Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 12.10.2005, Az.: 15 UF 222/04
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 12.10.2005
- Aktenzeichen
- 15 UF 222/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 41480
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2005:1012.15UF222.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Elze - AZ: 8 F 414/03
Fundstellen
- FPR 2006, 362
- FamRZ 2006, 704-705 (Volltext mit red. LS)
- NJW 2005, XII Heft 50 (Kurzinformation)
- NJW-RR 2006, 153-154 (Volltext mit red. LS)
- NJW-Spezial 2006, 152 (Kurzinformation)
- OLGReport Gerichtsort 2006, 169-170
In der Familiensache
hat der 15. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 19. August 2005 durch die Richter am Oberlandesgericht Dr. Meyer-Holz und Dr. Schwonberg sowie den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Schmitz für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das am 10. November 2004 verkündete Schlussurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Elze wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten der Berufungsinstanz.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Beklagte hat nach dem Prozessvergleich vom 19. Juni 1996 (8 F 184/95 AG Elze) Kindesunterhalt von monatlich je 153,39 € ( 300 DM) an die Kläger zu 1. und 2. sowie nach dem weiteren Vergleich vom 23. Oktober 1996 (8 F 133/95 AG Elze) Ehegattenunterhalt von monatlich 306,78 € ( 600 DM) an die Klägerin zu 3. zu zahlen. Auf die Abänderungsklagen der Kläger hat das Amtsgericht unter Abänderung der bestehenden Titel den Beklagten durch Teilurteil vom 22. September 2004 zur Zahlung monatlichen Kindesunterhalts in Höhe von je 160% des Regelbetrages ab November 2003 und durch Schlussurteil vom 10. November 2004 zur Zahlung monatlichen Ehegattenunterhalts von 1.253,28 € ab Juni 2004 verurteilt. Hiergegen hat der Beklagte jeweils Berufung eingelegt und das Rechtsmittel gegen das den Kindesunterhalt betreffende Teilurteil im Verhandlungstermin am 19. August 2005 zurückgenommen. Auf die tatsächlichen Feststellungen im danach noch angefochtenen Schlussurteil vom 10. November 2004 wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
II.
Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Die Klägerin zu 3. hat gegen den Beklagten gemäß §§ 313 Abs. 1 BGB, 323 Abs. 1 und 4 ZPO im erstinstanzlich erkannten Umfang einen Anspruch auf Abänderung des Vergleichs vom 23. Oktober 1996.
1. Der Beklagte hat in 2004 nach den für Januar 2004 bis Juni 2004 und für August 2004 bis Dezember 2004 vorgelegten Gehaltsübersichten im Jahresschnitt ein monatliches Nettoeinkommen von rund [(31.138,57 + 21.486,09) 52.624,66/12] 4. 385 € erzielt. Nach Nr. 10.6 Unterhaltsrechtliche Leitlinien des Oberlandesgerichts Celle ist die vermögenswirksame Sparleistung von monatlich rund 51 € ("Spaarloon") hinzuzurechnen, sodass sich Einkünfte von monatlich 4. 436 € ergeben. Nach Abzug einer Pauschale von 5% für berufsbedingte Aufwendungen (Nr. 10.2.1 Unterhaltsrechtliche Leitlinien des Oberlandesgerichts Celle) verbleiben rund 4. 214 €. Dieser Betrag ist für 2005 fortzuschreiben, weil eine signifikante Einkommensreduzierung nicht dargetan oder sonst ersichtlich ist. Gegebenenfalls steht dem Beklagten seinerseits die Abänderungsklage zur Verfügung.
2. Die oben festgestellten Einkünfte sind (auch) bei der Berechnung des Ehegattenunterhalts einzustellen, weil sie noch die gemäß § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB fortzuschreibenden ehelichen Lebensverhältnisse geprägt haben.
Die Teilhabe der Klägerin zu 3. an der in der Ehe vollbrachten gemeinsamen Lebensleistung umfasst nach der Rechtsprechung (vgl. BGH FamRZ 1987, 459, 460 f.; 1991, 307, 308 ff.; 1992, 1045, 1046; 2003, 848, 850 u. 590, 592) nicht nur das Einkommen, das der Beklagte bei Eintritt der Scheidungsrechtskraft am 12. Dezember 1996 (8 F 133/95 AG Elze) aufgrund seiner damaligen beruflichen Position gerade erzielte, sondern auch diejenigen Einkünfte, die auf einer schon während der Ehe angelegten beruflichen Entwicklung beruhen. An dieser nimmt die Klägerin zu 3. wie im Fall eines Fortbestandes der Ehe teil, wobei sie nicht nur von Einkommenssteigerungen profitiert sondern auch das Risiko möglicher Einkommenseinbußen mit zu tragen hat. Hierbei bleiben nach der oben zitierten Rechtsprechung nur solche Einkommensänderungen unberücksichtigt, die auf einer unerwarteten und vom Normalverlauf erheblich abweichenden Entwicklung, insbesondere auf einem so genannten Karrieresprung, beruhen. Eine derartige Entwicklung, für die der Beklagte darlegungs- und beweispflichtig war, liegt zur Überzeugung des Senats nicht vor.
Nach dem mit erstinstanzlichen Schriftsätzen vom 22. August 2004 und 7. Oktober 2004 vorgelegten Lebenslauf des Beklagten und seinen persönlichen Angaben im Verhandlungstermin am 19. August 2005 beruht sein beruflicher Werdegang und in dessen Folge seine jetzige berufliche Position objektiv auf den in der Ehe geschaffenen Grundlagen. Dass sich der Tätigkeits- und Verantwortungsbereich des Beklagten wie in den Schriftsätzen vom 3. August 2005 und 29. August 2005 im einzelnen dargestellt nach Arbeitgeberwechsel (bzw. nach unternehmerischer Umstrukturierung des Arbeitgebers infolge seiner Übernahme durch ein anderes Unternehmen) verändert sowie erweitert hat und sein Einkommen nach dem Berufungsvortrag inzwischen auf etwa das Dreifache des bei Eintritt der Scheidungsrechtskraft erzielten gestiegen ist, steht dem nicht entgegen. Ausschlaggebend ist, dass sich der Beklagte nach wie vor in einem Berufsfeld bewegt, das seinem von 1988 bis 1992 erfolgreich absolvierten Fachhochschulstudium im Bereich Software Engineering mit dem Schwerpunkt Telematik entspricht. Gerade dieses Feld unterliegt, wie dem Senat aus einer Vielzahl von Fällen bekannt ist, einer fortwährenden und zumeist einschneidenden Anpassung an die wechselnden technischen und wirtschaftlichen (Markt-) Bedingungen, weshalb sich der jeweilige Tätigkeitsschwerpunkt vom technischen auf den kaufmännischen oder auf den Personalführungs-Bereich sowie in jeweils umgekehrter Richtung verlagern kann. Gerade diese Umstände spiegeln sich im beruflichen Werdegang des Beklagten wider, wie er ihn auch persönlich gegenüber dem Senat geschildert hat. Insbesondere hat der Beklagte auf Nachfrage erklärt, zur Erreichung seiner jetzigen Position im Marketingbereich sei keine neue bzw. zusätzliche Ausbildung erforderlich gewesen; vielmehr sei er lediglich drei Monate lang durch einen so genannten Mentor eingewiesen worden. Sein Arbeitgeber habe sein technisches know how für die Marketingtätigkeit verwenden wollen. Die Grundlage dieses technischen know how war aber bereits während der Ehe vorhanden bzw. wurde damals geschaffen. Dass der Beklagte seine berufliche Entwicklung nach der Scheidung nur mit einem verstärkten Arbeitseinsatz unter Erweiterung seiner im Studium und in den ersten Berufsjahren erworbenen Kenntnisse und Qualifikationen vollziehen konnte, rechtfertigt es nicht, diese Entwicklung als unerwartet im Sinne der Rechtsprechung zu qualifizieren. Denn eine kontinuierliche Fortbildung und Anpassung an neue Anforderungen ist heute allgemein Voraussetzung für eine erfolgreiche Teilnahme am Arbeitsleben.
Auch der Einwand des Beklagten, er hätte beim Fortbestand der Ehe mit der Klägerin zu 3. nicht die zum Erreichen und Ausüben seiner derzeitigen Position erforderlichen Auslandsaufenthalte durchführen können, greift nicht durch. Der von ihm im Verhandlungstermin angeführte Umstand, dass er seine jetzige Ehefrau während eines Auslandseinsatzes kennen gelernt hat und diese beim gleichen Arbeitgeber wie er selber tätig war, mag zwar eine willkommene Unterstützung für ihn bedeutet haben, war aber keine objektive Voraussetzung für die vollzogene berufliche Entwicklung.
Soweit der Beklagte geltend macht, die Parteien hätten während ihres Zusammenlebens ihren konkreten Lebenszuschnitt nicht auf das jetzt von ihm erzielte Einkommen eingestellt, war dies weder nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erforderlich (vgl. insbesondere den der Entscheidung BGH FamRZ 1991, 307 zugrunde liegenden Fall) noch tatsächlich möglich. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass nicht isoliert auf die Differenz zwischen dem bei Abschluss des abzuändernden Vergleichs vor nunmehr fast neun Jahren und dem jetzt erzielten Einkommen des Beklagten abgestellt werden darf. Denn die Klägerin zu 3. hätte den Beklagten bereits unmittelbar nach Eintritt seiner zwischenzeitlichen Einkommenssteigerungen, d.h. nach seinem Wechsel zunächst zur Firma Q. und dann zur Firma R. schrittweise auf Abänderung in Anspruch nehmen können.
3. Nach dem auf die Auflagenverfügung vom 29. März 2005 geführten Vortrag des Beklagten enthält sein oben unter 1. festgestelltes Einkommen keinen auf seiner Wiederheirat beruhenden Steuervorteil, sodass insoweit nichts zu berücksichtigen ist. Nach Nr. 15.2 Unterhaltsrechtliche Leitlinien des Oberlandesgerichts Celle ist der Tabellenunterhalt für die Kläger zu 1. und 2. abzusetzen, weil (nur) dieser die fortzuschreibenden ehelichen Lebensverhältnisse prägt. Insoweit ist der infolge Berufungsrücknahme vom Amtsgericht auf die Abänderungsklage der Kläger zu 1. und 2. rechtskräftig erkannte Unterhalt von 160% des Regelbetrages einzustellen. Das entspricht hinsichtlich der Klägerin zu 1. (A.) Tabellensätzen von monatlich 386 € für Juni 2004 bis Mai 2005, 455 € für Juni 2005 und 466 € für die Zeit ab Juli 2005 sowie hinsichtlich des Klägers zu 2. (F.) solchen von monatlich 386 € bis Juni 2005 und 396 € ab Juli 2005.
Mithin sind Einkünfte des Beklagten von monatlich (4.214 - 386 x 2) 3. 442 € für Juni 2004 bis Mai 2005, (4.214 - 455 - 386) 3. 373 € für Juni 2005 und (4.214 - 466 - 396) 3. 352 € für die Zeit ab Juli 2005 in die Unterhaltsberechnung einzustellen.
4. Aufgrund der hier gegebenen Umstände unter Berücksichtigung der erforderlichen Betreuung der heute zwölfjährigen Klägerin zu 1. und des heute zehnjährigen Klägers zu 2. besteht eine teilweise Erwerbsobliegenheit der Klägerin zu 3. für die Zeit ab September 2005.
Die Klägerin zu 3. hat in der mündlichen Verhandlung am 19. August 2005 angegeben, dass der Kläger zu 2. zum Beginn des neuen Schuljahres, mithin zum 25. August 2005 von der Grundschule auf das Gymnasium nach H. wechselt, das die Klägerin zu 1. bereits besucht. Auf Nachfrage hat sie erklärt, dass beide Kinder die Schule mit dem Bus erreichen. Danach erscheint jetzt nach Nr. 17.1 Unterhaltsrechtliche Leitlinien des Oberlandesgerichts Celle eine teilschichtige Erwerbstätigkeit zumutbar. Dass sich die Klägerin zu 3. hierauf nicht eingestellt und bislang nicht um die (Wieder-) Erlangung eines Arbeitsplatzes bemüht hat, kann sie dem Beklagten unterhaltsrechtlich nicht entgegen halten. Unter Berücksichtigung ihrer beruflichen Qualifikation als Krankengymnastin erscheint dem Senat die Prognose gerechtfertigt, dass die 1966 geborene Klägerin zu 3. bei rechtzeitigem und hinreichendem Bemühen einen Arbeitsplatz in ihrem bis Juli 1992 ausgeübten Ausbildungsberuf gefunden hätte und daraus ein um berufsbedingte Aufwendungen und eventuelle Betreuungskosten bereinigtes Einkommen von monatlich etwa 400 € erzielen könnte. Die Einstellung eines höheren Einkommens erscheint dem Senat derzeit nicht gerechtfertigt, weil für die Klägerin zu 3. als Wiedereinsteigerin in das Berufsleben aufgrund der noch zu leistenden Kindesbetreuung zunächst nur eine den Umfang einer Halbtagsbeschäftigung nicht erreichende Aushilfs- und Vertretungstätigkeit in Betracht kommt (vgl. BGH FamRZ 1999, 372, 373; NJW-RR 2005, 945, 948).
5. Auch bei Einstellung fiktiver Eigeneinkünfte der Klägerin zu 3. von monatlich etwa 400 € für die Zeit ab September 2005 ergibt sich aufgrund der um den Kindesunterhalt gekürzten Einkünfte des Beklagten von monatlich 3. 442 € für Juni 2004 bis Mai 2005, 3. 373 € für Juni 2005 und 3. 352 € für die Zeit ab Juli 2005 (siehe oben 3.) bei beiderseitigem Ansatz des Erwerbstätigenbonus von einem Siebtel nach Maßgabe des Halbteilungsgrundsatzes im Wege der anzuwendenden Differenzmethode ein Bedarf, der die erstinstanzlich erkannten monatlich 1.253,28 € rechtfertigt.
6. Unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit des Beklagten ist im Hinblick auf den ihm insgesamt, d.h. im Verhältnis gegenüber den vier Kindern und der Klägerin zu 3. nach Nr. 21.2 Unterhaltsrechtliche Leitlinien des Oberlandesgerichts Celle zu belassenden Selbstbehalt von monatlich 840 € für die Zeit bis Juni 2005 und monatlich 890 € für die Zeit ab Juli 2005 gegeben. Die Klägerin zu 3. ist gemäß §§ 1582, 1609 Abs. 2 BGB gegenüber den Kindern des Beklagten aus dessen neuer Ehe gleichrangig und geht seiner jetzigen Ehefrau im Rang vor (vgl. BGH NJW 1988, 1722 [BGH 13.04.1988 - IVb ZR 34/87]; 2005, 2145).
III. Die vom Beklagten angeregte Zulassung der Revision kam nach § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht in Betracht, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Die Entscheidung des Senats beruht auf einer tatrichterlichen Würdigung des vorliegenden Sachverhalts auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, die keinen der Verallgemeinerung fähigen Rechtssatz aufstellt - ebenso wie das vom Beklagten angeführte Urteil des OLG Hamm (FamRZ 1994, 515).
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.