Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 30.06.1998, Az.: 5 U 64/98
Verjährung von Pflichtteilsansprüchen bei mehreren Testamenten; Verjährungsbeginn bei falscher Vorstellung von der Wirksamkeit eines Testaments
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 30.06.1998
- Aktenzeichen
- 5 U 64/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 28925
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1998:0630.5U64.98.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- NULL
Rechtsgrundlagen
- § 242 BGB
- § 2332 Abs. 1 BGB
Fundstellen
- MDR 1999, 41-42 (Volltext mit amtl. LS)
- NJWE-FER 1999, 39
- OLGReport Gerichtsort 1998, 322-323
Amtlicher Leitsatz
Kein Verjährungsbeginn für Pflichtteilsansprüche bei falscher Vorstellung von der Wirksamkeit eines Testaments
Gründe
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht den Beklagten als Alleinerben gem. § 2314 Abs. 1 BGB für verpflichtet gehalten, der Klägerin zur Durchsetzung ihres Pflichtteilsanspruchs gem. § 2303 Abs. 1 BGB Auskunft über den Bestand des Nachlasses durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses und über den Wert des Nachlassgrundstückes durch Vorlage eines Sachverständigengutachtens zu erteilen.
Der Pflichtteilsanspruch ist auch nicht verjährt oder - wie die Berufung zusätzlich geltend macht - verwirkt.
Gem. § 2332 Abs. 1 BGB verjährt ein Pflichtteilsanspruch in drei Jahren ab Kenntnis vom Erbfall und von der beeinträchtigenden Verfügung. Unstreitig ist der Klägerin kurz nach dem Tod ihrer Mutter 1976 ein Testament vom 7. März 1974 bekannt geworden, das sie und ihre Geschwister enterbte. Dieses Testament war jedoch wegen fehlender Unterschrift nicht wirksam und konnte daher mangels "beeinträchtigender" enterbender Wirkung keinen Verjährungsbeginn auslösen. Daran ändert auch der von der Berufung besonders hervorgehobene Umstand nichts, dass die Ungültigkeit erst 1996 in dem vom Beklagten bei Eintritt des Nacherbfalles betriebenen Erbscheinsverfahren bekannt und offenbar wurde und bis dahin von allen Beteiligten selbst anlässlich der die Vorerbschaft betreffenden Erbscheinserteilung für wirksam gehalten worden war. Erst durch das danach vom Beklagten vorgelegte Testament vom 18. August 1968 hat die Klägerin von der sie - wirksam - enterbenden Verfügung erfahren, mithin in nicht verjährter Zeit. Diese Kenntnis ist für den Verjährungsbeginn entscheidend und nicht, was sie sich zuvor im Hinblick auf ein ungültiges Testament gedacht hat.
Die von der Berufung herangezogene Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGZ 70, 360 f) betrifft die Frage, wie jemand Kenntnis von einer - wirksamen - beeinträchtigenden Verfügung erlangen kann, und nicht, welche Wirkung die irrige Vorstellung von der Wirksamkeit eines Testamentes für den Beginn des Verjährungslaufs haben kann. Zu vergleichen ist diese Fallgestaltung auch nicht mit der in Rechtsprechung und Literatur allein problematisierten (umgekehrten) Fragestellung, welche Bedeutung etwaige berechtigte Zweifel des Pflichtteilsberechtigten an der Wirksamkeit eines tatsächlich gültigen Testaments im Hinblick auf den Lauf der Verjährung haben kann (vgl. Müncher Kommentar-Frank, BGB, 3. Aufl., § 2332 Rn. 7; Staudinger/Ferid/Cieslar, BGB, 12. Aufl., § 2332 Rn. 12; Planck/Greiff, BGB, 4. Aufl., § 2332 Anm. 2 a; Palandt/Edenhofer, BGB, 57. Aufl., § 2332 Rn. 3; jeweils m.w.N.). Die Kenntnis von einer nicht beeinträchtigenden weil ungültigen Verfügung von Todes wegen ist hingegen unbeachtlich (grundsätzlich zustimmend Soergel/Dieckmann, BGB 12 Aufl., § 2332 Rn. 9).
Maßgeblich für den Verjährungsbeginn ist mithin die Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten von der den Pflichtteilsanspruch begründenden Verfügung (so bereits RGZ 113, 236 ff; 135, 231 ff). Diese Kenntnis hat die Klägerin erst 1996 erlangt, als sie von dem Testament 1968 erfuhr, ohne das nach Erkennen der Ungültigkeit des Testamentes 1974 gesetzliche Erbfolge eingetreten wäre. Vorher hatte sie - entgegen der Ansicht der Berufung - gerade keine Kenntnis von der tatsächlich bestehenden Rechtslage, die von einer ungültigen Rechtshandlung nicht geprägt werden kann, sondern nur eine falsche Vorstellung von der rechtlichen Wirksamkeit einer in Wahrheit unwirksamen Verfügung.
Diese irrige Vorstellung, die sie mit allen anderen Beteiligten gemein hatte, rechtfertigt allein auch nicht, die Klägerin nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gem. § 242 BGB so zu behandeln, als hätte sie die vorausgesetzte Kenntnis bereits früher erlangt. Insbesondere kann eine solche falsche Einschätzung der vom Gesetz verlangten positiven Kenntnis von einer pflichtteilsbegründenden Verfügung nicht gleichgesetzt werden. Weitere Anhaltspunkte, die das Verhalten der Klägerin als treuwidrig erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich und werden auch von dem Beklagten nicht dargetan. Der bloße zeitliche Abstand zu dem Erbfall reicht dafür allein nicht aus.
Der Verwirkungseinwand stellt sich angesichts des Beginns der Verjährung 1996 nicht.