Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.11.2001, Az.: 5 K 66/99

Lieferung von Saatgut und anschließende Einsaat als einheitliche, ermäßigt besteuerte Werklieferung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
29.11.2001
Aktenzeichen
5 K 66/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 14669
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2001:1129.5K66.99.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 09.10.2002 - AZ: V R 5/02

Fundstellen

  • DStRE 2002, 647-648 (Volltext mit amtl. LS)
  • EFG 2002, 579-580
  • KÖSDI 2002, 13308
  • UStB 2002, 208-209

Tatbestand

1

Streitig ist, ob die Lieferung von Saatgut auch dann dem ermäßigten Steuersatz unterfällt, wenn das Saatgut zugleich vom Unternehmer eingesät wird.

2

Der Kläger betreibt ein landwirtschaftliches Lohnunternehmen.

3

Im Februar des jeweiligen Jahres bestellen die Kunden (Landwirte) ihren Mais beim Kläger. Im April wird der Mais dann vom Kläger gebeizt und anschließend ausgeliefert. Die Lieferung des Saatguts wird vom Kläger gesondert in Rechnung gestellt. Dabei berechnet er beim Verkauf des Saatguts lediglich einen Aufschlag von 5 v.H. (gemessen am Einkaufspreis).

4

Neben der Lieferung des Saatguts übernimmt der Kläger bei den meisten seiner Kunden (ca. 90 %) die Einsaat des zuvor gelieferten Saatguts mittels einer Maisdrillmaschine. Bei der Maisdrillmaschine handelt es sich um ein Spezialgerät, das wegen seines hohen Anschaffungspreises (ca. 25.000,00 DM) nur von wenigen Landwirten vorgehalten wird.

5

Bei der Einsaat wird dem Saatgut ein Pflanzenschutzmittel und ein vom Landwirt zu beschaffender Dünger beigemischt. Die Einsaat wird vom Kläger gesondert abgerechnet.

6

Der Kläger erklärte die Pflanzenlieferungen zum ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 6 bis 9 der Anlage zum UStG. Der Beklagte unterwarf die Pflanzenlieferungen im Anschluss an eine Außenprüfung unter Hinweis auf das BMF-Schreiben vom 16. November 1993 (BStBl I 1993, 956) der Regelbesteuerung. Er verwies darauf, dass der ermäßigte Steuersatz bereits dann nicht in Betracht komme, wenn neben der Pflanzenlieferung weitere sonstige Leistungen ausgeführt werden (z.B. Einsetzen der Pflanze in das Erdreich und damit in Zusammenhang stehende Tätigkeiten).

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Hiergegen wendet sich der Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit der Klage. Er trägt vor, das BMF-Schreiben sei vorliegend nicht anwendbar, weil keine einheitliche Leistung vorliege. Die Lieferung des Mais-Saatguts sei unabhängig von der Einsaat. Dies werde durch die getrennte Abrechnung der Leistungen dokumentiert. Die Lieferung des Saatguts ziehe auch nicht zwangsläufig die Einsaat desselben nach sich. Vielmehr sei es so, dass der von ihm mit Mais-Saatgut belieferte Landwirt selbst - und zeitlich später - entscheide, ob er das Saatgut durch den Kläger oder ggf. durch einen anderen (preislich günstigeren) Lohnunternehmer einsäen lasse, sofern er nicht selbst über eine Maisdrillmachine verfüge.

8

Der Kläger beantragt,

die Umsatzsteuer 1995 um 5.873,81 DM,

die Umsatzsteuer 1996 um 6.375,42 DM und

die Umsatzsteuer 1997 um 7.126,03 DM herabzusetzen.

9

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Er trägt vor, dass die vom Kläger vorgenommene Aufteilung in eine begünstigte Pflanzenlieferung einerseits und eine nicht begünstigte Lohnleistung andererseits mit dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung nicht zu vereinbaren sei.

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Dabei werde nach dem BMF-Schreiben nicht vorausgesetzt, dass neben der Lieferung auch die weitere Tätigkeit von vornherein vereinbart oder zeitnah erfolgen müsse. Vielmehr gelte das Aufteilungsverbot auch dann, wenn Pflanzenlieferung und andere Arbeiten zwar getrennt ausgeschrieben, die Aufträge aber an einen Unternehmer vergeben würden. Dies sei hier der Fall, da sowohl die Saatgutlieferung als auch das Aussäen des Saatguts durch den Kläger erfolgt sei.

12

Bei dieser einheitlichen Leistung sei das Bearbeiten und Ausbringen des Saatguts als Hauptleistung anzusehen, hinter der die Lieferung des Saatguts als Nebenleistung zurücktrete:

13

Vor dem Ausbringen werde das Saatgut vom Kläger bearbeitet (Beizen). Diese Behandlung sei notwendig, um die Saat z.B. vor dem Vogelfraß zu schützen. Die zugemischte Substanz sei stark ätzend, was eine extrem vorsichtige Vorgehensweise bei der Bearbeitung erfordere. Beim Aussäen (Mais setzen) müsse Korn für Korn in einem ganz bestimmten Abstand in die Erde gebracht werden, damit die wachsenden Maisstücke genügend Licht und Wasser erhalten könnten. Hierzu werde eine hydraulisch arbeitende Maisdrillmaschine benötigt. Deren Anschaffung lohne sich nicht für einen kleinen Landwirt, da Mais nur einmal im Jahr eingesät werde. Während der Landwirt das Saatgut problemlos selbst einkaufen könne, sei er für das Mais-Setzen auf die Dienstleistung des Lohnunternehmers angewiesen. Dagegen sei ein reiner Saatguthändler mangels entsprechender Maschinenausrüstung nicht in der Lage, auch das Aussäen als Zusatzleistung anzubieten. Im Streitfall stelle daher die Lohnarbeit die Hauptleistung dar.

14

Der Kläger betreibe ein landwirtschaftliches Lohnunternehmen und keinen "Saatguthandel". Hierfür spreche auch die Abrechnung zwischen den Beteiligten, wonach das Saatgut zum Einstandspreis an die Kunden abgegeben würde und der Gewinn mit der Verrichtung der Lohnarbeit erzielt würde.

Gründe

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Die Klage ist begründet.

16

Die Lieferung des Saatguts und die anschließende Einsaat stellt ein einheitliche Werklieferung dar, die dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 13 der Anlage des UStG - Getreide(saatgut) - unterliegt. Da der Kläger die Steuerermäßigung auf die reine Saatgutlieferung beschränkt hatte, war es dem Gericht untersagt, über diesen Antrag hinauszugehen.

17

Liefert ein landwirtschaftlicher Lohnunternehmer einem Landwirt Getreidesaatgut und sät er es auch in den Boden ein, so bewirkt er eine einheitliche Werklieferung (§ 3 Abs. 4 UStG).

18

1.

Der Senat sieht die Lieferung und die Einsaat als einheitliche Leistung (Werklieferung) an.

19

Für die Annahme einer einheitlichen Leistung sind im Wesentlichen folgende (gemeinschaftsrechtlich geklärte) Grundsätze zu beachten (BFH-Urteil vom 31.05.2001 V R 98/98, BStBl II 2001, 658 [BFH 31.05.2001 - V R 97/98] unter Bezugnahme auf EuGH-Urteil vom 25. Februar 1999 Rs. C.349/96, UVR 1999, 157 - Rz. 29 ff.).

20

Danach ist zum einen zwar jede Dienstleistung in der Regel als eigene, selbständige Leistung zu betrachten, zum anderen darf aber eine wirtschaftlich einheitliche Dienstleistung im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden; daher ist das Wesen des fraglichen Umsatzes zu ermitteln, um festzustellen, ob der Steuerpflichtige dem Verbraucher mehrere selbständige Hauptleistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt, wobei auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist.

21

Zwar ist diese Rechtsprechung für die Überlassung von Sportanlagen entwickelt worden, wo es ausschließlich um sonstige Leistungen geht (Grundstücksüberlassung, Vermietung von Betriebsvorrichtungen etc.). Die hierzu entwickelten Grundsätze sind vorliegend jedoch zumindest entsprechend anwendbar, zumal die Lieferung einen Unterfall der Leistung beinhaltet (§ 3 Abs. 9 UStG; vgl. Klenk, in Sölch/Ringleb, UStG, § 1 Rz. 15 m.w.N.).

22

Die Saatgutlieferung stellt keine - von der Einsaat getrennte - Leistung dar. Zwar ist die Saatgutlieferung getrennt abgerechnet worden. Es ist auch nicht in jedem Fall der Saatgutlieferung zugleich die Einsaat vom Kläger vorgenommen worden. Dennoch hat der Kläger in den meisten Fällen (ca. 90 v.H.) tatsächlich die Einsaat des zuvor gelieferten Saatguts übernommen. Gerade an der Einsaat war er als Lohnunternehmer auch wirtschaftlich interessiert, weil er hier den Einsatz der von ihm angeschafften Spezialmaschine (Maisdrillmaschine) stundenweise und mit Gewinn abrechnen konnte. Demgegenüber erfolgte die Abrechnung des Saatguts fast zum Einstandspreis; der Aufschlag von 5 v.H. erfolgte aufgrund des eigenen Vortrags des Klägers lediglich als Ausgleich des Zinsverlustes. Dem Landwirt als Auftraggeber (Durchschnittsverbraucher) geht es dabei nicht nur um den Kauf des Saatguts. Vielmehr erwartet er vom Lohnunternehmer eine fertigte Einsaat und damit eine Leistung, die über den bloßen Erwerb des Saatguts hinausgeht. Die gesonderte Abrechnung der Pflanzenlieferung ist vor diesem Hintergrund zu vernachlässigen.

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2.

Die einheitliche Leistung stellt eine Werklieferung und keine Werkleistung dar.

24

Eine Werklieferung (§ 3 Abs. 4 UStG) unterscheidet sich von einer Werkleistung dadurch, dass der Werklieferer ein Werk erstellt und als solches liefert, in den ein von ihm selbst beschaffter Hauptstoff gegenständlich eingeht. Das vom Lohnunternehmer beschaffte Getreidesaatgut ist der einzige Gegenstand, der in das fertige Werk eingeht. Er ist auch Hauptstoff und kann im Verhältnis zur reinen Arbeitsleistung nicht als Nebensache i.S.d. § 3 Abs. 3 UStG und damit als unselbständige Nebenleistung angesehen werden (ebenso Schlienkamp/Rondorf, in: Plückebaum/Malitzky, UStG, § 12 Abs. 1 Nr. 1 Rz. 187/3a). Dies wird auch durch die (getrennte) Abrechnung der Leistungen dokumentiert: Ausweislich der vorgelegten Rechnungen übersteigt das Entgelt für die Saatlieferung nämlich das Entgelt für die Lohnarbeit (Einsaat). Das BMF (Schreiben vom 16. November 1993, BStBl I 1993, 956) geht ebenfalls von einer - allerdings nicht begünstigten - Werklieferung aus.

25

Eine die Lieferung überwiegende Werkleistung käme allenfalls dann in Betracht, wenn neben dem Einpflanzen des Saatguts sonstige Lohnleistungen (z.B. vorherige Feldbearbeitung oder nachträgliche gesonderte Düngung) erbracht würden. Vorliegend beschränkt sich die Dienstleitung des Klägers jedoch im (bloßen) Einpflanzen des zuvor bereits gebeizten und gelieferten Saatguts. Dass der Kläger bei diesem (einen) Arbeitsvorgang gleichzeitig das mitgelieferte Pflanzenschutzmittel und den vom Auftraggeber (Landwirt) beigestellten Pflanzendünger in den Boden einbringt, führt zu keiner anderen Beurteilung.

26

3.

Gegenstand der einheitlichen Leistung (Werklieferung) ist das eingesäte Saatgut.

27

Bei einer Werklieferung ist Leistungsgegenstand das fertige Werk als Gesamtheit der gelieferten Hauptstoffe einschließlich der Arbeitsleistung des Unternehmers und der dabei verwendeten Zutaten und sonstigen Nebensachen. Die Werklieferung unterliegt dem ermäßigten Steuersatz, wenn das fertige Werk als solches zu den in der Anlage des UStG aufgeführten Gegenständen gehört.

28

Der Lohnunternehmer, der von ihm selbst beschafftes Saatgut in den Ackerboden einsät, liefert als fertiges Werk, nicht etwa einen "eingesäten Acker" sondern "eingesätes Saatgut", d.h. Saatgut, das sich im Zeitpunkt der Lieferung im Ackerboden befindet. Durch das Einsäen wird das Saatgut nicht zu einem Gegenstand anderer Art, sondern bleibt ein begünstigter Gegenstand der Anlage (Schlienkamp/Rondorf, in: Plückebaum/Malitzky, UStG, § 12 Abs. 1 Nr. 1 Rz. 187/3b; Husmann, in Rau/Dürrwächter, UStG, § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Anm. 65; a.A. BMF-Schreiben vom 16. November 1993, BStBl I 1993, 956). Die Steuerermäßigung wird durch die Verbindung mit dem Grund und Boden nicht ausgeschlossen (§ 3 Abs. 4 Satz 2 UStG).

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4.

Die Entscheidung des Senats steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH. Zwar hat dieser jüngst entschieden, dass Grabpflegeleistungen als sonstige Leistungen dem allgemeinen Steuersatz unterliegen; die dabei ausgeführten Lieferungen der Pflanzen haben regelmäßig keine selbständige Bedeutung (BFH-Urteil vom 13.06.2001, V R 80/99; BFH/NV 2001, 1516 [BFH 21.06.2001 - V R 80/99]). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass nach der Vereinbarung über die Grabpflegeleistungen im Urteilsfall keine vorherbestimmten Pflanzen geliefert, sondern das Grab "in einen würdigen und der Jahreszeit entsprechenden Zustand versetzt und zur Durchführung dieses Dienstleistungserfolgs Pflanzen nach eigener Wahl verwendet werden durften". Außerdem war die Bepflanzung zu pflegen (z.B. Hecke schneiden) und im Winter abzudecken. Bei diesem Leistungsbündel "Grabpflege" kommt der Lieferung der Pflanzen - im Gegensatz zum vorliegenden Fall - keine eigene rechtliche Bedeutung zu.

30

5.

Dem Gericht war es nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO verwehrt, die (einheitliche) Werklieferung dem ermäßigten Steuersatz zu unterwerfen, weil der Kläger nur für die reine Saatgutlieferung den ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG beantragt hat.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

32

Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, weil das BMF im Schreiben vom 16. November 1993 eine andere Ansicht vertritt.