Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 07.11.2001, Az.: 12 K 415/95

Ausübung des Wahlrechts hinsichtlich der Veranlagungsart des anderen Ehegatten als rückwirkendes Ereignis

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
07.11.2001
Aktenzeichen
12 K 415/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 14572
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2001:1107.12K415.95.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 03.03.2005 - AZ: III R 22/02

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Der Antrag des beigeladenen Ehegatten auf getrennte Veranlagung stellt verfahrensrechtlich ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO dar.

  2. 2.

    Ehegatten können ihr Veranlagungswahlrecht bis zur Unanfechtbarkeit sogar eines Berichtigungs- oder Änderungsbescheides ausüben oder bis zu diesem Zeitpunkt eine einmal getroffene Wahl widerrufen. Das gilt unabhängig davon, inwieweit durch die Änderung die Bestandskraft unterbrochen wird.

  3. 3.

    Eine Ausnahme gilt nur für den Fall, dass die Rechtsausübung willkürlich erscheint.

  4. 4.

    § 351 Abs. 1 AO steht einer Änderung des Veranlagungswahlrechts durch den beigeladenen Ehegatten nicht entgegen. Denn § 351 AO begrenzt nur den Umfang der Anfechtung eines Steuerbescheides. Die Wahl der Veranlagungsart stellt aber keine Anfechtung in diesem Sinne dar, sondern ist ein Verpflichtungsbegehren auf Durchführung einer erneuten Veranlagung.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob das Finanzamt (FA) für den Kläger eine getrennte Veranlagung durchführen durfte.

2

Der Kläger wurde für das Streitjahr mit Bescheid vom 10.07.1989 zunächst einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Die Einzelveranlagung erfolgte, weil das damals zuständige Finanzamt H nach den Angaben in der im Jahr 1988 abgegebenen Einkommensteuererklärung davon ausging, dass der Kläger und seine geschiedene Ehefrau, die Beigeladene, im Streitjahr getrennt gelebt hätten. Mit dem hiergegen eingelegten Einspruch begehrte der Kläger die Zusammenveranlagung mit der Begründung, er habe bis März 1986 mit der Beigeladenen zusammengelebt. Nachdem die Beigeladene im Rahmen eines Zivilgerichtsverfahren der Zusammenveranlagung am...zugestimmt hatte, erging ein unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehender Zusammenveranlagungsbescheid vom 13.11.1991. Dieser Bescheid wurde gemäß § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) mit Bescheid vom 29.06.1992 nach einer Betriebsprüfung mit weiterem Bescheid gemäß § 54 Einkommensteuergesetz (EStG) geändert. Der zuletzt geänderte Bescheid für die Beigeladene wurde am 07.12.1992 , für den Kläger am 06.01.1993 zur Post gegeben.

3

Die Beigeladene legte hiergegen am 09.12.1992 Einspruch ein und beantragte die getrennte Veranlagung. Das FA entsprach diesem Antrag und führte mit Einkommensteuerbescheid vom 10.06.1993 eine getrennte Veranlagung nach § 26 a EStG für den Kläger durch.

4

Zur Begründung des hiergegen eingelegten Einspruchs trug der Kläger vor, der Änderungsbescheid sei aufzuheben, weil Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Durch den Bescheid vom 29.06.1992 sei Bestandskraft eingetreten. Der Änderungsbescheid vom 06.01.1993 habe ausschließlich zu einer Steuerminderung und nicht zu einer Steuererhöhung geführt. Gemäß § 351 Abs. 1 AO habe dieser Bescheid nicht mehr mit dem Antrag auf getrennte Veranlagung angegriffen werden können.

5

Der Einspruch blieb erfolglos. Zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidung führte das FA aus: Festsetzungsverjährung sei nicht eingetreten. Der Bescheid vom 29.06.1992 sei hinsichtlich der Kinderfreibeträge nach § 165 Abs. 1 AO vorläufig ergangen. Die erhöhten Kinderfreibeträge nach § 54 EStG hätten somit in einem geänderten Bescheid berücksichtigt werden können. Gegen diesen Änderungsbescheid habe die Beigeladene Einspruch eingelegt, durch den der Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt gewesen sei. Da dem Begehren der Beigeladenen auf getrennte Veranlagung entsprochen worden sei, sei der Bescheid für den Kläger nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern gewesen. Diese Änderung sei innerhalb der in § 175 Abs. 1 Satz 2 AO genannten Frist erfolgt. Bis zur Unanfechtbarkeit eines Steuerbescheides bzw. Berichtigungs- oder Änderungsbescheides könnten Ehegatten ihr Wahlrecht hinsichtlich der Veranlagungsart ausüben. § 351 Abs. 1 AO finde auf den Fall der Änderung der Wahlrechtsausübung keine Anwendung (BFH-Urteil vom 25.06.1993 III R 32/91 BStBl II 1993, 824).

6

Hiergegen richtet sich die Klage, zu deren Begründung der Kläger sein vorprozessuales Vorbringen im Wesentlichen wiederholt.

7

Im Rahmen einer am 10.12.1998 durchgeführten mündlichen Verhandlung stellte der Kläger für den Fall der Abweisung der Klage den Antrag, weitere Vorsorgeaufwendungen i.H.v. 2.700,00 DM zum Abzug zuzulassen. Dem Hilfsantrag trug das FA mit Änderungsbescheid vom 09.11.2000 Rechnung. Der Kläger hat diesen Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

8

Ergänzend trägt er vor: Die getrennte Veranlagung scheitere am Eintritt der Festsetzungsverjährung. Die Festsetzungsfrist habe am 31.12.1992 geendet. Der Änderungsantrag der Beigeladenen vom 09.12.1992 habe den Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht hindern können. Denn die Ausübung des Wahlrechts selbst sei keine Tatsache, sondern Verfahrenshandlung. Die Beigeladene hätte den Antrag auf getrennte Veranlagung innerhalb der Einspruchsfrist des Änderungsbescheides vom 29.06.1992 stellen können. Die Änderung durch den Bescheid vom 07.12.1992 bzw. 06.01.1993 habe lediglich den Abzug der Kinderfreibeträge betroffen.

9

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Einkommensteuerbescheid vom 09.11.2000 sowie den Einkommensteuerbescheid vom 10.06.1993 in der Fassung des Einspruchsbescheides aufzuheben,

hilfsweise den Bescheid vom 06.01.1993 über die Zusammenveranlagung mit der Beigeladenen in Kraft zu setzen,

vorsorglich hilfsweise die auf den Kläger entfallene Nachforderung in sinngemäßer Anwendung des § 351 AO zu begrenzen.

10

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Er verweist auf seine Ausführungen im Einspruchsbescheid und trägt ergänzend vor: Der Einkommensteuerbescheid, in dem die erhöhten Kinderfreibeträge gemäß § 54 EStG berücksichtigt worden seien, sei bereits am 07.12.1992, damit vor Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist (31.12.1992) ergangen. Der Antrag auf getrennte Veranlagung sei mit Schriftsatz vom 09.12.1992, ebenfalls innerhalb der Festsetzungsfrist gestellt worden. Der Antrag auf Änderung entspreche verfahrensrechtlich § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Ein solches rückwirkendes Ereignis führe dazu, dass die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres beginne, in dem das Ereignis eingetreten sei. Da der Antrag auf getrennte Veranlagung erst in 1992 gestellt worden sei, sei am 10.06.1993 noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten.

Gründe

12

Die Klage hat keinen Erfolg.

13

Zu Recht hat das FA den Kläger für das Streitjahr getrennt zur Einkommensteuer veranlagt.

14

1.

 Der Erteilung des Einkommensteuerbescheides vom 10.06.1993 stand der Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht entgegen.

15

a)

Gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO beträgt die Festsetzungsfrist vier Jahre. Sie beginnt gemäß § 170 Abs. 2 AO, wenn eine Steuererklärung einzureichen ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird. Danach begann die Festsetzungsfrist somit mit Ablauf des Jahres 1988 zu laufen und endete grundsätzlich mit Ablauf des Jahres 1992.

16

Der geänderte (Zusammenveranlagungs-) Bescheid vom 07.12.1992, in dem die erhöhten Kinderfreibeträge gemäß § 54 EStG berücksichtigt worden sind, ist der Beigeladenen im Dezember 1992 zugegangen. Der hiergegen von ihr eingelegte Einspruch und Antrag auf getrennte Veranlagung wurde mit Schriftsatz vom 09.12.1992, mithin ebenfalls innerhalb der Festsetzungsfrist gestellt. Dieser von der Beigeladenen gestellte Antrag auf getrennte Veranlagung stellt verfahrensrechtlich ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO dar. Dieses rückwirkende Ereignis führt dazu, dass die Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzung gegenüber dem Kläger nicht am 31.12.1992 abgelaufen ist, sondern gemäß § 175 Abs. 1 Satz 2 AO gehemmt ist. Sie beginnt erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Ereignis eingetreten ist. Damit war im Jahr 1993 noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten.

17

b)

Aufgrund des Antrags der Beigeladenen auf Durchführung der getrennten Veranlagung war das FA verpflichtet, die ursprüngliche Zusammenveranlagung aufzuheben und die getrennte Veranlagung für den Kläger und die Beigeladene durchzuführen.

18

aa)

Ehegatten, die beide unbeschränkt steuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben und bei denen die Voraussetzungen zu Beginn des Veranlagungszeitraumes vorgelegen haben, können zwischen getrennter (§ 26 a EStG) und Zusammenveranlagung (§ 26 b EStG) wählen. Das Gesetz sieht für die Ausübung des Wahlrechts keine Frist vor und enthält keine Vorschrift über die Bindung an eine einmal getroffene Wahl. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) können Ehegatten ihr Veranlagungswahlrecht bis zur Unanfechtbarkeit sogar eines Berichtigungs- oder Änderungsbescheides ausüben oder bis zu diesem Zeitpunkt eine einmal getroffene Wahl widerrufen (vgl. BFH-Urteile vom 28.08.1981 VI R 139/78, BStBl II 1982, 156; vom 24. Mai 1991 III R 105/89, BStBl II 1992, 123; BFH-Urteil vom 20.01.1999 XI R 31/96 BFH-NV 1999, 1333; BFH-Beschluss vom 06.02.1990 III ER-S-4/97 BFH/NV 1999, 160 [BFH 29.07.1998 - II B 134/97]). Dies gilt unabhängig davon, inwieweit durch die Änderung die Bestandskraft durchbrochen wird (vgl. BFH-Urteil vom 19.05.1999 XI R 97/94 BStBl II 1999, 762 zur Ausübung des Veranlagungswahlrechts bei einem Änderungsbescheid aufgrund Verlustrücktrags; BFH-Urteil vom 25.06.1993 III R 32/91, BStBl II 1993, 824 zur Änderung gemäß § 165 Abs. 2 AO).

19

bb)

Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung nur für den Fall, dass die Rechtsausübung willkürlich erscheint (BFH-Urteil vom 10.01.1992 III R 103/87 BStBl II 1992, 297). Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben. Insbesondere war die Beigeladene nicht an die Zustimmung zur Zusammenveranlagung, die sie zuvor im Rahmen eines Zivilgerichtsverfahrens abgegeben hatte, gebunden. Denn das Gesetz sieht für die Ausübung des Veranlagungswahlrechts keine Bindung an die einmal getroffene Wahl vor. Hinzu kommt, dass nach der Zustimmungserklärung, die zum Erlass des Zusammenveranlagungsbescheides vom 13.11.1991 führte, sich die Besteuerungsgrundlagen geändert haben (Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Beigeladenen im Bescheid vom 13.11.1991: 2.236,00 DM, im Bescheid vom 29.06.1992: 11.609,00 DM), so dass die "Geschäftsgrundlage" für die Ausübung des Ehegattenwahlrechts eine wesentlich andere geworden ist, als sie im Zeitpunkt der Zustimmungserklärung im März 1991 war (vgl. BFH-Beschluss vom 06.02.1998 III E R-S- 4/97 BFH/NV 1999, 160, 161 [BFH 29.07.1998 - II B 134/97] vorletzter Absatz).

20

2.

Einer Änderung des Veranlagungswahlrechts durch die Beigeladene steht die Vorschrift des § 351 Abs. 1 AO nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift können Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung reicht. § 351 AO begrenzt nur den Umfang der Anfechtung eines Steuerbescheides. Die Wahl der Veranlagungsart stellt jedoch keine Anfechtung in diesem Sinne dar, sondern ist ein Verpflichtungsbegehren auf Durchführung einer erneuten - hier getrennten - Veranlagung. Die im Zusammenhang mit der Änderung eines Steuerbescheides erneut ausgeübte Wahl der Veranlagungsart durch die Ehegatten löst nur die Rechtsfolge der §§ 26 a bis 26 c EStG aus, läßt im Übrigen die Besteuerungsgrundlage unberührt. Damit findet die Anfechtungsbeschränkung nach § 351 Abs. 1 AO keine Anwendung auf die Ausübung des Wahlrechts nach § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG (vgl. BFH-Urteil vom 25.06.1993 III R 32/91, BStBl II 1993, 824; BFH-Beschluss vom 06.02.1988 III ER-S 4/97 a.a.O). Es konnte noch in vollem Umfang und nicht nur insoweit, als der Änderungsbescheid reicht, bis zur Unanfechtbarkeit des Änderungsbescheides vom 07.12.1992 durch die Beigeladene ausgeübt werden.

21

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 136, 139 Abs. 4 Finanzgerichtsordnung (FGO). Soweit im Verlauf des Klageverfahrens dem Hilfsantrag des Klägers stattgegeben worden ist, waren dem Beklagen die Kosten aufzuerlegen.

22

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung,155 FGO.