, dass die Herausgabe seines türkischen Reisepasses bzw. anderer Dokumente oder Passersatzpapiere an ihn zu dessen Entlassung aus der Untersuchungshaft führen würde. Darüber hinaus habe er keinen Anspruch auf Herausgabe des Reisepasses, da die bestandskräftige Verfügung der Beklagten vom 23. Dezember 2015 den Rechtsgrund für die fortdauernde Verwahrung des Dokuments begründe.

Mit Bescheid vom 23. Dezember 2016 ordnete die Beklagte die Sicherstellung des von ihr verwahrten türkischen Reisepasses des Klägers unter Anordnung der sofortigen Vollziehung an. Ihre Verfügung stützt sie auf § 26 Nr. 1 Nds. SOG. Der Kläger unterhalte Verbindungen zur islamistisch-dschihadistischen Szene. Darüber hinaus lasse die bereits vollzogene Ausreise nach Syrien eine Bedrohung von Menschenleben durch terroristische Handlungen im Fall seiner Wiedereinreise befürchten. Nach Erkenntnissen des Landeskriminalamts Niedersachsen (LKA) bestünden Bedenken gegen eine Rückkehr des Klägers in sein bekanntes Umfeld, zu dem auch als sog. „Gefährder“ kategorisierte Personen gehörten, da eine weitere Radikalisierung zu befürchten sei. In diesem Zusammenhang sei davon auszugehen, dass der Kläger einen neuen Ausreiseversuch unternehmen oder andere staatsgefährdende Straftaten begehen werde. Nach Einschätzung des LKA bestehe für den Kläger nach Erhalt des Reisepasses die Möglichkeit, sich bei einer deutschen Botschaft um ein Einreisevisum zu bemühen.

Der Kläger hat gegen diesen Bescheid am 23. Januar 2017 durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, der Bescheid sei bereits deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte ihre Verfügung rechtsfehlerhaft auf § 26 Nr. 1 Nds. SOG anstatt auf Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes stütze. Darüber hinaus gehe von seiner beabsichtigten Wiedereinreise keine Gefahr aus, da er die Ausreise zutiefst bedauere und nunmehr mit den Behörden zusammenarbeiten wolle. Von seinem bisherigen Vorhaben habe er Abstand genommen. Die Aushändigung seines Reisepasses wünsche er nicht.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 23. Dezember 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihrer bisherigen Ausführungen den angefochtenen Bescheid.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungs-vorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 23. Dezember 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), denn die auf § 26 Nr. 1 Nds. SOG gestützte Sicherstellung seines türkischen Reisepasses durch die Beklagte ist völkerrechtlich unzulässig; sie stellt einen rechtswidrigen Eingriff in die Passhoheit des fremden Staates, der das Dokument ausgestellt hat, dar. Der Beklagten fehlt damit eine Rechtsgrundlage für das Einschreiten gegen den Kläger.

Die Ausstellung eines Passes an einen Staatsangehörigen gehört zur Personalhoheit des Heimatstaates, die andere Staaten nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen zu achten haben. Aus dem Grundsatz der Personalhoheit folgt die ausschließliche Zuständigkeit eines jeden Staates (domaine réservé), die Ausgestaltung des nationalen Passrechts (z. B. Passarten, berechtigter Personenkreis, Erteilungs- und Verlängerungsvoraussetzungen, Gültigkeitsdauer) innerhalb der durch das Völkerrecht gesetzten Grenzen nach eigenem Ermessen zu bestimmen. Die durch die Staatsangehörigkeit vermittelte Personalhoheit besteht auch weiter, wenn die betreffende Person nicht mehr der Gebietshoheit des Heimatstaates, sondern (vorübergehend) der eines anderen Aufnahmestaates unterliegt. Sie ist von dem Aufnahmestaat grundsätzlich anzuerkennen und zu respektieren. Es ist daher völkerrechtlich nur sehr eingeschränkt zulässig, durch irgendwelche, insbesondere ausländerrechtliche oder polizeiliche Maßnahmen in die Passhoheit einzugreifen (Funke-Kaiser, in: GK AufenthG, Band 1, Stand: Mai 2010, § 3 Rn. 14). Die völkerrechtliche Pflicht zur Respektierung der Personalhoheit gebietet es, den Pass als wichtige völkerrechtliche Urkunde eines anderen Staates grundsätzlich nicht einzuziehen oder gar zu entziehen oder in anderer Weise auf seinen Bestand oder Inhalt Zugriff zu nehmen (so schon OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.7.1972 – IV B 280/72 –, NJW 1972, 2199 [VG Frankfurt am Main 10.03.1972 - IV/1 H 47/72]; vgl. auch Jansen, ZAR 1998, 70, 75).

Als allgemein anerkannte Regel des Völkerrechts ist der Grundsatz der Personal- und Passhoheit anderer Staaten gemäß Art. 25 GG Bestandteil des Bundesrechts und geht den Gesetzen vor. Er sperrt insoweit den Rückgriff auf die Vorschriften des Allgemeinen (Landes-)Polizeirechts.

Völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist zwar, dass ein fremder Staat eigenständig und souverän Modalitäten der Passbenutzung durch Fremde in seinem Hoheitsgebiet festlegen darf. Es entspricht einem feststehenden Grundsatz des Völkerrechts, dass ein Staat – vorbehaltlich seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen – berechtigt ist, die Bestimmungen für die Einreise, den Aufenthalt und der Aufenthaltsbeendigung von Ausländern in seinem Hoheitsgebiet festzulegen (vgl. EGMR, Urteil vom 26.9.1997 – 85/1996/704/896 – InfAuslR 1997, 430, 432, Rn. 34 – Mehemi/Frankreich). Bundesgesetzliche Bestimmungen in diesem Sinne sind etwa die Regelungen der §§ 48 Abs. 1 und § 50 Abs. 5 AufenthG. Nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist ein Ausländer (u. a.) verpflichtet, seinen Pass auf Verlangen den mit dem Vollzug des Ausländerrechts betrauten Behörden vorzulegen, auszuhändigen und vorübergehend zu überlassen, soweit dies zur Durchführung oder Sicherung von Maßnahmen nach diesem Gesetz zulässig ist. Die Vorschrift ermächtigt die mit der Durchführung des Aufenthaltsgesetzes befassten Behörden, einen ausländischen Pass vorübergehend einzubehalten. Diese lediglich vorübergehende Verwahrung verstößt nach allgemeiner Auffassung nicht gegen die völkerrechtlich zu respektierende Passhoheit des Heimatlandes. Denn die Bundesrepublik Deutschland maßt sich damit nicht die Personalhoheit über den Ausländer an, da der Ausländer nicht an der Ausreise, zu der er spätestens seinen Pass zurückerhalten muss – sofern ihm nicht gemäß § 46 Abs. 2 AufenthG die Ausreise untersagt worden ist –, gehindert wird. Mit § 48 Abs. 1 AufenthG korrespondiert § 50 Abs. 5 AufenthG. Nach dieser Vorschrift soll (u. a.) der Pass eines ausreisepflichtigen Ausländers bis zu dessen Ausreise in Verwahrung genommen werden. Die Einbehaltung stellt nach allgemeiner Auffassung ebenfalls keinen völkerrechtswidrigen Eingriff in die Personal- und Passhoheit des Heimatlandes dar (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, 2012, § 50 Rn. 34; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.6.2001 – 13 S 542/01 –, juris).

Auch insofern ist der Rückgriff auf § 26 Nds. SOG gesperrt, weil § 50 Abs. 5 AufenthG eine abschließende Spezialregelung des Bundesrechts ist (vgl. Möller, in: Hoffmann [Hrsg.] Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 50 Rn. 19), die zudem den Rahmen des völkergewohnheitsrechtlich Zulässigen ausschöpft.

Der Frage, ob die Voraussetzungen des § 26 Nr. 1 Nds. SOG zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 23. Dezember 2016 vorlagen, brauchte das Gericht hier nicht weiter nachzugehen.

Lediglich ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass die Aufhebung des Bescheides nicht dazu führt, dass der streitgegenständliche Reisepass an den Kläger zurückzugeben ist. Da ein Pass im Eigentum des ausstellenden Staates und nicht in dem des Passinhabers steht (vgl. Jansen, ZAR 1998, 70, 75 m. w. N.), kommt nur eine Herausgabe des Passes an dessen Heimatstaat, hier die Republik Türkei, in Betracht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vor-läufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.