Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 10.06.1998, Az.: 2 U 74/98

Anspruch auf rechtliches Gehör; Unwirksamkeit einer Bürgschaft; Verbesserung der Rechtsstellung des Bauhandwerkers

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
10.06.1998
Aktenzeichen
2 U 74/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 28943
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1998:0610.2U74.98.0A

Fundstellen

  • BauR 1999, 518 (amtl. Leitsatz)
  • EWiR 1999, 111
  • IBR 1999, 418 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
  • MDR 1999, 89-90 (Volltext mit amtl. LS)
  • OLGReport Gerichtsort 1998, 288-289

Amtlicher Leitsatz

§ 648 a BGB: Gesetzeszweck

Gründe

1

Ein wesentlicher Verfahrensmangel liegt vor, wenn ein Urteil eine Überraschungsentscheidung darstellt; darin liegt ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG (BVerfGE 84, 188 [BVerfG 29.05.1991 - 1 BvR 1383/90]) oder gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot (BVerfGE 69, 248, 254 [BVerfG 24.04.1985 - 2 BvR 1248/82];  70, 93, 97 [BVerfG 04.06.1985 - 1 BvR 1222/82]; Zöller/Gummer, ZPO, 20. Aufl., § 539 Rdnr. 12). Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör liegt ferner dann vor, wenn das Gericht wesentlichen Vortrag einer Partei nicht zur Kenntnis nimmt (BVerfG NJW 1994, 848; BGH NJW 1991, 2707, 2709 [BGH 23.04.1991 - X ZR 77/89]; BGH VersR 1991, 72; BGH NJW 1993, 538). So liegt es hier.

2

Das Landgericht hat in seiner Entscheidung die Auffassung vertreten, die von der Beklagten erteilte Bürgschaft sei unwirksam, denn § 648 a BGB verlange eine unbefristete und unwiderrufliche Sicherheit, und die vorliegende Bankbürgschaft sei zeitlich befristet; nach § 648 a Abs. 7 BGB sei die Regelung des § 648 a Abs. 1 bis 5 BGB unabdingbar.

3

1.)

Die materiell-rechtliche Auffassung des Landgerichts ist greifbar gesetzeswidrig. Sie ist bei Berücksichtigung des Gesetzeszwecks unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr verständlich und vertretbar. Es drängt sich dadurch der Schluss auf, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht.

4

§ 648 a BGB dient ausschließlich der Verbesserung der Rechtsstellung des Bauhandwerkers (statt aller z.B.: Palandt-Sprau, BGB, 57. Aufl., § 648 a Rdnr. 1), indem ihm gegen den Besteller ein Anspruch auf Sicherheit eingeräumt wird. Dieser Gesetzeszweck lässt sich bereits allein aus dem Wortlaut eindeutig und zweifelsfrei erschließen.

5

Zwar geht das Landgericht zu Recht davon aus, dass der Unternehmer einen Anspruch auf eine unbefristete Bürgschaft hat (z.B. Staudinger-Peters, BGB (1994), § 648 a Rdnr. 14). Aus diesem Anspruch folgt selbstverständlich nicht, dass gewährte Sicherheiten, die den aus § 648 a BGB folgenden Erfordernissen nicht entsprechen, nichtig sind. Für die gegenteilige Rechtsansicht des Landgerichts gibt weder der Wortlaut der Vorschrift noch der Gesetzeszweck auch nur den geringsten Anhaltspunkt. Wie die Berufungsbegründung treffend ausführt, wird durch die angefochtene Entscheidung die Intention des Gesetzgebers, dem Bauhandwerker eine Sicherheit zu geben, geradezu auf den Kopf gestellt.

6

2.)

Im Zusammenhang mit der materiell-rechtlich greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung hat das Landgericht auch verfahrensfehlerhaft gehandelt. Zwar ist davon auszugehen, dass es im

7

Termin vom 21.01.1998 seine Rechtsansicht zu § 648 a BGB angesprochen hat. Die Klägerin hat nach dem Termin mit Schriftsatz vom 11.02.1998 dazu auch Stellung genommen. Auf Grund dieser Stellungnahme durfte sie davon ausgehen, dass das Landgericht seine bisherige Rechtsauffassung als schlechterdings abwegig erkennen und dementsprechend fallen lassen würde. Die Tatsache, dass das Landgericht dies nicht getan hat, legt unter den vorliegenden Umständen den Schluss nahe, dass es die Rechtsausführungen im Schriftsatz vom 11.02.1998 gar nicht wahrgenommen hat. In dem Schriftsatz heißt es insoweit:

8

Die Bürgschaft ist auch nicht deshalb unwirksam weil sie befristet ist.

9

Richtig ist, dass der Bauunternehmer gemäß § 648 a BGB einen Anspruch auf eine zeitlich unbefristete Sicherheit hat.

10

Dies bedeutet aber nicht, dass, wenn ihm eine zeitlich befristete Bürgschaft zur Verfügung gestellt wird und er diese akzeptiert, die Bürgschaft unwirksam wird.

11

Diese Darlegungen sind nicht nur richtig, sondern wegen ihrer Einfachheit für den juristisch geschulten Leser auch zwingend. Für die Annahme, dass das Landgericht die Ausführungen der Klägerin gar nicht zur Kenntnis genommen hat, spricht auch die Tatsache, dass in der Begründung der angefochtenen Entscheidung auf die Argumentation der Klägerin mit keinem Wort eingegangen worden ist.

12

Sollte das Landgericht die Rechtsauffassung der Klägerin jedoch wahrgenommen haben, hätte es vorliegend eines weiteren Hinweises gemäß § 278 Abs. 3 ZPO bedurft. Die Rechtsauffassung des Landgerichts ist derart abwegig, dass es der Klägerin hätte Gelegenheit geben müssen, die Rechtslage so ausführlich darzulegen, wie sie es in der Berufungsbegründung getan hat. dass das Landgericht bei einer entsprechend ausführlichen Erläuterung der Rechtslage an seiner Auffassung festgehalten hätte, ist nicht vorstellbar. Da die Entscheidung des Landgerichts nicht nur materiell-rechtlich falsch ist, sondern auch schwer verfahrensfehlerhaft, bedarf es keiner Entscheidung, ob auch in krassen Fällen der greifbar materiell-rechtlichen Gesetzeswidrigkeit - wie vorliegend - die Anwendung des § 539 ZPO geboten sein kann (so Schneider MDR 1989, 138; a. A. die h. M. z.B. BGH NJW 1975, 1785; Münchner-Kommentar-Rimmelspacher, ZPO, § 539 Rdnr. 5).