Landgericht Aurich
Urt. v. 28.10.2011, Az.: 5 O 854/11
Verpflichtung zur Duldung einer Objektbesichtigung zur Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens i.R.d. Übertragung des Wohnungseigentums bzgl. einer Eigentumswohnung
Bibliographie
- Gericht
- LG Aurich
- Datum
- 28.10.2011
- Aktenzeichen
- 5 O 854/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 36131
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGAURIC:2011:1028.5O854.11.0A
Rechtsgrundlagen
- § 242 BGB
- § 809 BGB
Fundstellen
- NZBau 2012, 369-370
- NZM 2012, 428-429
Redaktioneller Leitsatz
1.
Im Rahmen eines anhängigen selbständigen Beweisverfahrens besteht keine prozessuale Verpflichtung eines Antragsgegners, eine Objektbesichtigung zu dulden. Es besteht grundsätzlich keine prozessuale Möglichkeit, einen Antragsgegner zur Duldung einer Beweiserhebung oder Mitwirkung bei einer solchen zu zwingen.
2.
Für einen Antragsgegner kann sich jedoch aus materiellem Recht die Verpflichtung ergeben, bei einem Augenschein oder einer Ortsbesichtigung durch einen Sachverständigen mitzuwirken oder diese Beweisaufnahme zu dulden und zu fördern. Entsprechende Ansprüche können im Klagewege oder bei entsprechender Eilbedürftigkeit auch im Rahmen einer einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden.
3.
Ein solcher materiell-rechtlicher Anspruch kann sich aus §§ 809, 242 BGB ergeben. Danach kann derjenige, der gegen den Besitzer einer Sache einen Anspruch in Ansehung der Sache hat oder sich Gewissheit verschaffen will, ob ihm ein solcher Anspruch zusteht, wenn die Besichtigung der Sache aus diesem Grunde für ihn von Interesse ist, verlangen, dass der Besitzer ihm die Sache zur Besichtigung vorlegt oder die Besichtigung gestattet. Sachen sind dabei bewegliche und auch unbewegliche Sachen.
In dem Rechtsstreit
...
hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Aurich auf die mündliche Verhandlung vom 14.10.2011 durch den Richter am Landgericht V. als Einzelrichter
für R e c h t erkannt:
Tenor:
- I.
Die einstweilige Verfügung vom 13.09.2011 bleibt aufrechterhalten.
- II.
Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Verfügungsverfahrens.
Tatbestand
Die Verfügungskläger machen die Duldung einer Objektbesichtigung geltend.
Gemäß notariellem Wohnungseigentum- und Bauvertrag vom 02.11.2009 vereinbarten die Parteien, dass die Verfügungsbeklagte den Verfügungsklägern Wohnungseigentum bezüglich einer Eigentumswohnung an dem Gebäude auf dem Grundstück A.N in Leer überträgt und die Bauerrichtung vornimmt. In der Folgezeit kam es während der Bauausführung zu Differenzen zwischen den Parteien. Die Verfügungskläger beanstandeten Abweichungen von den allgemeinen anerkannten Regeln der Technik und Baukunst und erwirkten die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens (Landgericht Aurich 5 OH ../11). Gemäß Beweisbeschluss vom 19.04.2011 wurde der Sachverständige Dipl.-Ing. H. mit der Begutachtung beauftragt.
Wegen behaupteter zahlreicher Mängel erklärten die Verfügungskläger unter dem 06.07.2011 den Rücktritt von dem Kaufvertrag vom 02.11.2009 und sprachen gleichzeitig die Kündigung des Bauträgervertrages aus wichtigem Grunde aus. Die Verfügungsbeklagte stellte sich daraufhin auf den Standpunkt, dass für die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens kein Rechtsschutzinteresse mehr gegeben sei. Einen entsprechenden Antrag der Verfügungsbeklagten auf Feststellung, dass ein rechtliches Interesse, welches die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens rechtfertigt, nicht mehr bestehe, wies das Landgericht im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens mit Beschluss vom 15.08.2011 zurück. Das selbständige Beweisverfahren war damit fortzusetzen, der Beweisbeschluss vom 19.04.2011 wurde mit Beschluss vom 26.09.2011 auf Antrag der Verfügungskläger um weitere Beweisfragen ergänzt. Die Verfügungsbeklagte bzw. Antragsgegnerin im selbständigen Beweisverfahren teilte dem Landgericht Aurich mit, dass sie nicht bereit sei, sich dem selbständigen Beweisverfahren der Antragsteller zu unterwerfen, ein Zutritt zur Wohnung werde weder dem Sachverständigen noch den Antragstellern gewährt werden.
Auf Antrag der Verfügungskläger hat das Landgericht am 13.09.2011 eine einstweilige Verfügung erlassen, in der die Verfügungsbeklagte verpflichtet wird, die Objektbesichtigung des Gebäudes A.N 12/34 und 56 in L. zur Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens vor dem Landgericht Aurich zu dem Aktenzeichen 5 OH ../11 durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen, die Antragsteller und deren Vertreter, den Prozessbevollmächtigten sowie den technischen Berater der Antragsteller zu dulden. Dagegen hat die Verfügungsbeklagte Widerspruch eingelegt.
Die Verfügungskläger machen geltend, sie seien auf die Durchführung der Objektbesichtigung im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens angewiesen, da der Verlust der Beweismittel drohe. Die Verfügungsbeklagte habe angekündigt, das Bauvorhaben nun endgültig fertig zu stellen, so dass die Mängel möglicherweise einer Besichtigung nicht mehr zugänglich sind. Die Verfügungsbeklagte habe eine materiell-rechtliche Mitwirkungspflicht, um die Durchführung des schon mehrfach verschobenen Ortstermins durch den Sachverständigen zu ermöglich.
Die Verfügungskläger beantragen,
die einstweilige Verfügung vom 13.09.2011 aufrechtzuerhalten.
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
die einstweilige Verfügung aufzuheben und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Die Verfügungsbeklagte ist der Auffassung, sie unterliege keiner Verpflichtung, im selbständigen Beweisverfahren mitzuwirken. Für die von den Verfügungsklägern geltend gemachten Schadensersatzansprüche (u.a. Mietausfall) bedürfte es auch gar keiner Besichtigung der Wohnung. Im Übrigen sei den Verfügungsklägern der Zustand der Wohnung auch bekannt aufgrund eines von ihnen schon im September 2010 in Auftrag gegebenen Privatgutachtens. Deshalb fehle es auch an einer Eilbedürftigkeit.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die einstweilige Verfügung ist auf den Widerspruch der Verfügungsbeklagten auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen. Dies führt zu ihrer Bestätigung.
Der Antrag auf Verpflichtung der Antragsgegnerin, die Objektbesichtigung zur Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens vor dem Landgericht Aurich zu dem Aktenzeichen 5 OH ../11 zu dulden, ist gemäß §§ 935, 940 ZPO zulässig und auch in der Sache begründet.
Zwar unterliegt die Verfügungsbeklagte im Rahmen des anhängigen selbständigen Beweisverfahrens keiner prozessualen Verpflichtung, die Objektbesichtigung zu dulden. Denn ein selbständiges Beweisverfahren schafft grundsätzlich keine Pflicht für den Antragsgegner, in irgendeiner Weise mitzuwirken oder den Augenschein zu dulden. Es besteht grundsätzlich keine prozessuale Möglichkeit, den Antragsgegner zur Duldung oder Mitwirkung bei der Beweiserhebung zu zwingen (vgl. Werner/Pastor, Der Bauprozess, 13. Auflg., selbständiges Beweisverfahren, Rdnr. 85).
Vorliegend haben die Verfügungskläger jedoch einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Mitwirkung der Verfügungsbeklagten aus§§ 809, 242 BGB. Auch wenn der Antragsgegner im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens prozessrechtlich nicht zur Mitwirkung gezwungen werden kann, kann sich gleichwohl aus dem materiellen Recht die Verpflichtung ergeben, bei einem Augenschein oder einer Ortsbesichtigung durch den Sachverständigen mitzuwirken bzw. diese Beweisaufnahme zu dulden und zu fördern. Entsprechende Ansprüche können im Klagewege oder - bei entsprechender Eilbedürftigkeit - auch im Rahmen einer einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden (vgl. Werner/Pastor a.a.O., Rdnr. 88; Kleine-Möller/Merl/Oelmaier, Handbuch des Privaten Baurechts, 2. Auflg., § 17 Rdnr. 197).
Gemäß § 809 BGB kann derjenige, der gegen den Besitzer einer Sache einen Anspruch in Ansehung der Sache hat oder sich Gewissheit verschaffen will, ob ihm ein solcher Anspruch zusteht, wenn die Besichtigung der Sache aus diesem Grunde für ihn von Interesse ist, verlangen, dass der Besitzer ihm die Sache zur Besichtigung vorlegt oder die Besichtigung gestattet. Sachen sind dabei bewegliche und auch unbewegliche Sachen (Palandt/Sprau, § 809, Rdnr. 3).
Der Mitwirkungsanspruch nach § 809 BGB setzt damit zunächst voraus, dass der Berechtigte gegen den Besitzer einen Anspruch in Ansehung der Sache hat oder sich Gewissheit darüber verschaffen will, ob ihm ein solcher Anspruch zusteht. Dieser Anspruch braucht nicht auf die Sache selbst gerichtet zu sein, es genügt vielmehr, wenn er in irgendeiner Weise von dem Bestand oder der Beschaffenheit der Sache abhängt. Es muss lediglich zwischen der Forderung und der Sache eine irgendwie geartete rechtliche Beziehung vorhanden sein, unabhängig davon, ob der Anspruch dinglicher oder persönlicher Natur, bedingt oder befristet ist. Des Weiteren muss für den Berechtigten die Besichtigung der Sache aus dem Anspruch heraus von Interesse sein. Es genügt ein besonderes und ernstliches Interesse, nicht erforderlich ist ein rechtliches Interesse (vgl. Handbuch des Privaten Baurechts, a.a.O., Rdnr. 190).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Im Anschluss an den Bauträgervertrag vom 02.11.2009 ist es zum Streit zwischen den Parteien über den baulichen Zustand der zu errichtenden Eigentumswohnung und mögliche Mängel gekommen, was Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens ist. Es geht damit um Ansprüche in Ansehung der streitgegenständlichen Wohnung, wobei unerheblich ist, ob tatsächlich Ansprüche der Verfügungskläger bestehen. Es reicht aus, dass die Verfügungskläger sich Gewissheit darüber verschaffen wollen, ob ihnen die geltend gemachten Ansprüche zustehen.
Soweit die Verfügungskläger gegenüber der Verfügungsbeklagten (auch) Ansprüche geltend machen, die nicht unmittelbar im Zusammenhang mit behaupteten Mängeln der Eigentumswohnung stehen, steht dies einem Anspruch auf Objektbesichtigung zur Durchführung des Ortstermins im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens nicht entgegen. Denn die Parteien streiten u.a. über die Frage, ob es sich bei der ausgesprochenen Kündigung durch die Verfügungskläger um eine mangelbedingte Kündigung oder um eine freie Kündigung des Bauträgervertrages handelt. Die von den Verfügungsklägern geltend gemachten Schadensersatzansprüche hängen damit auch von möglichen Mängeln der Wohnung ab. Hierzu bedarf es im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens der Durchführung des Ortstermins.
Die Verfügungsbeklagte hat damit die Besichtigung des Objektes zu dulden. Diese Duldungspflicht umfasst sowohl die Besichtigung durch den Berechtigten selbst, dessen Vertreter und einen technischen Berater sowie durch den vom Gericht bestellten Sachverständigen.
Es ist auch ein Verfügungsgrund gegeben, denn es droht ein Verlust der Beweismittel. Die Sache ist damit eilbedürftig. Nach dem - unwidersprochenen - Vortrag der Verfügungskläger hat die Verfügungsbeklagte angekündigt, das Bauvorhaben nunmehr endgültig fertig zu stellen. Mögliche Mängel wären damit einer Besichtigung durch den Sachverständigen nicht mehr zugänglich.
Wenn unter solchen Umständen der Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren die Ortsbesichtigung verweigert und den augenblicklichen Zustand der zu besichtigenden Sache zu verändern droht, kann im Wege der einstweiligen Verfügung der Besichtigungsanspruch durchgesetzt werden. Die einstweilige Verfügung gewährt in diesen Fällen zulässigerweise die Erfüllung und nicht nur die Sicherung des sonst einzuklagenden Anspruchs aus der Nebenpflicht selbst. Sie geht damit ausnahmsweise über eine bloße Sicherung hinaus (vgl. Handbuch des privaten Baurechts, a.a.O., Rdnr. 198). Dies ist gerechtfertigt, da anderenfalls der Verlust des Beweismittels oder die Erschwernis des Beweises zu besorgen ist.
Es fehlt auch nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis der Verfügungskläger dadurch, dass diese bereits einen Privatsachverständigen mit einer Begutachtung beauftragt hatten. Denn abgesehen davon, dass diese Begutachtung älteren Datums ist und nicht den aktuellen Zustand wiedergeben kann, wäre ein solches Gutachten in einem Hauptsacheverfahren - anders als ein selbständiges Beweisverfahren - lediglich als Parteivortrag verwertbar.
Auch hat sich die Hauptsache durch einen am 28.09.2011 durch den Sachverständigen nach Erlass der einstweiligen Verfügung durchgeführten Ortstermin nicht erledigt. Denn dabei hat ausweislich des dem Gericht von dem Sachverständigen H. übersandten Protokolls lediglich eine eingeschränkte Besichtigung stattgefunden, wobei dem Sachverständigen untersagt worden war, für das zu erstellende Gutachten erforderliche Fotos zu fertigen.
Es ist schließlich auch nicht ersichtlich, dass der Verfügungsbeklagten durch die Objektbesichtigung zur Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens unzumutbare Nachteile drohen würden. Die Duldung der Besichtigung ist daher zumutbar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Streitwert: 25.000,00 EUR.