Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 22.06.2005, Az.: 2 B 212/05

Aufwand; Bereithalten; Bereithaltung; Defekt; Eilrechtsschutz; Eilverfahren; einstweiliger Rechtsschutz; Klagefrist; Rechtsbehelfsbelehrung; Reparatur; Reparaturbedürftigkeit; Reparaturwerkstatt; Rundfunkempfangsgerät; Rundfunkgebühr; Rundfunkgebührenpflicht; Technik; Versäumnis; Vollstreckung; vorläufiger Rechtsschutz; vorläufiges Rechtsschutzverfahren; Werkstatt; Wiedereinsetzung; Zulässigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
22.06.2005
Aktenzeichen
2 B 212/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 51001
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

1

Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 13. Mai 2005 gegen den Gebührenbescheid des Beklagten vom 5. April 2005 anzuordnen, hat Erfolg.

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Der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO statthafte Antrag ist auch im Übrigen zulässig.

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Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass der Antragsteller den angefochtenen Bescheid eigenem Bekunden nach am 12. April 2005 erhalten, die Klage gemeinsam mit dem hier beschiedenen Antrag jedoch erst am 13. Mai 2005 bei Gericht eingereicht hat.

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Die Anfechtungsklage, wie sie hier vorliegt, muss gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Ausgangsbescheides erhoben werden, da ein Widerspruchsverfahren gemäß § 8 a Nds. AGVwGO nicht stattfindet. Die Klage vom 13. Mai 2005 gegen den am 12. April 2005 bekannt gegebenen Bescheid des Antragsgegners wahrt die Monatsfrist daher nicht. Dies ist jedoch für die Zulässigkeit des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO aus zwei Rechtsgründen unerheblich.

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Zum einen beginnt die Klagefrist nur bei ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung zu laufen (§ 58 Abs. 2 VwGO). Insbesondere eine Belehrung, die widersprüchlich ist, erfüllt diese Anforderungen nicht. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 5. April 2005 enthält zwei Rechtsbehelfsbelehrungen. Die erste, in den laufenden Text eingefügte und auf Niedersachsen beschränkte, verweist darauf, dass - allein - die Klagemöglichkeit gegeben ist, die zweite, am Ende des Bescheides befindliche, auf die Möglichkeit, Widerspruch zu erheben. Es wird auch durch den Hinweis auf die Rechtslage in Niedersachsen nicht deutlich, dass für in diesem Bundesland wohnhafte Rundfunkteilnehmer nur und ausschließlich die Klagemöglichkeit gegeben ist. Der in der Regel - und so auch hier -rechtlich nicht vorgebildete Rundfunkteilnehmer kann die anschließende Belehrung auf den Widerspruch hin auch so (miss-) verstehen, dass ihm hier eine Alternative zwischen Klage und Widerspruch eröffnet werden soll. Rechtsbehelfsbelehrungen müssen indes für ihren Empfänger klar und unzweideutig sein, sollen sie Fristen in Lauf setzen. Da dies hier nicht der Fall ist, beträgt die Klagefrist ein Jahr nach Bekanntgabe des Bescheides (§ 58 Abs. 2 VwGO).

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Selbst wenn man dies anders sehen wollte, scheiterte die Zulässigkeit des einstweiligen Rechtsschutzantrages nicht an der Versäumung der Klagefrist. Denn der anwaltlich vertretene Antragsteller hat rechtzeitig einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO gestellt. Nur wenn eine Wiedereinsetzung offensichtlich aussichtslos wäre, wäre der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unzulässig (Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 80 Rdnr. 130 a.E.). Der Antragsteller hat jedoch zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags beachtliche Argumente angeführt. So hat er vorgetragen, sein Anwalt habe einen sonst erfahrungsgemäß zuverlässigen geschäftsmäßigen Botendienst mit der Überbringung der Klage- und Antragschrift noch am 12. Mai 2005 beauftragt, der jedoch versehentlich den Schriftsatz beim Land- statt beim Verwaltungsgericht Göttingen eingeworfen habe. Er macht damit ein von ihm nicht zu vertretendes Verschulden einer Hilfsperson geltend. Entgegen der Annahme des Beklagten geht es hier nicht um ein Anwaltsverschulden, da der Prozessbevollmächtigte des Klägers und Antragstellers alles aus seiner Sicht Erforderliche getan hatte, um eine rechtzeitige Klageerhebung am 12. Mai 2005 zu ermöglichen. Das Verschulden einer Hilfsperson ist dem Antragsteller nur zurechenbar, wenn bei der Auswahl, Anleitung und/oder Überwachung nicht sorgfältig genug vorgegangen wird. Hierfür ist nach der anwaltlichen Versicherung des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers nichts ersichtlich.

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Schließlich ist der Antrag auch zulässig, obwohl der Antragsteller zuvor nicht bei dem Antragsgegner nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO die Aussetzung der Vollziehung beantragt hat. Dabei kann offen bleiben, ob der vor Erlass des angefochtenen Bescheides unter dem 11. Januar 2005 bei der GEZ in Köln entsprechend gestellte Antrag die Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift erfüllt. Denn ein solcher Antrag war gemäß § 80 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 VwGO entbehrlich, weil die Vollstreckung der Gebührenforderung droht.

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Diese Lage ist dann gegeben, wenn aus Sicht eines objektiven Betrachters nicht nur allgemein gehaltene Hinweise auf die Möglichkeit der Vollstreckung im angefochtenen Gebührenbescheid erteilt werden, sondern bereits konkrete Vorbereitungshandlungen der Behörde für eine alsbaldige Durchsetzung des Bescheides vorliegen (vgl. Schoch, a.a.O., Rn. 349 m.w.N.; so auch OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 16.05.2001 - 1 M 39/01 - JURIS). Hat die Behörde dem Bürger schriftlich erklärt, „dass die Vollstreckung droht“, reicht dies in der Regel aus, um die Ausnahmevorschrift des § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO anzunehmen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 01.08.1995 - 23 CS 95.1560 -, JURIS). So liegt der Fall hier. In den angefochtenen Gebührenbescheid hat der Antragsgegner die Passage aufgenommen: „Sollten sie die festgesetzte Gebührenschuld nicht innerhalb von 2 Wochen bezahlt haben, werden wir gegen Sie die VOLLSTRECKUNG einleiten“. Zusätzlich enthält der Bescheid im Text (oben rechts) den Hinweis: „Nur durch die unverzügliche Zahlung des festgesetzten Betrags vermeiden Sie Zwangsmaßnahmen wie Vollstreckung bzw. Bußgeldverfahren“. In der Zusammenschau der beiden Hinweise muss ein rechtsunkundiger Bürger - wie der Antragsteller -, der nicht wissen kann, dass es nach § 4 Abs. 1 NVwVG im Regelfall zunächst einer Mahnung bedarf, bevor die Vollstreckungsbehörde tätig werden darf, davon ausgehen, dass Vollstreckungsmaßnahmen ihn quasi „automatisch“ ereilen werden, wenn er die gesetzte 2-Wochen-Frist (die nur der Hälfte der Frist zur Klageerhebung gegen den Bescheid entspricht) ungenutzt verstreichen lässt (so auch Beschluss der Kammer vom 10.6.2005 -2 B 180/05-).

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Der Antrag ist auch begründet. Die bei der in diesem Verfahren aufgrund einer eigenen gerichtlichen Ermessensentscheidung gebotene Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, einstweilen vom Vollzug des Gebührenbescheides vom 5. April 2005 verschont zu bleiben, und dem Interesse des Antragsgegners, seine mit dem Bescheid festgesetzte Gebührenforderung, aus der er sich mitfinanziert, sofort durchsetzen zu können, geht zu Lasten des Antragsgegners aus. Denn bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen aber auch erforderlichen summarischen Rechtmäßigkeitsprüfung gelangt die Kammer zu dem Ergebnis, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen.

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Gemäß § 11 Abs. 2 des Rundfunkstaatsvertrages sowie § 2 Abs. 2 und § 4 Abs. 1 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages vom 31. August 1991 -RdfunkGebStV- (Nds. GVBl Seite 311), in der hier anzuwendenden Fassung vom 27. Januar 2005 (Nds. GVBl Seite 41) entsteht die Rundfunkgebührenpflicht mit dem Bereithalten eines Rundfunkempfangsgerät. Diese Gebührenpflicht ent- und besteht unabhängig von einer Anzeige des Rundfunkempfängers nach § 3 Abs. 1 RdfunkGebStV, so dass es darauf, ob die Anmeldung des im KFZ des Antragstellers vorhandenen Gerätes mit oder gegen den Willen des Antragstellers erfolgte, nicht ankommt (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 9.9.2004 -19 A 2556/03-, NJW 2004, 3505).

11

In der streitgegenständlichen Zeit vom Dezember 2003 bis zum Januar 2005 hat der Antragsteller voraussichtlich kein Rundfunkgerät zum Empfang bereit gehalten.

12

Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 RdfunkGebStV wird ein Rundfunkgerät zum Empfang bereit gehalten, wenn damit ohne besonderen zusätzlichen technischen Aufwand Rundfunkdarbietungen unabhängig von Art, Umfang und Anzahl der empfangbaren Programme, unverschlüsselt oder verschlüsselt, empfangen werden können. Das im KFZ des Antragstellers befindliche Radiogerät war bis zum Januar 2005, als es der Antragsteller bei dem Antragsgegner auch angemeldet hat, nicht ohne zusätzlichen technischen Aufwand in der Lage, Rundfunkdarbietungen zu empfangen.

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Was unter einem derartigen technischen Aufwand zu verstehen ist, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt. So wird ein solcher Aufwand zum Teil bejaht, wenn zur Inbetriebsetzung die Inanspruchnahme einer Reparaturwerkstatt oder einer sonstigen fachkundigen Person erforderlich ist. Zum Teil wird ein Bereithalten bejaht, wenn das Rundfunkempfangsgerät mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand reparaturfähig ist und zum Teil wird vertreten, dass ein defektes Gerät solange bereit gehalten wird, wie eine Reparatur überhaupt möglich ist (Nachweise bei Naujock in: Beckscher Kommentar zum Rundfunkrecht, § 1 RGebStV Rdnr. 38). Der letztgenannten Ansicht folgt die Kammer mit Naujock nicht, denn sie misst dem Erfordernis des besonderen technischen Aufwands zu Unrecht keinerlei Bedeutung bei.

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Die Kammer neigt der Ansicht zu, dass ein besonderer technischer Aufwand im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 2 RdfunkGebStV dann vorliegt, wenn eine Reparatur des Rundfunkempfangsgerätes fachgerecht nur durch einen Werkstattbetrieb vorgenommen werden kann. Nach dem unwidersprochen gebliebenem Vortrag des Antragstellers bedurfte die Reparatur seines seit Kauf des Wagens im Dezember 2003 defekten Rundfunkgerätes der Inanspruchnahme eines fachkundigen Betriebes. Dies schon deshalb, weil es sich nach dem antragstellerischen Vorbringen um einen Garantieschaden handelte. Bestätigt wird die Notwendigkeit der Inanspruchnahme eines solchen Fachbetriebes durch die Bescheinigung des Autohauses, bei dem der Antragsteller das Fahrzeug erworben hat vom 14. Oktober 2004. Dem setzt der Antragsgegner substantiell nichts entgegen.

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Selbst wenn zusätzlich wirtschaftliche Erwägungen für den Fall anzustellen wären, dass eine mögliche Reparatur nicht durchgeführt wird, wofür das Bedürfnis sprechen könnte, Missbrauchsmöglichkeiten zu begegnen, wogegen indes der Wortlaut des § 2 Abs. 2 Satz 2 RdfunkGebStV spricht, wäre dem Antrag stattzugeben.

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Denn der Antragsteller hat dafür, das Gerät nicht alsbald nach Feststellung des Defekts reparieren zu lassen, nachvollziehbare wirtschaftliche Erwägungen vorgebracht. Zwar wird man grundsätzlich sagen können, dass derartige Erwägungen nicht tragen, wenn es sich, wie hier, um einen Garantieschaden handelt, der auf Anforderung des Kunden auf Kosten des Verkäufers behoben werden muss. Der Antragsteller hat jedoch Besonderheiten vorgetragen, die eine Ausnahme von diesem Grundsatz rechtfertigen. Denn er hat das Fahrzeug in Emden gekauft, wohnt aber in E.. Schlüssig und überzeugend hat er vorgetragen, dass auf ihn sowohl Fahrt- als auch Verdienstausfallkosten in nicht unerheblicher Höhe zugekommen wären, wenn er das Rundfunkgerät in seinem Auto sofort und nicht wie geschehen im Zuge einer ohnehin fällig gewordenen Inspektion hätte auf Garantie reparieren lassen. Das Rundfunkgebührenrecht kann und darf jedoch niemanden zwingen, sich wirtschaftlich unvernünftig zu verhalten, um der Rundfunkgebührenpflicht zu entgehen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

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Die Entscheidung über den Streitwert stützt sich auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Maßgeblich ist ¼ der streitigen Gebührenforderung.