Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 29.05.2008, Az.: 6 A 35/07

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
29.05.2008
Aktenzeichen
6 A 35/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 45607
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2008:0529.6A35.07.0A

In der Verwaltungsrechtssache

...

hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 6. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 29. Mai 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Stelter, die Richterin Rohr, den Richter am Verwaltungsgericht H. Ludolfs sowie die ehrenamtlichen Richter Soetbeer und Tamke für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Der Bescheid der Beklagten vom 26. Februar 2007 wird aufgehoben.

  2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar

  3. Die Beklagte kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu den Kosten für eine ordnungsrechtliche Zwangsmaßnahme.

2

Im Zusammenhang mit dem Neubau der Reichenbachbrücke in Lüneburg beabsichtigte die Beklagte eine Eiche fällen zu lassen. Umweltaktivisten, die gegen das von der Beklagten entwickelte Verkehrskonzept waren, sich gegen einen verbreiterten Brückenneubau aussprachen und das Fällen der Eiche verhindern wollten, kletterten aus diesem Grund am 4. Januar 2007 außerhalb des Baustellenbereichs auf eine Buche. In den folgenden Tagen wurden Transparente aufgehängt und unter der Buche wurde von den Demonstranten und deren Unterstützer nach und nach ein kleines "Basis/Versorgungslager" gebildet. Eine Anmeldung dieser Aktionen als Versammlung unter freiem Himmel erfolgte bei der Beklagten nicht. Die Beklagte duldete zunächst diese Protestaktionen. Am 15. Januar 2007 stellte die Beklagte fest, dass die Demonstranten von der Buche aus Seile über den Baustellenzaun hinweg zur Eiche gespannt hatten. Ein Mitstreiter des Klägers hatte auf diese Weise nun die Baumkrone der Eiche, die gefällt werden sollte, besetzt. Der Kläger selbst hing an den Seilen, die zwischen der Buche und der Eiche gespannt waren. Von dort hatte er Kontakt zu einem Großbohrgerät des Bauunternehmens, welches dieses dort platziert hatte. Die Bauarbeiten wurden aufgrund dieser Protestaktionen eingestellt.

3

Die Beklagte und die von ihr hinzugezogene Polizei verständigten sich dahin, die Besetzung der Eiche und der Baustelle nunmehr zu beenden. Ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes der Beklagten war hierzu vor Ort, um die gefahrenabwehrrechtlichen Maßnahmen mit dem Polizeieinsatzleiter abzustimmen. Die Polizei forderte die Demonstranten zum Verlassen des Baugeländes auf und schlug den Demonstranten vor, dass sie den Protest außerhalb der Baustellenumzäunung fortsetzen könnten. Dem kamen der Kläger und sein Mitstreiter, die sich nun beide auf die Eiche zurückgezogen hatten, nicht nach. Der Polizeieinsatzleiter gab beiden Personen darauf hin mündlich auf, die Besetzung der zu fällenden Eiche zu beenden. Nachdem der dreifachen Aufforderung der Polizei keine Folge geleistet wurde, wurden der Kläger und sein Mitstreiter unter Anwendung unmittelbaren Zwanges von Polizeieinsatzkräften aus der Baumkrone der Eiche geholt und in Gewahrsam genommen. Um die Baumbesetzer zu erreichen, wurde ein Lkw-Hubsteiger nebst zwei Bediensteten vom Betriebshof der örtlichen Abwassergesellschaft GmbH, einem Eigenbetrieb der Beklagten, angefordert. Einer dieser Mitarbeiter musste zunächst vom Hublift aus Äste abschneiden, damit die Polizeikräfte die Kläger gefahrlos in den Hubwagen ziehen konnten. Die Eiche wurde noch am Nachmittag des 15. Januar 2007 gefällt, um zu verhindern, dass sie erneut besetzt wird.

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Nach Anhörung des Klägers forderte die Beklagte diesen mit Bescheid vom 26. Februar 2007 auf, von den Gesamtkosten in Höhe von 286,- EUR, entstanden durch den Einsatz des Hub-Lkw, den beiden Begleitkräften des Hub-Lkw und den Mitarbeiter des Ordnungsamtes, anteilig 143,- EUR an die Beklagte zu zahlen. Hierbei brachte die Beklagte für den zweistündigen Einsatz des Hub-Lkw 2 × 41,- = 82,- EUR, für die beiden Begleitkräfte 2 × 2 × 31,- = 112,- EUR und für den Mitarbeiter der Ordnungsbehörde 2 × 40,- = 80,- EUR in Ansatz. In den Gründen führte die Beklagte aus, dass der Einsatz dieser Mittel und Personen zum Zwecke der Gefahrenabwehr erfolgt sei. Die Demonstranten seien auch unter Berücksichtigung des Versammlungsrechtes nicht berechtigt gewesen, die Bauarbeiten zu behindern, unberechtigt die Baustelle zu besetzen und hierdurch andere zu gefährden. Die unangemeldete Versammlung sei im Übrigen vor dem Eingreifen durch den zuständigen Beamten der Polizeidirektion Lüneburg wirksam aufgelöst worden. Um gemäß §§ 64 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 69 Nds. SOG die Anwendung unmittelbaren Zwanges zu ermöglichen, sei der Hub-Lkw zum Einsatzort bestellt worden. Die Kläger seien als Handlungsstörer für die Kosten, die bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges entstanden seien, gemäß § 6 Abs. 1 i.V.m. § 64 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 69 Nds. SOG erstattungspflichtig. Die gemäß § 1 Abs. 1b, § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nds. Verwaltungskostengesetz i.V.m. Ziffer 108.1.6 der Allgemeinen Gebührenordnung festgesetzten Gebühren seien auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.

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Der Kläger hat am 23. März 2007 Klage erhoben. Er macht geltend, dass die Beklagte für den Erlass des Gebührenbescheides nicht zuständig sei. Die Auflösung der Versammlung und die anschließenden Zwangsmaßnahmen seien durch die Polizei durchgeführt worden. Nur sie könne daher etwaige Gebühren erheben. Außerdem habe der Einsatz des Hub-Lkw allein seiner Habhaftwerdung gedient. Er selbst habe sich völlig passiv verhalten und sich nur in ein herabhängendes Seil eingeklinkt. Sie hätten auch am Tage des Polizeieinsatzes nichts gemacht, friedlich protestiert und keine Gefahr dargestellt. Von einer Behinderung der Bauarbeiter oder sonstiger Dritter könne nicht die Rede sein, da sie friedlich auf der Eiche ausgeharrt hätten. Das gewalttätige Handeln der Polizeibeamten gegen sie sei daher nicht gerechtfertigt gewesen. Die Polizei habe ihn ohne Probleme aus dem Seil gelöst und ihn mit der Hubbühne nach unten gefahren. Dieses habe keine zehn Minuten gedauert. Anschließend sei der Hub-Lkw genutzt worden, um die Eiche Stück für Stück nach unten abzusägen. Für diese Einsatzkosten des Hub-Lkw sei er nicht erstattungspflichtig. Aus dem Bescheid sei ferner nicht ersichtlich, für welche Amtshandlungen Kosten erhoben würden. Des Weiteren habe er nicht wahrgenommen, dass die Versammlung aufgelöst worden sei. Hierzu reiche nicht, dass er dreimal unter Zwangsmittelandrohung aufgefordert worden sei, den Baum zu verlassen. Eine solche Aufforderung könne allenfalls als Vollzug der Auflösung einer Versammlung gewertet werden. Im Übrigen sei fraglich, ob - wie hier geschehen - in der Besetzung eines Baumes eine Versammlung liege und das Versammlungsgesetz Anwendung finde.

6

Der Kläger beantragt,

  1. den Bescheid der Beklagten vom 26. Februar 2007 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

8

Sie ist dem Vorbringen des Klägers entgegengetreten. Es habe eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorgelegen. Das Großbohrgerät sei besetzt worden und dadurch hätten die Arbeiten zu Untergrundsondierungen eingestellt werden müssen. Zudem sei die Baustelle mit Seilen überspannt gewesen und für die Bauarbeiter sei ein Weiterarbeiten angesichts des Verhaltens der Demonstranten mit nicht kalkulierbaren Gefahren verbunden gewesen. Neben dem Straftatbestand der Nötigung (Blockade des Bohrgerätes) seien durch die Kläger auch der Straftatbestand des Hausfriedensbruches (unerlaubtes Eindringen in den umzäunten Baustellenbereich) und der Straftatbestand des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte erfüllt worden. Bei dem Eindringen in den Baustellenbereich und der Besetzung der Eiche am 15. Januar 2007 habe es sich um eine Spontanversammlung gehandelt, die wirksam aufgelöst worden sei. Der Anwendung unmittelbaren Zwanges hätte nicht erfolgen müssen, wenn der Kläger freiwillig das Gelände verlassen hätte. Einsatzkosten des Hub-Lkw und der Mitarbeiter für das Fällen der Eiche seien in den Kostenbescheid nicht eingeflossen.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Klage ist begründet.

11

Der Bescheid der Beklagten vom 26. Februar 2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, so dass der Bescheid aufzuheben ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

12

Als Anspruchsgrundlage für einen Kostenersatz der Beklagten kommt allein § 73 Nds. Verwaltungsvollstreckungsgesetz (NVwVG) in Betracht. Diese Vorschrift ist gegenüber den §§ 3-5 Nds. Verwaltungskostengesetzes (NVwKG), die von der Beklagten im angefochtenen Bescheid als Anspruchsgrundlage genannt sind, die speziellere Rechtsnorm. Nach § 73 Abs. 1 NVwVG erheben die in § 1 NVwVG genannten Behörden für Amtshandlungen zur Durchsetzung von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen, die nicht unter § 1 NVwVG fallen, Kosten (Gebühren und Auslagen). Diese gilt insbesondere für die Anwendung unmittelbaren Zwanges. Die Kosten schuldet derjenige, gegen den sich die Amtshandlung richtet; richtet sie sich gegen mehrere, so haften diese als Gesamtschuldner (§ 73 Abs. 2 NVwVG). Die §§ 3, 4, 7-9 und 11-13 NVwKG sind dann entsprechend anwendbar (vgl. § 73 Abs. 3 NVwVG).

13

Vorliegend ist unstreitig unmittelbarer Zwang gemäß § 69 Nds. SOG angewandt worden, um den Kläger und seinen Mitstreiter zum Verlassen der Eiche und des Baustellengeländes zu zwingen. Ein etwaiger Anspruch gegen den Kläger nach § 73 NVwVG auf Kostenersatz wegen der Anwendung dieses Zwangsmittels steht indes nicht der Beklagten, sondern allenfalls der Polizei zu. Denn zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Anwendung von Zwangsmitteln rechtlich allein den Polizeikräften zugeordnet werden kann. Dafür spricht insbesondere, dass bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges allein Kräfte der Polizei, insbesondere eine SEK-Gruppe "Höheninterventionsteam", zum Einsatz gekommen sind. Vollstreckungsbeamte der Beklagten waren bei dem Herunterholen der beiden Baumbesetzer nicht zugegen und nicht beteiligt. Die Mitarbeiter vom Betriebshof der Abfallgesellschaft sind keine Vollstreckungsbeamten der Beklagten und sie haben lediglich technische Hilfestellung für den Polizeieinsatz geleistet. Dass die Polizei gleichwohl Namens und im Auftrag der Beklagten bzw. nur in Amtshilfe für die Beklagte gehandelt hat, ist weder dargetan noch ersichtlich. Im Verwaltungsvorgang der Beklagten ist an keiner Stelle die Rede davon, dass die Beklagte den Einsatz der Polizei angeordnet oder verantwortlich geleitet hätte. Die von der Abfallgesellschaft aufgestellten Kosten werden vielmehr auf Seite 6 des Verwaltungsvorgangs als Rechnung zur "Unterstützung Polizeieinsatz" bezeichnet. In dieser Weise hat sich in der mündlichen Verhandlung auch der Mitarbeiter des Ordnungsamtes der Beklagten geäußert, dass es zwar Abstimmungsgespräche zwischen ihm und der Polizei gegeben habe, dass aber die Polizei die Auflösung der Versammlung und die weitere Gesamtaktion geleitet habe und dass sie hierfür auch zuständig gewesen sei. Er hat ferner den schriftlichen Vortrag der Beklagten bestätigt, dass der Einsatzleiter der Polizei die Demonstranten aufgefordert habe, die Eiche und den Baustellenbereich zu verlassen und dass der Einsatzleiter auch den Einsatz des Höheninterventionsteams veranlasst habe. Nach § 64 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG ist aber für die Anwendung von Zwangsmitteln die Verwaltungs- oder die Polizeibehörde zuständig, die für den Erlass des Verwaltungsaktes zuständig ist, der vollstreckt werden soll. Zwar richten sich die weiteren Maßnahmen zur Durchsetzung einer nach § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sofort vollziehbaren Auflösungsverfügung und dem damit einhergehenden Gebot aus § 18 Abs. 1 i.V.m. § 13 Abs. 2 Versammle, sich vom Ort des Geschehens zu entfernen, nach allgemeinem Polizeirecht (vgl. Dietel u.a., Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 13. Aufl. 2004, § 15 Rndr. 64), so dass neben der Polizei auch die Verwaltungsbehörde als zuständige Gefahrenabwehrbehörde nach Auflösung einer Versammlung gemäß § 11 Nds. SOG gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen anordnen kann. Es ist aber weder dargetan noch ersichtlich, dass die Beklagte ihrerseits nach der behaupteten Auflösung der Versammlung seitens der Polizei das Handeln an sich gezogen hat. Es ist auch nicht vorgetragen, dass die Beklagte einen Verwaltungsakt erlassen hat, den sie als Behörde hätte durchsetzen können. Sie hat lediglich die Polizei unterstützt. Dies kommt auch im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck, wo ausgeführt ist, um die Anwendung unmittelbaren Zwanges zu ermöglichen, habe ein Hubsteiger zum Einsatzort bestellt werden müssen, damit die Einsatzkräfte (der Polizei) den Kläger und seinen Mitstreiter ohne weitere Schäden von der Baumkrone und dem Großbohrgerät hätten runterholen können. Mit dieser Maßnahme sollte - so der Bescheid - die mündlich ergangene Auflösungsverfügung durchgesetzt werden, die der zuständige Beamte der Polizeiinspektion Lüneburg erlassen habe.

14

Leistet eine Behörde - wie hier - lediglich Hilfe bei Zwangsmaßnahmen einer anderen Behörde, so kann sie für die erbrachte Unterstützung nicht einen unmittelbaren Kostenersatzanspruch nach § 73 NVwVG gegen den Adressaten des Zwangsmittels geltend machen (vgl. VG Lüneburg, Urt.v. 17.12.2003 - 3 A 108/02 -, bestätigt durch Nds. OVG, Beschl. v, 12.7.2005 - 11 LA 117/04 -). Die Beklagte kann ihre Kosten daher nur "intern" der Polizei in Rechnung stellen.

15

Aus den vorstehenden Gründen können die weiteren zwischen den Beteiligten strittigen Fragen, ob es sich um eine Spontanversammlung handelte, ob diese wirksam und sofort vollziehbar aufgelöst worden ist, ob die Zwangsmaßnahmen nach der Auflösung rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig waren und ob die Höhe der eingeforderten Kosten rechtsfehlerfrei ermittelt worden sind, dahinstehen.

16

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

17

Gründe für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor.

Stelter
Rohr
Ludolfs
Soetbeer
Tamke