Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 05.06.1998, Az.: 11 UF 50/98

Zulässigkeit des Stellens eines Scheidungsantrags vor Ablauf des Trennungsjahres; Möglichkeit des Absehens von einer Zurückweisung des Scheidungsantrags in Fällen, in denen in erster Instanz noch eine Folgesache zur Entscheidung ansteht

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
05.06.1998
Aktenzeichen
11 UF 50/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 28911
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1998:0605.11UF50.98.0A

Fundstellen

  • FamRZ 1998, 1528 (Volltext mit amtl. LS)
  • FuR 1998, 442-443
  • NJWE-FER 1999, 66-67
  • OLGReport Gerichtsort 1998, 226-227

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Keine Zurückweisung gem. § 629 b ZPO, wenn der Sachverhalt vollständig geklärt ist und den Parteien keine Nachteile drohen.

  2. 2.

    Anwendung des § 97 Abs. 2 ZPO bei Obsiegen auf Grund bloßen Zeitablaufs

Entscheidungsgründe

1

Die zulässige Berufung ist begründet.

2

Der Scheidungsantrag ist zulässig und nunmehr auch begründet.

3

Der Umstand, dass der Antragsteller den Scheidungsantrag vor Ablauf des Trennungsjahres gestellt hat, macht den Antrag nicht unzulässig (BGH NJW 97, 1007).

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Die Voraussetzungen einer Ehescheidung gemäß § 1565 Abs. 1 BGB liegen vor. Die Parteien leben seit März 1997, mithin seit mehr als einem Jahr getrennt; denn zwischen beiden besteht keine häusliche Gemeinschaft und beide sind auch nicht bereit, sie wieder herzustellen (§ 1567 Abs. 1 BGB). Da die Antragsgegnerin der Scheidung zustimmt, wird gemäß § 1566 Abs. 1 BGB unwiderlegbar vermutet, dass die Ehe gescheitert ist.

5

Zwar schreibt § 629b ZPO in Fällen der vorliegenden Art, in denen in erster Instanz noch eine Folgesache zur Entscheidung ansteht, die Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht vor. Der Senat folgt aber der obergerichtlichen Rechtsprechung und der in der Kommentarliteratur vertretenen Auffassung, dass in den Fällen von einer Zurückverweisung abgesehen werden kann, in denen der Zweck des § 629b ZPO, den Verbund wiederherzustellen und den Parteien für die Folgesachen keine Instanz zu nehmen, nicht zutrifft. Das ist dann der Fall, wenn beide Parteien mit einer Entscheidung des Berufungsgerichts einverstanden sind und der Sachverhalt so vollständig geklärt ist, dass den Parteien durch den Verlust einer Tatsacheninstanz kein Nachteil entstehen kann (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 80, 710; OLG Köln FamRZ 80, 1048; OLG Karlsruhe FamRZ 84, 57; Stein-Jonas, ZPO, 21 Aufl., § 629b Rn. 1: MK-Klauser, ZPO, § 629b Rn. 8, 9; a.A. Baumbach/Lauterbach/ Albers, ZPO, 56. Aufl., § 629b Rn. 2; wohl auch Zöller/Philippi, ZPO, 20. Aufl., § 629b Rn. 1; Thomas/Putzo, ZPO, 20. Aufl., § 629b Rn. 4). So liegt der Fall hier. Beide Parteien begehren eine Entscheidung des Berufungsgerichts und sind sich darüber einig, dass der Antragsgegnerin das Sorgerecht übertragen werden soll. Insoweit ist der Sachverhalt ferner durch den Bericht des Jugendamtes Osnabrück und die Erörterung in erster Instanz ausreichend geklärt. Eine Entscheidung zum Versorgungsausgleich steht nicht an, weil die Parteien ihn ohne Zusammenhang mit der Scheidung gemäß § 1408 Abs. 2 BGB wirksam ausgeschlossen haben, sodass die Vereinbarung weder einer Überprüfung noch einer Zustimmung durch das Gerichts gemäß § 1587o Abs. 2 BGB bedarf.

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Dieser an prozessökonomischen Gesichtspunkten orientierten Auffassung steht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (a.a.O.) nicht entgegen, weil in jenem Fall noch die Entscheidung zum Versorgungsausgleich und zum Zugewinnausgleich anstand.

7

Eine erneute Anhörung der Parteien hielt der Senat angesichts des aussagekräftigen Protokolls der mündlichen Verhandlung erster Instanz und der Würdigung der Angaben der Parteien im angefochtenen Urteil für entbehrlich.

8

Das Sorgerecht über den gemeinsamen Sohn Niklas war entsprechend der Anregung beider Parteien und der Stellungnahme des Jugendamtes Osnabrück vom 3.12.1997 der Antragsgegnerin zu übertragen. Umstände, dass dies dem Wohle des Kindes nicht am besten entspricht, sind nicht ersichtlich.

9

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 93a Abs. 1 S. 1, 97 Abs. 2 ZPO. § 97 Abs. 2 ZPO enthält einen allgemeinen Grundsatz, der entsprechender Anwendung fähig ist (BGH a.a.O.; BGHZ 31,342). Sie ist gerechtfertigt, wenn der Scheidungsantrag ohne schlüssigen Vortrag zu § 1565 Abs. 2 BGB (vgl. BGH FamRZ 81,127) vor Ablauf des Trennungsjahres gestellt wurde und das Obsiegen in zweiter Instanz auf bloßem Zeitablauf beruht. Das ist hier der Fall, weil die Parteien sich nach ihren übereinstimmenden Angaben bei der Anhörung tatsächlich versöhnt hatten und es sich deshalb nicht nur um ein Zusammenleben im Sinne eines Versöhnungsversuchs gemäß § 1567 Abs. 2 BGB gehandelt hat (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 57. Aufl., § 1567 Rn. 12 m.w.N.).